2 Die Festung Tighina-Bender und der Frieden von Karlowitz
2.1 Tighina wird von den Osmanen erobert und in Bender umbenannt
Tighina war eine mittelalterliche moldauische Festung am Ufer des Flusses Dnjestr, in der Antike auch Týras genannt. Der Ort wurde zum ersten Mal im Jahr 1408 in einem in Lemberg ausgestellten Handelsprivileg des moldauischen Fürsten Alexander des Guten zugunsten der Händler aus Lemberg unter dem altostslawischen Namen Tjagjanakatscha erwähnt. Dabei bekam es die Rolle einer Zollstation und durfte Gebühren für die Wacht und für den Übergang der Waren und Personen von einem Ufer des Flusses zum anderen erheben. Die Einwohner stellten für diese Gebühr den Reisenden alles Notwendige wie Lebensmittel, Pferdewagen mit Kutschern und Kahnführer zur Verfügung. Sie bauten und reparierten Kähne, Handwerker aller Art waren vor Ort, wie Holzfäller, Schmiede und Raddreher.
Hier begannen die Handelswege zur Mündung der Donau ins Schwarze Meer sowie zur moldauischen Festung Akkerman und zur Halbinsel Krim. In umgekehrter Richtung kamen die Waren aus dem Orient, von Trapezunt an der türkischen Schwarzmeerküste, über Akkerman, Jassy, Suceava und Lemberg nach Zentraleuropa. Unter dem späteren Namen Tighina wurde der Ort zum ersten Mal in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts urkundlich erwähnt, der Ursprung wird in der kumanischen Sprache als Bezeichnung für »Pass« oder »Durchgang« vermutet. Die Mongolo-Tataren der Goldenen Horde nannten den Ort Tighina-Ghecidi, was nichts andere als »Durchgang Tighina« bedeutet, ein Name, der in den Zeitdokumenten in verschiedenen Varianten zu finden ist (Chirtoagă, 107 f.). Tighina spielte gemeinsam mit den anderen moldauischen Festungen Chotyn, Soroca und Akkerman eine wichtige Rolle in der Verteidigungslinie entlang des Flusses Dnjestr gegen das aufstrebende Osmanische Reich. Um die Zollstation besser vor den Angriffen der Tataren zu schützen, ließ der moldauische Fürst Stefan der Große neben dem alten moldauischen Ort eine kleine, von einem Graben umgebene Erdbefestigung mit Holzpalisaden (Palanka) bauen. Um die Befestigung herum errichtete später der Fürst Peter Raresch eine Steinmauer.
1538 wurde die Festung durch Sultan Süleyman I., auch Süleyman der Prächtige genannt, erobert und, nach dem alten türkischen Begriff für das Tor, in Bender umbenannt.
Der Freiherr von Campenhausen, der im Jahr 1807 Bender besuchte, fand an einer Eingangspforte der Mauer eine alte Inschrift, die er mit Hilfe des Seraskiers und eines Rabiners wie folgt übersetzte: »Ich, durch die Gnade des Höchsten, der erste aller Kaiser der Welt, Sultan, geboren von Gott und seinem Propheten Muhamed, Gesellschafter des Herrn, Ueberwinder der Welt und des Woyewoden Peters 8 und der ganzen Bogdania [Fürstentum Moldau], Ich, Soliman [Süleyman der Prächtige], Siegelbewahrer des Tempels des einzigen Gottes, Ich, Ich habe die Festung von Tegin 9 mit der Besatzung dem Könige der Deutschen 10 entrissen, und zwar mit Gewalt 11 und in Gegenwart aller Häupter meiner nie zu überwindenden Armee, und nachdem ich befohlen [habe], aus dem Schlosse zu Palanka 12 die Steine zu nehmen, so habe ich diese Mauer und Pforte gebaut, und sie soll auch Ben-Derim 13 heißen. Im Jahre der Hegyra 965.« (Campenhausen, 137)
Im Jahr 1588 wurde Bender zusammen mit achtzehn umliegenden Dörfern vom Fürstentum Moldau abgetrennt und dem Osmanischen Reich als Teil der Provinz Silistria angegliedert, ein Zustand, der bis 1812 andauerte. Die meist moldauische und tatarische Bevölkerung durfte während der osmanischen Herrschaft weiter in der Gegend bleiben, ihren Gewohnheiten nachgehen und ihre Religion ausüben. Während der Russisch-Osmanischen Kriege fiel Bender zwischen 1812 und 1918 als Teil Bessarabiens an Russland. Zwischen 1918 und 1944 kam es zu Rumänien, um nach dem Zweiten Weltkrieg Teil der Sowjetischen Sozialistischen Republik Moldawien zu werden und seit 1991 zur Republik Moldawien zu gehören.
