DAS LEITMILIEU DER BUSINESS-DEPPEN
Das meiste, das sich heute ereignet, ist lauwarm, weil es halbherzig und mit geringem Interesse an der Sache getan wird. Die Menschen sind gegenüber dem Inhalt ihrer Tätigkeiten emotionslos und ungerührt, weil alles, was sie tun, in erster Linie vom Ziel des materiellen und ideellen Gewinns geleitet wird. Es ist ihnen nicht wichtig, was sie tun; wichtig allein ist ihnen, dass sie damit Erfolg haben.
Im Kapitalismus wird Anerkennung mit Geld zum Ausdruck gebracht. Folglich ist der sichtbare Ausdruck des Erfolgs die Höhe des Jahreseinkommens in Euro oder Dollar. Der Durchschnittsamerikaner hat das Prinzip Anerkennung = Einkommen bereits dermaßen internalisiert, dass er in der Regel einem wildfremden Menschen, neben dem er zufällig in einem Flugzeug zu sitzen kommt, schon in den ersten zehn Minuten des flüchtigen Zusammenseins sein Jahreseinkommen bekannt gibt.
Dieser Trend greift nun nach und nach auch auf Mitteleuropa über. Und so versorgen immer mehr der rastlos tätigen und ständig dienstfertigen europäischen Business-Reisenden ihre Mitreisenden in Zügen und Flugzeugen mit Informationen über ihr Jahreseinkommen. Man kann der peinlichen Mitteilsamkeit dieser artig gekleideten, aber vollkommen bildungsfernen und absolut uninteressanten Zeitgenossen nur dadurch entgehen, dass man gleich zu Beginn der erzwungenen Koexistenz auf engstem Raum dezidiert festhält, dass man kein Gespräch wünscht. Gerettet ist man, wenn der Business-Reisende sein Tablet zückt, sich die Kopfhörer aufsetzt, um sich einen dümmlichen amerikanischen Blockbuster anzusehen. Je mehr Business-Reisende in einem Flugzeug sind, desto weniger wird gelesen und umso mehr werden geistlose Filme, die die amerikanische postkulturelle Filmindustrie zur Unzahl hervorbringt, geguckt.
Der durchschnittliche Business-Mensch hat seine Autonomieansprüche weitgehend aufgegeben. Er lässt sich mit Freude fernsteuern, durch seinen Arbeitgeber, die Wirtschaftspresse, die Modeindustrie, die Filmindustrie, die Freizeitindustrie, die Internetwirtschaft. Die Identität des Business-Menschen ist ein Puzzle aus Abziehbildern, die den oben aufgeführten Funktionsbereichen entstammen. Es ist faszinierend, in welcher Gleichförmigkeit sie sich kleiden, denken, verhalten.
Wenn zum Beispiel die internationale Vereinigung der FriseurInnen beschließt, dass der moderne Manager nun auf der Mitte seines Schädels ein aus Haaren auftoupiertes Vogelnest und auf der Seite einen Shortcut zu tragen hat, dann rennen tatsächlich tags darauf hunderte Nachwuchsmanager mit einer solchen Geschmacksverirrung auf dem Kopf durch die europäischen Flughäfen. Und sie finden sich, trotzdem einer aussieht wie der andere, unglaublich attraktiv, kreativ und „outstanding“. In Wirklichkeit sind sie aber nicht mehr als eine Herde gleichförmig blökender Schafe, der die europaweit gleichgeschaltete Schafscherergemeinschaft einen Massenlook verpasst hat, der sie als ästhetische Negation des Menschen als autonomes Wesen durch die Welt gehen lässt.
Beschreibt Georg Simmel die Mode noch in ihrer Ambivalenz als gleichzeitigen Versuch der Demonstration von Individualität und Gruppenzugehörigkeit, so ist dieses Spannungsverhältnis heute weitgehend aus dem Modebegriff der Wirtschaftseliten gewichen und verblieben ist lediglich die Anpassungsfunktion. Vor allem die oben beschriebenen Manager drängt es dazu, so auszusehen wie alle anderen Manager. Sie blühen auf, wenn sie im Spiegel ein Bild von sich sehen, das ihr individuelles Erscheinen im Erscheinungsbild der elitären Managermasse untergehen lässt. Das Ideal des konformistischen Business-Menschen besteht offensichtlich darin, sich als Individuum zugunsten einer homogenen Managergemeinschaft selbst auszulöschen. Die Managementkonformisten arbeiten tagtäglich auf den verschiedensten Ausdrucksebenen an ihrer individuellen Selbstauflösung. Und so verwandelt sich jeder Einzelne von ihnen in ein perfektes Mosaiksteinchen, das sich widerstandslos in das Ornament der Managermasse einpflegen lässt.
Die Manager, sie haben gemeinsam die typische Frisur, den typischen Anzug, das typische Parfüm, den typischen Laptop, den typischen Trolley, das typische Fitnessstudio, die typischen Restaurants und Bars, die typische Innenstadtwohnung, die typischen Urlaubsvorlieben und die typische Business-Rhetorik, die typische Managerpsyche, die typische Selbstverwirklichungsleier, den typischen Managersexismus, den typischen hölzernen Wirtschaftsuni- oder Juristenhumor, den typischen Erfolgshabitus und natürlich die typische lächerliche Leistungspose. Jede Zusammenrottung von VorstadthedonistInnen aus der sozialen Unterschicht im Park einer grau-düsteren Plattenbausiedlung besteht aus interessanteren Menschen und bietet mehr Unterhaltung und Abwechslung als ein Flugzeug voller Business-Menschen.
