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Religion, Ethnie, Nation und die Aushandlung von Identität(en)

AutorIstvan, Keul
VerlagFrank & Timme
Erscheinungsjahr2005
Seitenanzahl184 Seiten
ISBN9783865960092
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Die im Tagungsband versammelten Abhandlungen befassen sich mit dem komplexen Zusammenspiel von Faktoren wie Religion, Ethnie und Nation sowie deren Rolle in den Aushandlungs- und Ausdifferenzierungsprozessen von kollektiven Identitäten. Die von Religionswissenschaftlern und Historikern verfassten Beiträge behandeln auf historischer und ethnologischer Basis politische, ethnische und religiöse Konstellationen in Ostmittel- und Südosteuropa (Jugoslawien, Griechenland, Makedonien, Albanien, Lettland, Ungarn und Rumänien) in Geschichte und Gegenwart.

Zum Autor

István Keul ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Religionswissenschaft der Freien Universität Berlin.

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Kapitelübersicht
  1. Inhaltsverzeichnis und Vorwort
  2. Titos Alptraum: Die Katholische Kirche und die kroatische Diaspora (Buchenau)
  3. Eine Identität mit vielen Gesichtern? Die slawischen Muslime Makedoniens (Telbizova-Sack)
  4. Orthodoxie, griechische Ethnie und Nation, griechischer Nationalstaat und Nationalismus: Mythen und Realitäten (Makrides)
  5. Religionszugehörigkeit und Ethnizität der albanischen Bevölkerung im südöstlichen Europa:Verhandlungsspielräume und ihre Grenzen (Kaser)
  6. Crisis and Mass Conversion: Russian Orthodox Missions in Livonia, 1841-19171 (Hatlie)
  7. Confessio Hungarica versus confessio Germanica? (Fata)
  8. Baustelle Identität: Ethnisch-konfessionelle Mosaiken in Ostmitteleuropa Siebenbürgische Perspektiven (Keul)
  9. Zu den Autoren
Leseprobe
Religionszugehörigkeit und Ethnizität der albanischen Bevölkerung im südöstlichen Europa: Verhandlungsspielräume und ihre Grenzen (S. 93-94)

Karl Kaser

Dieser Beitrag untersucht ethnische Identitäten von Albanern in Albanien, im Kosovo und in Makedonien. Albanerinnen sind aus dem öffentlichen Diskurs über Facetten des Albanertums ausgeschlossen oder nehmen nicht daran teil; daher nimmt die Analyse notgedrungen eine männliche Perspektive ein. Die ethnische Identitätsproduktion der albanischen Bevölkerung wird im Wesentlichen durch zwei Umstände geleitet: erstens, dass sie sich über fünf Staaten bzw. Regionen verteilt (Albanien, Nordwestgriechenland, Makedonien, Kosovo, Montenegro), und zweitens, dass sie vier größeren religiösen Strömungen angehört (dem sunnitischen Islam, dem Derwischorden der Bektaschia, dem orthodoxen und dem katholischen Christentum).

Auffallend dabei ist, dass die albanische Bevölkerung mit etwa 70 Prozent den höchsten Islamisierungsgrad aller Bevölkerungen im südöstlichen Europa und den höchsten Anteil an Mitgliedern des Bektaschia-Ordens in Europa aufweist. Aus diesem Grund wird sich die folgende Analyse auf den Zusammenhang von Islam und Ethnizität der albanischen Bevölkerung konzentrieren. Dieser Zusammenhang ist insbesondere deshalb untersuchenswert, weil der Islam – im Unterschied zum Christentum – offenbar fluide, verhandelbare Identitäten ermöglicht. Die Verhandlungsspielräume sind beträchtlich, sie haben aber auch ihre Grenzen. Die Untersuchung geht von drei Beobachtungen aus, die in islamischen Zusammenhängen stehen; diese sind auf den ersten Blick erstaunlich und erklärungsbedürftig. Um sie zu erklären, wird weiter auszuholen sein.

Dazu wird auf das generelle Phänomen einzugehen sein, dass in den Gebieten des ehemaligen Osmanischen Reichs das Phänomen verhandelbarer Identitäten relativ häufig vorzufinden ist. Der dritte Abschnitt fokussiert dieses Problem dann auf die albanische Bevölkerung. Dabei wird insbesondere auf drei Faktoren Wert gelegt: auf die Rolle des Staates, auf Konsequenzen der Arbeitsmigration nach Griechenland sowie auf die Rolle der Bektaschia.

