Um dem Leser für den weiteren Verlauf dieser Arbeit einen Überblick über die Versicherungswirtschaft in Deutschland zu geben, sollen in diesem Kapitel die wesentlichen Aspekte und Besonderheiten dieser Branche kurz dargestellt werden. Um die Bedeutung und Auswirkungen des digitalen Wandels für die Branche darstellen zu können, ist es erforderlich auch die Bedeutung der Versicherungsindustrie selbst zu kennen. Außerdem wird auch der private Kompositversicherungsbereich näher dargestellt.
Die Geschichte der Versicherungswirtschaft in Deutschland reicht mit der Gründung der ersten Transportversicherer und Brandgilden bis in das 18. Jahrhundert zurück und kann seit dem als Treiber für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands betrachtet werden.[15] Der Hauptzweck einer Versicherung, nämlich die entsprechende Verlagerung von individuellen wirtschaftlichen Risiken eines Wirtschaftssubjektes auf das Versichertenkollektiv, repräsentiert durch den Versicherer, gegen eine Prämie, stellt früher wie heute einen wesentlichen Wirtschaftsfaktor dar. Durch den Transfer des Risikos auf die Versicherungswirtschaft wird beispielsweise die öffentliche Hand finanziell entlastet, da die Menschen nicht dem Staat zur Last fallen. Unternehmen könnten ohne entsprechende Versicherungen, bestimmte Risiken ihrer Geschäftstätigkeit nicht eingehen. Die Versicherungsbranche fördert mit ihren Angeboten somit die Investitionen der Unternehmen und sichert damit auch den technischen Fortschritt und das wirtschaftliche Wachstum des Staates.[16] [17] Eine Zunahme des Versicherungsschutzes bei Privatpersonen und Unternehmen führt zu einem stärkeren Wirtschaftswachstum. Die Versicherungswirtschaft in Deutschland zählt damit zur kritischen Infrastruktur des Landes.[18] [19]
Heute besitzt die deutsche Versicherungswirtschaft mit 187,2 Mrd. Euro Beitragseinnahmen in 2013 einen Anteil von 5,3 % am weltweiten Beitragsaufkommen. Damit liegt der Versicherungsmarkt Deutschland weltweit auf Platz sechs. Die Branche bezahlte im Jahr 2013 Schäden in Höhe von 153,3 Mrd. Euro und bildet mit ca. 1,4 Billionen Euro Kapitalanlagen neben den Banken die größte Kapitalsammelstelle unserer Volkswirtschaft.[20] [21] Auf die Kompositversicherung entfallen ca. 61 Mrd. Euro Beitragseinnahmen in 2013. Knapp 50 Mrd. Euro wurden in Form von Leistungszahlungen an die Versicherten ausgezahlt.[22] Ein Kompositversicherer bezeichnet einen Versicherer, welcher mehrere Versicherungszweige betreibt. In der Regel wird eine Kombination aus Haftpflicht-, Unfall-, Kraftfahrt- und Sachversicherung betrieben. Auf Grund der geltenden Spartentrennung müssen Lebens- und substitutive Krankenversicherung getrennt betrieben werden und sind damit nicht Bestandteil der Kompositversicherungssparten.[23]
Einfirmen- und Mehrfirmenvertreter, Makler, Kreditinstitute sowie Direktvertriebe, wie das Internet, bilden die gängigen Vertriebswege der deutschen Versicherungswirtschaft. Hinzu kommen sonstige Vertriebswege wie z. B. Reisebüros oder Autohäuser. Es ist zu beobachten, dass in den letzten Jahren der Anteil der Vertriebswege Direkt und Sonstige im Neugeschäft zunimmt. Dies ist insbesondere in den Kompositversicherungssparten zu erkennen. Der Anteil des Direktvertriebs ist in 2013 ähnlich groß wie die Vertriebswege Mehrfachvertreter, Kreditinstitute und Sonstige zusammen.[24] [25] Der höhere Anteil des Direktvertriebs im Kompositversicherungsbereich ist auch mit der erhöhten Beratungsintensität bei Lebens- und privaten Krankenversicherungen zu erklären in der eher ein Vertriebsweg wie Einfirmenvertreter gewählt wird.[26]
Die steigende Bedeutung und Verbreitung des Internets, wie noch in Kapitel 2.1.2 näher dargestellt wird, begünstigt die Entwicklung des Direktvertriebes seit einigen Jahren zusätzlich. Der Direktvertrieb bzw. Verkauf über Aggregatoren, sprich Vergleichsportalen, gewinnt weiter an Bedeutung. Die klassischen Strukturvertriebe verlieren hingegen an Bedeutung.[27]
Die Branche steht aktuell einer Reihe von Herausforderungen gegenüber. Dazu zählt das anhaltende Niedrigzinsumfeld, welches insbesondere Lebensversicherer Schwierigkeiten bereitet die garantierten Zinsen älterer Verträge zu erwirtschaften. Doch auch Schadenversicherer müssen ihre Erträge heute verstärkt durch die Versicherungstechnik erwirtschaften, da die Kapitalanlagen, nicht wie in der Vergangenheit, im großen Stil zur Ergebnisverbesserung beitragen können. Weitere Herausforderungen stellen die regulatorischen Rahmenbedingungen aus Berlin und Brüssel dar. Dazu zählen Vorhaben wie Solvency II und das Lebensversicherungsreformgesetzt (LVRG).
