1 Nierenfunktionen
Jeder Mensch hat normalerweise zwei Nieren. Diese erbringen gemeinsam eine Vielzahl von Funktionen, wie die sichtbare Urinproduktion, aber auch unsichtbare Funktionen, wie die Bildung von Hormonen. In diesem Kapitel sollen die einzelnen Funktionen der Nieren ausführlich dargestellt werden, um einen Überblick zu erhalten, wofür die Nieren eigentlich gebraucht werden. Die Kenntnis dieser teils sehr weitreichenden Funktionen macht verständlich, welche Schwierigkeiten bei einer Niereninsuffizienz auftreten können.
Volumenhaushalt
Der Mensch besteht zu einem großen Teil aus Wasser. Bei Männern sind es ca. 60 %, bei Frauen rund 50 %. Vereinfacht kann man sich den Menschen daher als ein Wasserfass vorstellen: Ein 80 kg schwerer Mann besteht zu 60 % aus Wasser, was 48 l entspricht. Entsprechend ist der Wassergehalt einer 60 kg schweren Frau ca. 30 l Wasser.
Abbildung 1.1: Volumen eines Menschen, dargestellt als ein Wasserfass.
Dieses Volumen verteilt sich im Körper auf sogenannte Kompartimente, also Räume: den intrazellulären Raum (IZR, in den Körperzellen) und den extrazellulären Raum (EZR, Raum außerhalb der Zellen). Das Interstitium (Bereich zwischen den Zellen) und der intravasale Raum (Gefäßsystem) werden gemeinsam als extrazellulärer Raum bezeichnet. Die Abgrenzung der Kompartimente erfolgt durch Zellwände zwischen dem IZR und dem EZR sowie durch die Gefäßwände, die den intravasalen Raum vom Interstitium trennen. Dabei wird Wasser aber weder von Zellmembranen noch von den Gefäßwänden aufgehalten und könnte sich frei zwischen den Kompartimenten bewegen. Vielmehr wird das Wasser indirekt in den Kompartimenten gehalten, indem es an Eiweiße oder Mineralien gebunden wird, die nicht die Kompartimentgrenzen überschreiten können. Die Verteilung des Wassers zwischen den Kompartimenten ist daher abhängig von der Konzentration der Eiweiße und der Mineralien innerhalb der einzelnen Räume.
Abbildung 1.2: Verteilung des Körpervolumens auf die Kompartimente des IZR und des EZR.
Im Gefäßsystem wird das Wasser hauptsächlich durch die im Blut befindlichen Eiweiße, insbesondere das Albumin »gehalten«. Fehlen diese Eiweiße, kann Wasser aus den Gefäßen in den Zwischenzellraum fließen. Dadurch sammelt sich dort mehr Wasser an, was zur Bildung von Schwellungen, den typischen Ödemen an Händen, Füßen und im Gesicht führt. Da die Ursache eines solchen Ödems der Eiweißmangel in den Gefäßen ist, spricht man von einem Eiweißmangelödem. Dieses tritt immer dann auf, wenn zu wenig Eiweiß (v. a. Albumin) produziert wird (z. B. bei Lebererkrankungen) oder wenn sehr viel Eiweiß über den Urin verloren geht, wie bei manchen Nierenerkrankungen.
Den Wassergehalt eines Menschen und damit auch die Verteilung dieses Volumens auf die Kompartimente konstant zu halten, ist eine zentrale Aufgabe der Nieren. Im Durchschnitt trinkt ein Mensch um 1,5–2 l pro Tag. Es spielt keine Rolle, ob es sich dabei um Wasser, Tee, alkoholische Getränke oder Kaffee handelt. Letztlich zählt das Volumen. Denn alles, was getrunken wird, muss auch wieder ausgeschieden werden. Gesunde Nieren sind in der Lage, variierende Trinkmengen auszuscheiden. Dabei müssen sie den Urin konzentrieren, also möglichst wenig Wasser ausscheiden, wenn wenig getrunken wird. Und wenn man abends ausgeht, und in Gesellschaft ein paar Gläser trinkt, obwohl man gar nicht durstig ist, scheiden die Nieren einen wasserreichen Urin aus.
Abbildung 1.3: Volumenbilanz: Trink- und Urinmenge müssen gleich sein, damit das Körpervolumen weder zu- noch abnimmt.
Anhand der Farbe des Urins kann man dies erkennen: Wenn die Nieren eher Wasser sparen, wird der Urin gelblich, ggf. sogar leicht orange. Das Bilirubin, ein gelb-rotes Abbauprodukt des Blutfarbstoffs, das im Urin ausgeschieden wird, ist hierfür verantwortlich. Wird besonders viel Wasser ausgeschieden, wird das Bilirubin deutlich verdünnt, weshalb der Urin hell, gelegentlich sogar fast wie klares Wasser erscheint.
Salz
Hinter dem Begriff Salz versteckt sich chemisch betrachtet das Kochsalz, welches aus zwei Komponenten besteht: dem Natrium und dem Chlorid. In der Medizin spricht man vereinfachend vom Salz, auch wenn man das Natrium meint. Denn im Körper ist v. a. das Natrium die entscheidende der beiden Komponenten für den Wasserhaushalt. Es sorgt z. B. dafür, dass im Blut ein bestimmter osmotischer Druck besteht. Dieser ist letztlich eine wichtige Größe für die Wasserverteilung zwischen den Zellen und dem extrazellulären Raum. Ändert sich rasch die Konzentration des Natriums im Blut, kommt es zur Wasserverschiebung zwischen den Zellen und den extrazellulären Kompartimenten. Bei einem Abfall des osmotischen Drucks bzw. des Natriums wird Wasser in die Zellen aufgenommen. Entsprechend wird bei einem raschen Anstieg des Natriums im Blut den Zellen Wasser entzogen. Dies führt dazu, dass die Zellen schrumpfen, ähnlich einem Apfel, wenn er zu lange liegt und dann schrumpelt durch den Wasserverlust in die Umgebung.
