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E-Book

Anspruch und Wirklichkeit

Österreichs Außenpolitik seit 1945

AutorChristian Prosl, Franz Cede
VerlagStudienverlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl168 Seiten
ISBN9783706557542
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Was sind die außenpolitischen Interessen Österreichs und auf welche Weise werden sie verfolgt? Gibt es ein 'Alleinstellungsmerkmal' der österreichischen Außenpolitik, und wenn ja, wie wird es definiert? Das vorliegende Buch beschreibt prägnant und mitreißend die wichtigsten Themen der Außenpolitik der Zweiten Republik und gibt einen Einblick in die diplomatische Praxis. Es richtet sich an Leserinnen und Leser, die sich für internationale Fragen im Allgemeinen und für die österreichische Außenpolitik im Besonderen interessieren, und bietet einen höchst informativen und gut lesbaren Überblick über die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte - von der Wiedererrichtung des Auswärtigen Dienstes über Österreichs Rolle im 'Kalten Krieg' bis hin zu den Veränderungen seit dem EU-Beitritt. Die Beziehungen zu den direkten geographischen Nachbarstaaten werden dabei ebenso beleuchtet wie das ambivalente Verhältnis zu den USA und die Auswirkungen des Zerfalls der UdSSR. Die Autoren schöpfen aus der Erfahrung langjähriger Praxis im diplomatischen Dienst und möchten mit ihrer Analyse zu einem besseren Verständnis der Stellung des Landes im internationalen Kontext beitragen. Sie richten den Blick dabei nicht nur zurück in die Geschichte, sondern auf die Gegenwart und die Zukunft der österreichischen Außenpolitik und berücksichtigen vor allem die fundamentalen Veränderungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts, die Österreich vor völlig neue Herausforderungen stellen.

Die Autoren Bot. Franz Cede: Nach Absolvierung des Jusstudiums in Innsbruck und Auslandstudien in Paris, Bologna und Washington wurde Dr. Franz Cede 1972 ins österreichische Außenministerium aufgenommen. Dr. Cede war zunächst an den österreichischen Botschaften in Paris und Rabat eingesetzt. Er war später Botschafter in Zaire (Kongo), Generalkonsul in Los Angeles, Botschafter in Russland und zuletzt in Brüssel, wo er als österreichischer Botschafter in Belgien und bei der NATO beglaubigt war. In Wien war Dr. Cede von 1993 bis 1999 Leiter des Völkerrechtsbüros des Außenministeriums. Er ist Autor und Herausgeber einer Vielzahl von Publikationen im Bereich des Völkerrechts, des Europarechts und der internationalen Beziehungen. Er unterrichtete auch an der Diplomatischen Akademie in Wien und an der Andrassy Universität in Budapest. Bot. Christian Prosl: Nach Absolvierung des Jus- und Französischstudiums in Wien und am Institut de Hautes Etudes in Genf war Dr. Christian Prosl im damaligen Obervolta (heute Burkina Faso) und Ruanda im Rahmen des UN-Entwicklungsprogrammes UNDP im Einsatz. 1977 trat er in das Außenministerium ein, es folgten Verwendungen in London, Washington und Wien (Leiter der Koordinationsstelle im Generalsekretariat). 1991-1995 Generalkonsul in Los Angeles, danach Leiter der Abteilung für West- und Nordeuropa sowie Leiter der Rechts- und Konsularsektion in Wien. Von 2003 bis 2009 war er österreichischer Botschafter in Berlin, danach in Washington. Im Dezember 2011 Übertritt in den Ruhestand. Seit 2012 Präsident der Österreichischen Kulturvereinigung.

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Leseprobe

2. Die Wiedererrichtung Österreichs und des Auswärtigen Dienstes 1945


Neubeginn und materieller Wiederaufbau


Wir, die wir in Österreich seit 70 Jahren in Frieden leben, können uns nicht das Ausmaß der Zerstörung und Verängstigung im Jahre 1945 vorstellen. Mit der Kapitulation des Dritten Reiches ging der 2. Weltkrieg am 8. Mai 1945 zu Ende. Die Bilanz für Österreich war verheerend: An die 250.000 in die deutsche Wehrmacht eingezogene Österreicher kamen nicht mehr zurück, über 65.000 jüdische Österreicher waren ermordet worden, etwa 32.000 Österreicher waren in Gestapo-Haft oder in Konzentrationslagern umgekommen. Die Städte waren weitgehend zerstört, in Wien der Stephansdom ausgebrannt, die Oper und das Burgtheater schwer beschädigt. Die Infrastruktur war zusammengebrochen: Straßenbahnen verkehrten, wenn überhaupt, nur selten, es musste der Bauschutt auf den Straßen weggeräumt werden, der Zugsverkehr war behindert. Dazu kamen Hungersnot mit Hamsterkäufen bei den Bauern der Umgebung, ein strenger Winter, die Menschen froren mangels Heizmaterials und warmer Kleidung. 76.000 Wohnungen waren ganz, 100.000 teilweise zerstört. Es herrschte große Arbeitslosigkeit und ein nicht enden wollender Flüchtlingsstrom ergoss sich aus dem Osten. In der sowjetischen Besatzungszone fanden Entführungen, Raub und Vergewaltigungen statt.