1) Drei Schauplätze

Erster Schauplatz: Ein Dorf in unmittelbarer Nähe des Ohridsees in Makedonien – Dezember 2003. Die Bevölkerung ist auf muslimische Art gekleidet, in der Dorfmitte eine Moschee mit einem steil aufragenden Minarett. Nicht im unmittelbaren Blickfeld eine neue Moschee, wesentlich größer, das Geld dafür stammt aus Quellen der Arbeitsmigration. Die Menschen sprechen sowohl Albanisch als auch Makedonisch, die Männer mitunter ein gebrochenes Deutsch. Der auf den Besuch gut vorbereitete Wissenschaftler glaubt zu wissen, dass es sich bei der Bevölkerung um so genannte „Torbeschen" handelt, also um mazedo-slawische Bevölkerung, die im Verlauf der osmanischen Herrschaftsperiode aus unbekannten Gründen zur muslimischen Glaubensgemeinschaft übergetreten ist. Natürlich versucht er sich zu vergewissern, ob dies wohl wirklich zutreffe. Nein, nein wird ihm bedeutet, dies sei ganz und gar nicht der Fall.

Alle seien Albaner und Albanerinnen, sprächen die albanische Sprache, seien gute Muslime. Ein gebrochen Albanisch sprechender Abgeordneter zum Parlament in Skopje versichert überzeugend, dass sie Albaner seien, Torbeschen würden hier keine leben. Es gibt auch eine orthodoxe, makedonische Minderheit im Dorf. Einer von ihnen, ein Lehrer, der sich sein Leben lang mit der Geschichte des Dorfes beschäftigt hat, zieht mich beiseite und zeigt mir die Ergebnisse der Volkszählung aus dem Jahr 1953, nach denen Haushalt für Haushalt die ethnische Zugehörigkeit der Bevölkerung zu rekonstruieren ist – von albanischen Haushalten beinahe keine Spur.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis6
Vorwort8
Titos Alptraum (Buchenau)14
Die Katholische Kirche und die kroatische Diaspora14
Die kroatische Diaspora. Ein Überblick15
Mehr Konsens als Dissens. Die kroatischen Bischöfe und die politische Emigration20
Mehr Dissens als Konsens. Die politische Emigration und der Vatikan25
Nationalisierung im Alltag: Katholische Gastarbeiter-Seelsorge33
Mit der Diaspora in den Krieg44
Eine Identität mit vielen Gesichtern? (Telbizova-Sack)48
Die slawischen Muslime Makedoniens48
Die Torbeschen51
Die Ambivalenz der Selbstbestimmung55
Schlussbemerkungen66
Orthodoxie, griechische Ethnie und Nation, griechischer Nationalstaat und Nationalismus: Mythen und Realitäten (Makrides)68
Religionszugehörigkeit und Ethnizität der albanischen Bevölkerung im südöstlichen Europa:Verhandlungsspielräume und ihre Grenzen (Kaser)94
1) Drei Schauplätze95
2) Die Verhandelbarkeit ethnischer und religiöser Identitäten97
3) Strukturen, Identitätsangebote und Handlungsspielräume103
Crisis and Mass Conversion: Russian Orthodox Missions in Livonia, 1841-19171 (Hatlie)116
1. Souls for Land: the Mass Conversions of the 1840s4118
2. Combating German Religion: The Conversion Campaign During World War I127
3. Conversions, Crises and Mission Compared132
Further Research144
Confessio Hungarica versus confessio Germanica? (Fata)148
Die Rolle der Konfessionen in der Abgrenzung der Ethnien und der Bildung des Nationalbewusstseins am Beispiel des frühneuzeitlichen Ungarn148
1. Einleitung148
2. Die Identitätsfindung der Deutschen im Luthertum und der Magyaren im Calvinismus150
3. Elemente des sich formierenden ungarischen Nationalbewusstseins158
4. Schluss164
Baustelle Identität: Ethnisch-konfessionelle Mosaiken in Ostmitteleuropa Siebenbürgische Perspektiven (Keul)166
1. Zur Diskursfähigkeit des Identitätsbegriffs166
2. Ethnien und Konfessionen in Siebenbürgen168
3. Reussdörfchen169
4. Homoródalmás175
5. Natio, religio, Ethnie: Sukzessivität, Parallelität und Komplementarität von Identitäten. Abschließende Überlegungen180
Zu den Autoren184

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