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E-Book

Antoni Gaudí

AutorJeremy Roe
VerlagParkstone-International
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl316 Seiten
ISBN9781783106738
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,95 EUR
Antoni Gaudí (1852-1926), Architekt und Künstler aus Barcelona, nimmt einen bedeutenden Platz in der Geschichte der spanischen Gegenwartskunst ein. Sein Umgang mit Farbe, die Verwendung verschiedener Materialien und die Einführung von Bewegung in seine Konstruktionen sind Innovationen auf dem Gebiet der Architektur. Antoni Gaudí hat in seinen Notizbüchern viele seiner Überlegungen zu seiner Kunst festgehalten: 'Die Farbe in der Architektur muss intensiv, logisch und fruchtbar sein.' Indem er sich auf zahlreiche Photographien und detailgenaue architektonische Abbildungen stützt, ermöglicht der Autor Jeremy Roe eine Annäherung an den Kontext der barcelonesischen Kunst und präsentiert eine sorgfältig verfasste Kritik der Bauten, der Designobjekte und der Schriften des bekanntesten barcelonesischen Architekten, Antoni Gaudí. Dieses Ebook ist auch als Einführung für den Besuch von Gaudís Werk in Barcelona gedacht.

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Leseprobe

1. Park Güell, Trencadis-Mosaik auf der Bank.

 

 

Gaudí – eine Annäherung


 

 

Die wahre Bedeutung von Gaudís Architektur erschließt sich uns nur, wenn wir die verschiedenen Faktoren berücksichtigen, die sein Denken beeinflussten. Sein Familienhintergrund, seine Kindheit, sein Geburtsort und die Schulen, die er besuchte, der historische Kontext im Katalonien und Spanien seiner Zeit, seine Freunde und Bekannten – all dies bildet den Rahmen für die außergewöhnliche und eigenwillige Architektur von Antoni Gaudí i Cornet. Seine Persönlichkeit jedoch ist nur schwer fassbar. Dies hat mehrere Gründe.

Zum einen war er von seinem Wesen her schüchtern und zurückhaltend und hinterließ nur ganz wenige Dokumente, die uns einen Einblick in seinen Charakter gewähren. Er hütete seine Privatsphäre wie ein Heiligtum; deshalb wagt aus Gründen des Respekts auch der Historiker nicht, darin einzudringen und kann daher folglich auch keine Schlüsse ziehen. Diesen Mangel an “Beweisen” kompensieren die zahlreichen über Gaudí zirkulierenden Geschichten und Legenden. Es sind Erfindungen ohne jeglichen biographischen Wert, auch wenn sie auf die Öffentlichkeit einen großen Reiz ausüben, deren Hunger nach Einzelheiten - unabhängig von deren Wahrheitsgehalt - über das Leben berühmter Persönlichkeiten unstillbar ist. Unbedingt berücksichtigt werden muss auch Gaudís familiärer Hintergrund. Das Handwerk, das sowohl seine beiden Großväter als auch sein Vater praktizierten, übte auf den jungen Gaudí einen bleibenden Einfluss aus. Über mehr als fünf Generationen hinweg waren die Gaudís Kupferschmiede oder stellten als Böttcher die Fässer zum Destillieren des Alkohols aus den Trauben im Gebiet des Camp de Tarragona her.

Die dreidimensionalen Aspekte der gebogenen Formen dieser Fässer aus gehämmerten Kupferplatten prägten die Wahrnehmung des jungen Gaudí. Wie er selbst sagte, lernte er auf diese Weise, Körper im dreidimensionalen Raum und nicht als geometrische Formen auf einer Ebene zu sehen. Diese Visionen aus seiner Kindheit und aus der Werkstatt seines Vaters mit den bunt schillernden, plastischen Formen lebten in seiner Architektur weiter. Erzogen in einer christlichen Handwerkerfamilie, besuchte er die Piaristenschule in Reus, wo er eine breite humanistische Ausbildung genoss, die zweifellos eine wichtige Rolle bei der Ausprägung seines Charakters spielte. Hier entwickelte er seine Freundschaft zu Eduard Toda Güell, der in ihm das Interesse am Kloster von Poblet und an der katalanischen Geschichte weckte.

