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E-Book

Avant-Pop

Von Susan Sontag über Prada und Sonic Youth bis Lady Gaga und zurück

AutorThomas Hecken
VerlagPosth Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl159 Seiten
ISBN9783981298796
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR

Avant-Pop - dazu gehören Prada und Lady Gaga, Sonic Youth und Takashi Murakami, 'Bitch' und 'Mad Men', dazu gehört ein großer historischer Kanon von den Beach Boys bis Velvet Underground, von Richard Hamilton bis Cindy Sherman, von Rolf Dieter Brinkmann bis zum New Journalism. Die Gründe und Argumente, mit denen der Avant-Pop zur heute dominanten Kunst- und Geschmacksrichtung durchgesetzt worden ist, stellt der Band kritisch pointiert in Kapiteln zur Musik, bildenden Kunst, Literatur, Publizistik sowie zur Ästhetik und Soziologie des Avant-Pop vor.

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Leseprobe

Einleitung


Avant-Pop – dazu gehören Prada und Lady Gaga, Sonic Youth und Takashi Murakami, »Bitch« und »Mad Men«, Anton Corbijn und CocoRosie, dazu gehört in einer nun bereits gesicherten Tradition ein beachtliches Panorama aus Künstlern, Gruppen und Richtungen von den Beach Boys bis Velvet Underground, von Richard Hamilton bis Martin Kippenberger, von Rolf Dieter Brinkmann bis William Gibson, von Situationismus bis Op-Art, von Nouvelle Vague bis New Wave. Damit teilweise verbunden und mindestens genauso wichtig: Dazu gehören nicht wenige der größtenteils erfolgreichen Versuche, die vormals im Namen der Hochkultur erfolgende Abwertung von neuen Medien und zeitgenössischen Unterhaltungsangeboten zu bestreiten und zurückzunehmen.

Bestrebungen in diese Richtung gibt es schon seit langem, von ihrer weitreichenden Durchsetzung kann man aber erst seit einigen Jahren sprechen. Den Erfolg des Avant-Pop-Geschmackprinzips kann man zweifelsfrei daran ablesen, dass in führenden Magazinen und Tageszeitungen ein nicht unwesentlicher Teil der positiven Rezensionen und Berichte Popgruppen, TV-Serien, Fotografen, Comic-Zeichnern etc. gewidmet ist. Der Erfolg zeigt sich auch an Museumsausstellungen zu japanischen Mangas oder angloamerikanischen Rockfotografen, ebenso wie an Sendungen zur Geschichte der Disco-Bewegung oder zu pornografischen Trash-Filmen im öffentlich-rechtlichen Kulturprogramm.

Diese Entwicklung ist täglich zu beobachten und vor allem für jeden Internetnutzer unübersehbar, der die einschlägigen Seiten der Kunst- und Kultureinrichtungen öfter aufsucht. Dennoch wird sie längst nicht in dem Maße zur Kenntnis genommen, in dem sie das kulturelle und teilweise auch gesellschaftliche Leben prägt. Noch weniger wird sie auf den Begriff gebracht. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass die älteren Begriffe, die teilweise dafür einstanden, aus Gründen feuilletonistischer Konjunkturzyklen als abgenutzt gelten. Pop selbst z.B. ist ein Ausdruck, der längst nicht mehr so häufig und vor allem mit so positivem Ton gebraucht wird wie noch in den 1990er Jahren. Gerade jene Publizisten, Studenten, Akademiker, die vermeintlich subversive oder gesellschaftskritische Absichten hegen, sind heute eher geneigt, wieder mehr oder minder experimentelle Künstler mit ihren Hoffnungen auszustatten und nicht hedonistische Popstars. Aber auch im größeren Feld der Kultur und des Journalismus kann man eine ähnliche Zurückhaltung beim Begriffsgebrauch beobachten, wenn auch hier ohne die kritische Spitze. Obwohl bestimmte Pop-Phänomene inzwischen zum prägenden Bestandteil des Geschmackshaushalts fast aller Kulturinteressierten mit Abitur und geisteswissenschaftlichem Universitätsabschluss gehören, hat das Pop-Wort seinen guten Klang, seinen ›Hip‹-Status unter ihnen merklich verloren.

Das gleiche gilt auch für andere früher begeistert in Diskussionen verwandte Worte, für Zeitgeist, Lifestyle, Postmoderne, Camp – das sind alles Begriffe, die ihre beste Zeit hinter sich haben. Zu ihrer Hochzeit konnte man kein Feuilleton aufschlagen, an keiner Diskussion teilnehmen, in keinem Katalog von Zeitschriften- und Buchneuerscheinungen blättern, ohne auf sie stoßen: Zeitgeist und Lifestyle als wichtige Worte und Erkennungsmarken in der Zeit von Mitte der achtziger bis Ende der neunziger Jahre; Postmoderne als bestimmendes Schlagwort in der gegenwartsbezogenen philosophischen, soziologischen, feuilletonistischen Debatte von Ende der siebziger bis Anfang der neunziger Jahre; Camp als Modeausdruck in den Nachrichtenmagazinen, Kulturzeitschriften, Fashionjournalen Mitte der sechziger Jahre.

