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Aufklärung in München

Schlaglichter einer Aufbruchszeit

AutorManfred Knedlik
VerlagVerlag Friedrich Pustet
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl152 Seiten
ISBN9783791760506
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die Kultur- und Geistesbewegung der Aufklärung im München des 18. Jahrhunderts - getragen von Gelehrten, Beamten, Geistlichen und durch den Staat unterstützt - hat tiefe, mitunter bis in die Gegenwart nachwirkende Spuren hinterlassen. Das Bestreben nach Veränderung und Verbesserung durchdrang die unterschiedlichsten Lebensfelder, die vielfachen und vielgestaltigen Maßnahmen der Modernisierer zielten auf einen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, pädagogischen und soziokulturellen Fortschritt. Manfred Knedlik spürt der Geschichte des Aufklärungsprozesses sowie seinen Höhepunkten nach und stellt wichtige Medien und Protagonisten der Aufklärung in der kurfürstlichen Haupt- und Residenzstadt vor.

Manfred Knedlik, M. A., geb. 1961, ist freier Lektor, Autor und Lexikonredakteur; zahlreiche Buchveröffentlichungen zur bayerischen Literatur- und Kulturgeschichte vom 16. bis zum 18. Jahrhundert.

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Leseprobe

„Platz machen dem Licht in Verstand und Herz“: Aufklärung in München – ein verkanntes Phänomen


Mit der ‚Aufklärung‘ – wie immer man dieses Phänomen definieren mag – gewann im 18. Jahrhundert eine Geistesbewegung an historischer Relevanz, die in dieser großen Umbruchphase der europäischen Geschichte nachhaltig auf die unterschiedlichsten Lebensfelder einwirkte. Das ‚Zeitalter des Lichts‘, wie sich der Begriff metaphorisch umschreiben lässt, bemühte sich um neue Wege, die unterschiedlich – evolutionär wie revolutionär – beschritten wurden. Zum leitenden Postulat erhoben wurde der Herrschaftsanspruch der Vernunft. Sie erlaube ein Urteil ‚über Gott und die Welt‘, und sie ermögliche dem ‚Erleuchteten‘ oder ‚Aufgeklärten‘, gestaltenden Einfluss auf die eigene oder die gesellschaftliche Lebenswirklichkeit zu nehmen. Einen vernunftphilosophischen Gebrauch des Wortes ‚Aufklärung‘ lässt in Deutschland bereits der erste einschlägige Beleg (Kaspar Stieler, „Teutscher Sprachschatz“, 1691) mit der Verbindung „Aufklärung des Verstandes“ erkennen. Durch die Entwicklung des geistigen Wahrnehmungs- und Reflexionsvermögens sollte ein wie immer gearteter ‚Fortschritt‘ befördert werden. Der Gewinn von neuen, klaren Erkenntnissen oder Einsichten vollzog sich über die Kritik oder im Sprachgebrauch der Zeit: den ‚vernünftigen Zweifel‘. Die Kritik griff auf vielerlei Bereiche aus: auf Religion und Theologie, auf Staat und Gesellschaft, auf Literatur und Kunst. Zuallererst ging es um die kritische ‚Prüfung‘ jeglicher Tradition und Autorität, um die Bekämpfung von Vorurteilen, Aberglauben, Schwärmerei und so weiter.

