Hinter Industrie 4.0 verbirgt sich ein Zukunftsprojekt der Bundesregierung im Rahmen der Hightech-Strategie.[107] Die Hightech-Strategie wird von der Bundesregierung bereits seit 2006 verfolgt und umfasst bereichsübergreifende nationale Forschungs- und Innovationsaktivitäten mit dem Ziel, Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit durch neue Technologien zu stärken.[108]
Im neusten Aktionsplan der Hightech-Strategie mit Planungshorizont 2020 wurden zehn Zukunftsprojekte formuliert.[109] Diese Zukunftsprojekte spiegeln die konkrete Umsetzung der Hightech-Strategie wieder und entsprechen sozusagen Teilzielen, die die Bundesregierung mit der Hightech-Strategie erreichen will.[110]
Wie bereits am Anfang erwähnt, ist Industrie 4.0 eines der 10 Zukunftsprojekte der Bundesregierung.[111] Die Bundesregierung hat frühzeitig erkannt, dass die Wirtschaft auf Grund von stetig zunehmender Digitalisierung kurz vor der vierten industriellen Revolution steht, deshalb hat sie mit dem Zukunftsprojekt Industrie 4.0 die Initiative ergriffen, um die Entwicklung zu einer vierten industriellen Revolution hin aktiv zu gestalten.[112] Ziel dieses Projektes ist, die Digitalisierung klassischer Fertigungsindustrien voranzutreiben, damit deren Wettbewerbsfähigkeit gesteigert wir und die deutsche Industrie so für die Zukunft der Produktion vorbereitet ist.[113]
Der breiten Öffentlichkeit wurde das Zukunftsprojekt Industrie 4.0 von der Bundesregierung auf der Hannover Messe Industrie 2011 zum erste Mal vorgestellt.[114] Seitdem beschäftigen sich zahlreiche Organisationen und Forschungsinstitute mit dessen Entwicklung und Implementierung, um die Vision einer vierten Industriellen Revolution Wirklichkeit werden zu lassen.[115] Dabei sind neben technologischen Aspekten auch organisatorische Fragestellungen Bestandteil der Industrie 4.0 Forschung.[116]
Industrie 4.0 ist also eine industrielle Revolution mit Ankündigung, die sehr stark von der Bundesregierung gefördert wird.[117] Bevor die Auswirkungen von Industrie 4.0 auf das Controlling behandelt werden sollen, ist es wichtig, zunächst Industrie 4.0 selbst näher zu beleuchten und in einen historischen Kontext zu stellen.
Da es sich um die vierte industrielle Revolution handelt, sollen zunächst die bisherigen industriellen Revolutionen betrachtet werden. Wissenschaftlern zufolge haben sich bereits drei industrielle Revolutionen vollzogen.[118]
Die industrielle Produktion begann mit der Erfindung der Dampfmaschine im Jahr 1750, die mechanische Arbeits- und Kraftmaschinen ermöglichte und die Handarbeit ersetzte.[119] 120 Jahre später, im Jahre 1870, erlebte die industrielle Produktion eine gravierende Veränderung: die 2. Industrielle Revolution.[120] Die Elektrizität wurde erfunden und machte arbeitsteilige Massenproduktion möglich.[121] Das von Henry Ford erfundene Fließband war prägend für diese Zeit.[122] Die dritte industrielle Revolution fand mit dem Einzug von Elektronik und Informations- und Kommunikationstechnologie in die industrielle Produktion statt.[123] Dadurch erhöhte sich der Grad der Automatisierung von Produktionsprozessen, die Serienproduktion verschiedener Produktvarianten konnte realisiert werden.[124] In der heutigen Zeit wird nun über eine vierte industrielle Revolution gesprochen. Durch moderne Informations- und Kommunikationstechnologien soll eine sich nahezu selbst steuernde industrielle Produktion ermöglicht werden.[125]
Die Vision einer sich nahezu selbst steuernden industriellen Produktion liegt jedoch noch in der Zukunft: Die Bundesregierung setzt für das Projekt „Industrie 4.0“ als Zeitvorgabe 2025.[126] Auch in der ersten Umsetzungsempfehlung von 2013 heißt es, dass „…Industrie 4.0 ein langfristiges Vorhaben [ist] und (...) nur in einem schrittweisen Prozess möglich sein“[127] werde. Im nächsten Kapitel wird die Vision von Industrie 4.0 näher dargestellt.
