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Per Anhalter nach Indien

Auf dem Landweg durch die Türkei, den Iran und Pakistan

AutorMorten Hübbe, Rochssare Neromand-Soma
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783492977494
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Einmal infiziert lässt sie das Fernweh nicht mehr los. Von Hamburg bis in den Süden Indiens, per Anhalter, couchsurfend oder im Zelt schlafend durchqueren Morten Hübbe und Rochssare Neromand-Soma Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Serbien, Bulgarien, die Türkei, den Iran und Pakistan. Postsozialistischer Charme, quirlige Märkte und überwältigende Gastfreundschaft vereinen sich zu einem betörenden Mix. Aber auch riskante Etappen durch krisengeschüttelte Regionen mit Polizeieskorte und bangen Momenten gehören zu ihren Erfahrungen. Ihr Reisestil erlaubt es ihnen, die Vielfalt der Landschaften und Kulturen genau zu erleben. Dabei lassen sich die beiden viel Zeit für Begegnungen, zum Zuhören und Reden. Unvoreingenommen und wissbegierig, ohne unnötigen Komfort oder Besitz lassen sie sich von der Neugier Richtung Asien treiben - ein großartiger Bericht über teils kaum bereiste Gegenden.

Nach dem Master in Literatur und Medien zog es Morten Hübbe (geboren 1984) gemeinsam mit seiner Freundin Rochssare Neromand-Soma 2011 für zwei Jahre nach Südamerika. Seitdem haben sich die beiden Reiseenthusiasten und -blogger ganz dem Unterwegssein verschrieben. Derzeit erkunden sie, wieder per Anhalter, Asien.

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Leseprobe

TÜRKEI


İstanbul'a hoş geldiniz – herzlich willkommen in der historischen Altstadt


Deniz und Gilbert, Plug-in-Entwickler aus Albanien, haben uns 400 Kilometer durch den bulgarischen Osten mitgenommen. Die Sonne ist bereits hinter dem Horizont verschwunden, als wir nach der Begegnung mit einem freundlichen türkischen Grenzbeamten und abenteuerlicher Fahrt durch den weitgehend regelfreien türkischen Straßenverkehr die Metropole am Bosporus erreichen. Millionen und Abermillionen Lichter leuchten uns entgegen. Riesige Hochhäuser ziehen an uns vorbei, Wohnviertel, Konsumtempel. Mehr als 40 Minuten fahren wir bereits durch Istanbul, das etwa 15 Millionen Menschen ein Zuhause bietet. Dann bricht das Häusermeer um uns herum plötzlich ab. Wir überqueren den Bosporus auf einer von zwei Brücken (mittlerweile sind es drei), die Europa und Asien verbinden. Ein kurzer Moment der Stille, dann jubelt es in meinem Kopf. Asien. Wir haben soeben einen neuen Kontinent erreicht.

Auf der asiatischen Seite fahren wir weitere 20 Minuten durch die Stadt, bis wir uns von Deniz und Gilbert verabschieden und unserem Couchsurfing-Gastgeber Osman die Hand reichen. Osman wohnt in einem Gebäudekomplex mit Sicherheitsservice, Swimmingpool, Golfanlage und Tartanbahn. Er heißt uns mit einem Raki, dem türkischen Nationalgetränk, willkommen. Wir lassen uns den Anisschnaps schmecken, während unsere Vorfreude auf Istanbul mit jeder Minute des Gesprächs wächst.

Der Verkehr in Istanbul ist auch am nächsten Morgen chaotisch. Wir fahren von unserer Bleibe in Ümraniye zum Fähranleger nach Üsküdar und brauchen für die etwa zehn Kilometer lange Strecke 50 Minuten. Mit der Fähre überqueren wir den Bosporus und sind wieder zurück in Europa.

Zunächst lernen wir Istanbul mit den Augen der unzähligen Touristen kennen, die aus allen Teilen der Welt in die einstige osmanische Hauptstadt reisen. Wir befinden uns in Sultanahmet, der historischen Altstadt Istanbuls. Zwischen Blauer Moschee und Hagia Sophia herrscht den ganzen Tag über dichtes Gedränge. In die Menge der Touristen mischen sich Souvenirverkäufer, private Guides suchen nach Gutgläubigen, denen sie ihre Dienste anbieten können, Flötenspieler verdienen sich ein paar Lira. Dazwischen wird Çay, der stets griffbereite türkische Tee, in großen Mengen verkauft.

