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E-Book

Als die Armen Austern aßen

Kurioses aus der Geschichte der Küche

AutorJosef Imbach
Verlagmarixverlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl182 Seiten
ISBN9783843805759
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Nicht selten wirkten sich gesellschaftliche und machtpolitische Entwicklungen auf die Essgewohnheiten der Bevölkerung aus. Städte und Zünfte, aber auch ganze Nationen haben immer wieder Monopolansprüche auf Nahrungsmittel angemeldet, um sich finanzielle Vorteile zu verschaffen. Ähnliches gilt für obrigkeitliche Erlasse, die dem einfachen Volk den Genuss von bestimmten Speisen oder Getränken verwehrten, oft mit der fadenscheinigen Begründung, die Gesundheit zu fördern oder die Arbeiterklasse vor Verweichlichung zu schützen. In Wirklichkeit spielten dabei sehr unterschiedliche Beweggründe eine Rolle. Fast immer ging es um Macht - und um diese durchzusetzen, griff man nicht selten auch zu den Waffen. Dass aber ausgerechnet solche Verfügungen dazu führten, dass die Armen im England des 19. Jahrhunderts sich gerade noch ein paar Austern leisten konnten, gehört zu den vielen Kuriositäten, von denen in diesem Buch die Rede ist.

Prof. Dr. Josef Imbach, geb. 1945, hatte von 1975-2002 einen Lehrstuhl für Theologie und Grenzfragen zwischen Literatur und Theologie in der Päpstlichen Theologischen Fakultät S. Bonaventura in Rom inne. Von 2005-2010 war er Lehrbeauftragter für katholische Theologie an der Universität Basel. Gegenwärtig lehrt er u. a. an der Seniorenuniversität Luzern. Bekannt wurde er durch seine vielen Vorträge und zahlreichen Buchveröffentlichungen.

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Leseprobe

Justinus Kerners versöhnlicher Feldzug gegen den Aberglauben


Vom Mittelalter bis zur Neuzeit galt der Aderlass als Allheilmittel gegen fast jede Art von Krankheit. Ärzte konnten sich allerdings nur die Reichen leisten. Und die Armen? Nahmen Zuflucht zu weniger kostspieligen Mitteln, um ihre Gebrechen zu kurieren.

In Mariazell in der Steiermark, im bayrischen Andechs, im schweizerischen Maria Einsiedeln, aber auch an anderen Wallfahrtsorten konnte man kleine Bildchen der Gottesmutter kaufen, winziger noch als Briefmarken, aber wie diese in ganzen Bogen gedruckt. Im Volk hießen diese Bilderbogen ›geistliche Nahrung‹ oder ›Essbildle‹. Die Wallfahrer verschluckten die pillenartig zusammengeknüllten Papierchen und erhofften sich davon himmlischen Segen. Auch das Vieh bekam die ›geistliche Nahrung‹ vor dem Almauftrieb. Häufig mischte man die Bildchen als Heilmittel unter Speis und Trank. Die römische Ritenkongregation billigte noch 1903 diese Praxis, sofern sie »nicht in abergläubischer Absicht« gepflegt werde.

Verwandt mit diesen Schluckbildchen (denen der in der Schweiz gebräuchliche Ausdruck ›Fresszettel‹ seine Entstehung verdankt) sind die sogenannten Schabmadonnen aus Gips oder gebrannter Tonerde, welche bis in die Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts an Marienwallfahrtsorten feilgeboten wurden. Um Krankheiten zu heilen, schabte man sich einige Partikel davon ab und nahm diese mit etwas Flüssigkeit zu sich. Um die Wirkung zu erhöhen, ließ man sie in der Regel nach dem Erwerb segnen (wohlgemerkt: nach dem Erwerb, denn mit gesegneten Gegenständen durfte nach allgemeiner Überzeugung kein Handel getrieben werden).

Noch 1950 konnten die Wallfahrenden im italienischen Loreto Steinstaub vom ›Heiligen Haus‹ erwerben, der Wohnstätte der Heiligen Familie, die angeblich von Engeln auf wundersame Weise von Nazaret erst nach Kroatien und später nach Loreto gebracht worden war.

