Curd Jürgens
Den Jahren mehr Leben geben
Eine Ohrfeige war wohl der Grundstein für meine Freundschaft mit Weltstar Curd Jürgens, die am 4. März 1961 begann und ein halbes Leben lang dauerte. Kein besonders schöner Auftakt, so eine Watschn. Dazu passend der Schauplatz: das Eve, damals ein Strip-Etablissement, das ursprünglich »Daddy« Blatzheim, der deutsche Stiefvater von Romy Schneider, besaß. Doch nackte Kurven gehörten zu Curds Nachtleben wie das Eis im Whisky. Seine damalige Frau Simone war als Französin einer Ménage-à-trois auch nicht abgeneigt.
Das ging ihr dann allerdings doch zu weit: Nadja Nadlova, die deutsche Strip-Walküre, stramme 1,81 Meter strotzender Weiblichkeit, hatte sich ihren überlangen Zigarettenspitz ins flinsige Höschen geschoben und dann unter Curds Nase durchgezogen – sehr zu Simones Missfallen. Kurze französische Schimpfkanonade gegen Curd und der »normannische Schrank« – als Ohrfeigenmacho verschrien – klatschte seine Pranke auf Simones Wange: Patsch. Ein Klescher für den Klatschkolumnisten.
Zwei Tage später traf ich Curd und Simone auf dem Fußballplatz in Wien-Meidling wieder. Kein Wort über meine Adabei-Kolumne von der Eve-Nacht. Ganz im Stil von Curd: »Egal, was da berichtet wird – Hauptsache, mein Name ist richtig geschrieben.«
Spätestens seit Des Teufels General war Jürgens, den Willi Forst zum Film holte, ein Weltstar. In seinem Debütfilm Königswalzer hatte er zwei kleine Szenen als junger Kaiser Franz Joseph, und die Kritik maulte ganz kurz: »… als Kaiser reichlich hochdeutsch redend.« Als er 1937 mit Zarah Leander Zu neuen Ufern tanzte, verpatzte er zwei Mal die Tanzszene. Curd grinsend: »Da hatte ich die Regieanweisung – erotisch – intensiv missverstanden.«
Mit Willi Forst als Regisseur drehte er Operette an der Seite von Paul Hörbiger und Maria Holst, Frauen sind keine Engel mit Forst und Axel Ambesser. Dazwischen spielte er den Benvolio in Romeo und Julia an der Burg, den Oberst Wallenstein in Ein Bruderzwist in Habsburg und Wallenstein und 1941 zum ersten Mal den Selim Bassa in Mozarts Entführung aus dem Serail (Dirigent: Karl Böhm) an der Wiener Staatsoper.
Dann kam am 14. September 1944 der Gestellungsbefehl der Deutschen Wehrmacht. Wiens Statthalter Baldur von Schirach hob die U.K.-Stellung (unabkömmlich) von Jürgens und anderen Schauspielern auf, Schanzenbau war angesagt. Curd sagte mit anderen Schauspielern – darunter Judith Holzmeister, die 1947 seine zweite Frau wurde, in Richtung Weimar, wo bereits die Amis waren, französisch Adieu: »Ich bin abgehauen, bevor ich noch Soldat war …«
Als die Burg 1947 mit Stella zu einem Gastspiel nach Zürich musste, besorgte ihm Burg-Chef Ernst Haeusserman innerhalb einer Woche die österreichische Staatsbürgerschaft.
Er drehte insgesamt 160 Filme. Und immer lockt das Weib mit Brigitte Bardot, die ihm den Namen »armoire normande« (der »normannische Schrank«) verpasste. »Irgendein Depp, der nicht französisch konnte, hat das fälschlicherweise zum ›Kleiderschrank‹ erhoben, und seither bin ich den ›normannischen Kleiderschrank‹ nicht mehr losgeworden«, grollte Curd deshalb. Er selbst war ja zweisprachig aufgewachsen. Vater Kurt – wohlgemerkt mit »t« – war Hamburger dänischer Herkunft, Curds Mama Marie-Albertine, geborene Noir, aus Évian-les-Bains, erzog ihn französisch, sie hatte noch zur Zarenzeit in St. Petersburg gelebt.
Er stand mit allen großen Stars der Zeit vor der Kamera. Für Duell im Atlantik mit Robert Mitchum – »nach dem Motto: No acting required« –, mit Orson Welles in Fähre nach Hongkong, mit Ingrid Bergman für Die Herberge zur 6. Glückseligkeit. Schöner Gigolo, armer Gigolo drehte er mit David Bowie, Marlene Dietrich (als Baroness von Semering), Maria Schell, Kim Novak, Erika Pluhar; mit Jean Gabin Blüten, Gauner und die Nacht von Nizza; Hollywoods Paradefilm Jakobowsky und der Oberst mit Danny Kaye; mit Robert Taylor die Rettung der Lipizzaner Das Wunder der weißen Pferde; Bitter war der Sieg mit Richard Burton. »Der war immer besoffen, aber sattelfest beim Text«, kommentierte Curd, der selbst während der Arbeit keinen Schluck trank. Dorothy Dandridge war nicht nur in ihrem Film Die schwarze Sklavin seine Liebessklavin. Die PR-Agenten hatten alle Hände voll, das unter Verschluss zu halten. Im prüden Amerika der 1950er-Jahre hätte ein Star wie Jürgens das nicht überstanden.
