Das Kapitel drei befasst sich mit allen Maßnahmen, die ein Kreditinstitut durchführt, um die Bonität eines Kreditnehmers genau beurteilen zu können. Die derzeitige und künftige wirtschaftliche Lage des Firmenkunden soll so exakt wie möglich dargestellt werden, um die Wahrscheinlichkeit eines Kreditausfalls sehr gering zu halten.
In den folgenden Ausführungen wird zunächst die Bilanz- bzw. Jahresabschlussanalyse, sowohl qualitativ als auch quantitativ, behandelt. Danach werden kurz die weiteren Auskünfte erläutert, die eine Bank benötigt, um eine umfangreiche Bonitätsbeurteilung durchführen zu können. Im letzten Punkt dieses Kapitels wird das Thema Rating genauer betrachtet und es wird dargelegt wie es in die Bonitätsprüfung mit einfließt.
Ein Jahresabschluss kann sowohl qualitativ als auch quantitativ untersucht werden. Abbildung 3 zeigt, was unter diesen beiden Prinzipien zu verstehen ist und wie sie in die Bilanzanalyse einfließen. So werden unter dem Begriff der qualitativen Bilanzanalyse die Analyse der Bilanzpolitik und die Semiotische Analyse verstanden. Die genaue Beschreibung dieser beiden Verfahren wird unter Gliederungspunkt 3.1.1. erfolgen. Die Bewertung des Jahresabschlusses anhand von Zahlen kommt in der quantitativen Analyse zum Tragen. Hierunter werden die traditionelle Kennzahlenanalyse und die statistischen Analyseverfahren subsumiert. Auf die traditionelle Kennzahlenanalyse wird unter Gliederungspunkt 3.1.2. näher eingegangen. Zu den statistischen Verfahren sei nur so viel gesagt, dass es sich dabei meist um eine Diskriminanzanalyse und/oder um eine neuronale Netzanalyse handelt, die sich vor allem mit der Insolvenzwahrscheinlichkeit einer Firma anhand eines Gesamtindex beschäftigt[56]. Die Diskriminanzanalyse ist ein empirisches Modell zur Klassifizierung von Kennzahlen und die neuronale-Netze-Analyse bedient sich einem Rechenmodell zur Informationsverarbeitung von Kennzahlen. Eine genauere Beschreibung, wie in Abbildung 3 gegeben, würde über den Rahmen dieser Bachelorarbeit hinausgehen und es könnte dabei auch nicht genügend in die Tiefe gegangen werden, um dem Leser dieser Arbeit diese statistischen Verfahren im Rahmen der quantitativen Bilanzanalyse exakt näher zu bringen. Auf ihren Einfluss auf die Entwicklung interner Ratingsysteme wird später allerdings noch eingegangen.
Abb. 3: Übersicht der Bestandteile der qualitativen und quantitativen Bilanzanalyse
Vgl. Graw/Keller, Bilanzmanipulation – Risiko- und Krisenfrüherkennung durch Jahresabschlussanalysen in: Kredit & Rating Praxis, S. 27.
Die qualitative Bilanzanalyse beschäftigt sich wie oben bereits erwähnt mit der Bilanzpolitik und mit der semiotischen Bilanzanalyse. Durch diese Betrachtungsweise soll zum einen die Bilanzpolitik des untersuchten Unternehmens eingeschätzt und zum anderen die Wortwahl und die Präzision der Aussagen im gesamten Jahresabschluss bewertet werden. Somit dient sie einem Kreditinstitut vor allem bei der Beurteilung der Risikopositionen des Kreditnachfragers, die nicht durch die Bildung von Kennzahlen erkannt werden können. Denn dieser hat die Möglichkeit durch die bewusste und damit zweckorientierte Beeinflussung seines Jahresabschlusses auf das Verhalten der Bank bei der Kreditvergabe zu seinen Gunsten einzuwirken[57].
3.1.1.1. Bilanzpolitik
Die Bilanzpolitik hat das vorrangige Ziel die veröffentlichten Unternehmensdaten, im Rahmen der gesetzlichen Regelungen, bewusst zu beeinflussen. Dadurch soll das von der Firmenleitung gewünschte Unternehmensbild an die Jahresabschlussadressaten herangetragen werden, um bestimmte Wirkungen zu erreichen, die zum Eintreten der gesetzten Ziele beitragen[58].
Zum Erreichen dieser Ziele bedienen sich die Unternehmen den in Abbildung 4 ersichtlichen bilanzpolitischen Instrumenten.
Abb. 4: Bilanzpolitische Instrumente
Vgl. Küting/Weber, Die Bilanzanalyse, S. 40.
