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E-Book

Bertolt Brecht und Laotse

AutorHeinrich Detering
VerlagWallstein Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl112 Seiten
ISBN9783835320888
FormatPDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Brecht und Laotse aus einer überraschenden Perspektive betrachtet vom Literaturwissenschaftler, Kritiker, Dichter, Essayisten, Autor und Übersetzer Heinrich Detering. Über einen politisch engagierten Freund bemerkt Brecht 1920 in seinem Notizbuch: 'Er hat zuviel Ziel in sich, er glaubt an Fortschritt' - und fügt dann hinzu: 'Aber er zeigt mir Laotse, und der stimmt mit mir so überein, daß er immerfort staunt.' Von den Gründen und der Geschichte dieses 'aber' handelt Heinrich Deterings Studie. Denn bis weit in die Zeit seines Exils hinein wird Brecht seine Auseinandersetzung mit dem legendenhaften Urheber des Taoismus weiterführen, kulminierend in seiner berühmten Legende von der Entstehung des Buches Taoteking (1938). Und immer wieder gerät dabei die chinesische Lehre vom 'Nicht-Handeln' in Spannung zu allem geschichtsphilosophischen Fortschrittsdenken, kommt das Leitbild vom kreisenden Lauf des Wassers der marxistischen Dogmatik in die Quere. Der Göttinger Literaturwissenschaftler macht die weitreichende Bedeutung Laotses nicht nur für Brechts Denken, sondern vor allem für seine Dichtung sichtbar und eröffnet so einen neuen, überraschenden Blick auf ein Werk, das wir längst zu kennen glaubten.

Heinrich Detering, geb. 1959, ist nach Lehrtätigkeit an den Universitäten in Irvine, München und Kiel Professor für Neuere deutsche Literatur an der Georg-August-Universität Göttingen. 2003 erhielt er den 'Preis der Kritik'. Er ist u.a. Mitherausgeber der kommentierten Ausgabe der Werke, Briefe und Tagebücher von Thomas Mann und Autor eines Buchs über Bob Dylan.

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Leseprobe
Lenin oder Laotse (S. 71-72)

Mit der Weisheit des Lehrers Lenin stimmt all dies nicht überein. Der Lauf des Wassers und das revolutionäre Handeln bezeichnen hier zwei grundverschiedene Modelle. An dieser Schwierigkeit hat Brecht selber sich lange abgearbeitet – zunächst im Umkreis der Laotse-Ballade, dann aber auch in dieser selbst.

Unter den parallel entstehenden Versuchen, in denen es, unter anderem, auch um die Spannungen zwischen Taoismus und Marxismus geht, ist das Buch der Wendungen der mit Abstand wichtigste. Seit Uwe Johnsons postumer Ausgabe von 1965 ist es bekannt als Me-ti. Buch der Wendungen. Dabei hat dieses zwischen 1934 und 1940 entstan dene Fragment dem Anschein nach mit Laotse gar nichts, mit den Texten des Mê-ti (Mo Di) umso mehr zu tun – jenem dritten der schulbildenden chinesischen Philosophen, der in den Auseinandersetzungen zwischen Taoismus und Konfuzianismus immer wieder übersehen, oder vielmehr: vom Konfuzianismus offensiv verdrängt worden war.

1922 war Alfred Forkes Übersetzung der Schriften des gegenüber dem Konfuzianismus wie gegenüber dem Taoismus eigenstän digen humanistischen Sozialethikers »Mê ti« erschienen188 (so Forkes Schreibweise des in mannigfachen europäischen Schreibvarianten verbreiteten Namens). Sie gehörte zu den wenigen Büchern, die Brecht ins dänische Exil mitnahm; im Schauspiel vom Guten Menschen von Sezuan, mit dessen Ausarbeitung er im Erscheinungsjahr der Svendborger Gedichte begann, sind die Spuren dieser Lektüre mehrfach zu bemerken. 189 Die Grundschriften des »Mohismus« (oder »Mehismus«) – sie waren um diese Zeit buchstäblich das »Büchlein, das er immer las«.

Wenn Brecht das entstehende Werk selbst als Buch der Wendungen überschreibt, dann spielt er damit zunächst gewiss nur allgemein auf die Prinzipien eines dialektischen Denkens an, wie es in diesen Texten praktiziert wird. Zugleich aber wird damit hinter den Schriften des Mo Di und den gelegentlich einbezogenen Gleichnissen des Dschuang Dsi ein weiteres Werk der chinesischen Tradition erkennbar, eines der vermutlich ältesten und bis heute in vieler Hinsicht rätselhaftesten Bücher der Menschheit: das Weisheits- und Orakelbuch des I Ging (oder I Ching).

Richard Wilhelm hatte es 1914 übersetzt und ausführlich kommentiert, unter dem Titel I Ging: Das Buch der Wandlungen. Das I Ging, schreibt Wilhelm, veranschauliche »das unwandelbare ewige Gesetz, das in allem Wandel wirkt« – und zwar in genau demselben Sinne, in dem das Tao te king es umschreibe: »Dieses Gesetz ist der SINN des Laotse«, also das Tao.191 So ist es, und so hat Brecht das Werk offensichtlich rezipiert. In dessen Buch nun wird mehrfach die Lehre vom »Fluß der Dinge« berührt. Und wie schon in Brechts Aufsatz Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit wird sie auch hier explizit auf die europäische Geschichtsphilosophie bezogen. In diesem 1934 entstandenen Text wird die Dialektik selbst mit der »Lehre vom Fluß der Dinge« in eins gesetzt:
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Legende6
»Hat er was rausgekriegt?«14
Sie werden lachen: das Taoteking22
Mond und Lied und Litaipe29
Den Himmel anschaun und sich treiben lassen33
Das Grauen vor der Ordnung40
Döblin und das Tao in Berlin46
Der Streit der Welt und die höflichen Chinesen54
Pfeiferauchend in die Emigration65
Lenin oder Laotse72
Die neunte Strophe und ihre Folgen76
Das Versmaß des Tao83
»Nein.«90
Anmerkungen95
Abbildungen und Copyrightnachweise109
Zur Transkription der chinesischen Namen und Begriffe110
Dank111
Inhalt112

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