3.) Lerntheorien – ein allgemeiner Überblick
Vorab sei vermerkt, dass verschiedene Lerntheorien zeitlich nebeneinander existieren können und lediglich in der Öffentlichkeit mal mehr oder weniger diskutiert bzw. wahrgenommen werden. Klare Linien, in der eine Theorie die andere gänzlich und mit einem eindeutigen Schnitt ablöst, um 30 Jahre später wieder zu verschwinden, sind in diesem Wissenschaftszweig nicht zu erwarten.
Auch müssen Kontextbedingungen, wie etwa das Existieren kriegerischer Auseinandersetzungen (1. & 2. Weltkrieg) und damit einhergehende Verfolgungen und menschliche Nöte, Berücksichtigung finden.
Lerntheorien dürfen als das Resultat des von Psychologen vorgenommenen Versuches angesehen werden, Struktur in Gedanken, Hypothesen, gefundene Gesetze und Annahmen bezüglich des menschlichen Verhaltens zu bringen.
Folglich stellt die getroffene Klassifikation der Theorien des Lernens eine gewisse Vereinfachung dar.
Nichtsdestotrotz können zwei polarisierende Orientierungen identifiziert werden: behavioristisch und kognitiv geprägte Erklärungsversuche. „Während sich behavioristische Lerntheorien mit den beobachtbaren äußeren Bedingungen des Lernens beschäftigen, setzen sich kognitive Theorieansätze vor allem mit den Mechanismen auseinander, die für Wissenserwerb, Begriffsbildung, Regellernen und Problemlösen bestimmt sind (...).“[14]
Obgleich nur wenige Theorien gänzlich und unvermischt eindeutig einer einzigen Denkrichtung zugeordnet werden können und folglich als strikt gelten, sind die gesetzten Masken doch hilfreich, um die grundsätzliche Einstellung eines Theoretikers zu erfassen. Im tatsächlichen Leben und fern von jeglicher experimenteller Sterilität wird jeder Lernvorgang allerdings mehr als eine trennscharfe Theorie implizieren.[15]
Ausgangspunkt jeglicher Überlegungen ist zunächst einmal das direkt wahrnehmbare Verhalten eines Organismus. Inwieweit sich Wissenschaftler ausschließlich jenem Verhalten widmen, oder ob sie hierin ein Indiz bezüglich dessen, was sich im Kopf eines Menschen abspielt, zu erkennen glauben, hängt von deren grundsätzlichen theoretischen Überzeugung ab. „Gleichwohl: alle Psychologen müssen wahrnehmbares Verhalten beobachten, um festzustellen, ob eine Veränderung eingetreten ist.“[16]
Anfängliche, zunächst offensichtlich scheinende Unterschiede verwischen, sobald man sich der Tatsache bewusst wird, dass allen Theoretikern eine geteilte Logik der Untersuchungsmethode gemein ist. Es gilt folgende Grundregel: „Alle Tatsachen werden von allen Theoretikern anerkannt.“[17] Eindeutige Kontroversen spielen sich lediglich auf der Ebene der Interpretation ab.
Denn da „(...) Behaviorismus und Kognitivismus nur bequeme Etiketten für extrem komplexe Theorien darstellen (...)“ verwundert es nicht, dass diese „(...) oft gemeinsame Ideen (...)“[18] enthalten. Sie verfügen sozusagen über interne Berührungspunkte.
Die Hauptdifferenz jener Denkansätze liegt sicherlich in der Beantwortung der Frage, ob externales Verhalten dahingehend gedeutet werden darf, als dass es gültige Rückschlüsse auf zugrundeliegende menschliche Zustände zulässt (=Kognitivismus), oder eben nicht (=Behaviorismus).
Deutlich sollte geworden sein, dass für die Kennzeichnung zentraler Merkmale von Lernen und auf diesen Themenkomplex bezogene allgemeine Orientierungen, die vom Wissenschaftler eingenommene Warte entscheidend ist.
Wie zu Beginn bereits erwähnt, können die bestehenden Lerntheorien in zwei Richtungen untergliedert werden und so auf eine typische Art und Weise Prozesse beschreiben, untersuchen und erklären, die zu spezifischen Lernphänomenen führen.
3.1) Behavioristische Lerntheorien – Grundidee und Charakteristika
Von den Arbeiten des russischen Wissenschaftlers Pawlow inspiriert schrieb der Amerikaner John B. Watson (1878-1958) zu Beginn des 20. Jahrhunderts die programmatische Schrift „Psychologie, wie der Behaviorist sie sieht“(1919)[19] und entzündete so den Keim für eine Vielzahl grundlegender Veränderungen in der vorherrschenden Psychologie.