Die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Österreichs war von den Alliierten als Folge der Moskauer Außenministerkonferenz bereits 1943 festgelegt worden. Die politischen Parteien SPÖ, ÖVP und KPÖ veröffentlichten am 27. April 1945 eine Unabhängigkeitserklärung, mit der die demokratische Republik Österreich wiederhergestellt und der »Anschluss« für null und nichtig erklärt wurde. Am gleichen Tag anerkannte die Sowjetunion die Provisorische Staatsregierung (Konzentrationsregierung aus SPÖ, ÖVP und KPÖ) mit Staatskanzler (= Bundeskanzler) Renner an der Spitze. Nachdem die Regierung um Mitglieder aus den westlichen Bundesländern erweitert worden war, folgte die Anerkennung durch die Westmächte. Am 13. Mai wurde die Rückkehr zur Bundesverfassung 1920 in der Fassung von 1929 (also der letzten vom bürgerlichen und vom sozialdemokratischen Lager gemeinsam verabschiedeten Verfassung) beschlossen.

Auf Basis eines britischen Vorschlages kam es zur Zoneneinteilung: Tirol und Vorarlberg bildeten die französische Zone, Salzburg und Oberösterreich mit Ausnahme des Mühlviertels die amerikanische, Osttirol, Kärnten und die Steiermark die britische und Niederösterreich und das Burgenland sowie das Mühlviertel die sowjetische Zone. Wien wurde ebenfalls in vier Zonen geteilt, der erste Bezirk wurde zum internationalen Sektor erklärt, dessen Verwaltung jeden Monat turnusmäßig auf eine andere Besatzungsmacht überging. Zwischen den Zonen gab es Kontrollpunkte, an einigen wurden Entlausungen vorgenommen.

Das »Erste Kontrollabkommen« vom 4. Juli 1945 gab jeder alliierten Macht ein Veto gegen vom österreichischen Parlament beschlossene Gesetze. Das »Zweite Kontrollabkommen« vom 28. Juni 1946, welches bis zum Tage des Inkrafttretens des Staatsvertrages als Grundlage des Besatzungsregimes diente, hob das generelle Einspruchsrecht der Alliierten auf: Die Zustimmung des Alliierten Rates galt als erteilt, wenn dieser nicht binnen 31 Tagen einstimmig Einspruch erhob. Diese für Österreich äußerst vorteilhafte Regelung erweiterte mit einem Schlag die Handlungsfähigkeit des Parlaments und der Regierung. Die wichtigste und dringendste Aufgabe war die schrittweise Instandsetzung der Infrastruktur, die Lösung der Versorgungsaufgaben und der Wiederaufbau des Staatsapparates. Dazu gehörte der Aufbau einer eigenständigen, d. h. von der deutschen unabhängigen, Wirtschaft sowie des Geld- und Kreditwesens. Das bedeutete u. a. die Loslösung aus dem Währungsbereich der Deutschen Mark sowie die Verabschiedung von zwei wichtigen Verstaatlichungsgesetzen, nicht aus ideologischen Gründen, sondern um die von Nazi-Deutschland übernommenen, ehemaligen österreichischen Unternehmen vor dem Zugriff der Alliierten zwecks Reparationen zu schützen. Die weitgehende Stabilisierung der österreichischen Wirtschaft wurde schließlich durch den Marshall-Plan (siehe Kapitel 4) erreicht.

Trotz der andauernden Schießereien und Plünderungen gelang es überraschend schnell, den Staatsapparat wieder aufzubauen. Durch die Säuberung der Beamtenschaft von Regimegegnern nach dem »Anschluss« gab es 1945 genügend politisch unbelastete und gleichzeitig erfahrene Beamte, die sich auch sofort zur Verfügung stellten.

Die Wiedererrichtung des Auswärtigen Dienstes


Um die österreichischen Interessen gegenüber dem Ausland effizient vertreten zu können, benötigte man so schnell wie möglich einen funktionierenden Auswärtigen Dienst. Das Außenministerium wurde zunächst, wie bereits zwischen 1923 und 1938, als eine Sektion des Bundeskanzleramtes errichtet. Bereits am 16. April 1945 kam es im Bundeskanzleramt zu einer Versammlung von etwa 30 bis 40 hohen und höheren Beamten, darunter bekannte Persönlichkeiten, die 1938 von den Nazis entlassen bzw. in den Ruhestand versetzt worden waren und nun wieder in den diplomatischen Dienst aufgenommen wurden, wie etwa der spätere Botschafter in Moskau Norbert Bischoff und die späteren Generalsekretäre Heinrich Wildner, Josef Schöner und Karl Wildmann, um nur einige zu nennen. Ihre Hauptaufgabe bestand zunächst darin, für die Instandsetzung der teilweise zerstörten Amtslokalitäten am Ballhausplatz zu sorgen. Am 30. April ernannte Karl Renner Heinrich Wildner, dessen Karriere im konsularischen Dienst der Monarchie begonnen hatte, zum Generalsekretär.