Die Frage nun, ob das Kurfürstentum Bayern oder wenigstens seine kunst- und kulturbeflissene Haupt- und Residenzstadt München an den geistigen Strömungen des (Aufklärungs-)Zeitalters teilhabe, wurde von der überwiegenden Mehrzahl der zeitgenössischen Publizisten und Reiseschriftsteller aus dem mittleren und nördlichen Deutschland vehement verneint. Ein prägnantes – und wirkungsmächtiges – Beispiel bietet Friedrich Nicolais „Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781“, die aus aufklärerischer Perspektive einen kritischen Blick auf die politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Zustände im katholischen Süden richtete. Der Berliner Verleger erkannte in München durchaus Fortschritte in Fragen der Aufklärung, abgestoßen fühlte er sich hingegen von Bigotterie, „mechanischen Andachtsübungen“ und „katholischem Aberglauben“, überhaupt von einem zu starken Einfluss der Kirche auf Schule und Bildung. Auch Reisende wie Johann Kaspar Riesbeck oder Wilhelm Ludwig Wekhrlin zeichneten ein ähnliches Negativbild, und der 1786/87 in München lebende Schriftsteller Carl Ignaz Geiger fand im Kurfürstentum „tiefe Barbarey“ verbreitet, die er vor allem dem Wirken der Mönche anlastete. Um Objektivität bemühte Urteile bildeten die Ausnahme. Nach Meinung eines württembergischen Geistlichen, der 1789 die Eindrücke seiner „Reisen durch das südliche Teutschland“ schilderte, verdienten die Bayern „die abscheulichen Beschreibungen, und den Lärm, den neuere Reisende und Beobachter von ihnen gemacht haben, nicht ganz“, jedoch polemisierte auch er gegen das „Pfaffenvolk, die Feinde des Lichts“, die fortschrittlich gesinnten Männern „die Fackel der Aufklärung mit ihrem Unflath ausgelöscht hätten“.

Verfehlt wäre es allerdings, die Wahrnehmungen der reisenden Publizisten – mitunter entgegen ihren eigenen Ankündigungen – als Tatsachenberichte zu lesen und das komplexe Wechselverhältnis von Fremd- und Selbstwahrnehmung außer Acht zu lassen. Häufig reagieren die auswärtigen Autoren nicht vorurteilsfrei auf das Fremde, dem sie begegnen, häufig vermischen sich – aus ihrer subjektiven Sicht heraus – Fakten mit Fiktionen. Auch in Bayern selbst waren im 18. Jahrhundert kritische Stimmen über den geistigen Entwicklungsstand zu vernehmen. Wiederum aber gilt es zu bedenken, dass diesen Schilderungen gleichfalls eine subjektive Wahrnehmungsweise eingeschrieben ist. Die vorgeblichen Berichterstatter sind alles andere als unvoreingenommene Gewährsmänner, auch sie können sich nicht von stereotypen Bildern und Vorstellungen befreien; ein prominentes Beispiel bietet Johann Pezzls „Reise durch den Baierischen Kreis“ von 1784, die zu einer polemischen Generalabrechnung mit südlicher Rückständigkeit gerät. Realistischer, wenngleich in ein Spiel literarischer Fiktion eingebettet, wirkt eine Einschätzung Lorenz von Westenrieders, des bedeutendsten, produktivsten und vielseitigsten Aufklärers im alten Bayern. Eingestreut in seinen empfindsamen Roman „Geschichte der schönen Bürgerstochter von München“ (1780) sind einige Briefpassagen, die ein Bild der kulturell-intellektuellen Entwicklung der Stadt und ihrer Einwohner um 1780 zeichnen. Erwähnenswert findet Westenrieder die Spannung zwischen Verkrustung und Erneuerung: „München ist eine der prächtigsten, schönsten Städte in Deutschland, und sie wird dir gewiß eine der merkwürdigsten und lehrreichesten auf allen deinen Reisen verbleiben. Hier leben Menschen aller Arten … Du wirst darinn die kühnste Freyheit im Denken, Reden, und Schreiben, eine Freyheit, deren nur selten ein Land genüßt, und zugleich die eingeschränktesten Köpfe mit engen Herzen; Aufklärung und Unwissenheit; das hartnäckigste Verharren, und Hangen an alter Sitte, und Tracht, und das Nachäffen jeder ausländischen Mode; gesellige Lebensart der großen Welt, und blöden steifen Hauszwang wahrnehmen.“ Spürbar wird – natürlich, ist man geneigt zu sagen – in dieser Passage die Ernüchterung und Enttäuschung des Modernisierers über die allzu langsamen Fortschritte auf geistigem Gebiet, und doch gelingt die Wendung zur objektivierenden, nicht normativ wertenden Darstellung einer komplexen Wirklichkeit. Klarsichtig erfasst Westenrieder die sehr eigene Physiognomie Münchens zwischen den Polen Tradition und Innovation, zwischen Beschränkung und Freiheit – und das ohne Rückgriff auf gängige Klischees und Vorurteile.

