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E-Book

Adoleszenz - Migration - Bildung

Bildungsprozesse Jugendlicher und junger Erwachsener mit Migrationshintergrund

VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl284 Seiten
ISBN9783531914596
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Der Betrachtung der Adoleszenz kommt für das Verständnis von Bildungsprozessen große Bedeutung zu, da die Adoleszenz eine entscheidende Phase für die Veränderung von Welt- und Selbstverhältnissen und die Neukonstruktion von Lebensentwürfen darstellt. Unter Migrationsbedingungen geht es dabei um Transformationen sowohl auf der Ebene des Wandels vom Kind zum Erwachsenen als auch auf kultureller oder sozialer Ebene. Bildungsprozesse der Adoleszenz haben es insofern mit einer doppelten Herausforderung zu tun, die je nach gesellschaftlichen, familialen und individuellen Ressourcen besondere Chancen und Risiken beinhaltet. Anliegen des Bandes ist es, diesen Chancen und Risiken nachzugehen und Bedingungen für die Ermöglichung konstruktiver Bildungsprozesse auszuloten.

Dr. Vera King ist Professorin an der Fakultät für Erziehungswissenschaft, Psychologie und Bewegungswissenschaft der Universität Hamburg.
Dr. Hans-Christoph Koller ist Professor an der Fakultät für Erziehungswissenschaft, Psychologie und Bewegungswissenschaft der Universität Hamburg.

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Leseprobe
Spontane Bildungsprozesse im Kontext von Adoleszenz und Migration (S. 177-178)

Arnd-Michael Nohl

I.

Aus spontanem Handeln kann Bildung werden. In der Spontaneität des Handelns bricht das Neue in das Leben ein, schafft sich seinen Raum, wird von anderen respektiert und von den Betroffenen reflektiert. So kommt ein Bildungsprozess in Gang, der nachhaltige und tiefgreifende Veränderungen der Lebensorientierungen von Menschen zeitigt. Diese transformativen Bildungsprozesse lassen sich unterscheiden von Lernprozessen, bei denen Wissen und Können innerhalb gegebener Lebensorientierungen erworben werden.1 Spontane Bildungsprozesse finden sich bei den unterschiedlichsten Menschen: Älteren und Jüngeren, Männern und Frauen, Akademiker(inne)n und Arbeiter(inne)n, Migranten und Einheimischen (vgl. Nohl 2006a).

Möchte man spontane Bildungsprozesse im Kontext von Adoleszenz und Migration untersuchen, so rücken die Migrantenjugendlichen in den Fokus der Aufmerksamkeit. Es wäre allerdings problematisch, würde man die spontanen Bildungsverläufe dieser Personengruppe für sich, d. h. isoliert von anderen Untersuchungspersonen, betrachten und von den so erzielten empirischen Ergebnissen aus unmittelbar auf Adoleszenz- und Migrationsspezifisches schließen. Denn dann wäre man vor einem essentialistischen Fehlschluss, der von den Migrantenjugendlichen unmittelbar zum Adoleszenz- und Migrationskontext führt, nicht gefeit.

Nur weil etwas bei Migrantenjugendlichen empirisch rekonstruiert wurde, ist es mitnichten sogleich als adoleszenz- oder migrationsspezifisch zu bezeichnen. Empirische Einblicke in den Kontext von Adoleszenz und Migration ermöglicht vielmehr die komparative Analyse mit Untersuchungspersonen, die sich hinsichtlich des Lebensalters bzw. der Migration von den Migrantenjugendlichen unterscheiden: Im Vergleich mit anderen Lebensaltern wird das Adoleszenzspezifische empirisch deutlich, im Vergleich mit Einheimischen der Migrationskontext. Mit dieser komparativen Vorgehensweise stütze ich mich auf die dokumentarische Methode, die Ralf Bohnsack auf der Basis der Arbeiten des Wissenssoziologen Karl Mannheim entwickelt hat (vgl. Bohnsack 2003 u. Bohnsack/Netwig- Gesemann/Nohl 2001).