Es offenbarte sich eine klare Abkehr von mentalistischen Untersuchungsgegenständen, wie Gedanken und Emotionen – also der Widerstand gegen die Introspektion[20] – zugunsten eines rein sachlichen und logisch begründbaren Wissenschaftsverständnisses. Watson übte größte Kritik an bestehenden Forschungstechniken – das Analysieren und Berichten von sowie Reflektieren über geistige Vorgänge sei gänzlich unwissenschaftlich. Zwar setzte die Methode der Introspektion viele Erfahrungen in diesem Bereich voraus, doch besteht stets die Möglichkeit, Gedanken und Empfindungen höchst subjektiv und somit nicht verallgemeinerbar zu deuten. „Watson erkannte diese Schwäche und setzte sich dafür ein, dass mündliches Berichten innerer Ereignisse (...) aus der Psychologie verbannt werden sollte.“[21] Er wollte die Psychologie bzw. die objektive Verhaltenslehre als einen Zweig der Naturwissenschaft etablieren.
Im Zuge der Neuformulierung des Problemkreises strich der Urheber „(...) aus seinem wissenschaftlichen Vokabular alle subjektiven Termini wie Empfindung, Wahrnehmung, Vorstellung, Wunsch, Absicht und sogar Denken und Gefühl, soweit diese Begriffe subjektiv definiert waren.“[22]
Folglich war diese neuartige Form der Wissenschaftsauffassung eine, die sich „(...) von einer Bewusstseinspsychologie deutlich distanzierte (...).“[23]
Von einer Betrachtung sämtlicher innerer Vorgänge des Menschen musste auf Seiten der Schule des älteren Behaviorismus deshalb verzichtet werden, da diese einer wissenschaftlichen Erforschung nicht unmittelbar zugänglich waren.
„Der Mensch wird deshalb im Behaviorismus als „Black Box“ angesehen (...).“[24] Auf diesen wirken ständig Reize ein, die eine Reaktion, das Verhalten des Menschen (="Black" Box) bedingen. Was jedoch innerhalb der Black Box vor sich geht ist nicht Untersuchungsgegen-
stand des Behavioristen. Man versuchte die Forschung auf tatsächlich Beobachtbares einzugrenzen.
Der neu formulierte Gedankengang Watsons hatte es sich zum theoretischen Ziel gemacht, anhand externaler, also exakt beobachtbarer und messbarer Variablen, wie zum Beispiel mittels des ersichtlichen menschlichen oder tierischen Verhaltens, „(...) Gesetze abzuleiten, die die Beziehung zwischen vorausgehenden Bedingungen (Stimuli), Verhalten (Reaktion) und darauffolgenden Bedingungen (Belohnung, Bestrafung, neutrale Auswirkung) erklären.“[25] Präziser noch: Mit Hilfe verschiedener Laborexperimente (besonders Tierexperimente) sollte die Vorhersage und Kontrolle von Verhalten möglich werden.[26]
Aus mehreren Gründen führte der Behaviorist mit Tauben, Ratten und Kaninchen Experimente und Versuche durch. So verringerte der Einsatz nichtmenschlicher Probanden beispielsweise die Auftretenswahrscheinlichkeit des „Placebo[27]- bzw. Erwartungseffektes“. Weder ist ein Tier motiviert dem Versuchsleiter zu gefallen oder zu schmeicheln, noch ist anzunehmen, dass die Beobachtung des Tieres sein Verhalten beeinflusst. Dies würde eine Verfälschung der Testergebnisse bedingen. Zudem bestechen domestizierte Tiere durch ihre leichte Verfügbarkeit (schnelle Reproduktion) und die Chance, ihre umgebende Umwelt so zu kontrollieren, dass bestimmte Erfahrungen nicht gesammelt werden können. Überdies zeichnen sich Versuchstiere durch ihre relative Einfachheit bzw. eingeschränkte Intelligenz aus, was eine bessere Beeinflussung des Komplexitätsgrades von Experimenten ermöglicht.
Letzteres bedingt hingegen auch eine Reihe von Kritikpunkten. So wird in der wissenschaftlichen Diskussion oftmals bemängelt, dass differenzierte und komplexe Probleme, wie sie in der Lebenswelt des Menschen aufzufinden sind, mit Hilfe von Tieren nicht erforscht werden können, da diese ihre Fertig- und Fähigkeiten überschreiten würden. Folglich seien Rückschlüsse auf den Menschen nur bedingt möglich (Transfer- bzw. Übertragungsproblematik). Ferner werden ethische Fragen, wie die nach dem adäquaten und humanen Umgang mit dem Tier, gestellt.[28]
Zusammenfassend können die Grundannahmen des Behaviorismus auf eine einfache Formel gebracht werden: Das gezeigte Verhalten eines jeden Organismus darf als Reaktion auf bestimmte, von der Umwelt gesendete Reize verstanden werden. So passt sich der Organismus an den umgebenden Kontext an. Offenkundiges Verhalten ist das visuell zugängliche Resultat verschiedener Reiz- Reaktions- Verbindungen, die ein Organismus über einen Zeitraum hinweg erlernt hat. Lernen ist aus Sicht des Behaviorismus nichts anderes als der Erwerb neuer Reiz- Reaktions- Verbindungen. Im...