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E-Book

Adaption und Dekonstruktion der psychoanalytischen Theorie von Jelineks 'Die Klavierspielerin'

AutorNadia Müller
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl38 Seiten
ISBN9783656948773
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Bachelorarbeit aus dem Jahr 2015 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,3, Universität Paderborn (Kulturwissenschaften), Sprache: Deutsch, Abstract: Sie [Elfriede Jelinek] hasst Musik, sie hasst Wien, sie hasst Menschen. Und sie haßt vor allem sich selbst. Das macht die Jelinek-Lektüre so verdrießlich. Sie möchte ganz einfach ihre Leser zum Kotzen bringen. Bei labilen Naturen schafft sie es mit der Klavierspielerin bestimmt. Aber das ist eine Art von Qualität, auf die wir uns nicht einlassen mögen. Mit diesem rigorosen Urteil diskreditierte der Rezensent Reinhard Beuth in 'Die Welt' die österreichische Autorin Elfriede Jelinek mit ihrem 1983 erschienenen Roman 'Die Klavierspielerin' . Jelinek wurde nicht nur vereinzelt mit solch einer scharfen Kritik konfrontiert, sondern traf in den Rezensionen ihrer Werke immer wieder auf Urteile, die ihr Werk als 'erbarmungslos und brutal' dahinzustellen versuchten. Jelinek deutet die Ursache dahingehend aus, dass von einer Frau gefälligere Texte zu erwarten seien. Doch die Resonanz fiel kontrovers aus. Der Literaturkritiker Reich-Ranicki bezeichnete Jelinek als eine 'ganz ungewöhnliche, völlig aus dem Rahmen fallende, radikale und extreme Schriftstellerin und in Folge dessen höchst umstritten.' Die österreichische Schriftstellerin hat sich mit ihrem Roman Die Klavierspielerin, der zu den erfolgreichsten Arbeiten deutschsprachiger Autorinnen gehört, Respekt verschafft. Nach einer Vielzahl wissenschaftlicher Arbeiten erreichte der Roman den Klassikerstatus und fand Eingang in den Kanon. [...]

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Leseprobe

2. Der theoretische Hintergrund – Psychoanalytische Theorien Freuds und Lacans


 

Die psychoanalytischen Theorien Freuds und Lacans galten trotz ihrer patriarchalisch orientierten Denkrichtung als grundlegende posthumanistische Wegweiser. Sowohl Freud als auch Lacan trugen mit ihren Forschungen dezidiert zur Konsolidierung eines männlich kodierten Diskurses bei. Ihrem patriarchalischen Standpunkt gemäß legt Freud den Penis und Lacan den Phallus in den Fokus ihrer wissenschaftlichen Überlegungen.[22] Während Freud sich mit dem Terminus „Phallus“, den man in seinen Schriften häufig als Synonym zum Terminus „Penis“ findet, auf das anatomische Geschlechtsteil bezieht, begreift Lacan den Phallus als Symbol, das für die Absenz des mütterlichen Penis steht.[23] Auch wenn Lacan den Phallus anders als Freud im Symbolischen verortet und er selbst sein Modell als geschlechtsneutral begreift[24], geht aus seiner Auslegung unzweideutig hervor, dass er die Herrschaft des Phallus keineswegs nur als Symbol begreift, „sondern [seine Theorie] eine linguistische Mystifizierung real patriarchalischer Herrschaftsstrukturen“[25] darstellt.[26]

 

Die Psychoanalyse, von Freud entworfen, von Lacan weiterentwickelt und konsolidiert, weist ein weites Spektrum an Merkmalen auf, denen aufgrund ihrer phallusorientierten Exklusivität ein misogynes Potenzial innewohnt. Da es Ziel dieser Arbeit ist, aufzuzeigen, wie Jelinek einen großen Teil der besagten frauenfeindlichen Elemente adaptiert und dekonstruktivistisch konterkariert, ist es vorerst unabdingbar, die wichtigsten psychoanalytischen Elemente, die eine Gefahr für die weibliche Identität darstellen, in groben Zügen darzulegen.