Dem Volksglauben zufolge wirkte der besagte Steinstaub gegen Gebrechen aller Art, allerdings nur, wenn er in Flüssigkeit aufgelöst aus einer ›Loretoschale‹ getrunken wurde, die das Abbild der dortigen Madonna und die Aufschrift con polvere della Santa Casa trug. Begreiflich daher, dass viele Pilger und Pilgerinnen schon aus rein prophylaktischen Gründen eine solche Schale erwarben – vermutlich ohne sich zu fragen, ob nicht vielleicht die Betreiber ortsansässiger Töpfereien die fromme Mär in die Welt gesetzt hatten.

Indirekt gehen solche skurrilen Gepflogenheiten auf den heiligen Augustinus zurück, welcher die Ansicht vertat, die Erde vom Heiligen Land würde die Dämonen fernhalten und auch sonst allerlei wunderbare Wirkungen zeitigen. Später glaubte man Ähnliches von Steinen, die man sich von den Märtyrergräbern besorgte. Irgendwann begann man damit, Hohlkreuze nicht nur mit Reliquien, sondern auch mit ›heiliger‹ Erde und ›heiligen‹ Steinen zu füllen, wovon man sich ebenfalls eine besondere Wirkung erwartete. Daraus entwickelte sich später der Brauch, Schabmadonnen herzustellen.

Knoblauch galt lange als Abwehrmittel gegen Dämonen, Geister und Vampire. Und gegen den ›bösen Blick‹.

Was die magischen Vorstellungen des einfachen Volkes betrifft (auch das gehört zur Sitten- und Sozialgeschichte), erweist sich ausgerechnet die Küche als wahre Fundgrube. Dort findet sich allerlei Nützliches, um ein Zipperlein zu kurieren oder um übelwollenden Hausgeistern den Garaus zu machen.

In der guten alten abergläubischen Zeit waren selbst aufgeklärte Geister felsenfest davon überzeugt, dass Knoblauch das zuverlässigste Mittel gegen Vampire darstelle. Die missgünstigen Druden, welche schon manchen Haushalt durch- und manches Ehepaar auseinandergebracht haben sollen, besänftigt man am besten mit drei weißen Gaben, nämlich mit Salz, Mehl und Eiern. Bier indessen hilft angeblich weder gegen die Untoten noch gegen Kobolde, sondern zieht – so ging der Volksglaube – bloß die Hexen an, die ihre Nase nur zu gern in den weißen Schaum stecken. In Leobschütz verbrannte man 1581 zwei Frauen, weil sie, wenn wir dem Chronisten trauen dürfen, »auf vollen Bierfässern eine Luftfahrt gemacht und sie auf der Kirchturmspitze ausgesoffen hatten«.

Unsere Altvordern wussten noch von Dingen, die heute kein studierter Medikus mehr kennt. So lesen wir in einem Kreuterbuch aus dem Jahr 1543: »So die schwangeren Weiber oft Quitten essen, sollen sie sinnreiche und geschickte Kinder gebären.« Manche verlangt es statt nach Quitten nach Reis, dessen Verzehr sich auf die Folgen der Liebeslust ebenfalls günstig auswirken soll. Weshalb sonst sollten die Hochzeitsgäste nach vollendeter Zeremonie das Brautpaar mit den weißen Körnern bewerfen? Dem Vernehmen nach bewirkt der Verzehr von Reis gelegentlich schon vor der Heirat wahre Wunder, etwa wenn händchenhaltende Verliebte sich in die Arme fallen, noch bevor sie ihren Teller mit Risotto geleert haben. Dann war’s wohl wirklich Liebe auf den ersten Biss.

Ähnlich wie mit den Quitten und dem Reis verhält es sich mit den Krapfen, die man ohne Risiko genießen kann – es sei denn, die Familie ist schon vollständig. Denn Krapfen (wer daran zweifelt, kann es ja darauf ankommen lassen) fördern die Fruchtbarkeit. In früheren Zeiten gierten auch die guten Hausgeister nach dieser Leckerei. In manchen Gegenden trinken sie dazu noch immer gern ein Krüglein Milch.

