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Analyse des kanadischen Schulsystems im Hinblick auf die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund und die Nutzbarmachung für das deutsche Schulsystem

AutorLidia Crimu
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl91 Seiten
ISBN9783656321354
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Pädagogik - Schulwesen, Bildungs- u. Schulpolitik, Note: 1,0, Universität zu Köln (Institut für Allgemeine Didaktik und Schulforschung), Sprache: Deutsch, Abstract: In dieser Arbeit sollen Innovationspotenziale des kanadischen Schulsystems identifiziert werden, die im deutschen Schulsystem bisher nicht oder nicht ausreichend beachtet wurden. Um diese zu entdecken, müssen jedoch wesentliche Informationen über beide Systeme erarbeitet werden. Dies erfolgt in einer Analyse des jeweiligen Schulsystems. Dabei wird folgendermaßen vorgegangen: Da der Schwerpunkt auf die Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund gelegt wird, ist es unverzichtbar, zu Beginn die Unschärfe der beiden Begriffe 'Integration' und 'Migrationshintergrund' aufzulösen. Im zweiten Kapitel wird deshalb der Terminus 'Integration' mit Hilfe von Wiater (2004) eingegrenzt und eine PISA- und Statistisches-Bundesamt-Definition zu 'Migrationshintergrund' gegeben. Anschließend werden in Kapitel 3 und 4 jeweils die beiden Schulsysteme nach sorgfältig ausgesuchten Kriterien untersucht. Die Vorgehensweise ist bei jedem der beiden Abschnitte gleich und verbindet historisch-deskriptive mit empirischen Befunden. Jede Analyse orientiert sich an Mehr-Ebenen-Modellen und untersucht System-, Schul- und Unterrichtsmerkmale. Folgende Aspekte werden beleuchtet unter dem Punkt 'Landeskundliche Hintergründe' (Kapitel 3.1 bzw. 4.1): Geographie, Politik und Migrationspolitik behandelt. Kapitel 3.2 bzw. 4.2 gibt Auskunft über das jeweilige Schulsystem, wobei dieses aus der historischen und aus der gegenwärtigen Perspektive betrachtet wird: Struktur des Schulsystems, verfassungsrechtliche Grundlagen und Steuerung des Schulsystems, bildungspolitische Reform- und Innovationsstrategien und Lehrerprofessionalisierung. Kapitel 3.3 bzw. 4.3 setzt sich mit dem kulturellen und pädagogischen Konzept des jeweiligen Landes im Umgang mit ethnischer und kulturell sprachlicher Heterogenität auseinander. Schließlich werden in Kapitel 5 argumentativ die Aspekte des kanadischen Schulsystems identifiziert, die im deutschen zu wenig oder gar nicht beachtet worden sind, und zur Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund Wesentliches beitragen. Dabei treten vor allem Differenzen beider Schulsysteme hervor. Abschließend werden in Kapitel 6 die Ergebnisse der Diskussion zusammengefasst.

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Leseprobe

4. Deutschland

 

4.1  Landeskundliche Hintergründe: geographische, (migrations-)

 

   politische und wirtschaftliche Aspekte

 

Die Bundesrepublik Deutschland liegt im Westen Europas und grenzt östlich an Polen und der Tschechischen Republik, ost-südlich an Österreich, südlich an der Schweiz, west-südlich an Frankreich, westlich an Luxemburg, Belgien und den Niederlanden, nördlich an Dänemark, an Nord- und Ostsee. Auf 357 027 km² leben circa 82 217 000 Menschen, was ein Durchschnittswert von 230 Einwohnern pro km² ergibt. Der westliche Teil des Landes und die Hansestaaten sind allerdings dichter besiedelt als der östliche Teil: So leben in Nordrhein-Westfalen 528 Einwohner und in Hamburg 2 344 pro Quadratkilometer, in Mecklenburg-Vorpommern allerdings nur 72 (vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT 2008b; Tabelle 2).

 

Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Föderalstaat, in 16 Gliedstaaten, den „(Bundes-)Ländern“ Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen aufgeteilt (vgl. DÖBERT 2002, 94f.) Die Hauptstadt heißt Berlin. Den Regierungschef stellt der Bundeskanzler da, der auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestag auf vier Jahre gewählt wird. Er und die jeweiligen Bundesminister bilden die Bundesregierung. Die Gesetzgebung liegt auf der Bundesebene in der Hand des Bundestages und des Bundesrates, auf der Länderebene in der Hand der Länderparlamente (vgl. DAS DEUTSCHLAND-PORTAL 2008).

