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E-Book

Anständig wirtschaften

Warum Ökonomie Moral braucht

AutorHans Küng
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783492951289
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Wer könnte diese drängende Frage besser beantworten als Hans Küng? Seit er 1990 ein gemeinsames Weltethos vorgeschlagen hat (die Übersetzung liegt in 22 Sprachen vor), beschäftigt er sich mit dem Problem des gerechten Wirtschaftens. Der Sozialismus ist abgewirtschaftet, der Kapitalismus steckt in einer Krise - gibt es einen dritten Weg? So einfach ist es nicht, sagt Hans Küng. Er fragt nach den Grundlagen der Globalisierung ebenso wie nach der moralischen Begründung des Gewinns und den wahren Kosten der Marktwirtschaft. So plädiert er für einen Wertekanon, der dem Einzelnen wie der Gesellschaft insgesamt sagen kann, was »anständig« ist in der Wirtschaft - und was nicht.

Hans Küng, geboren 1928 in Sursee/Schweiz, gestorben 2021 in Tübingen, war Professor Emeritus für Ökumenische Theologie an der Universität Tübingen und Ehrenpräsident der Stiftung Weltethos. Er galt als einer der universalen Denker seiner Zeit. Sein Werk liegt im Piper Verlag vor. Zuletzt erschienen von ihm »Was ich glaube« - sein persönlichstes Buch -, »Erlebte Menschlichkeit«, der dritte Band seiner Memoiren, sowie »Sieben Päpste« und »Glücklich sterben?«.

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Leseprobe

Plädoyer für Menschenanstand


Dieses Buch ist kein publizistischer »Schnellschuss«. Es war seit langem in Arbeit. Unter der Parole »Anständig wirtschaften« präzisiere, konkretisiere und aktualisiere ich eine Botschaft, die ich schon vor mehr als zwei Jahrzehnten zum ersten Mal formulierte, die aber in all den Jahren ständig an Dringlichkeit und Akzeptanz gewann und durch die Weltwirtschaftskrise seit 2008 aktueller denn je geworden ist.

Im Jahr 1990, als das Sowjetimperium implodierte und die Globalisierung sich so auf dem ganzen Globus ausdehnen konnte, hielt ich vor dem Plenum des Weltwirtschaftsforums in Davos den Vortrag »Warum brauchen wir globale ethische Standards um zu überleben?«. Noch im selben Jahr veröffentlichte ich das programmatische Buch »Projekt Welt­ethos« und schrieb es später fort in der Studie »Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft« (1997). Meine dort formulierten Analysen und Thesen konnte ich verschiedentlich testen, vor allem in einem Vortrag vor der International Confederation of Stock Exchanges in Kuala Lumpur 1998 (»Ethical Standards for International Financial Transactions«) und auf einem hochkarätigen Symposion der Stiftung Weltethos in Baden-Baden 2001 über »Globale Unternehmen und globales Ethos« (»Der globale Markt erfordert neue Standards und eine globale Rahmenord­nung«). All diese Studien und die Erfahrungen ungezählter Begegnungen und Diskussio­nen weltweit auf Kongressen und Expertentreffen in den Folgejahren brachte ich ein in den Prozess für ein Manifest »Weltethos – Konsequenzen für globales Wirtschaften«. Es wurde in den Jahren 2008/09 von einer Expertengruppe der Stiftung Weltethos unter Federführung des Konstanzer Wirtschaftsethikers Prof. Josef Wieland erarbeitet.

So habe ich all die Jahre hindurch versucht hinzuzulernen, um die hochkomplexe Welt der Wirtschaft zu verstehen. Doch bin ich mir meiner Grenzen stets bewusst geblieben:

Ich kenne mich selbstverständlich in der nationalen und internationalen Finanzwelt nicht aus wie ein Finanzminister, stehe aber auch nicht unter dem Zwang, eine in vielem anfechtbare Wirtschaftspolitik in einem Buch rechtfertigen zu müssen.

Ich bin kein Ökonom – diese Spezialisten wissen auf ihren jeweiligen Fachgebieten unendlich viel mehr als ich –, darf mir allerdings gestatten, aus einer breiteren historischen, philosophischen, theologischen Perspektive kritische Fragen auch an die Wirtschaftswissenschaft zu stellen.