Sein Rolls-Royce war mit Butler Marc bereits nach Paris unterwegs, als der frischverliebte Curd Jürgens (56), braungebrannt und strahlend – »ich fühle mich zehn Jahre jünger« – abgezählte 70 Wiener Freunde am 18. Juni 1972 ins Wiener Belvedere-Stöckl zum Abschiedsschmaus lud. Händchen haltend demonstrierte er, was in der Wiener Gesellschaft sowieso schon zwei Wochen lang Tagesgespräch war: seine Romanze mit der rassigen Elisabeth Bittencourt (23), der Tochter des brasilianischen Botschafters in Wien. Von Verlobung war aber an diesem Abend keine Rede.
Ursprünglich wollte Curd nur ein Diner für 30 Freunde geben. Daraus wurden 70 – darunter als einziger Journalist Adabei. Mehr hätten im Belvedere-Stöckl einfach nicht platziert werden können. Society-Tiger Erwein Gecmen-Waldek tüftelte noch in letzter Sekunde an der Tischordnung herum, ehe – nach einem Drink im Park und Fotografenrummel – sautierte Steinpilze, Spanferkel mit Serviettenknödeln, Rotkraut und Specklinsen sowie zum Nachtisch Milchrahmstrudel »Vienna« aufgetragen wurden. Baron Gecmen-Waldek, der für die Society das ist, was Wernher von Braun für den Mondflug: »Ein ganz ordinäres Essen für ein Diner, aber das war Absicht.« Kostete immerhin trotzdem seine 57 000 Schilling. Knirschte ein Feinschmecker: »Wenn’s das Ferkel eine halbe Stunde länger im Rohr gelassen hätten, hätt’s dasselbe Geld gekostet.«
Gastgeber Jürgens thronte an einem Ende der Tafel – neben sich die Mutter Elisabeths. Parallel dazu ebenfalls am Kopfende die schöne Brasilianerin, die sich in ihrer Rolle noch recht ungewohnt vorkam. Schließlich war die ganze Romanze erst ihre drei Wochen alt. Zwar hatte Curd Jürgens schon drei Jahre davor Elisabeth Bittencourt bei einem Cocktail, den ihr Vater gab, kennengelernt, doch damals war er mit Simone eingeladen gewesen. »Als ich jetzt nach Wien kam, war ich von Simone bereits getrennt«, erzählte Curd Freunden. »Ich habe Betty dann bei einem Cocktail, den Baron Pantz in Enzesfeld gab, wiedergetroffen und wir haben uns auf Anhieb blendend unterhalten. Sie schickte mir zwei Bücher, die sie über Brasilien geschrieben hat, daraufhin habe ich sie zum Essen eingeladen. Mir war am Telefon ganz komisch zumute, schließlich könnte ich ihr Großvater sein. Dass ich mich in meinem Leben noch einmal so verlieben kann, hätte ich mir nie gedacht.«
Das bekam dann auch Simone Jürgens in Paris zu hören. Curd und Simone telefonierten täglich. Von Scheidung wurde anfangs nicht gesprochen, aber Curd Jürgens hat Simone seine Pariser Wohnung geschenkt. »Sie kann natürlich jederzeit unsere Häuser in Gstaad, Vence oder auf den Bahamas benützen – dann werde ich mich dort nicht zeigen.«
Solche Details belasteten den Filmstar zu der Zeit offenbar nicht. Er gab sich eher wie ein Flitterwöchner. Einmal war man mit dem Privat-Jet des Viennaline-Brillen- und Plastikindustriellen Willy Anger nur zum Abendessen im Maxim’s schnell nach Paris geflogen, am darauffolgenden Tag turtelten Curd und Elisabeth Bittencourt zwei Tage lang in Venedig.
Nicht alle der Jürgens-Freunde und -Gäste genossen das Fest ganz zwanglos, denn es waren auch langjährige Freunde von Simone darunter. Als »Hausfrau« hatte der fürsorgliche Baron Gecmen-Waldek nicht Elisabeth Bittencourt, sondern Prinzessin Marie Christine Bourbon-Parma nominiert. Ihr zu Ehren war die Tafel mit bourbonischen Lilien geschmückt. Allerdings gab’s im Blumengesteck auch Glockenblumen, und einer spöttelte: »Weil’s beim Curd geklingelt hat!«
Die Schmaus-Society war bunt gewürfelt: Neben Botschafter A. Regis Bittencourt und Gattin, den Eltern Bettys,...