In der Nähe von Bender befindet sich das moldauische Dorf Warnitza, dessen Geschichte mit der Festung eng verbunden war und über dessen blutrote Erde eine archaische Legende überliefert wurde. Der Fürst von Moldau, Stefan der Große, soll auf dem Feld von Warnitza eine große Schlacht gegen die Tataren geführt haben, an deren Ende nur er und einer seiner Kämpfer am Leben waren. Um ihr Leben zu retten, ergriffen die beiden, so schnell sie konnten, die Flucht, bis sie zur Behausung eines Einsiedlers kamen. Nachdem sie diesem erzählt hatten, was geschehen war, gab er den beiden ein Bündel Hanf und den Rat, dieses anzuzünden und damit das Lager der Tataren dreimal zu umkreisen. Nachdem die beiden es so gemacht hatten, soll auf einmal eine dicke schwarze Wolke über dem Lager erschienen sein, die alles derart verdunkelte, dass keiner mehr den anderen sehen konnte. Es brach eine Panik aus und die Tataren konnten Freund von Feind nicht mehr unterscheiden, so dass sie sich gegenseitig umbrachten. Damals soll sich die Erde von Warnitza, vom Blut der Tataren getränkt, rot gefärbt haben (Dragomir, 241 f.).
Abb. 2.00 Die Festung Bender, von Bodenehr dem Älteren, um 1720.
Der Fürst von Moldau, Dimitrie Kantemir, Mitspieler im Kampf der Osmanen mit den Russen, beschrieb Tighina in seinem Werk Descriptio Moldaviae als »die stärkste Stadt und Festung des Landes im Verteidigungskampf gegen die Polen und Tataren«. Sie wurde von den Türken »oft vergeblich belagert und was diese durch Gewalt nicht ausrichten konnten, schafften sie durch List und Verrat der moldauischen Bojaren«. Nach der Besetzung durch die Türken wurde, so schrieb Kantemir weiter, Tighina »mit Festungswerken vermehrt, war besonders fest und ist zu unseren Zeiten der Zufluchtsort des nach der Schlacht bei Poltawa flüchtig gewordenen Königs von Schweden«. In der Nähe der Festung, entlang des Flusses Bic, unweit eines Städtchens, das Kantemir Kischau nannte, sollen sich eine Reihe sehr großer Steine gefunden haben, »einige drei bis vier Ellen lang, welche in gerader Linie gelegt sind, als ob sie mit Fleiß von Menschen dahin wären gesetzt worden; allein, sowohl die Größe der Steine selbst, als auch die Länge des Raumes, in welchen sie sich erstrecken, lassen uns solches jedoch nicht glauben«. Diese Linie aus Steinen soll sich über eine riesige Entfernung über den Dnjestr bis auf die Halbinsel Krim erstreckt haben. Kantemir vermutete, dass frühere Fürsten die Anordnung und Größe dieser Steine benutzt hätten, um einen Staudamm auf dem Fluss Bic zu errichten, ein Versuch, der nicht beendet wurde: »Gewiss ist, dass einige Fürsten das Flussbett, welches einen langen Strich zwischen den Bergen hinläuft, sich bemühten abzusperren, damit sie die darin liegenden Landstriche, die nur zum Heumachen dienten, in einen See zu verwandeln, aber das Werk nie zu Ende gebracht.« Ortsansässige Bauern sollen diesen Versuch »als Werk böser Geister, die sich unter einander verschworen haben, den Fluss Bic zu verstopfen« erachtet haben und gaben der Stelle den Namen Bic Klamm (Kantemir, 60 f.). Abb. 2.01 – 2.02 Landkarten der Moldau.
Der schwedische Offizier von Weismantel aus der Gefolgschaft des Königs Karl XII. schrieb auch über diese Reihe großer Steine am Bic, der mitten durch einen zerteilten felsigen Berg fließe, dass es so aussah, als ob der Teufel den Durchbruch gemacht und die Steine davongetragen habe, um den Dnjestr zu stopfen. Diese Steine lagen in einer Linie auf einem großen Feld und es schien, als ob er diese fallengelassen habe, was auch von allen Einwohnern bestätigt wurde.14
Die Verlegung des Sitzes des Seraskiers der Provinz Otschakiw von Babadag in der Dobrudscha Anfang des 18. Jahrhunderts nach Bender zeigte, wie wichtig inzwischen die Lage dieser Festung für die Militärstrategie der Osmanen war. Abb. 2.28 Landkarte der Dobrudscha. Auf Bitte des Khans der Tataren entschied sich der Sultan dazu, die Befestigung in eine Burgfestung umzubauen, und beauftragte damit den türkischen Architekten Sinan. Bei diesen Arbeiten sollen auch zahlreiche Moldauer mitgewirkt haben, die auch lokale Elemente der Architektur, wie zum Beispiel die typisch moldauischen Holzdachschindeln, dem Bau einprägten (Chirtoagă, 107 f.).
Der moldauische Fürst Antioh Kantemir, der Bruder von Dimitrie, baute Bender unter osmanischer Aufsicht um 1707 weiter aus und sicherte es mit einem mit Steinen gepflasterten Graben, der rings um die Festung errichtet wurde. Da aber seine finanziellen Möglichkeiten nicht ausreichten, Bauarbeiter zu diesem Zweck vor Ort einzustellen, und da er auch nicht genug Soldaten hatte, begab sich der Fürst mit seinem gesamten Hof, großen und kleinen Bojaren und Bediensteten aller Ränge, selbst nach Bender und packte beim Ausbau der Schutzgräben mit an.15
Zur Stärkung der Festung trug auch das Fürstentum Walachei...