3. Was Gerichte entschieden haben
Vorausgeschickt sei zunächst, dass eine Durchsicht der in der juristischen Literatur veröffentlichten Entscheidungen praktisch ergebnislos war. Es wurden in den letzten Jahren wenige Fälle veröffentlicht 4 , in denen es um die Haftung eines Jugendgruppenleiters ging. Lediglich für Sportvereine gibt es einige neue Entscheidungen. Einerseits ist dies natürlich erfreulich; andererseits muss auf die umfangreiche Literatur für die Haftung der Eltern zurückgegriffen werden.
Geht es um die Haftung gegenüber einem Dritten (nicht gegenüber dem Betreuten), kann man die Haftung eines Leiters nicht höher ansetzen als jene der Eltern (OLG Koblenz VersR 1995/50).
Schon 1984 4a hat der BGH dies wie folgt definiert:
„Das Maß der gebotenen Aufsicht bestimmt sich nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes sowie danach, was Jugendbetreuern in der jeweiligen Situation zugemutet werden kann. Entscheidend ist, was ein verständiger Jugendbetreuer nach vernünftigen Anforderungen unternehmen muss, um zu verhindern, dass das Kind selbst zu Schaden kommt oder Dritte schädigt.“
8- bis 9-jährige Kinder dürfen auch einmal in einem Bereich spielen, der nicht unter ständiger Aufsicht steht, wenn keine besonderen Gefahren drohen. Schließlich müssen sie „Neuland entdecken“ dürfen (BGH NJW 1984/2574 und BGH 24.3.2009 – VI ZR 199/08). Selbst „milieugeschädigte“ 9- bis 13-jährige Kinder aus einem Heim müssen nicht „auf Schritt und Tritt“ beobachtet werden (BGH NJW 1997/2047).
Die diesbezügliche Entscheidung des BGH (NJW 1976/1684) 5 dürfte wohl überholt sein, da heute das Anzünden eines Grillfeuers mit Spiritus angesichts besserer Methoden als fahrlässig gilt. Außerdem wissen erfahrene Jugendleiter, dass man Grill- und Lagerfeuer gut und billig mit alten Eierkartons anzünden kann. Das muss dann aber ein 12-jähriger Junge, wenn er ausreichend unterwiesen ist, auch ohne Aufsicht erledigen können.
Wurde ein 15-jähriger Schüler eingehend (über die Gefahren beim Umgang mit Feuer) belehrt, bedarf es auch dann keiner besonderen (über das Maß der üblichen Sorgfalt hinausgehenden) Aufsicht, wenn sich schon früher ein Fehlverhalten ereignet hatte (OLG Düsseldorf VersR 1999/363).
Das Feuer muss vollständig gelöscht werden. Deshalb ist es wichtig, genug Wasser mitzubringen. Schüttet nach Verlassen der Feuerstelle ein (nicht zur Gruppe gehöriges) Kind eine brennbare Flüssigkeit in noch vorhandene Glut, besteht Haftungsgefahr (OLG Schleswig VersR 2003/82). Aber auch das Kind kann mitschuldig sein (im Schadensfall 9 Jahre alt). Das OVG Koblenz (Bestätigung von VG Koblenz 5K 1334/07) hat 2009 einen 14-jährigen Jungen dazu verurteilt, die Kosten der Feuerwehr (10 000,– Euro) zu zahlen, weil er grob fahrlässig einen Brand verursacht hat. Gleichzeitig hat das Gericht zu erkennen gegeben, dass es den Jungen auch verurteilt hätte, wenn er erst 12 Jahre alt gewesen wäre. Damit muss somit auch ein Leiter rechnen!
Ist ein Kind bereits durch „Zündeln“ aufgefallen, sind an die Aufsichtspflicht hohe Anforderungen zu stellen, sonst haften die Eltern (OLG Nürnberg 28.11.2000 – 3 U 2441/00). Ein „braves, 11 Jahre altes Kind“ (das noch nie gezündelt hat), muss jedoch in dieser Hinsicht nicht besonders beaufsichtigt werden, weshalb die Eltern für das Schadensfeuer nicht haften (OLG Zweibrücken 28.9.2006 – 4 U 137/05).
Ein unbeabsichtigter Schaden, der bei einer „spielerischen Rangelei“ entsteht, löst keine Schadensersatzpflicht aus (allerdings für Erwachsene entschieden: LG NJWRR 1993/1498). Das LG Coburg (33 S 54/07) hat einen 10-Jährigen nicht zum Schadensersatz verurteilt, weil er beim Spiel im dunklen Keller einen gleichaltrigen Kameraden verletzt haben soll.
Eine „Steine-Schlacht“ dagegen muss der Leiter auf jeden Fall unterbinden (BGH NJW 1972/40). Ebenso darf er nicht dulden, dass mit Gummi und Papier „geschossen“ wird. Auch ein 13-jähriger Junge hat zu wissen, wie gefährlich das ist, und haftet, wenn etwas passiert – auch wenn er das Opfer nicht treffen wollte (LG Trier 3 O 209/02). Grundsätzlich muss der Leiter einen 13-Jährigen – sofern dieser allgemein belehrt wurde, auf Mensch und Tier nicht mit Steinen oder Ähnlichem zu werfen oder mit der „Zwille“ zu schießen – nicht immer wieder, sondern nur auf einen gegebenen Anlass hin speziell erneut ermahnen (OLG Schleswig VersR 1999/193).