 

Deutschland ist seit Mitte der 1950er Jahre eins der wichtigsten europäischen Migrationsländer. Bedeutende Stufen der deutschen Einwanderungsgeschichte stellen die Anwerbung von meist bildungsfernen Gastarbeitern in der zweiten Hälfte der 1950er Jahren, der Nachzug von Familienangehörigen dieser Gastarbeiter, der Zuzug von (Spät-)Aussiedlern in den 1980er Jahren sowie die Aufnahme von Asylbewerbern in den 1990er Jahren dar. Um die Zuwanderung zu kontrollieren, wurde 1993 der Zutritt zu politischem Asyl durch einen Asylkompromiss erschwert, 2000 das neue Staatbürgergesetz mit dem ius soli verabschiedet, im selben Jahr die green card für hochqualifizierte Fachkräfte eingeführt und 2005 wurde ein neues „Aufenthaltsgesetz“ rechtskräftig. Das neue Staatsbürgergesetz gewährt den nicht deutschen Kindern, die bereits acht Jahre in Deutschland leben, die deutsche Staatsbürgerschaft. Mit Anfang des 23. Lebensjahres müssen sie sich allerdings für eine einzige Staatsbürgerschaft entscheiden. Die green card erlaubt hochqualifizierten Personen einen fünfjährigen Aufenthalt in Deutschland, das Aufenthaltsgesetz von 2005 sogar einen unbefristeten. Allerdings nahmen bis Ende 2002 nur 10 000 Personen dieses Programm wahr. Insgesamt besitzen 8,2 Prozent der Bevölkerung keinen deutschen Reisepass. Die Mehrheit ist türkischer Abstammung, gefolgt von italienischen Bürgern und solche aus dem ehemaligen Jugoslawien (vgl. HÖRNER 2007, 131ff.; STATISTISCHES BUNDESAMT 2008).

 

Eine aktive Zuwanderungspolitik sollte erstmalig durch das 2005 in Kraft getretene Aufenthaltsgesetz geschaffen werden, das die Teilnahme und Durchführung von Integrationskursen zur sprachlichen, rechtlichen und kulturellen Weiterentwicklung verlangt (vgl. HÖRNER 2007, 134).

 

4.2  Das deutsche Schulsystem

 

4.2.1  Die Geschichte des deutschen Schulsystems

 

Die ersten Schulen im deutschsprachigen Gebiet wurden im achten Jahrhundert im Rahmen der Christianisierung als Kloster-, Dom- und Stiftschulen gegründet, um angehende Kleriker in der Bibelkunde auszubilden. Diese Klosterschulen entwickelten sich im elften und zwölften Jahrhundert zu Lateinschulen  und Gymnasien. Im Mittelalter entstanden nebenbei erstmals private, dann gemeindliche, deutsche Schreib- und Rechenschulen, die dazu dienten, Händler, Kaufleute und Handwerker in die Grundtechniken des Schreibens, Lesens und Rechnens zu unterweisen. Diese breiteten sich zwischen dem 13. und 18. Jahrhundert stark aus. Im Zuge der Reformation im 16. Jahrhundert und der wachsenden Macht der Landesfürsten entsprangen nebeneinander Schulen, die katholisch und evangelisch geprägt und solche, die landesherrschaftlich und gleichzeitig berufsorientiert waren, aber eine ähnliche Struktur hatten. Das Elementarschulwesen („niederes Schulwesen“) verbreitete sich über die Städte auf das dörfliche Umland. Außerdem entwickelte das Bürgertum Ende des 18. Jahrhunderts die Realschule für diejenigen, die nicht auf eine höhere Schule oder ein Studium abzielten, aber sich vom niederen Stand abgrenzen wollten. Während des Absolutismus übernahm der Staat das Sagen über die Schulen und Universitäten, die im „Allgemeine[n] Landrecht für die preußischen Staaten“ von 1794 zu „Veranstaltungen des Staates“ erklärt wurden, die Teilnahme an diesen bedurfte seiner Zustimmung (vgl. DÖBERT 2002, 92; GEIßLER 2007, 35f.).

