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E-Book

Aus dem Bilderbuch meines Lebens

Vollständige Ausgabe

AutorFranz Keim
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl146 Seiten
ISBN9783849629076
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Dies ist die Autobiografie des 1918 verstorbenen österreichischen Schriftstellers.

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Leseprobe

 

Wehe dem Kunstjünger, der diese Marktschreier mit den berechtigten, wahren Führern der Kunst verwechseln würde!

 

Ebensogut wie heute gab es auch damals angemaßte und selbstbewußte Scheingrößen. Die wahren geistigen Führer, stolz auf sich selbst zurückgezogen, wie Grillparzer, vom Lebenskampf erschöpft oder krank, wie Otto Ludwig, von der Dummheit der Öffentlichkeit nicht begriffen, von der Gemeinheit der Gegner mit Unflat beschmutzt, von den Witzblättern in den Kot gezogen, wie der große, heute die ganze Welt beherrschende Richard Wagner – solche Führer waren nur in weniger Menschen Geist lebendig. –

 

Wien, das liebe, oberflächlich lustige, börsenspielvergiftete, seiner alten Schlichtheit beraubte, von keinem eigenen, ursprünglichen Ideal belebte, von Tag zu Tag weiterduselnde Wien, tanzte beim Maskenspiel und sang in allen Gassen Offenbachs:

 

"Ich bin der Pascha von Rhododendron,
Bin ein Lichtentaler Hausherrnsohn!"

 

Ich darf wohl sagen: das Herzweh und die Empörung gegen diese ideallose, für mich trostlose Welt hat mich zum Dichter gezwungen.

 

Hatte ich bisher alle Eingebungen glücklicher Augenblicke mutlos von mir gewiesen, alle flüchtigen Pläne im Joche des Alltags vergessen, mich selbst im Hochmut der Verzweiflung grausam verleugnet, so brach jetzt – nach der Vergiftung meines Amtskollegen, wie ich bereits angedeutet – plötzlich und allgewaltig die Macht der Poesie aus mir hervor.

 

Auf den Bänken des Volksgartens, besonders unter der alten Platane, nahe dem Theseustempel, überfiel mich förmlich das Fieber der Konzeption meiner "Sulamith". Es überfiel mich so plötzlich, daß von einer Planskizze des Stückes, einer vorhergesehenen Gliederung der Handlung bei dieser Schnellgeburt meiner Phantasie anfangs gar keine Rede war. Um nicht die überschwengliche Stimmung wieder, wie so oft, zu verlieren, hielt ich das Allerlebendigste fest, das mir auf meinen einsamen Wandelgängen blitzschnell aufleuchtete. Und dieses Lebendigste, das ich fliegend und abgerissen niederschrieb, war die Verzweiflung und der Todessprung der Sulamith. Mit Staunen erkannte ich, als ich es wieder las, daß ich da das Fragment, ja den Abschluß einer Tragödie in Händen hatte, einen fünften Akt, wenn ich so sagen darf, der halbausgesprochen, dunkel angedeutet, die Elemente seiner noch ungeschriebenen Vorläufer vollständig in sich enthielt. Als ich kurz darauf, ganz gegen meine sonstige und bis heute noch festgehaltene Gewohnheit, das Fragment einem befreundeten Landsmann mitteilte und dieser ohne mein Wissen dasselbe dem Germanisten der Hochschule, Professor Dr. Tomaschek mitteilte, der es lobte, aber dazu die Bemerkung machte, ein dramatisch Veranlagter hätte nicht bloß ein Finale, sondern etwas Ganzes, ab ovo erschaffen müssen, da erwachte in mir das fröhliche Gefühl meiner Kraft und ich vollendete, streng nach dem Gesetze der Entwicklung der Charaktere und der jetzt in Hellem Lichte mir aufgehenden Handlung, tapfer von rückwärts nach vorwärts arbeitend, den 4., den 3., den 2. und endlich den 1. Akt. Welch ein Gefühl der Freude, als mein Schmerzenskind nun vollendet vor mir lag! – Aber wie viele Berge gab es da noch zu übersteigen! In wessen Hand sollte ich es legen? Wo den Direktor finden, der sich Zeit nahm, das Stück zu lesen, der bereit war, es auf die Bühne zu bringen?

 

Laube stand damals zwar nicht mehr im Zenit seiner Macht; er war im Burgtheater durch Dingelstedt ersetzt, auf dem Umwege über Leipzig wieder nach Wien gekommen und hatte die Leitung einer neugegründeten Bühne, des auf seine Anregung hin entstandenen Wiener Stadttheaters übernommen. Es sollte eine Trutzanstalt gegenüber dem Burgtheater werden. An Laubes Arbeitskraft hat es nicht gefehlt. Aber das Haus krankte im vorhinein an seiner materiellen Gründung. Die Aktionäre hatten sich ganze Sitzreihen frei vorbehalten. Mit der Kasse stand es bedenklich; das Haus war belastet, und die Künstler, unter welchen sich allererste Talente hervortaten, konnten in ihrer Gesamtheit die damals noch ungebrochene Phalanx der Größen des Burgtheaters nicht in den Schatten stellen, so geschickt auch Laube die große Presse für sein Haus zu interessieren wußte. So kam das Jahr des großen Börsenkrachs heran, der vollends alles erschütterte und Laube zwang, die schlüpfrigste Mache der Pariserbühnen und die in Berlin emporgekommene, neue, streberische Mittelmäßigkeit in seinen Spielplan vorwiegend einzustellen. Alles zusammen keine Ermunterung für den alten Bühnenleiter, das eben schüchtern eingereichte Schauspiel eines von niemand gekannten, von keiner Seite befürworteten Romantikers auch nur zu lesen, geschweige denn einer praktischen Beachtung zu würdigen.