Stehen nach einer Fete noch Trinkgläser auf dem Tisch und die Kinder beginnen, mit Tennisbällen aufeinander zu werfen, muss der Leiter dies zumindest so lange unterbinden, bis die Gläser beseitigt sind (OLG Celle NJWRR 1987/1384). Bei weniger gefährlichen Spielen wäre das Belassen der Gläser auf dem Tisch nicht grundsätzlich fahrlässig.
Bei einer Gruppe von 8- bis 12-jährigen Kindern im Freibad muss nicht jedes einzelne Kind unter ständiger Kontrolle stehen, auch dann nicht, wenn einige nicht schwimmen können. Es genügt, dass der Gruppe insgesamt geboten worden ist, nur das Nichtschwimmerbecken zu benutzen, und eine im Verhältnis zur Kinderzahl ausreichende Zahl von Leitern vorhanden ist, welche die Gruppe insgesamt überwacht. Wird eine Rutsche benutzt, sollte ein Leiter oben eine zu dichte Folge verhindern und ein zweiter unten die rutschenden Kinder überwachen (OLG Koblenz VersR 1995/50). Dabei ist beachtlich, dass eine solche Rutsche nicht eigens von einem Bademeister überwacht werden muss (OLG Celle – 8 W 66/06: Hinweisschild genügt), sodass den Leiter eine erhöhte Aufsichtspflicht trifft.
Auf einer Rutsche (Spielplatz) müssen 6- bis 7-jährige Kinder, die vorher eindringlich über die richtige Benutzung dieses Spielgeräts (nur einzeln rutschen!) belehrt wurden, nicht ununterbrochen beaufsichtigt werden (OLG Koblenz VersR 1989/485). Steht die Rutsche auf einem Spielplatz und kann man von ihr mehr als einen Meter tief „abstürzen“, darf unten kein Steinboden sein, sonst haftet der Spielplatzbetreiber (OLG Köln VersR 2002/448). Am Ende der Rutsche darf die „Fallhöhe“ nicht größer als 30 cm sein!
Eine Hüpfburg (z. B. beim Pfarrfest) muss ständig überwacht werden, wobei besonders verhindert werden muss, dass die Kinder die Wände erklettern, um sich von dort herunterzustoßen (LG Köln – 3 O 271/00 und später OLG Köln – 3 U 89/08).
Spielt die Gruppe Minigolf, muss an jeder Spielstation ein Leiter unmittelbar anwesend sein, wenn die Kinder nicht älter als 12 Jahre sind, um zu verhindern, dass beim Ausholen mit dem Schläger Verletzungen entstehen. Es genügt nicht, dass der Leiter ca. 100 m entfernt steht und von dort aus die Gruppe insgesamt überwacht (OLG Frankfurt NJW RR 2008/975). Nach Ansicht des Verfassers wiederum eine „ergebnisorientierte“ Entscheidung, da nur so das betroffene Kind (von der Versicherung) Ersatz für einen Zahnschaden erhalten konnte. Sollte allerdings – was nicht klar ersichtlich war – der Veranstalter des „Sportcamps“ gewerbsmäßig tätig gewesen sein und seine Trainer bezahlt haben, wären die strengen Anforderungen zu rechtfertigen. Dennoch sollten auch Jugendgruppen diese Entscheidung beachten mit der Folge, dass alle Kinder an einer Spielstation zusammenbleiben müssen, wenn nur ein Leiter vorhanden ist.
Bleibt die Gruppe (alle ca. 15 Jahre alt) über Nacht in einer Gemeinschaftsunterkunft, ist der Veranstalter schuldig und zum Schadensersatzverpflichtet, wenn kein Betreuer über Nacht bleibt. Dies gilt insbesondere, wenn in der Ausschreibung nächtliche Betreuung zugesichert war. Es muss damit gerechnet werden, dass entgegen der Weisung Alkohol im Übermaß ins Spiel kommt und dann ein Teilnehmer Schaden nimmt. Ganz besonders, wenn die Umstände dafür sprechen, dass vor dem Schadensfall ein derartiger Lärm war, den ein im Haus anwesender Betreuer anlässlich der erforderlichen Kontrolle unbedingt gehört hätte und dann den Schaden hätte verhindern können. Fallbeispiel: Die Leiterin verließ das Haus gegen 23 Uhr; anschließend Saufgelage, ein Mädchen stürzte ab und verletzte sich (OLG Hamm VersR 1996/1513).
Übernachtet die Gruppe in einem Hotel im Ausland, erfordert der Umstand, dass die Jugendlichen dort in fremder Umgebung mit fremden Leuten untergebracht sind, eine besondere Sorgfalt bei der Belehrung und Überwachung (LG Landau/Pfalz – 1 S 43/99).
Übernachtet die Gruppe erstmals auf einem Bauernhof, ist eine eingehende Belehrung über die dort drohenden Gefahren (insbesondere die Feuergefahr) geboten, da der Leiter damit rechnen muss, dass die Teilnehmer noch nie einen Bauernhof betreten haben und dessen typische Gefahren nicht kennen (OLG München VersR 1998/723). Vorschlag: Der Bauer soll die Gruppe belehren.
Hat die Gruppe abends Kerzen angezündet, muss der Leiter dafür sorgen, dass diese gelöscht werden, bevor die Gruppe schlafen geht.
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