Nach dem Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus (BSUK) hat die Schule „die einmalige Chance und die besondere Pflicht, einen wirkungsvollen Beitrag zur gesellschaftlichen Integration von Menschen mit Behinderung zu leisten“ (BSUK 2003, 28).
Jedes Kind hat das Recht und die Pflicht auf Schulbildung, wobei Kinder mit besonderen individuellen Lernbedürfnissen differenzierte schulische Erziehungs- und Bildungsangebote benötigen. Eine Sonderschule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung sollte erziehen, Lernen ermöglichen, fördern und integrieren (vgl. Bundschuh 2000). „Lernen wird hier auch nicht ausschließlich im Sinne eines kognitiven Lernprozesses verstanden, vielmehr im Hinblick auf Lebens- und Handlungsfähigkeit in zukünftigen Situationen“ (Bundschuh 1995 zit. n. Bundschuh 2000, 87).
Seit 1980 gibt es die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz (KMK), mit denen der Versuch umgesetzt wurde durch bundeseinheitliche Rahmenempfehlungen zu einem gewissen Maß an Einheitlichkeit in der Formulierung eines Curriculums für die Schule für Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung zu kommen. Mit den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz ist kein revolutionäres Konzept veröffentlicht worden, sondern „ein behutsam reformierender Ansatz, der Bewährtes und Neues sinnvoll ineinanderfügt“ (Mühl 1981 zit. n. Pitsch 1999, 35). Die Empfehlungen der KMK sind eingeteilt in einen allgemeinen Teil und in einen weiteren Teil, welcher ‚Unterrichts- und Erziehungsziele’ der Sonderschule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung umfasst (vgl. Pitsch 1999).
„Beachtenswert im allgemeinen Teil ist der völlige Verzicht auf auch nur minimale Entwicklungs- und Leistungsanforderungen bei der Aufnahme eines Schülers in die Schule für geistig Behinderte und die ausdrückliche Feststellung, daß jedes Kind bildungsfähig sei. Verwirklicht wird hier endlich zumindest auf dem Papier die Forderung, daß die Schule sich an die Schüler anzupassen habe und nicht umgekehrt“ (Pitsch 1999, 35).
Auch Mühl (2006) fordert:
„Die Aufnahme in diese Schule darf nicht an bestimmte Kompetenzen gebunden, wie dies beispielsweise für die Grundschule oder auch für die Schule für Lernhilfe gilt. Die Schule für geistig Behinderte ist ein Lernort für alle, die an anderen Schulen aus welchen Gründen auch immer nicht mehr oder von vornherein nicht gefördert werden“ (S. 334).
Die Sonderschule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung gewährleistet durch „konzeptionelle, personelle, baulich-räumliche und sächliche Voraussetzungen [für] eine qualifizierte und ganzheitliche Lern- und Entwicklungsförderung“ (KMK 1998, 16). Eine wichtige Grundlage dabei stellt die Abstimmung der individuellen Bedürfnisse der Schüler in der Erziehung und im Unterricht dar (vgl. KMK 1998).
Seit Ende der 1970er Jahre hat sich die Schülerschaft der Sonderschule verändert. Der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit schweren Lern- und Verhaltensbeeinträchtigungen bis hin zur Schwerstbehinderung hat zugenommen, wobei die Zahl der leistungsstärkeren Schüler, sogenannte Grenzfälle zur Lernbehinderung, eher abgenommen hat. Mit dem Wandel der Schülerschaft veränderte sich auch das Verständnis der Schulform. Die Schule für Kinder mit geistiger Behinderung unterstreicht ihre Eigenständigkeit im Bildungsangebot sowie in der Unterrichtsgestaltung und versteht sich heute als ein „pädagogisches System zur planmäßigen Förderung der Lernfähigkeit“ (Speck 1999 zit. n. Fornefeld 2002, 104). Im Bildungssystem gibt es keine wirkliche Verknüpfung mit anderen Bildungsgängen. Keine andere Schulform baut auf dieser auf und umgekehrt. Für Menschen mit geistiger Behinderung wird vom Grundschul- bis ins Berufsschulalter ein eigener Bildungsgang realisiert (vgl. Fornefeld 2002).