Heute hört und liest man diese Begriffe wesentlich seltener. Das vermindert aber keineswegs ihre Bedeutung. Das Gegenteil ist der Fall, die nachlassende Häufigkeit des Wortgebrauchs zeigt keinesfalls einen Bedeutungsverlust der mit ihnen bezeichneten Phänomene an. Der Sache nach haben sie sich im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts sehr weitgehend durchgesetzt. 1. Weite Teile der Bevölkerung, zumal die jüngeren Generationen, richten ihren Geschmack und ihre Konsumentscheidungen oder -wünsche an den Vorgaben von Popstars und metropolitanen Hip-Szenen aus, wie sie ihnen in den Events und Magazinen der Unterhaltungs- und Modeindustrie präsentiert werden. 2. Geht es um die Postmoderne, muss man differenzieren: Philosophische Überlegungen über das Ende der Geschichte oder die begrüßenswerte Verabschiedung der wissenschaftlichen Vernunft durch eine anarchische Pluralität von Sprachspielen sind außerhalb universitärer geisteswissenschaftlicher Qualifikationsschriften ohne Folgen geblieben – jene postmodernen Hoffnungen hingegen, die auf eine Aufhebung der strengen Grenze zwischen Hoch- und Popkultur abzielten, haben sich in beachtlichem Maße erfüllt. 3. Die Ausbreitung der Camp-Haltung – also des Vergnügens daran, eigentlich als schlecht, übertrieben und maßlos geltende Filme, Serien, Stoffe etc. als amüsant auszugeben und wahrzunehmen – ist nur ein bemerkenswertes Indiz für diese Grenzüberschreitung.

Am Camp-Geschmack kann man auch den Grundzug des kulturellen Wandels, von dem hier die Rede sein soll, sehr gut erkennen. Oftmals richtet sich der Camp-Geschmack auf ältere Gegenstände, auf Dinge, die man seinerzeit selbst als abgeschmackt oder zweifelhaft empfunden hat, auf Schlager von Abba, Kleider von Versace, auf Filme mit dem jungen John Travolta – auf Dinge also, die bei einem anderen Publikum bereits Erfolg hatten, bei einem kleinbürgerlichen, weiblichen oder neureichen, jedenfalls als geschmacklos angesehenen Publikum. Von einem Wandel kann man folglich deshalb sprechen, weil diese Dinge nun einige oder lange Zeit nach ihrem raschen Erfolg von ihren ehemaligen Verächtern in einem neuen Licht gesehen werden. Der Camp-Geschmack ist das Privileg eines Publikums, das sich aus stark kulturinteressierten, tonangebenden Teilen der Mittel-, weniger der Oberschicht zusammensetzt.

Von einer kulturellen Wende kann man sogar wegen eines weiteren Phänomens sprechen, das sich in der ersten Dekade des neuen Jahrhunderts mit großer Wirkungsmacht entfaltet hat. Hier geht es nicht um einen amüsierten Blick auf Vergangenes, sondern um die ernsthafte Wertschätzung gegenwärtiger Kunst- und Kulturgegenstände und -ereignisse, die aus früher häufig missachteten Genres entstammen, aus den Bereichen der Popmusik, des Trash, der Illustriertenfotografie, der Mode, der Fernsehserien, der Unterhaltungsshows. Damit untrennbar verbunden ist die Hochwertung von Unterhaltung, Oberflächlichkeit, Zerstreuung, sinnlichem Reiz. Diese Umwertung zeigt sich seit einigen Jahren in großem, neuem Umfang in den Feuilletons der überregionalen, renommierten Tageszeitungen, sei es »New York Times« oder »FAZ«, sie zeigt sich in den Lehrplänen und Literaturlisten der Universitäten, sie zeigt sich ebenfalls in den Programmen der staatlichen oder öffentlich-rechtlichen Medien- und Kulturinstitutionen.

Angekündigt hat sich diese Umwertung schon seit den 1920er Jahren, auf breiter Front vollzogen wurde sie jedoch erst in der letzten Zeit. Handelte es sich bis in die 1980er Jahre entweder um einzelne Stellungnahmen oder um Veröffentlichungen in Spezialmagazinen, hat die Umwertung jetzt größere Teile sowohl der Publizistik und Wissenschaft als auch der kunstinteressierten Öffentlichkeit erfasst. Diese Wende besitzt dauerhaften Charakter, es gibt keinerlei Anzeichen für eine Umkehr. Die Prognose, dass die aufgezeigte Änderung sich über die kommenden Jahrzehnte noch verstärken wird, fällt ausgesprochen leicht, weil in den nachwachsenden Generationen – präziser gesagt: in den jetzigen und künftigen Akademikerjahrgängen ­– ein noch deutlicherer Hang festzustellen ist, vielen Gegenständen aus den Bereichen der Pop-, Konsum- und Unterhaltungskultur einen hohen ästhetischen Wert beizumessen.

Zwei Punkte tragen zu dieser Wende entscheidend bei. Sie sollen hier unter dem Titel »Avant-Pop« vorgestellt werden. Erstens kennzeichnet die Avant-Pop-Vorgehensweise, dass intellektuelle, feuilletonistische Begründungen, die sich erheblich von Ausrufen der Bewunderung und von Bekundungen sinnlicher Faszination unterscheiden, für das Lob gängiger popkultureller Phänomene bemüht werden. Zweitens zeigt sich das Avant-Pop-Prinzip darin, dass nicht nur einige bei einem großen Publikum beliebte Künstler und Werke – von Alfred Hitchcock bis Madonna, von Lichtenstein bis H&M, von den Simpsons bis Eminem – mit stärkerem Begründungsaufwand oder gebildeteren Argumenten besonders...

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