Die Sachverhaltsgestaltung ist die Einflussnahme auf betriebliche Entscheidungen während des Geschäftsjahres[59]. Diese Beeinflussung erfolgt z.B. durch die zeitliche Verlagerung von Geschäftsvorfällen, wie die beschleunigte Veräußerung von Vermögensposten zur Gewinnrealisierung (Vorverlagerung) oder die Verschiebung von Investitionen mit dem Zweck des späteren Abschreibungsbeginns (Nachverlagerung)[60]. Dadurch soll erreicht werden, dass die vom Management geforderte Darstellung der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens in der Bilanz abgebildet wird[61]. Daran kann man erkennen, dass solche Handlungen ein Unternehmen meist in einem besseren Licht darstellen sollen, um Abwärtstrends zu kaschieren. Da diese Gestaltungen von Sachverhalten aus dem Jahresabschluss häufig nicht direkt erkennbar sind und es auch kein Stetigkeitsgebot dafür gibt, fällt es oft sehr schwer sie kritisch zu hinterfragen[62].
Die Sachverhaltsabbildung beschäftigt eine Firma nach Abschluss des Geschäftsjahres[63] und befasst sich mit Maßnahmen, die Bezug auf gegebene Sachverhalte nehmen[64]. Darunter versteht man die konkrete Umsetzung von Wahlrechten und Ermessenspielräumen. Die Abbildung der Sachverhalte kann dabei entweder materiell oder formell erfolgen[65].
Bei der materiellen Bilanzpolitik unterscheidet man, wie man in Abbildung 4 sieht, zwischen Wahlrechten (explizite und faktische) und Ermessensspielräumen und legt fest wie der Ansatz bzw. die Bewertung dieser erfolgt. Dadurch werden die Höhe der ausgewiesenen Posten und somit auch das Ergebnis des Unternehmens gesteuert[66]. Ein explizites Wahlrecht wird ausdrücklich im Gesetz genannt und liegt vor, „wenn mindestens zwei sich gegenseitig ausschließende aber eindeutig bestimmte Rechtsfolgen an einen gegebenen Tatbestand anknüpfen“[67]. Faktische Wahlrechte sind im Gegensatz dazu nicht konkret im Gesetz festgelegt. Vielmehr handelt es sich dabei um Ge- oder Verbote, die daran geknüpft sind, dass bestimmte Sachverhalte oder Voraussetzungen vorliegen. Ermessensspielräume treten auf, wenn Bilanzierungsnormen zwar Ansatz oder Bewertung eines Bilanzpostens regeln, es jedoch keine konkreten Vorschriften oder Methoden zu seiner Bestimmung gibt. Dem Bilanzierenden werden dadurch erhebliche Möglichkeiten gegeben einen Wertansatz für einen Jahresabschlussposten zu bestimmen[68]. Während die expliziten Wahlrechte von einem Bilanzanalysten sehr gut zu identifizieren sind, sind die faktischen Wahlrechte und die Ermessensspielräume in einem Jahresabschluss nur sehr schwer erkennbar und können aufgrund ihrer Einzelfallbezogenheit meist nur durch die Analyse der speziellen Situation der Firma nachvollzogen werden[69].
Die Gesetzesänderung hin zum Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz schaffte einige gesetzliche Wahlrechte, wie die Aktivierungsmöglichkeit der Aufwendungen für die Ingangsetzung und Erweiterung des Geschäftsbetriebs (§ 269 HGB a.F.), die Passivierungsmöglichkeit von Aufwandsrückstellungen (§ 249 (1) S. 3 und (2) HGB a.F.) oder die Vornahme von Abschreibungen im Rahmen vernünftiger kaufmännischer Beurteilung (§ 253 (4) HGB a.F.), ab. Demgegenüber kamen mit dem BilMoG auch neue gesetzliche Wahlrechte hinzu. Die bedeutendere Neuerung ist jedoch, dass nun die Ermessens- und Beurteilungsspielräume einen größeren Einfluss haben, was einerseits dazu führt, dass der Zukunftsbezug in der deutschen Rechnungslegung eine Aufwertung erfährt, andererseits der Bilanzierende aber mehr Annahmen als zuvor treffen muss[70] und es für einen Bilanzanalysten schwieriger wird diese Spielräume standardisiert zu beurteilen[71]. Anhand von einigen Beispielen werden nun die dadurch entstandenen Änderungen für die materielle Bilanzpolitik genauer erläutert.
Eines der neu entstandenen Ansatzwahlrechte, die dem Unternehmen eine zielgerichtete Darstellung der finanziellen Unternehmenssituation ermöglichen[72], ist das Aktivierungswahlrecht von selbst erstellten immateriellen Vermögensgegenständen
(§ 248 (2) HGB). Allerdings dürfen nur die Entwicklungskosten angesetzt werden
(§ 255 (2a) HGB), die Forschungskosten sind weiterhin sofort als Aufwendungen zu erfassen. Dadurch soll grundsätzlich die Gleichbehandlung von selbstständig verwertbaren materiellen und immateriellen Vermögensgegenständen angenähert werden[73]. Der genaue Betrag der selbsterstellten immateriellen Vermögensgegenstände muss im Anhang allerdings nur angegeben werden, wenn dieser Posten auch in der Bilanz aktiviert wurde (§ 285 Nr. 22 HGB). Dadurch ergibt sich hierbei für den...