3 Die akquisitorische Gestaltung der Anbieterleistung
3.1 Das Teilinstrument der Produktpolitik
3.1.1 Produkteinführung
Zur Produkteinführung bedarf es zunächst einer neuen Angebotsidee. Sie kann auf interne oder externe Anregung hin entstanden sein. Sind nicht genügend tragfähige Ideen für Neuprodukte vorhanden, können Kreativitätstechniken wie Brainstorming, die Methode 6-3-5, Morphologischer Kasten et cetera helfen. Die Ergebnisse werden anschließend gesichtet und bewertet. Im Screening erfolgt eine Vorauswahl der tragfähiger erscheinenden Ideen als Shortlist, im Scoring ihre Priorisierung anhand von Beurteilungskriterien.
Bei der Filterung im Screening scheiden aufgrund von Voreingenommenheit häufig an sich potenzialstarke Ideen aus. So sind Post-it-Zettel (3M) erst durch den Einsatz eines Klebers möglich geworden, der im Screening wegen mangelnder dauerhafter Klebewirkung bereits ausgesondert worden war. Und Wick MediNait (P&G) basiert auf einer stark alkoholhaltigen Rezeptur, die wegen ihrer einschlaffördernden Wirkung ursprünglich verworfen wurde.
Im Folgenden ein Beispiel zur Kreativitätstechnik Brainwriting (Methode 6-3-5). Es arbeitet mit einem Formblatt aus sechs mal drei Zeilen und Spalten, das fünf Teilnehmern vorliegt, sowie einer Kopfzeile mit der Problemnennung: Wie kann man an einer Packung für Tiefkühlkost anzeigen, dass die Lagertemperatur überschritten worden ist?
Vorschläge Teilnehmer 1:
- Thermometer mit Memory-Funktion für Höchsttemperatur,
- Farbfeld, das auf Temperaturüberschreitung reagiert,
- Bimetallstreifen zerstört eine Siegelmarke.
Vorschläge Teilnehmer 2:
- Kapsel bricht bei Temperaturüberschreitung auf und ergibt Farbreaktion,
- Packung mit Thermofarbe bedrucken,
- Wasserröhrchen in der Packung, das Auftauen anzeigt.
Vorschläge Teilnehmer 3:
- Anbringung eines Buchstaben aus Eis, der zerfließt,
- Kleber, der sich bei 0 °C auflöst und die Packung aufbricht.
Vorschläge Teilnehmer 4:
- etwas an der Packung anfrieren, das beim Antauen abfällt,
- Gütesiegel mit Kleber aufbringen, der sich beim Antauen auflöst.
Vorschlag Teilnehmer 5:
- Farbbakterien, die sich bei höheren Temperaturen auf einer Kultur ausbreiten.
Vorschläge Teilnehmer 6:
- Spiralfeder einbauen, die sich beim Antauen ausdehnt und die Packung aufbricht,
- Oxydationsprozess, der beim Antauen Metallband erkennbar korrodiert.
3.1.2 Forschung und Entwicklung
Damit aus der Idee ein vermarktbares Angebot wird, bedarf es der wissenschaftlichen oder praxisorientierten Forschung (Grundlagenforschung/angewandte Forschung) sowie der Entwicklung und funktionalen Erprobung als Handmuster oder Prototyp bis zur Vorserie. Dieser folgt eine Nullserie, die dann zumeist einem Markttest unterzogen wird. Bei positivem Ergebnis kommt es zur Markteinführung (Launch), bei negativem Ergebnis zur Überarbeitung beziehungsweise einem erneuten Test (on) oder zum Rückzug der Idee (no go).
3.1.3 Qualitätsmanagement
Wichtig ist von Beginn der Marktpräsenz an eine hohe und konstante Qualität. Dazu dienen Verfahren des Qualitätsmanagements. Die Qualität darf sich nicht nur auf die Verarbeitung beschränken (Total Quality Management, Zertifizierung nach DIN EN ISO 9000:2005 ff.), sondern muss zur Abwehr von Produkthaftung und Produktrückrufen auch die Konstruktion umfassen. Dabei geht es um die Vorbeugung von Fehlqualität, den Wegfall teurer Prüfmaßnahmen zur Fehlerermittlung und um die Minimierung von Ausschuss, Nachbearbeitung und Garantieleistung.
Hin und wieder ist jedoch auch eine bewusste Qualitätsverschlechterung als künstliche Veralterung durch Lebensdauerbegrenzung oder Sozialtechnik anzutreffen. So wird die Lebensdauer von Hochdruckreinigern im Privatkundenmarkt zur Gewähr eines optisch niedrigeren Preises möglicherweise bewusst begrenzt. Da die Geräte für gewöhnlich nicht im Dauereinsatz benutzt werden, erzielen sie dennoch eine subjektiv lange Lebensdauer.