 

Anfang des 19. Jahrhunderts war im Deutschen Bund (1815-1866) mit  der Volks-, Realschule und dem Gymnasium ein staatlich durchorganisiertes Schulsysten zu verzeichnen (GEIßLER 2007, 36). Hohes Ansehen genossen vor allem die Gymnasiasten, die mit der international einmaligen Abiturprüfung abschlossen. Die Tradition der ständischen gesellschaftlichen und konfessionsorientierten Ordnung wurde so weitergeführt.  Um 1820 wurden wichtige, einzelstaatliche Initiativen bei der Lehrerausbildung verwirklicht. Die frühere Meisterlehre wurde durch Schullehrerseminare und für Volksschullehrer durch Ausbildungseinrichtungen mit zwei- oder dreijährigem Kurs ersetzt. „Am Ende des Jahrhunderts […] [vollzog] sich die gesamte Volksschullehrerausbildung je nach Landeslehrplan in einem sechsjährigen Lehrgang, der unmittelbar an den Volksschulbesuch […] [anschloss].“ (ebd., 37). Die Lehrerausbildung wurde im Deutschen Kaiserreich (1871-1918) verbessert, die deutschen Lehrer erreichten international einen hohen Status. Gymnasiallehrer wurden verbeamtet, Volkschullehrer wurden in der Besoldung erhöht und als Angestellte mit dem Gymnasiallehrer auf dieselbe Stufe gestellt. Das deutsche Schulwesen erntete weltweit viel Lob (vgl. ebd., 39f.).

 

In der Weimarer Republik (1918-1933) wurde keine einheitliche Linie für das Schulsystem festgemacht. Eine Ausnahme stellte das „Reichsgrundschulgesetz“ von 1920 dar, das eine gemeinsame, vierjährige Grundschule vorschrieb, und die achtjährige Schulpflicht in der Verfassung (Artikel 145) festsetzte. Zwar bestand schon seit 1717 eine Schulpflicht für Teile Preußens, aber erst in der Ära der Weimarer Republik wurde erreicht, dass bis zu 90 Prozent der Kinder ihre Schulpflicht erfüllten. Neu war auch die Gründung der Aufbauschulen, in denen nach sieben oder acht Jahrgangstufen in der Volksschule ein sechsjähriger Lehrgang absolviert werden konnte, der ebenfalls zum Abitur führte. Außerdem gab es in konfessionsgemischten Ländern eine sogenannte Simultanschule, in der religionsübergreifender Unterricht angeboten wurde. Für die Lehrerausbildung musste zu dieser Zeit ein Nachweis für die Hochschulreife vorgelegt werden (vgl. ebd., 42ff.).  

 

Unter dem nationalsozialistischen Regime (1933-1945) gab es keine einschneidenden Veränderungen, lediglich die früheren Formen der Höheren Schule wurden abgeschafft und stattdessen Oberschulen für Mädchen oder Jungen eingerichtet. Die Prestigeschule für Jungen, das humanistische Gymnasium mit Latein, Griechisch und Englisch, wurde weitergeführt (vgl. ebd., 44f.).

 

Nach dem Ersten Weltkrieg wollten die Alliierten, allen voran die Amerikaner, in den westlichen Besatzungszonen eine Abschaffung des selektiven Bildungssystems und die Einrichtung einer integrativen Einheitsschule durchsetzen. Deutsche Stimmen lehnten aus Angst vor Verlust des weltweiten Ansehens des deutschen Bildungswesens eine solche Reform ab, so dass an Schulstrukturen der Weimarer Republik angeknüpft wurde (vgl. ebd., 45).

 

In der Bundesrepublik Deutschland wurde mit dem am 23. Mai 1949 genehmigten Grundgesetz die Aufsicht – genauso wie in der Weimarer Republik – dem Staat übertragen. Zuständig für das Schulwesen waren die Bundesländer mit ihren eigenen Verfassungen und Schulregelungen. Berlin und Brandenburg entschieden sich für eine sechsjährige Grundschule. Die schon 1948 gegründete Kultusministerkonferenz gewährte Grundstrukturen gegenseitiger Anerkennung von Bildungsabschlüssen. Weitere Abmachungen wie das immer noch aktuelle „Hamburger Abkommen“ von 1964 (1971 revidiert), das unter anderem die Schulabschlüsse und Lehrerexamensprüfungen gegenseitig anerkennt und die Pflicht zum Fremdsprachenunterricht festmachte, wurden getroffen. „Der 1964 als Hauptschule neu gestaltete Volksschuloberstufe ist gesetzgeberisch bald überall ein 9. Schuljahr angeschlossen“ (ebd., 47). In der Bildungsexpansion der 1960er Jahre wurden weitere integrative...

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