In der dokumentarischen Methode werden mehrere Einzelfälle von Beginn der Auswertung an miteinander verglichen und auf diese Weise Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen ihnen herausgearbeitet. Zum Beispiel rekonstruiert man, wie eine mehreren Fällen gemeinsame Problemstellung – etwa die Adoleszenzkrise – bewältigt wird. Innerhalb der Gemeinsamkeit der Problemstellung können sich dann zwischen den Fällen wiederum Gemeinsamkeiten und Unterschiede zeigen. Diese sind dann der Ausgangspunkt einer Typenbildung, in der Typisches, d. h. Spezifisches etwa für die Adoleszenz oder für die Migration, empirisch aufgezeigt wird.

Da solche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sich nie auf eine Dimension beschränken – z.B. nie alleine in der adoleszenzspezifischen Dimension liegen, sondern weitere Dimensionen umfassen, wie etwa die Migration – lassen sich in mehreren Dimensionen Typen bilden. In der empirischen Untersuchung, auf die sich dieser Beitrag stützt (vgl. Nohl 2006a), wurden narrative, biographisch angelegte Interviews (vgl. Schütze 1983) mit Personen unterschiedlichen Alters, Geschlechts, Schulabschlusses und Migrationshintergrundes geführt und mit der dokumentarischen Methode vergleichend und typisierend ausgewertet (vgl. dazu Nohl 2006b).