Ich bin kein Banker, der sich in all den »strukturierten Finanzprodukten«, in Hedgefonds und Derivaten auskennen würde, muss freilich auch nicht die Legitimität neuerer Geschäftsmodelle der Finanzbranche verteidigen, welche die Weltwirtschaft in eine Krise gestürzt haben.

Und ich bin auch kein Unternehmer oder Manager, der in den oft komplexen Entscheidungen seines Berufsalltags die Verantwortung für Hunderte oder Tausende Arbeitsplätze trägt. Wohl aber sorge ich mich mit vielen Zeitgenossen um den Zustand unserer Welt und bemühe mich durch umfassende Lektüre und immer neue persönliche Gespräche um ein differenziertes Verständnis auch der Wirtschaftswelt.

 

Damit ist schon der Horizont aufgezeigt, vor dem ich für ein »anständig Wirtschaften« werben möchte. Man kann dieses Programmwort als Indikativ verstehen, als rein sachliche Aussage, aber auch als Imperativ mit Ausrufezeichen, als dringend gebotene Forderung.

Doch was verstehe ich unter »anständig«? Die heutige Wirtschaftssprache liebt Anglizismen und verharmlosende Euphemismen: »downsizing«, »outsourcing«, »sub-prime« (jetzt toxisch), »structured products« (verbriefte Sammelsurien), »financial industry« (keine bodenständige wertschaffende Industrie). Dagegen habe ich absichtlich das schlichte, beinahe altmodische Wort »anständig« gewählt.

»Anständig« hat noch immer einen guten Klang und weist zudem drei verschiedene Bedeutungsschichten auf:

  • »Anständig« kann als umgangssprachliches Synonym für »kräftig, beträchtlich, stark« verstanden werden (»Letzte­ Nacht war es aber anständig kalt!«). Im Sinn von »nachdrücklich, engagiert« kann es auch auf ein »anständiges« Wirtschaften angewandt werden.
  • »Anständig« kann vom äußeren Anstand oder Umgang her verstanden werden und meint dann »zufriedenstellend, durchaus genügend, ordentlich«. Zum Beispiel: »Dieser Geschäftsmann oder Angestellte hat stets anständige Arbeit geleistet.« Anständiges Wirtschaften meint hier ein korrektes, solides, legales wirtschaftliches Handeln.
  • »Anständig« kann vom inneren Anstand oder Charakter her verstanden werden und meint dann »sittlich einwandfrei, rechtschaffen, honorig, redlich«. Zum Beispiel: »Mein Wettbewerber ist ein höchst anständiger Mann, eine sehr anständige Firma.« Anständiges Wirtschaften meint dann nicht nur ein äußerlich korrektes, im Rahmen der Gesetze sich bewegendes Benehmen, das vielleicht nur auf äußerer Gewöhnung oder Umgang beruht, sondern ein von innerer sittlicher Grundhaltung getragenes, ethisches Verhalten, das rechtlich nicht erzwingbar und doch geschuldet ist. Moral kann durch Gesetze nicht erzwungen und erst recht nicht ersetzt, mangelnder Anstand nicht durch Vorschriften behoben werden.

Ich plädiere für Anstand in der Wirtschaft in diesem umfassenden Sinn, für »Menschenanstand«. Der deutsche Nobelpreisträger für Literatur Thomas Mann hat nach den Verbrechen des Nationalsozialismus dieses Wort für die Zehn Gebote gebraucht: sie seien »ein ABC des Menschenbenehmens«, ja »Grundweisung und Fels des Menschenanstands«. Wahrhaftig, die Zehn Gebote stellen den substantiellsten, markantesten Beitrag der Religion oder Kultur zu einem gemeinsamen Menschheitsethos dar. Thomas Manns Worte zitierte ich zum Abschluss meines Fernsehfilms »Spurensuche« über das Judentum (Erstsendung 1999) in Tel Aviv an der Stelle, wo 1995 der israelische Ministerpräsident Itzhak Rabin seinen Einsatz für Frieden und Versöhnung, niedergestreckt von einem fanatischen Israeli, mit dem ­Leben bezahlen musste. Meine Worte zum Gedenken: »Dieses ABC des Menschenbenehmens muss in der Zeit der Globalisierung gerade auch für Weltpolitik und Weltwirtschaft gelten … Natürlich hat auch die Weltwirtschaft sich zu richten nach bestimmten ökonomischen Gesetzlichkeiten und nach der Durchsetzbarkeit von all dem, was sie nun einmal zu leisten hat. Aber das heißt auch wieder nicht, dass der Profit, und sei er noch so gerechtfertigt, alle Mittel heiligt, auch Vertrauensbruch, auch unermessliche Raffgier und soziale Ausbeutung.«