Die Zusammensetzung der aufgenommenen Gruppe von Diplomaten war eher traditionell: fast ausschließlich Juristen, viele Aristokraten, hauptsächlich Konservative, keine Frauen. Allerdings gab es auch Ausnahmen, wie etwa der originelle Karl Hartl, später erster österreichischer Vertreter in Israel und Botschafter in der Türkei, der trotz einfacher Herkunft, mangelnder Englischkenntnisse und sozialistischer Sozialisierung aufgrund seines Organisationstalents und seiner Loyalität zu Österreich auf Empfehlung von konservativen Kollegen aufgenommen wurde. Es zählte eben professionelle Qualität, Engagement und Verlässlichkeit.

Die Diplomaten formulierten die außenpolitische Doktrin der auch von den Alliierten vertretenen Okkupationstheorie, der zufolge Österreich während der »Anschluss«-Periode in rechtlicher Hinsicht nicht untergegangen war. Die Annexionstheorie, die vom rechtlichen Untergang Österreichs nach dem »Anschluss« ausging, war mangels internationaler Anerkennung einer Annexion Österreichs ohnedies nur eine rein theoretische Überlegung. Darüber hinaus war die Okkupationstheorie mit keinen Reparationsleistungen verbunden. Sie wurde im Juli 1945 vom Kabinettsrat (= Ministerrat) als offizieller Standpunkt der österreichischen Regierung angenommen. Die folgenden Monate dienten der Wiedererrichtung der wichtigsten österreichischen Vertretungsbehörden im Ausland, um so unterschiedliche Aufgaben zu übernehmen wie die Aufnahme und Repatriierung von Kriegsgefangenen, die Devisenbeschaffung durch Kredite, aber auch den Kauf von Amtsgebäuden und die Herstellung von Kontakten zu den lokalen Österreicher-Vereinen.

Die geistige Erneuerung


Am 8. Mai 1945 wurde das Gesetz über das Verbot der NSDAP erlassen und die Registrierungspflicht für Mitglieder der NSDAP eingeführt. Für besonders schwer belastete und illegale Nationalsozialisten wurden Zwangsentlassungen, Berufsverbote oder der Verlust von Pensionsleistungen verfügt, wobei diese Sühnegesetzgebung immerhin an die 550.000 Personen betraf. Die Hälfte von ihnen (darunter ein Viertel aller Staatsbeamten) verloren ihre Posten in Staat und Wirtschaft oder ihre Pensionsbezüge. Auch gegen etwa 100.000 Unternehmer wurde nach dem Wirtschaftssäuberungsgesetz verfahren. Von eigens dafür geschaffenen Volksgerichten wurde in über 28.000 Fällen Anklage erhoben, fast die Hälfte davon führte zu Schuldsprüchen, darunter 43 Todesurteile, von denen 30 vollstreckt wurden. Tausende ehemalige Nazis wurden inhaftiert, etwa in den Internierungslagern der Briten in Wolfsberg oder der Amerikaner in Glasenbach. Über 500.000 Personen wurde das Wahlrecht entzogen.

Allerdings bewirkten die Sühnegesetzgebung sowie der vorangegangene Aderlass durch erzwungene Emigration, Flucht, Ermordung, Kriegsgefangenschaft und Tod auf vielen Gebieten der Wirtschaft, Kultur und Verwaltung einen großen Mangel an erfahrenem Personal. Die wahlwerbenden Parteien erinnerten sich überdies daran, dass ehemalige NS-Mitglieder ein beträchtliches Wählerpotential darstellten, und etwa 90 % der vom Wahlrecht Ausgeschlossenen erhielten dieses für die Wahl 1949 wieder zurück.

In den folgenden Jahren wurden sowohl die österreichischen Behörden als auch die (West-)Alliierten bei der Entnazifizierung nachlässig: Die USA, die zunächst vehement für rigorose Maßnahmen eintraten, wollten verhindern, dass der UdSSR dadurch eine Gelegenheit geboten würde, sich in die inneren Angelegenheiten Österreichs einzumischen. Damit konnte aber auch die österreichische Regierung, die hauptsächlich aus Verfolgten des NS-­Regimes bestand, die »Opfertheorie« undifferenziert als Mittel der Abgrenzung von Deutschland und zur Förderung der österreichischen Identität verwenden. Für die österreichische Bevölkerung stellte sie wiederum ein bequemes Mittel der Exkulpierung für die Mitarbeit zahlreicher...

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