In der Blauen Moschee endet gerade eines von fünf täglichen Gebeten, und sofort bildet sich eine lange Schlange Schaulustiger, die das Gotteshaus von innen sehen möchten. Auch wir gehören dazu. Vor uns kichern einige ostasiatische Frauen verlegen, als man ihnen große Tücher in die Hände drückt, damit sie ihre Haare darunter verbergen. Hinter uns warten ein paar sonnenverbrannte und verschwitzte Briten.

Wie es muslimischer Brauch ist, entledigen wir uns vor dem Betreten der Moschee unserer Schuhe, die wir anschließend in kleinen Plastiktüten mit uns herumtragen. Dicker Teppich dämpft unsere Schritte. Istanbuls Hauptmoschee ist riesig. Unter einer weiten, mit Ornamenten reich verzierten Kuppel hängt ein ausladender Leuchter, der den hallengleichen Innenraum in ein warmes Licht taucht. Ein hölzernes Geländer trennt die Besucher von den Gläubigen. Hier ist der Andrang groß. Kameras werden in alle Richtungen gehalten, das monotone Klicken der Auslöser ist Teil der Erfahrung.

Ein britischer Opa mopst einem türkischen Opa den Pullover, der erst verdattert dreinschaut und dann dem vermeintlichen Dieb hinterherläuft. Es kommt zu einer kleinen Diskussion, die aufgrund der unterschiedlichen Sprachen zu keinem Ergebnis führt. Erst der Sohn des einen kann vermitteln, und plötzlich stellt der Brite fest, dass er versehentlich den falschen Pullover gegriffen hat. Beschämt lachend erkennt er seinen Irrtum und gibt das Diebesgut kleinlaut zurück. Doch auch der türkische Opa hat seinen Humor wiedergefunden und schüttelt dem Reumütigen eifrig die Hand.

Auf der Seite der Gläubigen geht es viel entspannter zu. Das Gebet ist seit einigen Minuten beendet, und noch immer liegen ein paar Männer ausgestreckt auf dem Teppich. Einen Plausch haltend, lässt sie das Treiben auf unserer Seite der Absperrung augenscheinlich völlig kalt. Ein kleiner Junge tollt in ihrer Nähe über den weichen Untergrund und schlägt einen Purzelbaum.

Draußen vor dem Gebäude wird uns bewusst, wie angenehm kühl es im Inneren der Moschee war. Die Sonne steht mittlerweile in ihrem Zenit. Gleißendes Licht brennt in den Augen. Die wuselige Menge der Touristen erstreckt sich von der Blauen Moschee über den Sultanahmet Park bis zur Hagia Sophia auf der anderen Seite. Wir fügen uns in den Strom, treiben vorbei an alten, rundlichen Frauen, die uns wortlos Blumenkränze entgegenstrecken, Männern, die wortreich Bootstouren auf dem Bosporus anbieten, und einem Sultan, der sich mit seinem rot-gelben Gewand und dem hohen Turban für Fotos anbietet und zudem die passenden Accessoires dabeihat, damit er nicht lange alleine wie der Sultan aussehen muss.

Kurz darauf stehen wir vor der Hagia Sophia. Einst byzantinische Kirche, später Moschee und seit 1934 ein Museum, das Spuren beider Religionen ausstellt. Minarette zieren das Gebäude, ein riesiges Mosaik zeigt Jesus Christus, die heilige Maria und Johannes den Täufer in der früheren Moschee. Ein riesiges Medaillon mit der Inschrift Allah hängt neben der Jungfrau Maria und dem neugeborenen Jesus. Wie allumfassend hier zwei Religionen aufeinandertrafen und wie verschlungen sie in diesem Gebäude miteinander sind!

