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Benedictus de Spinoza. Eine Einführung

Röd, Wolfgang - philosophische Texte; Ethik-Unterricht; Analysen; Erläuterungen - 18193

AutorWolfgang Röd
VerlagReclam Verlag
Erscheinungsjahr2002
ReiheReclams Universal-Bibliothek 
Seitenanzahl416 Seiten
ISBN9783159503042
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Spinozas Philosophie ist vor allem (rationale) Metaphysik. Auch seine Ethik, die Psychologie der Affekte, die Lehre von Recht und Staat und seine Religionsphilosophie beruhen auf metaphysischen Grundlagen. Wolfgang Röd erläutert in dieser fundamentalen Einführung, wie weit Spinozas gesamtes Werk vom Geist der Geometrie beherrscht wird.

Wolfgang Röd, Jahrgang 1926, studierte Philosophie in Mailand und Innsbruck, wurde 1970 in München habilitiert und lehrte in München und Innsbruck. Er ist Doktor h. c. der Universität Bern und Ehrenmitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Außer Arbeiten über speziellere philosophiegeschichtliche Themen z. B. Descartes (31995) und Dialektische Philosophie der Neuzeit (21986; auch spanisch, portugiesisch, japanisch und ungarisch) veröffentlichte er unter dem Titel Der Weg der Philosophie (2 Bde., 199496; Taschenbuchausgabe 2000) eine Darstellung der Entwicklung des europäischen Denkens von den Anfängen bis zur Gegenwart. Mit systematischen Fragen setzte er sich auseinander in den Werken Erfahrung und Reflexion (1991) und Der Gott der reinen Vernunft (1992). Er ist Herausgeber der Geschichte der Philosophie (1976 ff.), zu der er selbst zwei Bände und Teile weiterer Bände beigesteuert hat.

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Leseprobe

IX Erkenntnis aus reiner Vernunft (S. 245-246)

Wie alle Vertreter der rationalistischen Metaphysik glaubte Spinoza an die Möglichkeit definitiven, einer Korrektur weder fähigen noch bedürftigen und in diesem Sinne perfekten Wissens. Dieser Glaube ist charakteristisch für eine philosophische Tradition, die sich bis zu den Eleaten zurückverfolgen läßt. Parmenides hat das empirische Wissen als bloße Meinung abgewertet und ihm das wahre, absolut sichere und göttlich garantierte Wissen gegenübergestellt.

Platon nahm dieseUnterscheidung auf, und die späteren Vertreter des Platonismus hielten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, an ihr fest. In der Neuzeit findet sie sich bei Descartes und den Cartesianern, bei Leibniz, bei Kant und den nachkantischen Idealisten sowie im 20. Jahrhundert noch bei Husserl. Bei Spinoza äußert sie sich in der Auffassung, daß empirische Ideen inadäquat und nur nicht-empirische Ideen adäquat seien bzw. daß es neben Vorstellungen, die körperlichen Vorgängen und Zuständen entsprechen, auch Ideen gebe, die nicht durch zerebrale Prozesse bedingt sind und deren Zusammenhang nicht nur, wie im Falle der anschaulichen Vorstellungen und der Affekte, rein assoziativ ist.

Die empirische Erkenntnis partikulärer Dinge, die auf anschaulichen Ideen beruht, ist immer hypothetisch; ihr steht die nicht-empirische, streng allgemeingültige Erkenntnis auf Grund von adäquaten Ideen gegenüber, die notwendig ist und zu der es daher keine Alternative gibt. Von den anschaulichen Ideen bzw. vom empirischen Wissen war in Kap. VII die Rede; im vorliegenden Kapitel soll Spinozas Konzeption des perfekten Wissens, einschließlich des perfekten Wissens von Gott, erörtert werden.

1. Die Möglichkeit vollkommenen Wissens

Von Erkenntnis bzw. von Wissen sprach Spinoza gewöhnlich in bezug auf Ideen: Etwas perfekt zu erkennen bedeutet, über notwendig wahre Ideen zu verfügen. An dieser Auffassung könnte jemand, der von »Erkenntnis« und »Wahrheit« primär in bezug auf Urteile spricht, Anstoß nehmen. Man muß aber bedenken, daß Ideen nach Spinoza immer eine Behauptung enthalten und daher implizit urteilsartig sind. Im Zusammenhang der Erkenntnistheorie bzw. der Erkenntnismetaphysik wird von Ideen nicht im Sinne von Bewußtseinsakten, sondern im Sinne von Bewußtseinsinhalten gesprochen, die als endliche Modi des Attributs cogitatio von Gott bzw. von der absolut unendlichen Substanz, näherhin vom unendlichen Intellekt Gottes, abhängen.