Künstliche Veralterung findet sich auch bei Modeartikeln, die in mehreren Saisons pro Jahr einander immer wieder ablösen und die Vorsaisonmode gesellschaftlich inakzeptabel werden lassen, obgleich sie qualitativ noch völlig einwandfrei ist.
Makellose Qualität ist für Anbieter unverzichtbar, weil sie nicht nur eine höhere Kundenzufriedenheit, sondern auch eine höhere Rentabilität des Geschäfts gewährleistet. Empirische Untersuchungen wie im PIMS-Projekt zeigen, dass Unternehmen mit überdurchschnittlicher Produktqualität profitabler arbeiten als solche mit unterdurchschnittlicher Produktqualität. Qualität kostet kein Geld – Qualität verdient Geld. Der Zusammenhang ist unmittelbar einleuchtend. Zwar ist die Durchsetzung höherer Qualität kostenaufwendiger, aber dafür werden Fehler- und Nachbesserungskosten eingespart. Dies überkompensiert den zusätzlichen Produktionsaufwand.
3.1.4 Produktfortführung
Zur Produktfortführung ist eine kontinuierliche Angebotspflege unverzichtbar. Sie wird organisatorisch durch das Produktmanagement getragen und enthält die stetige Optimierung des Marketingmix. Zumeist wird dabei ein Produktlebenszyklus als zeitbezogenes Marktreaktionsmodell zugrunde gelegt. Er durchläuft idealtypisch in Glockenkurvenform (Gauss’sche Normalverteilung) die Phasen von Vorbereitung, Einführung, Wachstum/Reife, Sättigung, Verfall/ Absterben oder gegebenenfalls Wiederanstieg. Ziel ist eine Verlängerung der Marktpräsenz, damit die immer höheren Vorlaufaufwendungen sich besser über die Laufzeit verteilen.
In der Vorbereitungsphase wird das Angebot noch nicht marktwirksam. In der Einführungsphase ist das Marktwachstum sehr hoch, wenngleich auf niedriger Basis. In der Wachstums-/Reifephase erfolgt eine bessere Marktdurchdringung, die Wachstumsrate des Gesamtmarkts ist hoch, verläuft jedoch bald degressiv. In der Sättigungsphase normalisiert sich die Wachstumsrate und stagniert schließlich, die Gewinne erreichen ihr Maximum und verfallen danach infolge hoher Nachfrageelastizität und Wettbewerbsintensität. In der Verfalls-/ Absterbephase brechen Umsatz und Gewinn ein, Verluste laufen auf, der Cashflow wird negativ, und Anbieter scheiden vom Markt aus (siehe Abbildung 10).
Abbildung 10: Produktlebenszyklus
Infolge rasanten technischen Fortschritts werden die Produktlebenszyklen zunehmend kürzer. Gleichzeitig dauern die Vorlaufzeiten zur Forschung und Entwicklung wegen des höheren Niveaus immer länger. Dies führt zwangsläufig in ein Ertragsdilemma. Davor schützen auch gewerbliche Schutzrechte immer weniger, die legal durch Umgehungen ausgehebelt oder illegal durch Produkt-/ Markenpiraterie gebrochen werden können. Als Ausweg sind dennoch mehrere Ansätze möglich:
- Parallelisierung der anfallenden Arbeitsschritte in der Vorlaufphase durch Simultaneous Engineering,
- Überspringen eines Produktzyklus, um beim übernächsten Zyklus als Erster den Markt abschöpfen zu können (Leap Frogging),
- Verlängerung (Stretching) der Vermarktungsphase durch Relaunch (siehe unten) oder Erhöhung des allgemeinen Erlösniveaus (Levelling) durch Zusatzverkäufe (siehe Abbildung 11).
Abbildung 11: Prinzip des Simultaneous Engineering
Häufig werden auch technisch unfertige Produkte gelauncht, die dann erst im Markt reifen (zum Beispiel Software). Dies führt unter Umständen zu Produktrückrufen, nicht aufgrund mangelnder Prozessqualität, sondern weil Fehler in der F&E-Phase ab einem gewissen Projektstadium nicht mehr zeitunschädlich korrigiert werden können. Allerdings besteht auch kein Zweifel daran, dass der erste Anbieter an einem Markt einen fast uneinholbaren Wettbewerbsvorsprung erreicht (First Mover Advantage), weil er die besten Positionen besetzen kann. Selbst bei gravierenden Fehlern kann er kaum überholt werden.
3.1.5 Produktmodifikation
Von Zeit zu Zeit ist eine Produktmodifikation erforderlich. Je nach deren...