 

Aber darin unterschied sich der Alte von seinen Gegnern wie ganz besonders von seinen Nachfolgern, daß er – bei all der schweren Not der Zeit – trotz aufgezwungener Zugeständnisse an den Tag, sein dramaturgisches Gewissen unverdrossen sich bewahrte, und Neuheiten gegenüber, die nicht der Schablone anzugehören schienen, niemals fragte: wer steht hinter dem Werke und dem Autor? sondern: ist es gut oder schlecht gemacht?

 

Und so kam es, daß nach allerdings langem Zögern, langem Zweifeln und nicht geringen Bedenken wegen der Kosten der Ausstattung des orientalisch kolorierten Stückes, er mir die Annahme zusagte, allerdings mit dem Beding, daß ich noch recht viel Geduld haben müßte, bis eine Aufführung zu ermöglichen sei.

 

Ein junger Schauspieler, Alexander Rosen, dem Laube besonderes Vertrauen schenkte (er mußte die Stimme des Publikums bei jeder Erstvorstellung im Theater erlauschen und den Alten informieren) vermittelte die Botenberichte des damals oft sehr übelgelaunten Bühnenlenkers an mich.

 

Während ich so zwischen Furcht und Hoffnung schwebte, schien plötzlich das ärgste Unheil eingetreten zu sein. Die Finanznot und Laubes Zank mit den Hauptaktionären veranlaßte den alten Herrn auf ja und nein von der Leitung des Stadttheaters zurückzutreten. Rosen brachte mir die Hiobspost. Ein Brief Laubes teilte mir mit, daß er die Tragödie mit einer eigenhändig geschriebenen Empfehlung und Einleitung der Buchhandlung Rosner zum Drucke übergeben habe.

 

So erschien 1875 mein Erstlingswerk als Buch.

 

Im Oktober dieses Jahres trat meine Berufung ins Lehramt ein, ich schied von Wien nach St.-Pölten.

 

Neue Pflichten, ein neuer Lebenskreis, frische Luft, kleinstädtische Behaglichkeit, eine freie Natur, drollige, mitunter urwüchsige Gesellschaft, vor allem sehr viel Arbeit umgab mich.

 

Menschenbeobachtung, mit Seele, Aug und Stift, gab mir in kurzer Zeit die verlorene Heiterkeit.

 

Mein Anstaltsdirektor, Wilhelm Henke, ein gewissenhafter, herzensguter, höchst feinsinniger Mann, der mir in jeder Weise den Uebergang vom Phantasten zum vorschriftumgürteten, inspektionsbedrohten Schulmann aufs liebevollste erleichterte, behandelte mich wie ein Freund und Vater.

 

Meine Kollegen waren berufseifrige, friedfertige Gesellen – wenn sie nicht am grünen Tisch saßen, in der Konferenz, wo der Ehrgeiz des Fachmännischen und die Pünktlichkeit des Pädagogischen zu meinem Erstaunen oft die sanftesten Lämmer in Tiger und Leoparden gegeneinander verwandelte, wenn es sich um die richtige Erklärung einer etwas dunklen höheren Vorschrift handelte.

 

Mit Freude sah ich mich hier in einen ernsten, verantwortlichen Pflichtenkreis gestellt, unter Genossen, die nur in die Welt gesetzt zu sein schienen, um bis zum Jüngsten Tage Schulmeister zu bleiben. Das gefiel mir, wenn ich auch nicht geneigt war, jede Formalität für einen Zuwachs meiner Menschenwürde zu halten. Dadurch lernten wir uns gegenseitig bald kennen und ich durfte mir, weil man mich verstand, und durchaus eine gemütliche Harmonie herrschte, manches freie und heitere Wort erlauben. Man forderte mich des öfteren auf, den einen oder den anderen unserer Kollegen zu zeichnen in seiner charakteristischen Eigentümlichkeit. So entstanden mit Feder und Pinsel zahlreiche Bildchen, die mir alle abgenommen wurden und zum Teile die Heiterkeit befreundeter Kreise erweckten. Unser Kollege Kalchhauser, ein urwüchsiger, wohlbeleibter, seelensguter Mann, Religionsprofessor, der mich wohl leiden mochte, aber die Geduld verlor, wenn ich ihn "du Linienschiff der Gerechtigkeit" nannte, pflegte, wenn ihm die notwendigen schlagenden Argumente fehlten, stets mit den Worten zu schließen: "Du bist a Narr!"

 

So lebte ich denn unter seltsamen Originalen, bei regelmäßiger Arbeit, an meiner Weiterbildung nicht untätig, viel in der freien Natur, bald auch, obwohl widerstrebend, in die geselligen Kleinstadtzirkel gezogen. Als ich aber nun gar im Fasching den Ball des bürgerlichen Kasinos besuchte, wo mein Kollege Lindenthal (von mir genannt der blonde Pepi) sich als galanter Löwe im Reigen schwang und jeder Tänzerin ins Ohr flüsterte: "Ach, wie Sie heute wieder reizend sind!" – Da wagte ich mich auch unter das tanzlustige Volk und – lernte ein siebzehnjähriges, dunkeläugiges Fräulein kennen, das Kind eines hochgeachteten Hauses, welches anderthalb Jahre später meine liebe Frau geworden ist.

 

Diese anderthalb Jahre gehörten unter die glücklichsten meines Lebens. Der sechsunddreißigjährige Junggeselle beging alle Torheiten eines rettungslos Verliebten und meine Kollegen und Bekannten im Städtchen nahmen mich nun ebenso...

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