Im Mittelpunkt der Vision von Industrie 4.0 ist die Smart Factory, die intelligente Fabrik.[128] In der intelligenten Fabrik läuft die Produktion so gut wie automatisch ab. Produktionsanlagen, Produkte, Betriebsmittel und Lagersysteme haben die Fähigkeit Informationen untereinander auszutauschen, können weitgehend selbständig Aktionen auslösen und sich so gegenseitig steuern.[129]
Um die Smart Factory Wirklichkeit werden zu lassen, müssen drei wesentliche Merkmale in einem Unternehmen erfüllt sein:[130]
Horizontale Integration über Wertschöpfungsketten
Vertikale Integration über Automatisierungshierarchien
digitale Durchgängigkeit des Engineerings über den gesamten Lebenszyklus
Mit der horizontalen Integration über Wertschöpfungsnetzwerke ist die Vernetzung aller IT-Systeme entlang der gesamten Wertschöpfungskette eines Unternehmens gemeint.[131] Bisher wird jeder Prozessschritt durch verschiedene IT-Systeme verwaltet, diese sollen nun zu einer durchgängigen Lösung integriert werden.[132] Die Vernetzung geht dabei über die unternehmensinternen Prozesse wie Eingangslogistik, Fertigung und Vertrieb hinaus und soll auch verschiedene Betriebe, Lieferanten und Kunden in die gemeinsame IT-Lösung mit einbeziehen.[133] Die Akteure der Entwicklung und Produktion eines Produkts können so schnell, einfach und permanent Informationen miteinander austauschen, wodurch sowohl funktions- als auch firmenübergreifend eine bessere Kooperation, Steuerung und Abstimmung ermöglicht wird.[134] Ein wesentlicher Vorteil dabei ist, dass individuelle Kundenanforderungen an Produkte entlang der gesamten Wertschöpfungskette in gleichem Maße berücksichtigt werden.[135] Da zwischen Unternehmenspartnern zunehmend Transparenz herrscht, können diese flexibler handeln.[136] So kann ein Engpass bei einem Zulieferer etwa umgehend kompensiert werden, indem die Prozessabläufe oder Kapazitäten entlang der gesamten Wertschöpfungskette schnellstens an die neuen Bedingungen angepasst werden.[137]
Das nächste wesentliche Merkmal ist die vertikale Integration über Automatisierungshierarchien, was bedeutet, dass die einzelnen Hierarchieebenen ebenfalls durch eine einheitlich integrierte IT-Systemlösung vernetzt werden.[138]Die Hierarchieebenen eines Produktionssystems sind die Aktor- und Sensorebene, die Ebene der Steuerung, Produktionsleitung oder Unternehmensplanung.[139] Die Kommunikation wird also auch auf vertikaler Ebene erleichtert, wodurch in der Smarten Factory eine Selbstoptimierung möglich wird. [140] Die Produktionssysteme werden flexibler und sind so in der Lage, komplexe Produktionsabläufe zu beherrschen.[141] Heutzutage müssen die meisten Arbeitsschritte in der Produktion frühzeitig geplant werden, in der Smarten Factory ist das nicht mehr notwendig, individuelle Kundenwünsche zu einem Produkt können sozusagen direkt an die Produktion durchgereicht werden, woraufhin das Produktionssystem auf die neue Anforderung sofort reagiert, sich umrüstet und den Kundenwunsch umsetzt.[142]
Das letzte wesentliche Merkmal der Vision von Industrie 4.0 ist die digitale Durchgängigkeit des Engineerings über den gesamten Lebenszyklus.[143] Das Engineering in einem Unternehmen meint den Wertschöpfungsprozess von immateriellen Gütern wie Wissen, Daten oder Dienstleistungen in einem Unternehmen.[144] Innerhalb des Lebenszyklus eines Produkts, der aus den Phasen der Produktentwicklung, der Produktionssystemplanung, Produktfertigung durch das Produktionssystem, der Produktnutzung durch den Kunden und dem Produktrecycling besteht, laufen viele Engineering-Prozesse ab, die durch vielfältige IT-Systeme unterstützt werden, wobei ein reibungsloser Informationsfluss nur bedingt vorhanden ist.[145] Dies soll nun in ein wertschöpfungsprozessübergreifendes Informationsmodell integriert werden; so entsteht eine...