 

Freud geht von dem kleinen Jungen als Untersuchungsobjekt aus, während er die Entwicklung des kleinen Mädchens nur als Ableitung des primären Untersuchungsgegenstandes begreift, denn, so merkt der Psychoanalytiker an, „beim kleinen Mädchen […] müsse es ähnlich zugehen, aber doch in irgendeiner Weise anders.“[27] Auch nach Lacan lässt sich die Weiblichkeit nur über den Mann definieren. Der Frau wird in seiner Theorie nicht zuletzt dadurch eine inferiore Stellung zugewiesen, indem sie als Signifikant zu verstehen ist, dessen Signifikat auf die „kastrierte Männlichkeit“[28] reduziert wird.[29]

 

Ebenso deutet die von Lacan vorgenommene Unterteilung in die Ordnung des Imaginären und die des Symbolischen unzweideutig auf ein dichotomisches und unausgeglichenes Geschlechterverhältnis hin. Das zeigt sich vor allem darin, dass der Mann Eingang in die symbolische, „väterlich-männliche Ordnung“[30] und damit in das Gesetz und in die Sprache finden kann, während der Frau der Zugang verwehrt bleibt. Denn das Kind kann die imaginäre Entwicklungsstufe hin zum Symbolischen nur durch das Inzesttabu bewältigen. Allein durch den ‚Dritten‘ kann die symbiotische Einheit zwischen Mutter und Kind durchbrochen werden[31], indem der Vater im „nom du père“, dem auch er selbst unterliegt, das Verbot ausspricht und die duale Symbiose im „non du père“ verneint.[32]  Das Gesetz, ein „väterlich-männliches Prinzip“, destruiert den „mütterlich-weiblichen Pol“[33] und zerreißt das sich spiegelnde Subjekt, indem es dem Lustprinzip eine Grenze setzt, „um damit den Prozess zwischen dem Begehren und der Sprache zu ermöglichen“.[34] Die erfolgreiche Trennung von der Mutter ist notwendig, um auf die illusorische Suggestion von Ganzheit zu verzichten. Wird dem vorherrschenden Luststreben des Kindes keine Grenze gesetzt, identifiziert es sich fortan narzisstisch mit dem, was ihm Vollkommenheit verspricht und kann sich somit niemals aus den endlosen Vorspiegelungen befreien.[35] Im Falle der Nicht-Überwindung des Spiegelstadiums kann es Lacan zufolge zu einer Psychose führen, die sich in der Vorstellung eines zerstückelten Körpers bemerkbar mache.[36]

 

Auch Freud postuliert, dass die Phase der mütterlichen Bindung

 

eine besonders intime Beziehung zur Ätiologie der Hysterie vermuten läßt, was nicht überraschen kann, wenn man erwägt, daß beide, die Phase wie die Neurose, zu den besonderen Charakteren der Weiblichkeit gehören.[37]

 

Den Knaben hingegen kann dieses Schicksal nicht ereilen. Ihm allein bleibt die erfolgreiche Bewältigung des Inzesttabus vorenthalten. Beim Anblick des weiblichen Geschlechts, das er als kastriert und damit als minderwertig wahrnimmt und dies als Strafe deutet, gibt er im ödipalen Konflikt die libidinöse Besetzung der Mutter auf, aus Angst, er könne ebenso diese Strafe erleiden.

 

Irgend einmal bekommt das auf seinen Penisbesitz stolze Kind die Genitalregion eines kleinen Mädchens zu Gesicht und muß sich von dem Mangel eines Penis bei einem ihm so ähnlichen Wesen überzeugen. Damit ist auch der eigene Penisverlust vorstellbar geworden, die Kastrationsdrohung gelangt nachträglich zur Wirkung.[38]

 