Die Sonderschule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung ist in vier Stufen gegliedert, die jeweils drei Jahrgänge umfassen:
1. Vor-, Unter- bzw. Grundstufe:
Vermittlung grundlegender Verhaltensweisen durch spielerisches Lernen
Kennenlernen der eigenen Person, Förderung der Selbständigkeit bei täglichen Verrichtungen und Kommunikation
Einzelunterricht – Kleingruppen – Klassenunterricht
2. Mittelstufe:
Festigung eingeübter Verhaltensweisen und Fertigkeiten
einfachen Zeichen und Symbolen Informationen entnehmen
Lernen eines sachgerechten Umgangs mit Materialien und Gegenständen aus eigenem Erfahrungsraum
Erweiterung der sprachlichen Kommunikation
3. Ober- bzw. Hauptstufe:
Einbeziehen der Schüler in Planung und Gestaltung des Unterrichts
Arbeit wird zu Element des Unterrichts
Umgang mit Werkzeugen und verschiedenen Arbeitsmaterialien
Erziehung zu größerer Selbständigkeit in der Selbstversorgung
Anregung des Denkens in komplexeren und abstrakteren Zusammenhängen
4. Werk- bzw. Abschlussstufe:
kontinuierliche Fortführung der Lerninhalte der früheren Stufen
Grundlage für spätere berufliche Tätigkeit (meist in der Werkstatt für Behinderte)
Arbeitsprojekte und Berufspraktika
Vorbereitung der Schüler auf das Erwachsenenleben in unterschiedlichen Bereichen (z.B. Wohnen außerhalb der Familie oder das Leben in Partnerschaft)
(vgl. Fornefeld 2002).
An dieser Stelle wird exemplarisch die Sonderschule mit dem Förderschwerpunkt geistige Behinderung in Hessen dargestellt.
Auf der Suche nach einer neuen Bezeichnung für die „Schule für geistig Behinderte“ entwickelten sich die unterschiedlichsten Namen, wie z.B. „Schule zur individuellen Lebensbewältigung“ in Mecklenburg-Vorpommern und Bayern oder „Förderschule mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung“ in Niedersachsen. Bezeichnungen wie Geistigbehindertenschule oder Schule für geistig Behinderte sind nicht zufriedenstellend und bergen die Gefahr der Stigmatisierung, Etikettierung und Einseitigkeit. In Hessen wurde die Schule für Kinder mit geistiger Behinderung von Anfang an als ‚Schule für Praktisch Bildbare’ bezeichnet (vgl. Mühl 2006).
„Die Schule für Praktisch Bildbare wird von Schülern besucht, deren Lernverhalten und Entwicklungsstand so erheblich unter der altersgemäßen Erwartungsnorm liegen, daß sie in anderen Schulen nicht entsprechend gefördert werden können. Der Geistigbehinderte/Praktisch Bildbare erfüllt seine Schulpflicht in der Schule für Praktisch Bildbare. Sie muß in ihrer Arbeit die individuellen Ansprüche des behinderten Kindes und die Ansprüche der Gesellschaft zur Synthese bringen. Die Bedürfnisse der Schüler bestimmen jedoch vorrangig Aufgaben und Ziele dieser Schule“ (Hessisches Kultusministerium 1983, 3).
Die Aufgabe der Sonderschulen, wie sie im § 2 des Hessischen Schulgesetzes formuliert sind bestehen u.a. darin, den sonderpädagogischen Förderbedarf zu erfüllen und dadurch:
die körperliche, soziale, emotionale sowie kognitive Entwicklung zu gewährleisten
bei der Rehabilitation und Integration der Schüler in die Gesellschaft mitzuwirken
den Übergang in die allgemeinen Schulen zu erleichtern
die Schüler bei dem Übergang in die Berufs- und Arbeitswelt zu unterstützen
den Unterricht so zu gestalten, dass er den behinderungsspezifischen Bedürfnissen und Anforderungen gerecht wird
den Schülern unterrichtsbegleitende oder -ergänzende Fördermaßnahmen zu gewährleisten (vgl. Hessisches Kultusministerium 2006)
Die Schule für Praktisch Bildbare hat die Aufgabe, „... Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung so zu fördern, dass sie sich als Person verwirklichen, Umwelt erleben, sich in sozialen Bezügen orientieren, bei ihrer Gestaltung mitwirken und zur eigenen Existenzsicherung beitragen können“ (Hessisches...