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E-Book

Anna Amalia von Weimar

Regentin, Künstlerin und Freundin Goethes

AutorCarolin Philipps
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783492992015
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Anna Amalia von Weimar war eine starke und unabhängige Frau, die nicht nur ihren Zeitgenossen außergewöhnlich erschien. Als Regentin übernahm sie - kaum zwanzigjährig - den Thron ihres verstorbenen Mannes; als Künstlerin und Intellektuelle schuf sie den bis heute weltberühmten Weimarer-Musenhof. Die Historikerin Carolin Philipps stieß bei ihren Nachforschungen zu dieser Neubetrachtung auf bisher vernachlässigtes Quellenmaterial, welches das Bild der gelehrten Regentin um die Facette der Liebenden und Zweifelnden auf besondere Weise ergänzt. 

Carolin Philipps, geboren 1954, studierte Englisch und Geschichte in Hannover und Bonn. Heute lebt sie als freie Autorin in Hamburg und hat sich auf historische Biografien starker Frauen spezialisiert. Zuletzt erschienen von ihr die erfolgreichen Bücher »Friederike von Preußen. Die leidenschaftliche Schwester der Königin Luise«, »Luise. Die Königin und ihre Geschwister« sowie »Anna Amalia von Weimar. Regentin, Künstlerin und Freundin Goethes«.

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Leseprobe

5. Krankheit und Tod Ernst Augusts Constantins


Die Herzogin »befinden sich in dero gesegnetem Zustand
ganz wol (wohl), und man hat alle Sorgfalt, dass die affection (Kummer) Ihrselben nicht schaden möge.«[1]

 

Dies schrieb der braunschweigische Vizekanzler Georg Septimus Andreas von Praun (1701 – 1786) an Karl I., in dessen Auftrag er seit Anfang März 1758 in Weimar weilte. Und er fügte hinzu: Der Erbprinz habe seit dem Aufenthalt seinen dritten Zahn »ohne allem Ungemach« bekommen.[60]

Das waren die guten Nachrichten und nicht der Grund, warum Vizekanzler von Praun nach Weimar geeilt war. Ernst August Constantin galt immer als etwas kränklich, darum ja auch seine schnelle Hochzeit mit Anna Amalia. Aber seit Anfang 1758 war er ernsthaft erkrankt, ab Februar durchgängig bettlägrig.

Am 20. Februar 1758 bat Anna Amalia den Grafen von Bünau zu einem Gespräch, wahrscheinlich wegen des Testamentes, das der Herzog bereits einen Tag später unterschrieb. Für den Fall seines Todes setzte er bis zur Volljährigkeit des Erbprinzen als Regenten und Obervormünder seines Sohnes seine Frau und den dänischen König Friedrich V. (1723 – 1766) ein, der mit Juliane von Braunschweig-Wolfenbüttel (1729 – 
1796), einer Tante Anna Amalias, verheiratet war. Graf von Bünau sollte als Obervormundschaftlicher Minister im Amt bleiben.[61]

Dieses Testament trug eindeutig die Handschrift des Premierministers Graf von Bünau. Denn da der dänische König nicht vor Ort war, kam ihm als Quasi-Stellvertreter bei der Unerfahrenheit Anna Amalias eine entscheidende Rolle zu, zumal er per Testament nur im Todesfall ersetzt werden konnte.

Ab März wurde die Krankheit des Herzogs als lebensbedrohlich angesehen, und Anna Amalias Vater war um die Zukunft seiner Tochter besorgt. In einem Brief vom 9. März schrieb er daher an seinen Vizekanzler von Praun: Die »missliche Gesundheit« des Herzogs von Sachsen-Weimar habe ihn veranlasst, ihn nach Weimar zu schicken, sich vor Ort ein Bild von dem Zustand des Herzogs zu machen und zu »verhüten«, dass im zu »befürchtenden Fall des Wittumsstandes« nichts festgelegt werde, was gegen den Heiratsvertrag verstoße und die Rechte seiner Tochter verletze.[62]

Dabei ging es um drei Rechte Anna Amalias:

Erstens die alleinige Erziehung der fürstlichen Kinder: Karl I. befürchtete, dass Graf von Bünau den kranken Ernst August Constantin zu einer offiziellen Verfügung überreden könnte, durch die der Herzog von Sachsen-Gotha, der schon die Vormundschaft für Ernst August Constantin gehabt hatte, oder er selbst ein Mitspracherecht bekommen würde und dadurch die Befugnisse Anna Amalias eingeschränkt würden. Beides, vor allem aber das Erstere, sollte von Praun verhindern.