Die Ideeninhalte haben Gott zur Ursache, und zwar unabhängig davon, ob dem gedachten Gegenstand ein reales Ding entspricht oder nicht. Gott verursacht die so verstandenen Ideen allerdings nicht unmittelbar, sondern mittelbar, nämlich vermittels anderer von Gott abhängiger Ideen (E II, 9; II,91 f.). Ideen gehören mit allen anderen Ideen einem von der unendlichen Substanz abhängenden Zusammenhang an, der dem Zusammenhang der Ideen der Geometrie analog ist. Die Ideen sind – als Denkinhalte – in Gott bzw. in der unendlichen Idee Gottes, d. h. im unendlichen Intellekt, enthalten (EII, 8; II,90; siehe auch Kap. IV im vorliegenden Band). Ideen sind also nicht nur so durch andere Ideen bedingt, wie materielle Modi durch andere Modi derselben Art bedingt sind, sondern sie sind auch durch den unendlichen göttlichen Intellekt bedingt.

Inhaltsverzeichnis
Inhalt5
Einleitung13
1. Spinozas philosophisches Programm13
2. Spinozas Metaphysik und der Geist der Geometrie22
3. Das Interesse am Spinozismus26
I Spinozas Leben im Überblick31
1. Jugend in Amsterdam31
2. Die Jahre in Rijnsburg35
3. Die Zeit in Voorburg und Den Haag40
II Methoden- und Erkenntnislehre44
1. Die geometrische Ordnung44
2. Die Erkenntnisweisen54
3. Der Begriff der Wahrheit64
4. Der geometrische Geist82
III Die erste Gestalt der Spinozanischen Metaphysik85
1. Die Gottesbeweise86
2. Das Wesen Gottes89
3. Spinoza und Descartes91
4. Praktische Philosophie in der Kurzen Abhandlung101
5. Erkenntnis und Liebe110
IV Die Grundlegung der Ontologie in der Ethik114
1. Einleitende Bemerkungen114
2. Grundbegriffe und Grundsätze118
3. Die Entwicklung des Substanzbegriffs127
4. Unendliche und endliche Modi130
5. Die Macht der Substanz und die Macht der Modi139
6. Der Parallelismus der Attribute142
7. Kritik der Teleologie und des Indeterminismus145
V Ontologie und Geometrie150
1. Geometrische und ontologische Folgebeziehungen150
2. Unendliche Modi als Folgen der Attribute159
3. Vielheit und Einheit169
VI Der Beweis der Existenz Gottes174
1. Die Bedeutung des Gottesbeweises174
2. Die Widerspruchsfreiheit der Gottesidee178
3. Die Substanz als causa sui179
4. Die Einzigkeit der Substanz184
VII Geist, Körper und Anschauung195
1. Das psychophysische Problem195
2. Spinozas Auffassung der Idee199
3. Die Natur der Körper, insbesondere des menschlichen Körpers203
4. Der Geist als Idee des Körpers206
5. Das anschauliche Erkennen213
VIII Die Lehre von den Affekten217
1. Die Methode217
2. Spinoza und die herkömmliche Auffassung der Affekte219
3. Metaphysische Grundlagen der Lehre von den Affekten221
4. Die Grundaffekte229
5. Das Problem der Bewertung von Affekten232
6. Das Ideal der menschlichen Natur238
7. Metaphysische Voraussetzungen242
IX Erkenntnis aus reiner Vernunft245
1. Die Möglichkeit vollkommenen Wissens246
2. Wissen nach der Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes248
3. Die Auffassung des Wissens in der Ethik250
4. Zeit und Ewigkeit261
X Freiheit, Ewigkeit des Geistes und Liebe zu Gott266
1. Freiheit266
2. Freiheit als Unabhängigkeit von Leidenschaften270
3. Freiheit und vernünftige Gottesliebe276
4. Die Ewigkeit des Geistes283
XI Rechts- und Staatsphilosophie290
1. Das natürliche Recht291
2. Natürliches Recht und natürliches Gesetz299
3. Die Konstruktion des Staatsbegriffs301
4. Staat und vernünftige Gemeinschaft310
5. Die Einheit des Staates nach dem Politischen Traktat316
6. Der geometrische Geist in der Staatslehre318
7. Naturrecht und Politik321
XII Religionsphilosophie und Bibelkritik327
1. Die Motive der Religionskritik327
2. Religiöser Aberglaube und wahre Religion331
Schluß: Spinoza und die neuzeitliche Metaphysik342
Abkürzungen und Zitierweise355
Anmerkungen357
Literaturhinweise401
Personenregister408
Sachregister412
Zum Autor416

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