Wir leben im digitalen Zeitalter
Das Smartphone ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Egal, ob erst seit kurzer Zeit dabei oder ob mit dem Display in der Hand groß geworden – Sie gehören zu den 49 Prozent der Bevölkerung, die regelmäßig ein Smartphone nutzen. Und damit sind Sie im Grunde rund um die Uhr mit dem Internet verbunden. Sie nutzen Nachrichtendienste, um Freunden zu texten, informieren sich über die neuesten Nachrichten, checken Ihre E-Mails, posten Urlaubsfotos oder Kuriositäten aus dem Büroalltag auf Facebook oder verabreden sich mal eben schnell mit Freunden oder Kollegen über WhatsApp. In der Bahn zeigen Sie dem Zugbegleiter auf Ihrem Smartphone Ihr elektronisches Ticket, am Flughafen nutzen Sie die elektronische Bordkarte zum Reiseantritt. Und die ganz Versierten überweisen noch eben die ausstehende Rechnung über das kleine Ding in der Hosentasche.
Die überwiegende Mehrheit der Deutschen nutzt Bonusprogramme. Gegen die Preisgabe der Einkaufsdaten erhält man Vorteile, z. B. in Form von Sonderangeboten oder Prämien.
Wahrscheinlich nehmen Sie auch an einem der unausweichlichen Bonusprogramme teil. Ob Rewe, Bahn, Payback oder Miles & More, überall winken Vergünstigungen und besserer Service im Gegenzug für – ja, wofür eigentlich? Im Gegenzug dafür, dass Sie Ihre Daten zur Verfügung stellen. Sie bezahlen all diese Dienstleistungen mit Informationen über sich. Diese Unternehmen wissen, wo Sie sich aufhalten, sie kennen Ihre Vorlieben und Ihr Einkaufsverhalten, schneidern Ihnen individuelle Angebote: So passen sie ihr Warensortiment und ihre Werbung ständig an die Bedürfnisse ihrer Kunden an. Oder sie verkaufen ihren Werbekunden ihr Wissen über uns. Mit diesen passgenauen, auf uns Kunden individuell zugeschnittenen Angeboten wollen alle Beteiligten ihre Verkaufschancen erhöhen, was sonst?
Aber verbessern sie damit nicht auch aus unserer Sicht als Kunden das Angebot und erleichtern unser Leben? Es spart Zeit und Nerven, wenn ich schneller finde, was ich eigentlich suche. Und wenn der Supermarkt sein Sortiment tatsächlich auch nach meinen Bedürfnissen erweitert, etwa indem meine bevorzugte Sorte Pastatomaten vorrätig ist, dann erspart mir das den Weg in andere Geschäfte, zu denen ich sonst nur für diesen einen Artikel extra fahren würde – wertvolle Zeit, die sinnvoller eingesetzt ist mit der Familie, einem guten Buch oder einem Museumsbesuch. Das stete Bestreben der Unternehmen, bei denen ich kaufe, mehr über mich und meine Vorlieben zu erfahren, ihr unstillbarer Datenhunger, verbessert so am Ende das Angebot für mich und macht mein Leben komfortabler. Ein guter Deal? Für die meisten scheinbar ja, denn sie schlagen ja sprichwörtlich ein.
Zugegeben, das alles ist vielleicht eine eher amerikanische Sichtweise auf die Dinge. Aber Hand aufs Herz: Wie oft bestellen Sie bei Amazon, Zalando, Otto oder der Online-Apotheke? Wie oft am Tag suchen Sie bei Google schnell die Informationen, die Sie gerade brauchen? Haben Sie schon einmal einen Musiktitel bei iTunes oder einem anderen Musikdienst gekauft? Oder nutzen Sie Netflix & Co., um die neuesten Serien zu schauen? Wollten Sie sich dem ständigen Austausch und Sammeln Ihrer Daten entziehen, müssten Sie so ziemlich auf all das verzichten. Das Leben wäre ohne Zweifel mühsamer, komplizierter und wahrscheinlich auch teurer. Wie viele DVDs, CDs, Lexika und Bücher müssten wir kaufen und zu Hause stehen haben, um offline aus der gleichen Fülle an Songs, Filmen und Informationen schöpfen zu können?
Unsere Daten sind überall
Dieser Blick auf die Dinge geht in der deutschen Debatte rund um Datenschutz und Privatsphäre leider zu oft unter. »Meine Daten gehen niemanden etwas an« – diese Aussage mag unter heftigem Nicken reflexhafte Zustimmung ernten, hält in ihrer Absolutheit der Überprüfung in der Realität aber in den wenigsten Fällen stand. Kaum einem Menschen dürfte bewusst sein, wie anders sein Leben aussähe, würde er tatsächlich konsequent die alleinige Hoheit über seine Daten zum Maßstab seines Handelns machen. Mit einem solchen Vorhaben verhielte es sich ähnlich wie mit dem schnell gemachten Vorsatz, nur noch Lebensmittel aus regionaler Erzeugung zu konsumieren. Im Winter gäbe es Kohl, Kartoffeln und viele eingelegte, weil auf diese Weise haltbar gemachte Lebensmittel, Paprika und Orangen nur noch wenige Wochen im Jahr. Südfrüchte, Bananen, Asia-Pfanne, die Tomaten im Döner und vieles andere mehr, das wir wie selbstverständlich jederzeit verfügbar haben wollen, wäre dann vom Speiseplan gestrichen.