Diese Themen sind ggf. auch der Grund warum die Herausforderungen des digitalen Wandels bei vielen Versicherern noch nicht so stark im Fokus stehen. Was der digitale Wandel mit sich bringt und wie es zu dieser Entwicklung gekommen ist, wird im folgenden Kapitel beschrieben.
In diesem Kapitel sollen die wesentlichen Aspekte des digitalen Wandels dargestellt werden, um für ein einheitliches Verständnis dieses Aspektes im weiteren Verlauf der Arbeit zu sorgen. Das Kapitel dient damit auch der Definition dieses Schlüsselbegriffes.
Die Digitalisierung gehört zu den Megatrends unserer Gesellschaft. Ein solcher Trend ist dadurch gekennzeichnet, dass von ihm besonders tiefgreifende Auswirkungen auf alle Lebensbereiche ausgehen. Das Zukunftsinstitut, eines der einflussreichsten ThinkTanks der europäischen Trend- und Zukunftsforschung, definiert Megatrends als Veränderungsprozesse, welche mindestens 30 bis 50 Jahre dauern und grundsätzlich globalen Charakter haben, sprich überall spürbar sind. Andere Megatrends sind beispielsweise die Globalisierung, Individualisierung oder Mobilität.[28]
Der Begriff der Digitalisierung ist in der Literatur nicht eindeutig definiert. Grundsätzlich beschreibt der Begriff Digitalisierung, technisch betrachtet, die Transformation von Schrift, Bild und Ton von analoger in digitale Form. Im gesellschaftlichen Kontext wird der Begriff jedoch wesentlich umfassender gesehen. Es handelt sich dabei um die Verbreitung von Technologien in allen Lebensbereichen.[29] Daher wird der Begriff heute vorwiegend in Verbindung mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten über die globalen Netze zum Austausch von Informationen und Transaktionen in Verbindung mit Kommunikationsprozessen verstanden. Dabei werden digitale Informationstechnologien verwendet, um z. B. Geschäftsprozesse zu unterstützen, weshalb im wirtschaftlichen Bereich auch zunehmend der Begriff Electronic Business Anwendung findet.[30] [31]
Ein Merkmal der Digitalisierung ist die fortschreitende Verbreitung und Nutzung des Internets. Internetanschlüsse gehören mittlerweile zum Standard in privaten Haushalten und mobile Zugangsmöglichkeiten über Smartphones und Tablets verbreiten sich immer mehr.[32] Im Jahr 2013 nutzten über 76 % der Deutschen das Internet. In der Altersgruppe der 14- bis 39-Jährigen liegt der Anteil zwischen 94 % und knapp 98 %. Der Anteil derjenigen die auch das mobile Internet nutzen liegt insgesamt bei 51 %. Im Jahr 2012 lag dieser Wert noch bei 37 %. Insbesondere in der Altersgruppe der 16- bis 24-Jährigen ist die Nutzung des mobilen Internets mit 81 % stark verbreitet.[33] 69 % der Teilnehmer einer Studie von PricewaterhouseCoopers (PwC) zum Digitalisierungsgrad der deutschen Bevölkerung gaben an ein Smartphone zu nutzen.[34] Diese Zahlen zeigen die hohe Bedeutung des Internets und bilden die Basis für die fortschreitende Digitalisierung der Gesellschaft.
Doch wie bereits die Definition eines Megatrends zeigte, so ist die Digitalisierung mehr als ein technologischer Megatrend und ein Vertriebsweg Internet. Vielmehr führt sie zu weltweiten gesellschaftlichen Veränderungen.[35] Die Digitalisierung ermöglicht es, dass nahezu Jeder an jedem Ort kommunizieren, Informationen abrufen oder im Internet Produkte und Dienstleistungen erwerben und bezahlen kann. Sie bietet die Möglichkeit, das Lernen und Arbeiten ortsunabhängig wird.[36] Der Datenaustausch ermöglicht in verschiedenen Branchen hohe Effizienzsteigerungen und Fortschritte in der Produktivität. Auch die Arbeitswelt verändert sich grundlegend durch die Digitalisierung. Telearbeit und fehlende Präsenzkultur in den Unternehmen erleichtern zwar die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, doch eine Studie der Universität Oxford zeigt auch, dass durch die Digitalisierung in den kommenden 20 Jahren die Hälfte aller Arbeitsplätze in den USA wegfallen könnte.[37]
Durch diese Veränderungen in nahezu allen Wirtschaftsbereichen, vollzieht sich ein Wandel der alle Bereiche einer Gesellschaft und damit auch eines Unternehmens betrifft, das Geschäftsmodell ganzer Branchen auf den...