Da der POS als Ort des Verkaufs im Zeitalter elektronischer Medien eine neue, erweiterte Definition erhält, sind den Einsatzmöglichkeiten von virtuellen Charakteren als verkaufsförderndes Personal kaum mehr Grenzen gesetzt. Die Ladentheke fungiert nicht mehr als alleiniger Verkaufsort. Schließlich werden Kaufentscheidungen ebenso am Computer oder mobilen Endgerät getroffen. Auch Bühler (2003, S. 112) macht auf die Vielzahl der Anwendungsmöglichkeiten aufmerksam. Zum Leben erweckte Maskottchen, etablierte Comic-Figuren, Markenrepräsentanten, Moderatoren und virtuelle Lern-Assistenten stellen innovative Formen der Konsumentenansprache dar.
In diesem Kaptitel wird auf die verschiedenen Anwendungsgebiete eines Avatars eingegangen und anhand aktueller Beispiele erläutert. Dabei werden auch virtuelle Charaktere angesprochen, deren Funktionalität nicht alleine der Verkaufsförderung zuzurechnen sind. Vielmehr gilt es hier, einen Überblick über die bisherigen Einsatzgebiete von Avatarsystemen zu verschaffen.
In folgenden Unterkapiteln wird der Einsatz von Avatar-Technologien zur Unterstützung des elektronischen Geschäftsverkehrs vorgestellt. Im Einzelnen wird dabei auf die Bereiche B2C, B2B, B2E und A2C eingegangen.
Der Wandel vom Verkäufermarkt zum Käufermarkt, das stetige Wachstum der Anzahl von Wettbewerbern und die zunehmende Gleichheit der angebotenen Leistungen zeigen die Notwendigkeit auf, verstärkte Anstrengungen in die Ausgestaltung der Kundenbeziehungen zu investieren und den Kundenanforderungen gerecht zu werden. Der heutige Engpass liegt bei der Nachfrage und somit beim Kunden. Ziel eines Unternehmens ist folglich seine Kunden möglichst langfristig an sich zu binden, was auch Reichheld und Sasser (2003, S. 149) durch ihre Aussage unter monetärem Aspekt verdeutlichen. „Je länger ein Unternehmen einen Kunden hält, desto mehr Gewinn kann es durch ihn erzielen.“
Auch Stauss (2000, S. 451) macht darauf aufmerksam, dass verlorene Kunden mittels Einsatz hoher Marketingkosten ersetzt werden müssen. Zudem steige die Profitabilität der Kunden mit der Dauer der Kundenbeziehung.
Angesichts des wachsenden Konkurrenzdrucks erweist sich demnach eine unpersönliche Kundenansprache nicht mehr als wirksam. In Massenmärkten wird, neben der „selbstverständlichen“ Kernleistung, ein hohes Maß an Zusatzleistungen gefordert. Bei der Umfrage „E-Shopping-Trend 2006 – Was Kunden wirklich wollen“, eine Studie der Novomind AG in Zusammenarbeit mit den Zeitschriften Wirtschaftswoche und Handelsblatt, sprach sich der zweitgrößte Anteil der Befragten auf die Frage welche Serviceleistungen sie sich beim Online-Einkauf wünschen, für virtuelle Berater als Zusatzleistung aus. (Novomind AG, 2006a, S. 17)
Abbildung 1: Anforderungen an Onlineshops (Novomind AG, 2006a, S. 17)
Wie ersichtlich wird, sind virtuelle Berater keinesfalls mehr unbekannt, sondern werden vom Kunden als Hilfe-Feature auf der Webseite gewünscht. Gerade im B2C-Bereich, in dem laut Merz (2002, S. 25) das Transaktionsvolumen niedrig und die Bindung zwischen den Transaktionspartnern eher locker ist, können Avatare unter dem Aspekt der Personalisierung und individuellen Betreuung als Erfolgsfaktor in Erscheinung treten.
Um sich im Wettbewerb behaupten zu können, scheint ein Wandel der Unternehmensstrategie von der Transaktionsorientierung hin zur Kunden- und Beziehungsorientierung als zwingend erforderlich. Ein virtueller Berater eröffnet unter anderem die Möglichkeit individuelle Angebote, die an die Bedürfnisse der Kunden angepasst sind, zu erstellen. Es besteht die Chance der persönlichen Ansprache und Kundeninformationsgewinnung. Der virtuelle Berater kann sich nicht nur Details von wenigen Menschen, sondern von sämtlichen Besuchern der Webseite, mit denen er kommuniziert hat, merken und diese gezielt beim nächsten Verkaufs- oder Beratungsgespräch einsetzen. Die gewonnenen Informationen über den Kunden erlauben eine differenzierte Ansprache und ebnen den Weg für eine proaktive Versorgung mit Produkten und Serviceleistungen, die den spezifischen Bedürfnissen der Besucher entsprechen.
Durch den Einsatz eines virtuellen Beraters ist es Unternehmen möglich, die Bedürfnisse ihrer Kunden zu durchleuchten, sie selbst auf Massenmärkten differenziert anzusprechen und ihnen maßgeschneiderte Produkte und Dienstleistungen anzubieten. Ein wertvoller Dienst für den Kunden im Zeitalter irritierender Informationsschwemme und Reizüberflutung.