Direkt hinter der Hagia Sophia erstreckt sich der Topkapı-Palast, der einstige Herrschaftssitz des Osmanischen Reiches. Über Jahrhunderte lebten und regierten die Sultane hinter dicken Mauern in einem eigens für sie eingerichteten Paradies aus verschiedenen Gärten, Parks und Gebäudekomplexen. Von dort aus schlendern wir bis zum Großen Basar, dem Kapalı Çars¸ı. Seit dem 15. Jahrhundert wird unter dem Dach der riesigen Markthalle gefeilscht, gehandelt und geschachert. Angezogen von einer so langen Händlertradition betreten wir das Gebäude. Unsere Erwartungen werden aber sehr schnell enttäuscht. Statt lokaler Produkte finden wir vor allem Massenimporte aus China. Die Trikots von Messi, Ronaldo, Götze und Balotelli hängen an den Wänden. Orientalische Lampen und Keramik stapeln sich vor den kleinen Geschäften. Juweliere sitzen vor bruchsicherem Glas und warten auf Kundschaft. Die Gänge sind ausschließlich von Touristen bevölkert. Istanbuls Kapalı Çars¸ı hat nicht mehr viel mit einem Marktplatz zu tun. Es ist vielmehr eine Ansammlung von Souvenirshops auf 31 000 Quadratmetern.

Wir verlassen die Markthalle rasch wieder und verlieren uns in den umliegenden Straßen und Gassen. Hier wird alles verkauft. Nützliches, Brauchbares, Notwendiges, Leckeres. Wir quetschen uns durch die Menge und bleiben vor einem Mann stehen, der auf einem hölzernen Wagen Dutzende Granatäpfel aufgeschichtet hat. Vor ihm befindet sich eine Saftpresse, und für zwei Lira (etwa 70 Cent) trinken wir unseren ersten frisch gepressten Granatapfelsaft. Mit jedem Schluck saugen wir etwas mehr von dem Land auf, das für die nächste Zeit unser Zuhause sein wird. Zufrieden lächle ich den Trinkbecher in meiner rechten Hand an. Hos¸ geldiniz! Willkommen in der Türkei!

Das asiatische Istanbul – zwischen Çay und Heavy Metal


Istanbul ist weit mehr als eine Metropole. Die Stadt vereint. Hier treffen Europa und Asien aufeinander. Hier kommen muslimische Traditionen und moderner Fortschrittsglaube zusammen; hier koexistieren Hektik und Gelassenheit. Istanbul steckt voller Energie und voller Gegensätze.

Unser erstes Abenteuer nimmt auf der asiatischen Seite seinen Lauf. Ich spreche englisch. Mein Gegenüber türkisch. Ich suche nach einer Information. Er gibt mir eine Antwort, die ich nicht verstehe. Achselzuckend bin ich schon nach wenigen Augenblicken bereit, das Gespräch zu beenden, doch habe ich nicht mit der Entschlossenheit des Mannes gerechnet. Er bedeutet mir, einen Moment zu warten, eilt in sein Haus, holt die Schlüssel seines Autos, verfrachtet mich in selbiges, und schon brausen wir durch Istanbuls Straßen. Die Fahrzeit überbrückt er wortreich mit Geschichten, von denen ich nicht eine Silbe verstehe. Bald darauf halten wir vor einem kleinen Kiosk, mein Fahrer springt heraus, spricht mit dem Ladenbesitzer, und einen Moment später halte ich eine elektronische Karte für den öffentlichen Nahverkehr der Stadt in der Hand. Aufgeladen und einsatzbreit. Schon die ersten Augenblicke in Istanbul werden uns mit der hingebungsvollen türkischen Hilfsbereitschaft versüßt.

Dann sitzen wir im Bus. Etwa eine Stunde fahren wir durch die Stadtteile Ümraniye und Üsküdar. Aus dem Fenster sehend versuchen wir, so viel wie möglich von der großen, bezaubernden Stadt aufzusaugen. Doch irgendwie kommt uns ziemlich viel ziemlich bekannt vor. Die türkischen Supermärkte mit ihren üppigen Obst- und Gemüseabteilungen, die Dönerläden und Kebabbuden, die Bäcker und Süßwarenkonditoren, die älteren Frauen mit Kopftüchern und langen Gewändern. Dazu die türkischen Großväter mit grauen buschigen Schnurrbärten, dunklen Jacketts und Schiebermützen. In großen und kleinen Runden sitzen sie zusammen, rauchend und einen Çay nach dem anderen trinkend. Das alles sieht aus wie in unserer alten Nachbarschaft in Berlin-Neukölln. Während wir damals in unserer Einzimmerwohnung in der...

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