Die Stadt Reus war Mitte des 19. Jahrhunderts ein Zentrum politischer, radikaler und republikanischer Bewegungen. Obwohl Gaudí niemals den Wunsch hegte, sich aktiv an der Politik zu beteiligen (oder in der Tat an irgendetwas anderem als seiner ureigenen Art der Architektur), so ist doch offensichtlich, dass die starken Emotionen seiner Umgebung auf ihn abfärbten und er an den ernsthaften Schwierigkeiten, in denen sich das damalige Katalonien befand, teilnahm.

Seine Zeit als Student fiel in den letzten (dritten) der Carlistenkriege, und auch wenn er selbst nie aktiv an den Kämpfen teilnahm, so war er doch die ganze Zeit über mobilisiert. Als er später, während seines Architekturstudiums, in Barcelona durch seine Mitarbeit am Entwurf für die Cooperativa Mataronense, die erste kooperative Fabrik Spaniens, seine Solidarität mit der Arbeiterklasse unter Beweis stellte, setzte er damit einige der Ideen aus seiner Schulzeit in Reus in die Praxis um.

Reus und das unweit davon gelegene Dorf Riudoms, in dem er viele Sommer in einem kleinen, seinem Vater gehörenden Haus verbrachte, übten nicht nur durch den Charakter ihrer Bewohner, sondern auch durch die landschaftlichen und klimatischen Gegebenheiten einen starken Einfluss auf Gaudí aus. Die steinige, trockene, sich durch ein besonderes Licht auszeichnende Landschaft, in der Mandel- und Haselnussbäume, Johannisbrot- und Olivenbäume, Kiefern, Reben und Zypressen gedeihen und den Kulturlandschaften des italienischen Lazio oder des griechischen Peloponnes vergleichbar ist, eine Mittelmeerlandschaft par excellence, war für Gaudís Naturbetrachtungen ein idealer Ort.

Denn hier scheint die Sonne mit einer ungewöhnlichen Leuchtkraft, ihre Strahlen treffen die Erde in einem Winkel von 45 Grad und erzeugen ein wunderbares Licht. Hier, in dem von der Mittelmeersonne beschienenen Camp de Tarragona, offenbarte sich Gaudí die Wirklichkeit in all ihrer Schönheit und Wahrheit. Er selbst sah sich als einen getreuen Beobachter der Dinge in ihrem natürlichen Zustand. Seine ungeheure Phantasie wurde von seiner Fähigkeit genährt, die Wirklichkeit der Natur zu assimilieren, so, wie sie sich in der Sonne dieser wunderbaren Region enthüllte. Obwohl, wie wir wissen, selbst jene Sonne im Camp de Tarragona für uns alle und nicht nur für Gaudí, den Künstler, scheint, offenbart sie uns nicht das, was sie ihm offenbarte.

Damit kommen wir zu einem zweiten Faktor, Gaudís Beobachtungsgabe. Nicht zuletzt verdankte er sie wohl dem Umstand, dass er ein kränkelndes, an rheumatischem Fieber leidendes Kind war, so dass er an den Spielen der übrigen Kinder nicht teilnehmen konnte. Isoliert und auf sich allein gestellt, verbrachte er viele Stunden damit, die Natur um sich herum zu beobachten. Dabei entdeckte er, dass es unter den in der Natur vorkommenden unendlich vielen Formen einige gibt, die sich hervorragend als Strukturen, andere hingegen, die sich als Dekoration eignen. Gleichzeitig wurde ihm klar, dass Struktur und Schmuck in Pflanzen, Gestein und in der Tierwelt sich nicht gegenseitig ausschließen und dass die Natur strukturelle Formen hervorbringt, die sowohl vom statischen als auch vom ästhetischen Gesichtspunkt her vollkommen sind, auch wenn sie auf Funktionalität beruhen. Die Struktur eines Baumes und das Skelett eines Säugetiers haben keinen anderen Sinn als den Gesetzen der Schwerkraft - und damit den Gesetzen der Mechanik - zu genügen. Der Duft und die Schönheit einer Blume sind nichts weiter als der Mechanismus, um Insekten anzulocken und auf diese Weise die Fortpflanzung der Gattung zu sichern. Mit anderen Worten: Die Natur schafft wunderbar verzierte Gebilde ohne die geringste Absicht, Kunstwerke zu schaffen.