Dass Westenrieder die sozialen, kulturellen und religiösen Verhältnisse in seiner Vaterstadt immer genau beobachtet und registriert hat, zeigen seine Tagebuchaufzeichnungen, vor allem auch seine große, zusammenhängende „Beschreibung der Haupt- und Residenzstadt München (im gegenwärtigen Zustand)“ von 1782. Zwar kann die Stadttopografie den aufklärerischen Blickwinkel nicht verleugnen, doch ist insbesondere der Versuch einer volkskundlichen Charakteristik nicht von jenem intoleranten Unverständnis für katholische Frömmigkeit geprägt, das in vielen Reisebriefen von (meist protestantischen) Besuchern Münchens begegnet. Im Gegenteil: Mit seiner Kritik an der staatlichen Einschränkung des Fronleichnamsfestes einiger „zufälliger Mißbräuche wegen“ nimmt der bayerische Aufklärer sogar eine aufklärungskritische Position ein. Gegenüber radikalen Forderungen nach einem Verbot solcher Bräuche und Feste hält er diese Erscheinungsform der Volksfrömmigkeit als unverzichtbar für die menschliche Herzensbildung; das ritualisierte, sinnliche Kirchenfest sei ein „Beweis von einer tiefen Versunkenheit des Verstands und des Gefühls“ und bringe in besonderer Weise die religiös geprägte Kultur des katholischen Bayern zum Ausdruck.

Damit ist die Frage nach dem Stellenwert der Religion aufgeworfen. Nach Kants berühmter, vielzitierter Formulierung aus seiner Abhandlung „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ von 1784 wurde die Befreiung des Menschen aus der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“, die der Gebrauch des Verstandes ermöglichen würde, insbesondere durch „Religionssachen“ behindert. Auch in der katholischen Welt gab es ein Bekenntnis zu aufgeklärten Zielen, auch hier folgerte die Anwendung der Vernunft auf Religion und Gesellschaft – die schrankenlose Autonomie der Ratio konnte jedoch nicht das Leitbild sein. Westenrieders zitierte Absage an die rationalistische Einschränkung des Menschen auf seine Verstandestätigkeit ist dafür ein signifikanter Beleg. Trotz aller Religionskritik blieb ein geistiger Bezug zum Christentum bestehen. Auch der schärfste Religionskritiker war „insofern noch immer religiös, als er die Religion wichtig genug fand, um sie zu kritisieren“ (Harm Klueting). Grundziel in Bayern und anderswo im Süden wurde, Aufklärung und Katholizismus zusammenzuführen. In der Sonderform der katholischen Aufklärung leistete der oberdeutsche Raum in einer eigenen, moderaten, oftmals auch nur rezeptiven Weise einen Beitrag zur allgemeinen Fortschrittsbewegung des 18. Jahrhunderts.

In der überregionalen (Aufklärungs-)Forschung werden diese Prozesse – noch immer – nicht in erwünschtem Ausmaß zur Kenntnis genommen, zahlreiche Überblicksdarstellungen zur deutschen Kulturgeschichte übergehen sie gänzlich, um eine vermeintliche Randerscheinung nicht überzubetonen. Dabei hat insbesondere die bayerische Landesgeschichte seit Jahrzehnten mit gründlichen Studien zu diesem Themenfeld die Voraussetzungen für eine Neubewertung geliefert und mit Nachdruck den Blick auf den gewichtigen Beitrag des Südens zur ‚modernen‘ Kulturentwicklung des 18. Jahrhunderts zu lenken versucht. Die bestimmenden Namen auf diesem Gebiet der Kulturgeschichtsforschung in Bayern wurden Max Spindler, Andreas Kraus, Ludwig Hammermayer, Richard van Dülmen und Alois Schmid.

Dass das Kurfürstentum Bayern, zumal seine Haupt- und Residenzstadt München als geistiges Zentrum des Landes, keineswegs jener finstere und abergläubische Hort der Reaktion war, wie die kritischen ‚Beobachtungen‘ der reisenden Publizisten und Literaten suggerieren, ist durch die Schrift- und Sachüberlieferung vielfach zu belegen....

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