Zweitens die Mitverwaltung der Landesregierung: Hier fürchtete Karl I., dass Anna Amalia benachteiligt werden könnte, da sie ja noch nicht volljährig war, was Voraussetzung für eine Regentschaft oder auch Mitregentschaft war. Von Praun bekam den Auftrag, bei von Bünau nachzuforschen, was die sächsischen Hausgesetze für einen solchen Fall vorsahen.

Drittens Anna Amalias Einnahmen als Witwe: Zusätzlich zum Wittumsgehalt müssten Anna Amalias Einnahmen als Herzogin aufrechterhalten bleiben, da sie für Kindererziehung und Landesregierung zusätzliche Ausgaben haben würde.[63]

Karl I. wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass Graf von Bünau den kranken Herzog bereits zu testamentarischen Verfügungen überredet hatte, die der in seinem Zustand nicht durchschaute, die aber die Rechte Anna Amalias tatsächlich einschränkten.

Am 14. März kam von Praun in Weimar an und begab sich am nächsten Tag sofort zum Grafen von Bünau und abends zum Herzogpaar, das hocherfreut war, weil der Vater ihn geschickt habe, wie von Praun schrieb. Der Herzog, der im Bett lag, wirke »erquickt«. Obwohl er durch die sechswöchige Krankheit sehr schwach war, hofften alle, dass er wieder gesund werden würde. Vor allem Anna Amalia sei über die Besserung »innigst erfreut«. Sie lasse ihren Gemahl kaum aus den Augen, aber an diesem ersten Abend habe sie sich nach der Tafel mit von Praun alleine getroffen, um sich nach allem zu erkundigen. Offenbar, so lautete das Fazit von Prauns für Karl I., »ist alles hier in sehr guter Ordnung«.[64]

In den folgenden Wochen gingen alle sieben Tage Briefe zwischen Karl I. und seinem Vizekanzler hin und her. Hauptthema war neben den Berichten über die Gesundheit des Herzogs das Problem der Minderjährigkeit Anna Amalias. Volljährig wurde man erst mit 21 Jahren, eine vorzeitige Volljährigkeit musste beim Kaiser beantragt werden. Wie konnte Anna Amalia also bis zu einer Volljährigkeitserklärung im Namen des minderjährigen Erbprinzen Regentin sein? Es müsste aber doch möglich sein, meinte ihr Vater, dass eine minderjährige Fürstin, wenn sie einen »andern regierenden Herrn zum Mitvormund« neben sich habe, regieren könne. Dafür müssten eigentlich die Bestimmungen des Ehevertrages ausreichen. Trotzdem wäre es besser, wenn diese Bestimmungen noch einmal durch eine »förmliche Fürstväterliche Anordnung« des Herzogs bestätigt würden und eine »dispositio testamentaris« gemacht werde. Ein weiteres Problem war, ob eine Fürstin dann nachträglich, wenn sie volljährig wäre, noch zur Mitvormundschaft gelangen könne, wie das in den Römischen Gesetzen als auch von berühmten Staatslehrern vorgesehen war.