Interessant ist auch, wie das Business-Volk auf Business-Konferenzen unterhalten wird. Solche Konferenzen werden in der Regel von kommerziellen Agenturen organisiert. Gegenwärtig sind die Top-Themen Personalmarketing, Online-Marketing, Eventmanagement, Kommunikation für Führungskräfte, disruptive Start-up-Strategien, Power-Selling und natürlich die Trend- und Zukunftsvorhersagen der kommerziellen Trendforschung. Man täuscht sich aber, wenn man glaubt, dass das Managementvolk die Konferenzen besucht, um dort etwas zu lernen. Nein, sie wollen auch dort nicht empfangen, sie wollen senden. Die modernen Business-Konferenzen sind in erster Linie Plattformen zur Selbstinszenierung und zum Networking für Unternehmen und Manager. Sie sind Beauty-Contests, Selbstdarstellungsforen und Exzess-Maschinen, weil das Business-Volk sie auch dazu nutzt, ihre hedonistisch-libidinösen Bedürfnisse auszuleben, denn die meisten von ihnen stecken in langweiligen traditionellen Partnerschaften mit Kindern und gemeinsamen Vermögenswerten, die man nicht ohne große Schwierigkeiten wie Geld- und Imageeinbußen auflösen kann. Also lässt man sie unangetastet und befriedigt seine libidinösen Bedürfnisse auswärts, auf Business-Konferenzen. Nach ein paar Gläschen Prosecco findet sich dort schnell eine Kollegin, ein Kollege oder eine Hostess des Veranstalters, der oder die mit aufs Zimmer kommt. Treffend beschreibt der italienische Philosoph Mario Perniola die postmoderne Konferenzkultur: „Auf großen Kongressen wird Neues aber weder entdeckt noch erschaffen (eigentlich passiert überhaupt nichts Interessantes, außer hier und da die eine oder andere gelegentliche sexuelle Beziehung) (…).“ (Perniola 2005: 65)
Das Unterhaltungsprogramm dieser Konferenzen ist erstaunlich primitiv. Wenn nicht gerade ein Casino-Abend veranstaltet wird, an dem die Geschäftsleute beim Spiel mit Plastikgeld den Gambler des Abends küren, wird in der Regel an der Bar gesoffen. Das Business-Volk trinkt erstaunlich viel. Selbst die Frauen, meist bürgerlicher Herkunft oder zumindest mit ein paar vestimentären Symbolen der Bürgerlichkeit aufgehübscht, gehen nicht ins Bett, bevor sie nicht vier bis acht Gläschen Prosecco oder Wein in sich hineingekippt haben. Das Business-Volk ist aber gut trainiert, denn um acht Uhr morgens sitzen sie wieder alle mit der Miene des gut gelaunten und positiv denkenden Menschen beim Frühstück.
Interessant ist die Bereitschaft der TeilnehmerInnen, jeden zeitgeistig-esoterischen Blödsinn mitzumachen. Verdonnert man sie zum Lach-Yoga, so schütten sich 80 Prozent von ihnen unter seltsamen Verrenkungen minutenlang vor Lachen aus. Ohne nachzudenken machen sie auch mit, wenn ein Referent beispielsweise von ihnen verlangt, zwei Minuten auf der Stelle zu hüpfen und mit den Händen wild herumzuschlagen. Aufgrund dieser Übung wird den einfachen Geistern dann bewiesen, dass sich die Laune des Menschen augenblicklich verbessert, wenn er verrückt herumspringt. Eine große Erkenntnis, mit der die merkantile Erfolgselite dann glücklich nach Hause fährt, um sie ab nun mehrmals täglich in ihren Chefbüros in die Praxis umzusetzen – glücklicherweise hinter verschlossenen Türen, sodass wir normalen Menschen nicht in die Verlegenheit gebracht werden, einer solchen Idiotie tatsächlich ansichtig werden zu müssen.
Das Business-Volk weiß, was sich gehört. Es hat gelernt, widerspruchslos das zu tun, was die Autorität von ihnen will. Deswegen folgen sie fast ausnahmslos den Anweisungen der „Speaker“ und Scharlatane, auch wenn diese von ihnen verlangen, den ausgemachtesten Blödsinn zu glauben oder die hirnverbranntesten esoterischen Praktiken auszuführen. KonferenzveranstalterInnen, Vortragende und Esoterikscharlatane profitieren so vom Unwillen oder der Unfähigkeit der internationalen Wirtschaftsuniversitäten, ihre Studierenden zu autonomen, selbständig denkenden erwachsenen Menschen zu erziehen. In ihrer gleichzeitig selbst- und fremdverschuldeten Unmündigkeit nehmen die AbsolventInnen von internationalen Business Schools bereitwillig selbst den größten unausgegorenen geistigen Müll der sogenannten Zukunftsforschung gläubig in sich auf oder machen sich auf Anweisung von schamanistischen oder buddhistischen...