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Archäologie der Medienwirkung. Faszinationstypen von der Antike bis heute

AutorMartin Andree
VerlagWilhelm Fink Verlag
Erscheinungsjahr2005
Seitenanzahl598 Seiten
ISBN9783770541607
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis45,00 EUR

Woher rührt die universale Faszination an Medien, die sich gegen die Evidenz durchsetzt, daß Bilder, Texte und Filme nie mehr sein können als bloße Zeichen? Exakt aus dieser Irritation heraus muss der Frage, wie Medien wirken, zunächst ein warum vorangestellt werden: Warum also gelingt es den Zeichen, sich zur Suggestionskraft des Wirklichen aufzuschwingen? Und wie erzeugen Medien das Phantasma eines Mehrwerts, welches uns veranlasst, nicht Zeichen zu decodieren, sondern Stimmen zu hören oder an Gefühlen zu partizipieren? Anhand einer historisch breiten Materialanalyse unterschiedlicher medialer Faszinationstypen wird das Feld der Medienwirkungsforschung neu erschlossen.

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Leseprobe

III. Geheimnis: Der Reiz des Mysteriösen (S. 156-157)

Uns fesselt keineswegs nur das Ähnliche, und je mehr Hieroglyphe, desto beharrlicher das Deutenwollen.
Das große Geheimnis ist allen offenbart, und bleibt ewig unergründlich.

1. Der Mythos des Geheimnisses: Von Schleiern und Schwellen (Exodus)

Die Programmatik der Ähnlichkeit erzeugt die Faszination einer virtuellen Welt. Ein typischer Exponent der heutigen Mediologie ist das Fernsehen. Seine bewegten Bilder simulieren die Gegenstandswelt und lassen Rezipienten in den Zustand der Illusion verfallen: Sie vergessen für Augenblicke, daß sie es nur mit Bild-Zeichen zu tun haben. Die Suggestionskraft der Bilder ist so stark, daß man die Zuschauer bisweilen beinahe erinnern muß: „Es ist doch nur ein Film."

Genau diese Wirkungsmacht der Bilder wird dann auch oft von der Kulturkritik als Gefahr dargestellt. So ist die diesbezügliche Ablehnung des Fernsehens ein regelrechtes Stereotyp: Die Bild-Zeichen der Filme seien nur oberflächlich, sie lullten den Rezipienten bloß ein. Die Rezeptionsweise der Illusion wird dann auch diskriminiert: Typischerweise sind es (wie schon bei Platon) die Kinder oder die Dummen, die auf die oberflächliche Bilderwelt hereinfallen. Selbstverständlich handelt es sich bei solchen Parolen um Reflexe einer ästhetisch-elitaristischen Auffassung. Sie eignen sich jedoch perfekt, um das Gegenstück zur Rezeptionsweise der Ähnlichkeit herauszuarbeiten. Denn neben der Suggestionskraft virtueller Welten wird ein ganz anderer Faszina tionstyp sichtbar. Im Gegensatz zum ‚flachen‘ und ‚oberflächlichen‘ Genuß von Bildern profiliert sich eine Rezeptionsweise, die in die Tiefe des Texts eindringt. Sie ist nicht nach dem Medienkonsum abgeschlossen, sondern aufgrund der Unergründlichkeit des Texts eine unendliche Aufgabe. Sie vollzieht sich nicht in der fraglosen Transparenz bildlicher Welten, sondern liegt immer ein wenig im Dunkel, im Nebel, erweist sich als schwierig. Die Rede ist von der Lektüre des Geheimnisses, dem Komplement zur Lektüre der Ähnlichkeit. Weil Ähnlichkeit und Geheimnis als Faszinationstypen oft in Konkurrenz zueinander stehen, ist die gegenseitige Kritik vorprogrammiert — kein Wunder also, daß der Literat die ‚naive‘ Illusion der virtuellen Welten ablehnt. Auch in ganz anderen diskursiven Umfeldern tauchen ganz ähnliche Abgrenzungen auf. Schreiten wir auf der Zeitachse um etwa 1600 Jahre zurück, findet sich folgende Passage in Augustinus’ De doctrina Christiana (397/426):