Karl I. regte auch hierüber eine testamentarische Verfügung des Herzogs an, »und es wäre sehr gut, wenn Wir in dem Testament ersucht würden«, seiner Tochter »während der Minderjährigkeit Bei der Vormundschaft (zu) assistieren, wozu Wir uns bereit und willig erzeigen werden«.[65]

Im Laufe des Monats März ging es mit der Gesundheit des Herzogs mal besser, mal schlechter. Fieber, unruhiger Puls, Blut im Stuhl. Schwanken zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Der Herzog hatte wuchernde Polypen im Darm, die ihn schon in der Jugend gequält hatten, wahrscheinlich handelte es sich um adenomatöse Polyposis, eine Erbkrankheit, bei der es zu einem massenhaften Befall des Dickdarms mit Polypen kommt. Heute weiß man, dass die Wahrscheinlichkeit der Entartung eines oder mehrerer dieser Polypen zu Darmkrebs bei nahezu 100 Prozent liegt. Leibarzt Johann Friedrich Hufeland (1730 – 1787), mit dem von Praun in täglichem Gespräch war, hatte auch den Rat anderer Ärzte hinzugezogen, damit man ihm im Todesfall keine Vorwürfe machen konnte.[66]

Zusammen mit Gottfried Nonne (1710 – 1765), der im Geheimen Consilium saß und als Gegner von Bünaus galt, gelang es von Praun, das Testament vom 21. Februar zugunsten Anna Amalias zu ergänzen. Ende März konnte von Praun nach Braunschweig melden, dass der Herzog inzwischen eine testamentarische Verfügung unterzeichnet hatte, in der Karl I. ersucht wurde, bis zur regulären Volljährigkeit seiner Tochter oder bis die venia aetatis – die vorfristige Volljährigkeitserklärung – erteilt würde oder falls Anna Amalia vor der Volljährigkeit des Erbprinzen sterben sollte, die Verwaltung des Landes zu übernehmen. Falls Karl aber nicht mehr leben sollte, würde dies sein Nachfolger übernehmen. Der König von Dänemark sollte nur noch tutela honoraria, eine Ehrenvormundschaft ohne konkrete Aufgaben, ausüben, aber keine Vormundschaftsrechte mehr haben.

Der Graf von Bünau sollte weiterbeschäftigt werden, solange er das wollte oder »die Administration es für nützlich hält, sich seiner Dienste zu gebrauchen«.[67] Das kam einer praktischen Entmachtung des Grafen gleich. Von Praun bat Karl I. auch um eine Vollmacht, damit er im Todesfall sofort die Dienerschaft und die Miliz verpflichten und für das Anschlagen der Patente sorgen könne, die geplant und entworfen werden mussten. Es war ganz entscheidend, dass jeder sofort wusste, dass es kein Machtvakuum gab, sondern der regierende Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel gemäß Testament die Regierung vorläufig übernahm.

Am 24. März meldete von Praun, dass auch die Deklaration der Verfügung vor zwei Zeugen vollzogen worden war und somit alles rechtens und für den Todesfall vorbereitet sei. Allerdings ginge es dem Herzog besser, sodass er seine Rückreise in wenigen Tagen antreten wolle. Es sei dem Herzog »leichter ums Herz« geworden, nachdem die Deklaration erfolgt sei, denn das vorangegangene Testament sei wohl nicht ganz »nach dero freyem Willen« zustande gekommen.[68]

In manchen Biografien über Anna Amalia heißt es, dass Graf von Bünau nichts von diesem testamentarischen Zusatz wusste und bei der Testamentseröffnung ganz überrascht war.[69] Das stimmt so nicht, denn am 27. März schreibt von Praun, dass von Bünau Bescheid wisse, sich aber nichts anmerken lasse, und dass er keinen Verdacht habe, dass von Praun etwas »suggeriert« habe.[70]

Von Praun reiste dann nach Braunschweig zurück, aber schon am 27. Mai 1758 schrieb Nonne an Karl I., dass der Herzog im Sterben liege. Anna Amalia sei »so voller Jammer«, dass sie nicht selbst schreiben könne. Sie bitte ihren Vater, nach Weimar zu kommen,[71] was diesem aber nicht möglich war, da der Erbprinz mit seinem Onkel Ferdinand in den Krieg gezogen war. Der amtierende Herzog von Braunschweig konnte in dieser Situation sein Land nicht verlassen. Er schickte aber wieder seinen Vizekanzler, der die Situation in Weimar ohnehin durch seinen letzten Aufenthalt dort besser einschätzen konnte. Doch noch bevor von Praun am 31. Mai in Weimar ankam, starb der Herzog am 28. Mai mit 20 Jahren. Anna Amalia war 18,5 Jahre alt und im...

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