Nun sind aber Krapfen, Quitten und Reis beileibe nicht alles, was die Küche an Ersprießlichem zu bieten hat. Auch Erbsen sollen Wunder wirken. Wer eine Schote mit neun Kügelchen öffnet, dem lacht das Glück lauthals entgegen. Ähnlich gute Aussichten hat, wer vor dem Frühstück drei Mal niesen muss. Sollte dabei jedoch das Brot auf den Boden und auf die Butterseite fallen oder das Salzfässchen umstürzen, wird das Schicksal gnadenlos zuschlagen. Das gilt auch, wenn jemand an einer Hochzeitstafel Salz verschüttet: Dann drohen harte Ehejahre (was allerdings gelegentlich auch ohne Salz eintritt), wie Zeitzeugen berichten. Segensreich wirkt sich – nicht nur beim Hochzeitsschmaus – ein durch häufiges Anstoßen verursachtes Gläserklingen aus. Im Wein badet nämlich nicht nur die Wahrheit, es planscht darin auch der Alkoholteufel; ihn und alle übrigen Dämonen wussten unsere Vorfahren mit Kettengerassel und, wenn keine eisernen Fesseln zur Hand waren, mit Gläsergeklirre wirksam zu verjagen. Allerdings liegen in der zügellosen Zecherei auch gewisse Gefahren. Wer ein Glas füllt, bevor es leer getrunken ist, bekommt die Gicht oder eine böse Schwiegermutter. Wenn das Verhängnis seinen Lauf nimmt, droht gar beides.

Aber, bei allen Kobolden und Druden, vergessen wir bloß das Gewürzbord nicht! Dort lagern Essenzen und Kräuter, welche die blaue Pille überflüssig machen, von der sich nicht nur lendenschwache Greise eine Leistungssteigerung erhoffen. Manche schwören darauf, dass Akelei, Petersilie, Vanille, Salbei, Knabenkraut, Fenchelsamen und Liebstöckel die Liebeslust und damit die Lebensfreude steigern. Oder umgekehrt. Wieder andere versprechen sich die gleiche Wirkung vom Verzehr von rohen, möglichst frisch gelegten Eiern (je roher die Eier, desto froher der Freier). Wer sich vor Salmonellen fürchtet, findet in der Küche jede Menge anderer Mittelchen, denen eine ähnliche Wirkung zugeschrieben wird. Denn auch Kresse, Zwiebeln, Rüben und Sellerie sollen müde Männer munter machen. Und natürlich der Spargel, der aber wegen seiner eindeutigen Form immer wieder zu zweideutigen Reden Anlass gibt. Vermutlich liegt darin das Geheimnis seiner Wirkkraft.

Sollte, wie Botaniker und Partnerschaftsberaterinnen fast einhellig versichern, der Glaube an die geheimnisvolle Wirkkraft des Spargels tatsächlich auf krudem Aberglauben beruhen, helfen bestimmt Austern und Gänsezunge, Kaviar und Krebse, Schnecken und Pfeffer – oder all das zusammen. Womöglich gilt dies auch für Trüffel. Wobei aber höchst umstritten ist, ob der hält, was die Volksmedizin verspricht. Bewiesen ist lediglich, dass das Kilo zwischen zwei- und dreitausend Euro kostet. Im Übrigen figurierten zeitweilig auch der Fliegenpilz und die Tollkirsche auf der Liste der Aphrodisiaka. Davon aber sei allen dringend abgeraten. Es könnte sich sonst leicht ergeben, dass sie statt den Gipfel der Lust die ewigen Jagdgründe erreichen. So ist der rote Fliegenpilz mit den lustigen weißen Tupfern nur ungenossen, etwa auf Neujahrskarten, ein Glücksbringer. Ob er gut verdaulich ist, lässt sich schwer feststellen, da er in der Regel ziemlich schnell zur finalen Betäubung führt. Dann hilft auch die ostasiatische Ginsengwurzel nicht mehr, welche angeblich ein hohes Alter garantiert.

Natürlich gibt es auch abergläubische Rituale. Aber dafür haben wir nichts übrig. Wir halten uns an das Reale. Wer Leuten begegnet, die Unglaubliches berichten, sollte sich an den Dichter Justinus Kerner (1786–1861) halten. Der kennt ein Rezept, von dem er vermutet, dass es selbst in...

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