Die Zellen des Gehirns sind besonders anfällig für solche Schwankungen: bei raschem Abfall des Natriums im Blut kommt es zur Wasseraufnahme in die Nervenzellen des Gehirns, das dadurch anschwillt. Wegen des knöchernen Schädels entsteht Hirndruck, was sich zunächst in Kopfweh äußert und bei weiterem raschem Fortschreiten dieser Hirnschwellung tödlich enden kann. Es wird daher verständlich, warum in unserem Körper der Salzhaushalt wichtig ist und eine der Aufnahme entsprechende Ausscheidung elementar ist.
Die meisten Menschen nehmen rund 10 g Salz am Tag zu sich. Insbesondere in Fertiggerichten, Konserven und Fastfood steckt eine große Menge an Salz, ohne dass man es schmeckt. Normalerweise scheiden die Nieren ungefähr die Menge an Salz aus, die täglich durchschnittlich eingenommen wird, z. B. die erwähnten 10 g pro Tag. Kommt es zu größeren Schwankungen bei der Aufnahme von Salz, führt dies daher zu Gewichtsschwankungen: ein abendlicher Restaurantbesuch kann zu einer Gewichtszunahme von rund einem kg führen. Nicht so sehr die Nahrung, sondern vielmehr das darin enthaltene Salz ist hierfür verantwortlich: 6 g Salz binden ca. 800 ml Wasser. Da die Nieren eine relativ gleich bleibende Menge an Salz ausscheiden (z. B. 10 g/Tag), bringt ein solcher Restaurantbesuch eine außerordentliche Salzaufnahme mit sich (insgesamt ca. 16 g/Tag), weshalb im Körper an diesem Tag rund 6 g Salz verbleiben und damit auch die daran gebundenen 800 g Wasser. Nach einigen Tagen hat sich das Gewicht gewöhnlich wieder normalisiert, da die Nieren das überschüssige Salz ausgeschieden haben.
Nach dem gleichen Prinzip funktionieren manche Diäten, die »5 Pfund in 5 Tagen« versprechen. Dabei wird der Salzkonsum bewusst reduziert, so dass die Nieren einige Tage mehr Salz ausscheiden, als aufgenommen wird. Dadurch wird auch mehr Wasser ausgeschieden. Das Körpergewicht wird täglich um einige hundert Gramm reduziert. Nach wenigen Tagen stellt sich die Niere auf die reduzierte Salzaufnahme ein und scheidet weniger aus, das Gewicht bleibt nun konstant. Sobald man mit der Diät aufhört, frustriert, dass keine weitere Gewichtsabnahme erfolgte, wird wieder die übliche Menge Salz über die gewohnte Ernährung wie vor Beginn der Diät aufgenommen. Das Körpergewicht steigt nun wieder an, da die Nieren weniger Salz ausscheiden, als man aufnimmt. Nach einigen Tagen ist das Ausgangsgewicht wie zu Beginn der Diät erreicht und bleibt konstant, sobald die Ausscheidung sich wieder auf dem Niveau der Aufnahme befindet. Dieser typische Gewichtsverlauf bei Diäten wird auch als Jo-Jo-Effekt bezeichnet.
Abbildung 1.4: Einfluss von Salz auf den Volumenhaushalt: Ein Überschuss von ca. 6 g führt zu einer Bindung von 1 l Wasser, einer sog. Wasserretention. Dies führt zu einem Ödem.
Diese enge Verknüpfung von Salz und Wasser macht man sich medizinisch zu nutze: Patienten mit zu viel Wasser im Körper haben Ödeme und das Körpergewicht ist meist rasch angestiegen. Soll dieses überschüssige Wasser entfernt werden, gibt man Diuretika, wassertreibende Medikamente. Diese sorgen an den Nieren dafür, dass vermehrt Salz ausgeschieden wird. Das Wasser folgt diesem quasi passiv nach. Die Ödeme bilden sich zurück, das Körpergewicht sinkt.
Eine solche medikamentöse Therapie sollte diätetisch durch eine limitierte Salzaufnahme unterstützt werden. Schließlich erscheint es nicht sinnvoll, viel Salz über die Nahrung aufzunehmen und gleichzeitig medikamentös über die Nieren mehr Salz ausscheiden zu lassen.
Kalium
Kalium ist ein Mineral, das besonders in Früchten und Gemüse, aber auch im Fleisch vorkommt. Eine Banane enthält ca. 20–25 Einheiten (mmol), ein großes Steak ca. 40 Einheiten und eine Tomate rund 10 Einheiten.
Bei einer normalen Ernährung nehmen wir durchschnittlich rund 1 Einheit je kg Körpergewicht pro Tag auf, also ein 80 kg schwerer Mann rund 80–100 Einheiten. Über die Nieren muss ein großer Teil davon wieder ausgeschieden werden, damit Ein- und Ausfuhr sich die Waage halten.
Im Körper verteilt sich das Kalium sehr unterschiedlich auf die Kompartimente: Fast die gesamte Menge, nämlich rund 98 %, befindet sich in den Zellen, die restlichen 2 % verteilen sich auf das Interstitium und das Blut. Diese Verteilung ist wichtig, damit zwischen den Zellen und deren Umgebung eine Spannung entsteht. Diese ist die Grundlage für eine normale Funktion z. B. der Nerven (Weiterleitung von Strom bzw. Informationen)...