Teil I:
Epidemiologische, medizinische und psychologische Aspekte des Alkoholkonsums im Kindes- und Jugendalter
1 Der Alkoholkonsum Jugendlicher in Deutschland
Michaela Goecke, Boris Orth, Mareike Awolin & Peter Lang Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Köln
1.1 Einleitung
Der vorliegende Beitrag konzentriert sich auf das Trinkverhalten von 12- bis 17-jährigen Jugendlichen in Deutschland. Auf der Basis aktueller Studienergebnisse der Bundes zentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) werden Prävalenzen, Konsummuster, riskante Alkoholkonsumformen und Trends dargestellt. Seit 1973 erfasst die BZgA mit der Drogenaffinitätsstudie in regelmäßigen Abständen das Konsumverhalten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter zwischen 12 und 25 Jahren in Bezug auf Tabak, Alkohol, Cannabis und weitere illegale Suchtmittel. Hierzu werden jeweils repräsentative Stichproben von rund 3 000 Jugendlichen und jungen Erwachsenen in computergestützten Telefoninterviews (CATI) zu ihrem Konsum von legalen und illegalen Suchtmitteln befragt (BZgA, 2009).
Seit dem Jahr 2010 untersucht die BZgA mit einer zusätzlichen Studie in 2-Jahres- Intervallen das Trinkverhalten und die Konsummuster der 12- bis 25-Jährigen in Deutschland. Im Jahr 2010 wurde dafür eine repräsentative Stichprobe von rund 7 000 Personen zu ihrem Alkoholkonsum befragt.
Grundlage des vorliegenden Beitrags sind in erster Linie die Daten und Auswertungen der Drogenaffinitätsstudien und der Studie »Der Alkoholkonsum Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland 2010«, wobei insbesondere auf das Konsumverhalten der 12- bis 17-Jährigen in Deutschland eingegangen wird.
1.2 Prävalenz
Im Jahr 2010 gaben mehr als 90 % der Jugendlichen im Alter von 16 und 17 Jahren an, schon mindestens einmal in ihrem Leben Alkohol konsumiert zu haben (BZgA, 2011). Das durchschnittliche Alter beim erstmaligen Alkoholkonsum lag für 12- bis 25- Jährige bei 14,5 Jahren (BZgA, 2011). Betrachtet man die 12-Monats-Prävalenz des Alkoholkonsums der 12- bis 17-Jährigen, zeigt sich über die letzten Jahre ein Rückgang, der für die 12- bis 15-Jährigen besonders deutlich ausfällt. Diese Veränderungen weisen bei männlichen und weiblichen Jugendlichen einen etwa parallelen Verlauf auf. Hinsichtlich der 30-Tage-Prävalenz des Alkoholkonsums gaben im Jahr 2004 59 % der männlichen Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 17 Jahren an, in den letzten 30 Tagen an mindestens einem Tag Alkohol konsumiert zu haben. Im Jahr 2010 waren es nur noch 44 %. Bei den weiblichen Jugendlichen im selben Alter lag die 30-Tage-Prävalenz im Jahr 2004 bei 58 %, im Jahr 2010 nur noch bei 42 % (BZgA, 2011).
Die im Hinblick auf die 30-Tage-Prävalenz abstinenten 12- bis 17-Jährigen stellten im Jahr 2010 zwar erstmalig eine Mehrheit dar, dennoch lag die 30-Tage-Prävalenz in dieser jungen Altersgruppe mit rund 43 % noch auf einem hohen Niveau. Auch der regelmäßige, d. h. wöchentliche Alkoholkonsum ging in der Altersgruppe der 12- bis 17-Jährigen im Jahr 2010 zurück. Im Vergleich zu Zahlen von 2004 ist dieser Rückgang sowohl bei den 12- bis 15-Jährigen als auch bei den 16- bis 17-Jährigen (statistisch) signifikant (BZgA, 2011).
