Am Anfang war die Schnur ...
Über Ruten und Rollen, Schnüre und Haken
Tom Jacob / Specimen Hunting Group Dortmund
So unterschiedlich die vielen Facetten der Angelei auch sein mögen, so haben doch alle eines gemeinsam: Zum Angeln braucht man eine Angelrute, daneben mindestens eine Schnur, meistens eine Rolle, und immer einen Haken. Alles, was Sie vorab über Ihr Gerät wissen müssen, finden Sie in diesem Kapitel.
Die Geschichte der Angelrute
Am Anfang war die Schnur; Rute und Rolle waren unbekannt. Das brachte mit sich, dass es unmöglich war, große Fische mit viel Kraft oder mit hohem Gewicht zu fangen, da die Schnur bei der zwangsläufig zu hohen Belastung während des Drills riss. Erst durch die Verwendung eines biegsamen Holzstabes, an dessen Ende die Schnur befestigt war, wurde es möglich, die Fluchten starker Fische abzufedern und so auch größere Exemplare kontrolliert zu drillen und sicher zu landen.
Diese Erfindung der Angelrute geht vermutlich bis in die Eisenzeit zurück. Erste europäische Darstellungen von Ruten finden sich in römischen Mosaiken, die um das Jahr 330 entstanden. Die ersten Angelruten waren höchstwahrscheinlich Holzstecken, beispielsweise aus Haselnuss, die sich jeder Angler bei Bedarf selber schnitzte.
Die nächste „Evolutionsstufe“ stellten „Greenheart“-, „Pfeffer“- oder auch „Seerohr“- Ruten dar, benannt nach den jeweils benutzten Holzarten, welche sich durch große Zähigkeit, aber leider auch durch hohes Gewicht auszeichneten. Als später aus Asien der Bambus bei uns Einzug hielt, verwendete man die geschnittenen und getrockneten Rohre am Stück. Bambus war, da innen hohl, viel leichter als alles bis dato verwendete Material und wies zudem eine merklich höhere Elastizität als beispielsweise Greenheart-Holz auf.
Der nächste Fortschritt war die Unterteilung der Ruten in mehrere Stücke, zum einfacheren Transport. Beim Fischen wurden die einzelnen Teile dann mit Messinghülsen wieder zusammengefügt.
Eine bahnbrechende Erfindung im Rutenbau – dies war eigentlich die Geburtsstunde der modernen Fischerei – erdachten Pioniere des Rutenbaus ungefähr Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie spalteten die Bambusrohre der Länge nach und hobelten die einzelnen Teile zu dreieckigen Spleißen. Sechs dieser Spleiße zusammengeleimt ergaben eine Rute mit hexagonalem Querschnitt, Gespließte genannt (englisch: split cane rod). Jetzt war es den Rutenbauern zum ersten Mal möglich, das Biegeverhalten einer Rute speziellen Bedürfnissen und Anforderungen anzupassen und konstant gleiche Ruten in großen Stückzahlen zu bauen. Den Anglern erschlossen sich durch die Spezialisierungen der Ruten und deren wesentlich verbesserten Eigenschaften völlig neue Möglichkeiten zum Fischfang (zum Beispiel weitere Würfe). Gespließte haben heute, nach über 150 Jahren vor allem im Bereich Fliegenfischen nichts von ihrer Praxistauglichkeit eingebüßt.
Mit der Einführung der Glasfiber begann das Zeitalter der Weltraummaterialien bei der Herstellung von Angelruten. Die ersten dieser Gerten waren aus Vollmaterial und damit recht schwer. Sie wurden bald danach von den Hohlglasruten abgelöst. Noch heute gibt es ausgezeichnete Glasfaserruten, die von traditionsbewussten Anglern verwendet werden.
Der Vollständigkeit halber seien auch Angelruten aus Stahlrohr erwähnt, die in manchen Fällen eine Glasfaserspitze besaßen. Diese Ruten waren jedoch eher ein Rückschritt und konnten sich wegen ihres extrem hohen Gewichts und der schlechten Aktionen nicht durchsetzen.
Ein weiteres Produkt der Luft- und Raumfahrt spielte Anfang der sechziger Jahre eine entscheidende Rolle: Mit der Kohlefaser gelangte das wahrscheinlich leistungsfähigste Material auf den Markt, das der Rutenbauer bis heute zur Verfügung hat. Vor allem bei längeren Ruten, ab zirka zwei Metern, kommt die enorme Gewichtsersparnis zum Tragen. Gängige Fliegenruten aus Kohlefaser mit einer Länge zwischen 1,80 und 3 Metern wiegen ungefähr zwischen 40 und 120 Gramm (!). Die meisten Glas- und Kohlefasergerten sind Steckruten und werden hülsenlos, also ohne Verbindungselemente aus einem anderem Material, zusammengefügt.
© Specimen Hunting Group Dortmund
Rutenbau-Materialien aus drei Generationen. Von oben nach unten: gespließter Bambus, Hohlglas und Kohlefaser.
Rutentypen: Teleskop- und Steckrute
Die wichtigste Unterscheidung ist bei Angelruten diejenige zwischen Teleskopruten und Steckruten.
