2 Zentrale Konzepte und Entwicklungsstufen
Inhalt
Der folgende historische Überblick vermittelt, mit welchen unterschiedlichen Konzepten und Maßnahmen die im vorangehenden Kapitel genannten Ziele und Kriterien verfolgt wurden. Sie lernen dazu die zentralen Konzepte und ihren jeweiligen historischen Kontext kennen. Zentrale Themen sind der Taylorismus und der Bürokratieansatz als Organisationskonzepte, Ergonomie und Eignungsdiagnostik als Konzepte zur gegenseitigen Anpassung von Mensch und Arbeit sowie der Human Relations Ansatz, der die sozialpsychologische Perspektive in den Vordergrund stellt. Abschließend werden Ansätze dargestellt, die die motivationale Bedeutung des Arbeitsinhalts in den Mittelpunkt stellen.
Die historische Perspektive hilft, die Entstehung und Entwicklung der unterschiedlichen Zugänge vor dem Hintergrund ihres sozioökonomischen Kontexts mit den jeweils damit verbundenen Menschenbildern zu verstehen. Die historische Systematik bedeutet jedoch nicht, dass »ältere« Paradigmen nicht mehr aktuell sind, oder nicht von Zeit zu Zeit wieder neu entdeckt werden. Einige der in dieser Übersicht angesprochenen Themen wie z. B. die Eignungsdiagnostik oder Führung werden nur kurz angerissen und an späterer Stelle ausführlich behandelt, um den historischen Überblick nicht zu überfrachten.
Die mittlerweile 100 jährige Geschichte der Arbeits und Organisationspsychologie lässt sich nach Volpert (1985) in vier Stufen unterteilen. In den ersten drei Stufen geht es um die Frage, wie Mensch und Arbeit optimal aufeinander abgestimmt werden können.
Dabei handelt es sich um:
- den Taylorismus,
- die individualwissenschaftliche Stufe und
- die gruppenwissenschaftliche Stufe.
Das geschieht durch eine wechselseitige Anpassung. Das bedeutet einerseits, dass die Arbeitsbedingungen und die Organisation der Arbeit an die menschlichen Erfordernisse angepasst werden, und andererseits, dass der Mensch z. B. durch Auswahl, Training und Anreizsysteme an die Erfordernisse der Arbeit angepasst wird. Da es lediglich um eine Optimierung der Passung zwischen Mensch und Arbeit im Sinne von Ausführbarkeit, Schädigungsfreiheit und Zumutbarkeit geht und keine weitergehenden Ziele verfolgt werden, ordnet Volpert die zugrunde liegenden Fragen der sogenannten engeren Fragestellung zu. Wird jedoch ein weitergehender Anspruch verfolgt, wie es bei der Persönlichkeitsförderlichkeit oder Gesundheitsförderlichkeit der Fall ist, wird der enge Rahmen der wechselseitigen Optimierung verlassen. Die damit erweiterte Fragestellung bezieht sich nämlich nicht nur auf den Menschen an seinem Arbeitsplatz, sondern auf seine gesamte Persönlichkeit. Hierzu gehört auch die Frage, welche Arbeitsbedingungen sich langfristig positiv auf die Persönlichkeit und die Gesundheit auswirken. Die vierte Stufe, in der diese Fragen thematisiert werden, bezeichnet Volpert als
- die aktionswissenschaftliche Stufe.
2.1 Taylorismus
Beim Taylorismus handelt es sich nicht um einen psychologischen Ansatz im eigentlichen Sinne. Daher lässt sich dieser Ansatz im Stufenmodell der Entwicklung eher als Vorstufe bezeichnen und markiert die Pionierzeit der Arbeitspsychologie. Dieser Ansatz ist von besonderer Bedeutung, weil die folgenden Stufen zum Teil aus der kritischen Auseinandersetzung und Abgrenzung zum Taylorismus entstanden sind und tayloristische Formen der Arbeitsorganisation auch heute noch verbreitet und aktuell sind. Bei dem Fordismus und dem Bürokratieansatz handelt es sich um verwandte Konzepte, die ebenfalls unter dieser Perspektive vorgestellt werden.
2.1.1 Wissenschaftliche Betriebsführung zur Überwindung der Klassenkonflikte
Zu Beginn des letzten Jahrhunderts war die Industrialisierung bereits recht weit fortgeschritten und befand sich im Übergangsstadium zur mechanisierten Massenproduktion. Allerdings wurde sie begleitet durch heftige Auseinandersetzungen zwischen Kapital und Arbeit. Die wirtschaftliche Entwicklung und der zu erwartende Wohlstand schienen immer wieder durch Streiks und heftige Auseinandersetzungen in Gefahr zu geraten. Je mehr die eine Seite versuchte, durch Ausbeutung, Hungerlöhne und schlechte Arbeitsbedingungen auf Kosten der Arbeiter Profit zu machen, umso mehr setzten diese sich durch Leistungszurückhaltung, Streik und Sabotage zur Wehr, was wiederum die Unternehmer zu harten Reaktionen provozierte (blutige Niederschlagung von Streiks, Aussperrung, Einsatz von Streikbrechern, Gewerkschaftsverbot).