da diese [die Heiden] ja von Menschenhand gemachte Bilder für wirkliche Götter hielten, so wurden sie (dem Heiligen Geiste) nicht so nahestehend befunden. [...] Das gebe ich allerdings zu, daß noch tiefer diejenigen Menschen gesunken sind, welche Werke aus Menschenhand für Götter halten [die Heiden], als diejenigen, die wenigstens Werke aus Gotteshand für solche halten [die Juden]. [...] Unter einem Zeichen dient nämlich derjenige, der irgendeiner etwas bezeichnenden Sache dient oder sie verehrt, ohne zu wissen, was sie eigentlich bezeichnet. [...] es [verrät] aber knechtische Schwäche [...], [...] die Zeichen für die durch sie bezeichneten Dinge zu nehmen

Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
I. Einführung: Die Wirkungsmacht der Medien8
1. Fragestellung (1): Warum wirken Medien?8
2. Forschungsstand16
3. Fragestellung (2): Ähnlichkeit, Geheimnis, Unmittelbarkeit, Ursprung, Authentizität21
4. Methodik27
5. Von den drei Arten, dieses Buch zu lesen32
II. Ähnlichkeit: Der Reiz der Simulation34
1. Der Mythos der Ähnlichkeit: Rezeptionsweisen der Täuschung34
(34
2. Theorien des Bildes (PEIRCE/ GOMBRICH/ ECO/ AUERBACH)42
3. Prototypen der Simulationstheorie (PLATON / ARISTOTELES)58
4. Lektüren der Betrachtung (PSEUDO-BONAVENTURA / CAIMI)86
5. Rezeptionsweisen der Illusion (MENDELSSOHN / LESSING)102
6. Schlechte und gute Ähnlichkeit: Kopie und Ideal ( WINCKELMANN)118
7. Die Nachahmung des Subjekts (MORITZ / SCHLEGEL)136
8. Fazit und Ausblick: Virtuelle Realitäten (152
III. Geheimnis: Der Reiz des Mysteriösen157
1. Der Mythos des Geheimnisses: Von Schleiern und Schwellen157
(157
2. Der Reiz der Tiefe (AUGUSTINUS)174
3.204
Der sprechende Kosmos, 1 (OHLY / FOUCAULT)204
4. Rezeptionsweisen der Neugierde: Die Entstehung der Fiktionalität ( DAMPIER/ DEFOE)210
5. Über Spannung und Lesesucht (LA ROCHE/ HOFFMANN)252
6. Die Wiedergeburt des Geheimnisses im Geiste der Kunst ( GOETHE)282
7.315
Der sprechende Kosmos, 2 (NOVALIS)315
8. Fazit und Ausblick: Vom Tod der Tiefe (318
IV. Unmittelbarkeit: Der Reiz des Erlebens336
1. Unmittelbarkeit zwischen Ähnlichkeit und Geheimnis336
2. Gottunmittelbarkeit: Von Gesichten und Visionen (SEUSE / BRENTANO)340
3. Herzensunmittelbarkeit: Empathie und Rührung (HERDER)366
4. Ausblick (381
V. Ursprung: Der Reiz des Archaischen393
1. Ursprung zwischen Ähnlichkeit, Geheimnis, Unmittelbarkeit393
(393
PLATON)393
2. Die Wiederkunft des Sinns (NOVALIS)407
3. Ausblick (HITLER /424
VI. Authentizität: Der Reiz des Echten433
1. Echt oder gefälscht? (WOLFRAM433
ESCHENBACH)433
2. Die Entstehung des Originals (YOUNG)462
3. Ausblick (487
VII. Fazit (PASCHASIUS RADBERTUS)502
VIII. Literaturverzeichnis517
1. Quellen517
2. Darstellungen526
IX. Abbildungsnachweise578
Umschlagabbildungen:578
Abbildungen im Text:578
X. Nachbemerkung582
XI. Register583
1. Personenregister583
2. Sachregister589

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