Teleskopruten sind in ihrer Handhabung während des Transports eindeutig die bequemste Lösung, da die einzelnen Segmente ineinander geschoben werden können und die Montage dabei in aller Regel nicht einmal abgenommen werden muss. Die einzelnen Segmente der Teleskopruten sind hohl, mit Ausnahme des Spitzenteils, das bei manchen Ruten aus Vollmaterial besteht. Die Transportlänge, also die Länge der zusammengeschobenen Gerte, variiert zwischen etwa einem halben und einem Meter.
Und genau darin liegt letztendlich der einzige Vorteil der Teleskopruten gegenüber den Steckruten: Bauartbedingt haben Steckruten, die meist aus zwei- oder drei Teilen zusammengesteckt werden, eine größere Transportlänge. In allen anderen Punkten wie beispielsweise homogene Aktion, Drill- und Wurfverhalten (dazu kommen wir gleich) jedoch sind Steckruten weit überlegen.
Wichtige Eigenschaftender Ruten
→ Die Aktion
Das Biegeverhalten einer Angelrute bezeichnet man als Aktion. Biegt sich unter normaler Drillbelastung hauptsächlich die Spitze einer Gerte, dann spricht man von einer Spitzenaktion. Bei solchen verjüngt sich das Rohr (beziehungsweise der Rohling), aus welchem die Rute besteht, zur Spitze hin rasch. Deshalb biegt es sich an der Spitze ausgeprägter als weiter unten. Natürlich ist klar, dass das dicke Ende Richtung Handteil ebenfalls in der Lage ist, etwas nachzugeben, jedoch nicht so stark wie der obere Teil.
Typische Aktionsformen: a Spitzenaktion
Eine Rute mit semi- oder halbparabolischer Aktion biegt sich unter derselben Belastung bis ungefähr zur Mitte, und eine Gerte mit vollparabolischer Aktion biegt sich bis ins Handteil. Semiparabolisch und vollparabolisch aufgebaute Ruten sind entsprechend weniger stark verjüngt als Ruten mit einer Spitzenaktion.
Typische Beispiele für Ruten mit Spitzenaktion sind die meisten Stippruten; Ruten mit parabolischer Aktion werden zum Posen- und Grundangeln, aber auch zum Karpfenangeln eingesetzt.
Die Aktion einer Rute lässt sich übrigens beim Kauf nicht, wie von manchen „alten Hasen“ propagiert, durch Herumwackeln mit derselben ermitteln. Diese beliebte, aber leider unsinnige Methode sagt überhaupt nichts über das Verhalten einer Rute aus! Besser ist es, wenn eine zweite Person die Rute am Spitzenring fest hält, während Sie die Rute langsam mit zunehmender Belastung nach oben ziehen. Auf diese Weise können Sie das Verhalten, also die Aktion, einer Rute unter verschiedenen Belastungen simulieren und beobachten.
→ Die Testkurve und ihre Ermittlung
In Deutschland benutzt beinahe jeder Hersteller ein anderes System, um die Aktion seiner Ruten zu charakterisieren. Der eine unterscheidet zwischen Aktion „A“, „B“ oder „C“, der nächste gibt das Wurfgewicht in Gramm an und wieder andere sprechen von „mittlerer“ oder „schneller“ Aktion. Diese Unterschiede lassen nachvollziehbare Vergleiche zwischen den verschiedenen Angelruten der verschiedenen Hersteller nur schwer zu. Dazu gibt es jedoch ein standardisiertes Verfahren, nämlich die Angabe der so genannten Testkurve. Dieses Verfahren ermittelt die Leistungsparameter einer Rute stets auf die gleiche Weise und lässt somit direkte Vergleiche zwischen den einzelnen Blanks (Rutenrohlingen) zu.
Zur Ermittlung der Testkurve wird die Rute in waagerechter Stellung befestigt und die Schnur, die natürlich durch die Ringe laufen muss, mit einer Waage verbunden. Jetzt wird die Schnur so lange belastet, bis die Spitze der Rute im rechten Winkel zu ihrem Handteil steht. Der Wert der Belastung, die dazu nötig ist, kann auf der Waage abgelesen werden und wird als Testkurve bezeichnet.
→ Das Wurfgewicht
Auf beinahe jeder Rute ist außerdem das Wurfgewicht vermerkt – ein sehr wichtiges Kriterium für die Rutenauswahl, gibt es doch an, was man seiner Rute beim Wurf zumuten darf und bei welchem Ködergewicht sie die besten Wurfleistungen erbringt. Darüber hinaus erhält man einen deutlichen Hinweis auf den Einsatzbereich der betreffenden Rute.
Das Wurfgewicht ist meist in Bereichen angegeben. Ein Bereich von 10 bis 40 Gramm weist aus, dass die Rute ab einem Ködergewicht von 10 Gramm bereits anspricht und gute, das heißt weite und genaue Wurfleistungen erbringen kann. Der obere Grenzbereich liegt in diesem Beispiel bei 40 Gramm, was auch bedeutet, dass man keinen Köder werfen sollte, der schwerer ist, weil man sonst einen Rutenbruch durch Überlastung riskiert. Viele Ruten haben zwar...