Lag der regelmäßige wöchentliche Alkoholkonsum bei den 12- bis 15-jährigen männlichen Jugendlichen im Jahr 2004 noch bei knapp 12 %, sank er 2010 auf rund 7 %. Bei den weiblichen Jugendlichen in derselben Altersgruppe ist ein Rückgang von 9 % im Jahr 2004 auf 5 % im Jahr 2010 zu verzeichnen. Von den 16- bis 17-jährigen männlichen Jugendlichen konsumierten 2004 55 %, von den gleichaltrigen weiblichen Jugendlichen 32 % regelmäßig wöchentlich Alkohol. Im Jahr 2010 sanken die Zahlen auf 36 % bei den männlichen und 15 % bei den weiblichen Jugendlichen (BZgA, 2011).
1.3 Rauschtrinken
Ein Indikator für riskanten Alkoholkonsum ist das Rauschtrinken. Als Rauschtrinken wird in epidemiologischen Studien der Konsum von mindestens fünf alkoholischen Getränken bei einer Trinkgelegenheit bezeichnet. Rauschtrinken wird dabei als episodisch starkes Trinken mit akutem Alkoholrausch und z. B. erhöhtem Unfallrisiko verstanden.
Trotz der im Vergleich zu 2004 im Jahr 2010 halbierten 30-Tage-Prävalenz ist Rauschtrinken unter Jugendlichen weit verbreitet: Seine 30-Tage-Prävalenz lag im Jahr 2010 bei den 12- bis 15-jährigen männlichen Jugendlichen bei 8 %, bei den gleichaltrigen weiblichen Jugendlichen bei 5 %. Im Jahr 2004 dagegen betrug sie bei den männlichen Jugendlichen noch 14 %, bei den weiblichen Jugendlichen 12 %. Da mit ist ein statistisch signifikanter Rück gang zu verzeichnen (BZgA, 2011).
In der Altersgruppe der 16- bis 17-jährigen männlichen Jugendlichen lag die 30-Tage-Prävalenz des Rauschtrinkens im Jahr 2004 bei 52 %, im Jahr 2010 betrug sie 43 %. Bei den gleichaltrigen weiblichen Jugendlichen verringerte sie sich von 33 % im Jahr 2004 auf 27 % im Jahr 2010. Eine statistisch signifikante Veränderung ist in dieser Altersgruppe nur bei den männlichen Jugendlichen gegeben.
Auch die Anzahl der Jugendlichen mit mindestens wöchentlichem Rauschtrinken zeigte im Zeitraum von 2004 bis 2010 nicht für alle 12- bis 17-Jährigen eine Veränderung: Gaben 2004 noch 4 % der männlichen Jugendlichen im Alter von 12 bis 15 Jahren und 2 % der gleichaltrigen weiblichen Jugendlichen an, wöchentlich Rauschtrinken zu betreiben, waren es 2010 bei den männlichen Jugendlichen knapp 2 % und bei den weiblichen genau 0,2 %. Da mit ist in dieser Altersgruppe ein statistisch signifikanter Rückgang im wöchentlichen Rauschtrinken zu verzeichnen (BZgA, 2011).
In der Altersgruppe der 16- bis 17-Jährigen stellt sich die Situation anders dar: 20 % der männlichen Jugendlichen gaben 2004 an, wöchentlich Rauschtrinken zu praktizieren, im Jahr 2010 19 %. Bei den weiblichen Jugendlichen lagen die entsprechen den Werte 2004 bei 8 %, im Jahr 2010 bei 7 % (BZgA, 2010). Damit ist weder bei den männlichen noch den weiblichen Jugendlichen im Alter von 16 bis 17 Jahren eine signifikante Veränderung im mindestens wöchentlichen Rauschtrinken im Vergleich zu den Vorjahren zu verzeichnen. Die Zahlen machen deutlich, dass das wöchentliche Rauschtrinken von männlichen Jugendlichen wesentlich häufiger praktiziert wird als von den gleichaltrigen weiblichen Jugendlichen. Diese Unterschiede sind bei der 30-Tage-Prävalenz des Rauschtrinkens weniger stark ausgeprägt. In der Regel er gaben sich außerdem keine wesentlichen Unter schiede männlicher und weiblicher Jugendlicher bezüglich der Prävalenz, also dem Anteil derjenigen, die Alkohol konsumieren. Allerdings fanden sich immer Geschlechtsunterschiede bei regelmäßigen bzw. riskanteren Konsumformen. Außerdem zeigte sich für die Altersgruppe der 12- bis 17-Jährigen für alle beobachteten Indikatoren eine altersabhängige Dynamik.