Ein bekanntes deutsches Avatarsystem im B2C-Bereich, ist die Kundenberaterin Eve von Yello Strom. Sie informiert die Besucher der Webseite über Tarife und Neuigkeiten.
Neben der reinen Beratertätigkeit, übernimmt sie jedoch weitere Aufgaben der klassischen Kommunikation im Bereich CRM und für die Vermarktung anderer Produkte. Eve hat die Aufgabe das anonyme Internet persönlicher und unterhaltsamer zu gestalten.
Abbildung 2: Eve Yellostrom (Yellostrom, 2007)
Die sympathische Verkaufspersönlichkeit verleiht Yello Strom ein Gesicht und verringert die Distanz des Benutzers, der sich vorher nur mit Tabellen und Texten auf der Webseite beschäftigen musste.
Neben der angesprochenen Kundenakquisition durch den persönlichen Kontakt, soll ein Avatar wie Eve auch die täglich eingehenden Standardfragen an das Call Center abfangen und auf diese Weise für eine Entlastung der Kundenbetreuer sorgen. Diesen steht somit mehr Zeit für anspruchsvolle Fälle zur Verfügung. (Lindner, 2003, S. 10 ff.)
Dem Online-Handel wurden gigantische Wachstumsraten prophezeit, dennoch konnten viele Erwartungen nicht erfüllt werden. Ein Hauptgrund dafür könnte sein, dass der Anwender in der Vielzahl der Angebote den Überblick verliert und beim Online-Kauf viele Fragen offen bleiben. Fatalerweise bedeuten offene Fragen im Online-Handel verlorene Umsätze.
Bühler (2003, S. 112), der sich auf die Cap Gemini Ernst & Young Intershopping Study 1999 beruft, führt die fehlende Beratung durch einen Verkäufer als einer der häufigsten Gründe für das Scheitern eines Kaufgeschäftes im Internet auf.
Ein Lingubot kann den Benutzer durch das Angebot führen und beispielsweise Fragen zu Produkten direkt beantworten oder die passende Webseite anzeigen. Je interaktiver der virtuelle Berater ist, desto länger bleiben die Besucher auf der Seite. (Jäger, 2006)
Interessante und sehr persönliche Gespräche sind keine Seltenheit. Ein gezieltes Auswerten der Log-Dateien zeigt wonach sich Nutzer am häufigsten erkundigen und wo, davon abgeleitet, im Webseiten-Design Verbesserungen vorzunehmen sind.
Weitere Beispiele für den erfolgreichen Avatareinsatz im B2C-Bereich wären Anna von ikea.com, Aisa von smart.com, Pia von derclub.de, Nomi von novmomind.de oder Fritz Felge, der „sympathische Kumpeltyp“, der den Besucher rund um das Thema Reifen und Felgen auf reifen.com informiert.
Anders als im B2C-Commerce findet der B2B-Commerce zwischen Unternehmen statt. Je nach Markt tritt ein Unternehmen in der Rolle des Anbieters oder des Nachfragers auf und nicht als einzelne Person. Jedoch muss hierbei auch vergegenwärtigt werden, dass der Handel nicht zwischen einer Gruppe von Anbietern und einer Gruppe von Nachfragern stattfindet, sondern entlang einer komplexen Wertschöpfungskette. Dabei findet die B2B-Integration im Wesentlichen zwischen Softwaresystemen statt. Extranet-Integration zwischen Unternehmen, für den Austausch von Bestellungen, Rechnungen, Vertriebsinformationen, Preislisten und AGBs, können als typische Anwendungen im B2B-Bereich genannt werden. (Merz, 2002, S. 24 f.)
Volkswagen setzt im B2B-Bereich beispielsweise auf den Online Hilfe-Assistent, der ähnlich wie die Microsoft Office Klammer als Formular-Assistent Fragen bezüglich einzelner Formularfelder des Lieferantenportals beantwortet. Auf der Lieferantenplattform der VW Group Supply.com können die Geschäftsprozesse zwischen dem VW Konzern und den Lieferanten online abgewickelt werden. (Kiwilogig.com AG, o.J.b)[1]
Als B2E wird eine auf Mitarbeiter ausgerichtete E-Business-Strategie bezeichnet. Neben dem World Wide Web können auch im Intranet, durch den Einsatz eines Lingubots Produktivitätsgewinne erzielt werden. Der Bot kann z.B. häufige Fragen zum Unternehmen, zur Lohnabrechnung oder zur Zeiterfassung beantworten, einen Überblick über die verschiedenen Funktionsbereiche geben und als Identifikationsfigur die Unternehmensphilosophie vermitteln. Der Zugriff auf die B2E-Webseiten ist meist nur den Mitarbeitern eines Unternehmens vorbehalten und wird öffentlich nicht beworben.
Um die rund 87.000 Mitarbeiter des weltweit führenden Chemieunternehmen BASF kompetent zu beraten, steht diesen seit Anfang des Jahres 2005 die virtuelle...