Im Zentrum der Typenbildung stand zunächst der phasenhafte Ablauf des Bildungsprozesses. Diese Phasen des Bildungsprozesses werden von lebensalterstypischen Aspekten überlagert, wie sich im Vergleich der Personen unterschiedlichen Alters (Jugend, Lebensmitte, höheres Alter) zeigen lässt. Treten hier gerade die adoleszenzspezifischen Aspekte der spontanen Bildungsprozesse zu Tage, so geht es im Vergleich zwischen Einheimischen und Migranten dann darum, die Migrationslagerung, d. h. den für Migranten spezifischen Raum möglicher Erfahrungen (vgl. Nohl 2001: 31ff.), herauszuarbeiten.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis5
Adoleszenz als Möglichkeitsraum für Bildungsprozesse unter Migrationsbedingungen. Eine Einführung8
Adoleszente Entwicklung als Bildungsprozess9
Adoleszenz mit Migrationshintergrund als Transformationsprozess10
Adoleszenz und soziale Ungleichheiten12
Bildungsbeteiligung von Adoleszenten mit Migrationshintergrund14
Adoleszenz mit Migrationshintergrund in Jugend- und Migrationsforschung15
Die Beiträge17
Literatur23
Ungleiche Karrieren.26
Weitergabe und Veränderung des Erbes28
Biographische Perspektiven auf soziale Ungleichheiten30
Klasse, Geschlecht und Ethnizität/Migrationsstatus in Bildungsverläufen der Adoleszenz31
Generationenverhältnisse und das Ringen um Statusverbesserung in Migrantenfamilien33
Verschränkungen von adoleszenten Entwicklungen und Bildungsverläufen35
Schlussfolgerungen41
Literatur43
Tochter und Studentin – Beobachtungen zum Bildungsaufstieg in der zweiten türkischen Migrantengeneration46
1. Soziale Mobilität und migrante Adoleszenz47
2. Die Rücksichtsvolle – ein Fallbeispiel49
3. Kontrastierungen61
Literatur64
Bildungsaufstieg als Migrationsprojekt.65
Die Bedeutung der Herkunftsfamilie für den Bildungserfolg66
Doppelte Transformationsanforderung: Adoleszenz und Migration67
Fallrekonstruktion Familie Güngör68
Zum Verhältnis von Migration und Bildungsaspirationen der Eltern69
Engins Umgang mit dem Auftrag72
Nichtvollzogene Ablösung von den Eltern75
Diskriminierung und Distinktion78
Fazit und Ausblick80
Literatur81
Adoleszenz zwischen sozialem Aufstieg und sozialem Ausschluss83
Eric6: Die beschleunigte Adoleszenz86
Nuran: Adoleszenz unter eingeschränkten Möglichkeiten92
Diskussion96
Literatur99
Migration und Bildungsprozess. Zum ressourcenorientierten Umgang mit der Biographie101
1. Migrationsforschung zwischen Defizit- und Chancendiskurs102
2. Möglichkeiten einer Bildungsforschung zwischen Selektivität und subjektiven Erfahrungen104
3. Fallbeispiel einer „erwartungswidrigen“ Bildungsbiographie106
4. Zur Bedeutsamkeit der biographischen Erfahrungen vor dem Hintergrund der gegensätzlichen Diskurse in der Migrationsforschung113
5. Zur Bedeutung der Rekonstruktion unerwarteter Bildungsbiographien für die Bildungsforschung114
Literatur116
Kreativer Umgang mit familialen Ressourcen bei adoleszenten Bildungsmigrantinnen119
1. Einleitung119
2. Die Situation jugendlicher Migranten – Konzeptioneller Rahmen120
3. Fallstudien123
4. Fazit134
Literatur134
Adoleszenz und Flucht – Wie jugendliche Flüchtlinge traumatisierende Erfahrungen bewältigen136
1. Flüchtlingskinder und -jugendliche in Deutschland136
2. Entwicklungsprobleme jugendlicher Flüchtlinge138
3. Psychische Störungen jugendlicher Migranten und Flüchtlinge142
4. Trauma und Versöhnung145
Literatur149
Adoleszente Generationenbeziehungen in Migrantenfamilien als Untersuchungsgegenstand.151
1. Einleitung151
2. Theoretische Ansätze zu Familien in der Migration152
3. Methodische Perspektiven für die Erforschung von adoleszenten Generationenbeziehungen im Migrationskontext157
Literatur169
Spontane Bildungsprozesse im Kontext von Adoleszenz und Migration173
I.173
II.175
III.178
IV.180
V.181
VI.182
VII.185
VIII.186
IX.187
Literatur189
Doppelter Abschied.190
1. Theoretische Überlegungen zum Verhältnis von Adoleszenz, Migration und Bildung191
2. Zur Verschränkung adoleszenz- und migrationsspezifischer Bildungsprozesse in Lena Goreliks Roman „Meine weißen Nächte“196
Literatur206
Zuweisung geschlechtlicher und ethnischer Zugehörigkeiten im Schulalltag207
1. Das Postulat der Chancengleichheit207
2. Dramatisierung ethnischer und geschlechtlicher Differenzen210
3. Die Macht des Diskurses214
4. Entdramatisierung ethnischer und geschlechtlicher Differenzen215
5. Fazit217
Literatur217
Über die Entfaltung von Ressourcen in der Ortslosigkeit. Jugendliche in transnationalen sozialen Räumen219
1. Azizas Lied219
2. Es ist anders, von dort zu kommen und hier geboren zu sein, es jedem recht zu machen und trotzdem frei zu sein.220
3. Der Fall von Claudia222
4. Transnationales Leben225
Literatur230
Adoleszenz und Migration. Zur Bedeutung von Zugehörigkeitsordnungen232
Experimentieren im Möglichkeitsraum Adoleszenz232
Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit237
Mitgliedschaft, Wirksamkeit und Verbundenheit240
Die unterscheidende Macht der Zugehörigkeit244
Literatur250
Integrationspolitik als Rahmen für den bildungspolitischen Umgang mit Heterogenität – das Beispiel Hamburg252
1. Das Scheitern der Schule an den Migrantenkindern252
2. Integrationspolitik als Voraussetzung und Rahmen für Bildungspolitik254
3. Zum Begriff „Integration“256
4. Charakteristika der Integrationspolitik in Deutschland258
5. Eine neue Situation mit dem Zuwanderungsgesetz von 2005259
6. Bildungspolitik als Integrationspolitik261
7. Neuere bildungspolitische Maßnahmen und Tendenzen264
8. Abschließende Bewertung268
Literatur270
Die Autorinnen und Autoren272

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