An dieser Stelle drängt sich noch eine weitere Überlegung in Bezug auf Gaudís Entwicklung als Architekt auf. Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass seine Vorstellung von Struktur durch die gehämmerten Kupferplatten in der Werkstatt seines Vaters geprägt worden war. Die Tatsache, dass unter seinen Vorfahren weder Maurer noch Architekten waren, hatte zur Folge, dass er von der Bürde der in Architektenfamilien dominierenden, über 3000 Jahre alten Architekturtradition unbelastet war. Im Verlauf ihrer Geschichte hat die Baukunst zahlreiche Wandlungen durchgemacht, viele sehr unterschiedliche Stile haben einander abgelöst.

Dennoch gründet die Architektur der Architekten seit den frühen Ägyptern bis zum heutigen Tag auf einfacher Geometrie, bestehend aus Linien, zweidimensionalen Figuren und regelmäßigen Polyedern, die mit Kreisen, Kugeln und Ellipsen kombiniert werden. Dieser Architektur lagen stets Pläne zu Grunde, Pläne die immer mit einfachen Instrumenten wie Zirkel und Zeichendreieck erstellt wurden, nach denen die Maurer dann arbeiteten.

Gaudí hingegen war sich bewusst, dass die Natur nicht von Zeichnungen ausgeht und für ihre wunderbar verzierten Strukturen auch keine Instrumente verwendet. Außerdem greift die Natur, die ja alle Formen der Geometrie abdeckt, nur in den seltensten Fällen auf die einfachste, in der Architektur aller Zeitalter jedoch häufigste Form zurück.

Ohne jegliche architektonische Voreingenommenheit und mit großer Bescheidenheit gelangte Gaudí zu der Ansicht, dass es nichts Logischeres gibt als das, was die Natur hervorbringt, die ja schließlich über Millionen von Jahren experimentierte, bis sie den Gipfel der Vollkommenheit erreichte. Er setzte alles daran, eine für architektonische Konstruktionen einsetzbare Geometrie zu entdecken, die ihren Ursprung in der Natur- und Pflanzenwelt hat. Dabei bezog er sowohl Flächen- als auch Volumengeometrie in seine Forschungen ein, doch um seinen Gedankengängen besser folgen zu können, werden wir uns diesen beiden gesondert zuwenden.

Es ist eine wohlbekannte Tatsache, dass der Bogen als eine Entwicklung des Sturzes, angeordnet als Gewölbeformstein, schon in den frühen asiatischen Kulturen und auch von den Etruskern verwendet und später von den Römern übernommen wurde. Die Bögen der antiken Baukunst waren im Grunde Halbkreis- oder Segment-, elliptische oder Korbbögen. Wenn in der Natur ein Bogen spontan entsteht, etwa in einem Fels durch Winderosion oder Steinsturz, hat er weder eine Halbkreis- noch eine andere Form, wie sie die Architekten mit ihrem Zirkel zeichnen.

Nein, die natürlichen Bögen sind parabolische oder Kettenlinienbogen. Merkwürdigerweise wurde der Kettenlinienbogen, der spiegelbildlich dem Verlauf einer frei von zwei Punkten hängenden Kette folgt und über ausgezeichnete, bereits gegen Ende des 17. Jahrhunderts bekannte mechanische Eigenschaften verfügt, kaum jemals von Architekten eingesetzt. Beeinflusst von jahrhundertealter, sich an den mit dem Zirkel gezeichneten Formen ausrichtender Tradition, konnten sie dieser Bogenart nichts abgewinnen, sondern fanden sie eher hässlich.

Gaudí jedoch hielt diesen spontan in der Natur auftretenden Bogen für mechanisch optimal; nach seinem Empfinden musste er auch der schönste sein, da er in funktioneller Hinsicht...

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