Alles Quatsch? Nein, dieses Beispiel verdeutlicht nur, wohin absolut gesetzte Postulate führen. Der Ausweg? Es gibt nicht wenige, die ihr alltägliches Tun einfach von den Forderungen und Ansichten trennen, die sie im Allgemeinen gern vertreten. Dieser Schizophrenie wollen wir uns aber nicht anschließen. Wie so oft ist der gesunde Mittelweg die Lösung. Es gilt, unsere Bedürfnisse als Kunde und Verbraucher in Balance zu bringen: Die nach möglichst großem Komfort und möglichst gutem Service mit der Hoheit über unsere Daten. Aber das wird nur gelingen, wenn wir endlich ein weniger verkrampftes Verhältnis zum Umgang mit dem Thema Daten entwickeln – ohne darüber die Sensibilität für das Bedürfnis nach Datenschutz und -sicherheit zu verlieren.
Daten sind der Rohstoff der Zukunft
Warum haben eigentlich so viele digitale Unternehmen aus den USA einen nahezu uneinholbaren Vorsprung gegenüber dem Rest der Welt? Amazon, Apple, Facebook, Google und Co. sind Erfolgsgeschichten. Sie sind in kurzer Zeit weltweit expandiert. Und hätten sich allesamt so aus Deutschland heraus nicht entwickeln können. Da spielen sicher viele Faktoren eine Rolle. In den USA ist es leichter, an Wagniskapital auch in größeren Summen zu kommen, Universitäten und Unternehmertum sind enger verzahnt, der von Anfang an deutlich größere Heimatmarkt bringt enorme Vorteile und grundsätzlich gibt es eine andere Mentalität in Bezug auf Gründen, Scheitern und Die-Welt-verändern-Wollen. Aber ein anderer, unverkrampfterer Umgang mit Daten ist ohne Zweifel auch einer der ganz entscheidenden Punkte.
Kurz gesagt: Unternehmen in den USA können erst einmal Berge von Daten ihrer Kunden sammeln und auf der Grundlage von Datenauswertungen nach und nach neue Geschäftsmodelle oder ein neues Produkt entwickeln. Das deutsche Datenschutzrecht schreibt dagegen vor, dass man Daten nur mit der ausdrücklichen Zustimmung des Kunden zu einem bestimmten, vorher definierten Zweck sammeln darf. Nur für diesen Zweck dürfen sie gespeichert und verarbeitet werden und müssen unaufgefordert wieder gelöscht werden, wenn dieser Zweck erfüllt ist. Der deutsche Ansatz mag Datenpuristen besser gefallen. Wahr ist aber auch, dass er es unseren Unternehmen unendlich viel schwerer macht, mit ihren amerikanischen Wettbewerbern mitzuhalten. Denn die deutschen Gründer und Entwickler haben ja nicht schlechtere Ideen, sie haben nur datenschutzrechtlich schon von Anfang an den schwereren Start. Und den meisten Kunden ist es am Ende egal – sie nutzen munter Facebook, Instagram, Google & Co, weil es so schön bequem ist und sie nicht ständig irgendwelche Datenschutzerklärungen akzeptieren müssen. Ihre Daten liegen dann allerdings in den USA.
In Zeiten der Digitalisierung wird eine gute Datengrundlage immer wichtiger. Auch in der klassischen Industrie – Stichwort »Industrie 4.0«, also der Verzahnung der Produktion mit Informations- und Kommunikationstechnologie – sind Daten der entscheidende Baustein, um Prozesse zu optimieren, um besser und zielgerichteter produzieren zu können. Auf den Kunden zugeschnittene, »personalisierte« Produkte können nur dann hergestellt werden, wenn der Hersteller weiß, was eben dieser Kunde sich wünscht. Nicht anders sieht es im Handel aus: Der entscheidende Vorteil der Online-Händler liegt nicht darin, dass sie durch eine geschickte Einkaufspolitik immense Lagerkosten sparen können, sondern in der Möglichkeit, ihre Kunden direkt anzusprechen und ihnen Empfehlungen zu geben, die auf einer entsprechenden Nutzung von Daten basieren. Die Anbieter wissen quasi schon vorher, was ihre Kunden wollen. Wenn Sie auf der Website eines Online-Händlers Sätze lesen wie: »Aufgrund Ihrer bisherigen Einkäufe empfehlen wir Ihnen …« oder »Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, interessierten sich auch für …«, dann steht dahinter die algorithmische Auswertung der Einkäufe und des Stöberns auf der Website von einer Vielzahl von Kunden. Solche Online-Empfehlungen können natürlich die fachliche Beratung vor einem Produktkauf nicht ersetzen, aber für die Warenpräsentation steht hier ein wesentlich größeres, nach den individuellen Bedürfnissen gestaltetes »Schaufenster« zur Verfügung, als es in einem aus Stein gebauten Kaufhaus jemals möglich wäre.
Auch bei der Planung von Infrastruktur, etwa beim öffentlichen Personennahverkehr und Anschlussangeboten wie beispielsweise Car-Sharing oder Rent-a-Bike, sind Nutzerdaten äußerst hilfreich. Wo müssen welche Fahrzeuge stehen, welche Bahnen verkehren, damit sie auch genutzt werden? Oder nehmen Sie das Beispiel der Energiewende: Der Plan, Tausende kleine Kraftwerke in der Fläche – also beispielsweise auch die Solaranlage auf Ihrem Hausdach – so miteinander zu vernetzen, dass es trotz des Verzichts auf Großkraftwerke nicht zu Stromausfällen kommt, erfordert eine erhebliche Menge an Daten. Dazu gehören auch individuelle Verbrauchsdaten, auf deren Grundlage dann das ganze System gesteuert wird. Das Stromnetz kann so auch effizienter betrieben werden, weil große Teile des Stroms nicht mehr praktisch nutzlos produziert werden, wenn man nicht genau...