Im Rahmen der großangelegten Europäischen Schülerstudie (ESPAD/»European School Survey Project on Alcohol and other Drugs«) wird in regelmäßigen Abständen das Trinkverhalten von 15- bis 16-jährigen Schülern und Schülerinnen in europäischen Ländern untersucht. 1995 hatten 41 % der männlichen und 30 % der weiblichen Befragten angegeben, mindestens einmal im Monat einen Alkoholrausch zu haben. Bei der Wiederholungsbefragung im Jahr 2007 waren es 46 % der männlichen und 42 % der weiblichen Jugendlichen (Hibell et al., 2009). Jeder zweite 15- bis 16-jährige Jugendliche in Europa gab 2007 außerdem an, mindestens einmal im Leben betrunken gewesen zu sein (Hibell et al., 2009; Kraus et al., 2008), in Deutschland traf dies 2007 sogar auf rund 61 % der befragten Jugendlichen zu. Damit lagen deutsche Jugendliche im Hinblick auf Alkoholrauscherlebnisse über dem europäischen Durchschnitt (Hibell et al., 2009; Kraus et al., 2008). Auch in anderen internationalen Befragungen spiegelt sich diese Entwicklung wider: So gaben im Jahr 2007 bei der HBSC- Studie (»Health Behaviour in School-aged Children«) jeweils 47 % der männlichen und weiblichen 15-jährigen Jugendlichen in Europa an, in ihrem Leben bereits mindestens ein Rauscherlebnis gehabt zu haben (Settertobulte & Richter, 2007).
1.4 Alkoholintoxikationen mit stationärem Krankenhausaufenthalt
Ein riskanter Umgang mit Alkohol kann gerade bei Jugendlichen, die aufgrund ihrer körperlichen Entwicklung und ihrer fehlenden Erfahrung mit dieser Substanz besonders empfindlich auf diese reagieren, zu einer Alkoholintoxikation führen. Die Anzahl von Alkoholintoxikationen mit stationärem Krankenhausaufenthalt hat bei Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen 10 und 20 Jahren in den vergangenen Jahren in Deutschland kontinuierlich zugenommen. Waren im Jahr 2000 weniger als 10 000 Fälle zu verzeichnen, betrug diese Zahl im Jahr 2009 bereits rund 26 400, was einer Steigerung um etwa 178 % entspricht (Statistisches Bundesamt, 2011).
In der Altersgruppe der 10- bis 14-Jährigen mussten im Jahr 2000 etwa 1 230 männliche und 960 weibliche Jugendliche wegen einer Alkoholintoxikation stationär behandelt wer den. Diese Zahlen stiegen im Jahr 2009 auf rund 2 100 bei den männlichen und 2 230 bei den weiblichen Jugendlichen. Damit wurden im Jahr 2009 mehr weibliche als männliche Jugendliche im Alter von 10 bis 14 Jahren mit einer Alkoholintoxikation im Krankenhaus aufgenommen (Statistisches Bundesamt, 2011). In der Altersgruppe der 15- bis 19-Jährigen betrugen die entsprechenden Zahlen im Jahr 2000 rund 4 730 für männliche und 2 590 für weibliche Jugendliche und stiegen im Jahr 2009 auf rund 14 365 männliche und 7 735 weibliche Jugendliche an. Damit war die Zahl der Alkoholintoxikationen bei männlichen Jugendlichen in dieser...