Diese unproduktive Dynamik bedeutete aus Sicht von F. W. Taylor (1856 1915) eine ungeheure Verschwendung von gesellschaftlichen Ressourcen und gefährdete unmittelbar den Wohlstand. Seine Idee war, das Konfliktpotenzial und die zugrunde liegenden Interessengegensätze zwischen Kapital und Arbeit durch eine wissenschaftliche Lösung, den »Principles of Scientific Management«, zu überwinden (Taylor, 1913/1977). Durch die Befolgung der »Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung« wird nicht nur eine maximale Produktivität erzielt, sondern auch die kräftezehrende Auseinandersetzung überflüssig. Die Wissenschaft als objektive, neutrale Instanz sorgt für einen rationalen, fairen Ausgleich, von dem nach Taylors Überzeugung beide Seiten und letztlich die Gesellschaft durch höhere Produktivität profitieren.
Die Vorteile für die Arbeiter bestehen nach Taylors Vorstellungen darin, dass sie keine Ausbeutung mehr befürchten müssen, da die Leistungsforderungen und Löhne fair und objektiv ermittelt werden. Durch die Produktivitätssteigerung können sie sogar Lohnzuwächse und mehr Wohlstand erwarten. Die Vorteile für die Unternehmen liegen vor allem in der Produktivitätssteigerung und in der Reduzierung des Konfliktpotenzials durch eine wissenschaftliche Legitimation des Managements.
Wodurch kann nun die Produktivität konkret gesteigert werden?
2.1.2 Die Prinzipen der wissenschaftlichen Betriebsführung
Auf den durch Arbeitsteilung zu erzielenden Produktivitätszuwachs hatte bereits Adam Smith (1776) in seinem Buch »Der Wohlstand der Nationen« hingewiesen: »Sie [die Stecknadelherstellung] zerfällt vielmehr in eine Reihe getrennter Arbeitsgänge, die zumeist zur fachlichen Spezialisierung geführt haben. Der eine Arbeiter zieht den Draht, der andere streckt ihn, ein dritter schneidet ihn, ... so waren die Arbeiter imstande, täglich etwa 48 000 Nadeln herzustellen, jeder also 4800 Stück. ... hätten sie indes alle einzeln und unabhängig voneinander gearbeitet, ... so hätte der einzelne gewiss nicht einmal 20 ... zustande gebracht«. Die Grundidee des Taylorismus besteht auf einer konsequenten Fortführung des Prinzips der Arbeitsteilung (allgemeine Partialisierung) durch die Trennung von Hand und Kopfarbeit innerhalb einer Aufgabe (spezifische Partialisierung). Dabei übernimmt das Management jegliche Kopfarbeit (Ziele formulieren, Entscheidungen treffen, planen etc.) und die Arbeiter übernehmen die Handarbeit (manuelle Ausführung). Durch die hohe horizontale und vertikale Spezialisierung können die einzelnen Aufgabenteile leichter analysiert und optimiert werden.
Waren die einzelnen Arbeitenden bislang die »Experten« für Ihren Arbeitsplatz und ihre Arbeit, soll diese Expertise nun aus den Köpfen der Arbeitenden »extrahiert« und vom Arbeitsbüro analysiert werden, um dann die optimale Lösung zu ermitteln. Die Arbeitenden selbst sind nach Taylors Meinung mit dieser Aufgabe überfordert. Die optimale Lösung wird dann für alle als verbindliche Norm bzw. Vorschrift vorgegeben. Der einzelne Arbeitnehmer braucht sich nun keine Gedanken zu machen, wie er die Aufgabe am besten erledigt, und das Management kann sicher sein, dass an allen Stellen optimal gearbeitet und nirgends Leistung bewusst zurückgehalten wird. Die optimale Gestaltung und Organisation der Arbeit wird durch das Arbeitsbüro gewährleistet.
Wie wird nun die optimale Lösung oder »One best way« ermittelt? Als Erstes werden die Ausführungsschritte einer Arbeit in möglichst kleine Schritte zerlegt, um dann in Zeit- und Bewegungsstudien zu analysieren, welche Variante die beste ist. Als Zweites wird untersucht, ob es noch weitere Möglichkeiten der Optimierung bei den Abläufen oder bei den Arbeitsmitteln gibt. Das Ergebnis mündet als Normierung und Standardisierung in einer exakten Vorschrift, die künftig von allen Arbeitenden genau zu befolgen ist und die bei Bedarf weiter verbessert werden kann. Wenn an einem Arbeitsplatz nur eine Teilaufgabe zu erledigen ist, entfallen auch die Verrichtungen, die sonst mit dem Übergang bzw. dem Wechsel von einer Aufgabe zu einer anderen (Aufgabenübergang) verbunden sind (Standortwechsel, Werkzeugwechsel). Entsprechend kann auch die Ausstattung des Arbeitsplatzes mit Werkzeug und Material reduziert werden.
Beispiel
► Taylor erläutert die Vorgehensweise zur Optimierung wie folgt:
- Man suche 10 oder 15 Leute, die in der speziellen Arbeit, die analysiert werden soll, besonders gewandt sind.
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