In der Hoffnung, die Stelle des Vaters einzunehmen, um mit der Mutter libidinös vereint zu sein, identifiziert er sich fortan mit dem Vater. Die Verdrängung des Begehrens der Mutter eröffnet dem Jungen den Eintritt in die symbolische Ordnung. Durch die Internalisierung des väterlichen Inzesttabus bildet der Junge das Über-Ich aus,  „in dem Schuldgefühl, Gewissen und Verantwortungsbewusstsein wurzeln“[39]. Das Triebstreben des Unbewussten kann der Knabe sublimieren. Damit steht ihm der Zugang in die menschliche Kulturgemeinschaft offen.[40]

 

Das Modell des Ödipuskomplexes bezieht Freud auch auf den sexuellen Individuationsprozess des Mädchens. Wie in der Einleitung bereits angeklungen, ist das Weibliche „ein unbekannter Charakter, den die Anatomie nicht erfassen kann.“[41] In Die Frage der Laienanalyse schreibt Freud:

 

[D]as Geschlechtsleben des erwachsenen Weibes [ist] ein dark continent für die Psychologie. Aber wir haben erkannt, daß das Mädchen den Mangel empfindet, sich darum für minderwertig hält, und daß dieser >Penisneid< einer ganzen Reihe charakteristisch weiblicher Reaktionen den Ursprung gibt.[42]

 

Der Psychoanalytiker geht davon aus, dass der weibliche Ödipuskomplex mit dem Kastrationskomplex einsetze, „der durch den Anblick des anderen Genitals eröffnet“[43] wird. Er beschreibt in Über die weibliche Sexualität die Wirkungen des weiblichen Kastrationskomplexes, die dahingehend beschreibt, dass das Mädchen „die Überlegenheit des Mannes und seine Minderwertigkeit“[44] anerkenne. Der Penisneid und die Auffassung einer minderwertigen Mutter veranlasst das Kind sich von der Mutter ab- und dem Vater zuzuwenden.[45] Auch Lacan begreift die kindliche Hinwendung zum Vater als normatives Element eines jeden Kindes, aus der die Möglichkeit resultiere, sich geschlechtsspezifisch als Mann oder Frau zu positionieren.[46] Nach diesem Verständnis ist die Hysterie, ein häufiges Krankheitssymptom im 19. Jahrhundert, eine Folge der unzureichenden Bewältigung des Ödipuskomplexes und dem damit einhergehenden Unvermögen, eine eindeutige Geschlechterrolle einzunehmen.[47] Der Ödipuskomplex kann vom Mädchen nicht, wie beim Knaben, überwunden werden, da es sich, indem es sich, anstatt sich mit dem Vater zu identifizieren, wodurch der Eintritt in die symbolische Ordnung erfolgen würde, als Phallusersatz vom Vater ein Kind wünscht.[48] Das weibliche Kind „gibt den Wunsch nach dem Penis auf, um den Wunsch nach einem Kinde an die Stelle zu setzen, und nimmt in dieser Absicht den Vater zum Liebesobjekt.“[49] Das Mädchen kann im Gegensatz zum Knaben die Kastrationsangst umgehen, da es um etwas, was es nie besaß, nicht fürchten muss. Freud zieht den Schluss daraus, dass die Frauen kein so großes Über-Ich wie die Männer entwickeln können.[50]

 

Freud und Lacan reduzieren die Frau auf Attribute der Kastriertheit und des Penisneides.[51] Am männlichen Maßstab gemessen, wird die Frau als Absenz des Männlichen und damit als inferiores Mangelwesen gebrandmarkt.[52] Lacan geht in seinem Werk Encore  sogar soweit, die Frau außerhalb der intelligiblen Sphäre zur verorten. Sie wird als „außerdiskursives Wesen mystifiziert“.[53] Er postuliert in diesem Sinne: ‚LA femme n’existe pas‘. Er argumentiert an dieser Stelle ganz im Sinne des Konstruktivismus, der mit Gegensatzstrukturen arbeitet, die nur aufrechthalten werden können, indem die eine Seite auf Kosten der anderen marginalisiert wird, bis hin zur einem völligen Ausschluss von der symbolischen Ordnung.[54]

 

Auch Freud bleibt einem in Gegensatzstrukturen befangenen Denken verhaftet. In Abriß der...

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