 

Heute zu formulieren, worauf es in der Wirtschaft ankommt, heißt nicht, dass ich mich zum »Schiedsrichter« aufwerfen möchte für die zahllosen diffizilen Fragen des alltäglichen Wirtschaftens oder gar die Ökonomen Ökonomie lehren möchte; ich kenne meine Grenzen. Wohl aber beabsichtige ich einen bescheidenen Beitrag zu leisten zu einer Wiederentdeckung und Neubewertung des Ethos in der Wirtschaft; ich kenne auch meine Verantwortung. Dringend gefordert ist ein Umdenken in Richtung auf ein wieder anständigeres, von ethischen Prinzipien getragenes Wirtschaften.

Natürlich könnte man auch von der »Moral« in der Wirtschaft reden, wenn Moral als sittliche Haltung oder Normensystem und nicht als »Moralismus« oder »moralisieren« verstanden wird. Denn »moralisieren« oder »Moralismus« ist eine Überbewertung, Überforderung, Verabsolutierung der Moral, welche die Eigenständigkeit unterschiedlicher Lebens­bereiche wie Wirtschaft, Politik, Recht und Kunst missachtet. Sie will die Moral zum alleinigen Maßstab menschlichen Handelns machen und fixiert sich oft auf bestimmte Lebensbereiche (in der katholischen Hierarchie besonders die Sexualmoral).

Ich bin kein Moralprediger. Statt zu moralisieren möchte ich argumentieren, nicht von oben, sondern von innen und von unten, von der Empirie her, soweit wie mir möglich im Dialog mit der zuständigen Fachwissenschaft. So hoffe ich vermitteln zu können, dass es immanente und kohärente ethische Grundlinien gibt, und so Ökonomen, Politiker und alle Teilhaber am Wirtschaftsprozess zu überzeugen, dass die Sache der Wirtschaft und die Sache des Ethos nicht getrennt werden können.

Längst vor der Weltfinanz- und Wirtschaftskrise also ging es mir um das Ethos in der Wirtschaft und besonders in der Weltwirtschaft, die, wie die neuesten Erfahrungen bestätigen, ohne ein gemeinsames elementares Menschheitsethos womöglich in eine Katastrophe führen kann. Nein, ich behaupte nicht, dass ein Weltethos uns aus der weltweiten Krise herausführt, wohl aber, dass es ohne ein Weltethos keinen nachhaltigen Weg aus der Krise gibt.

Dazu soll auch das von der Stiftung Weltethos vorgelegte Manifest für ein Globales Wirtschaftsethos (»Global Economic Ethic – Consequences for Global Businesses«) helfen, auf das dieses Buch hinausläuft. Alle, die dieses Manifest vertreten, sind überzeugt, dass es dabei nicht um eine weltfremde »Utopie« geht, um ein Nirgendwo. Es geht vielmehr um eine sich langsam realisierende, also realistische Zukunftsvision, die sich unterscheidet von den buchstäblich heruntergewirtschafteten Fortschrittsideologien sozialistischer oder kapitalistischer Prägung, die im vergangenen Jahrhundert lange als »wissenschaftliche« Totalerklärungen und attraktive, »fortschrittliche« Pseudoreligionen dienten. Und ich glaube ebensowenig an eine »Erneuerung« des realen Sozialismus wie an eine »Erneuerung« des realen Kapitalismus.

Alles was in diesem Buch über die Problematik der Wirtschaft und Wirtschaftsgeschichte geschrieben ist, dient nicht einem rein...

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