Bei der Sichtung der Literatur, die sich mit der Thematik der Lehrerbelastung auseinandersetzt, wird deutlich, dass viele Autoren zentrale Begrifflichkeiten nicht entsprechend ihrer Bedeutung verwenden. Begriffe wie Belastung und Beanspruchung haben aufgrund des deutschen Sprachgebrauches einen wertenden, meist negativen Charakter. Hübner/Werle (1997) verweisen darauf, dass z.B. der Belastungsbegriff nicht nur negativ, sondern auch positiv bewertet werden muss und als Herausforderung gesehen werden sollte, die im Menschen Bewältigungswillen und Kreativität freisetzen kann (vgl. Hübner/Werle 1997: 218f.). Dieser uneinheitliche Gebrauch erschwert sowohl die Zugangsweise als auch einen Vergleich der einzelnen Arbeiten untereinander.
In Bezug auf das im weiteren Verlauf erläuterte und als Grundlage für die Arbeit dienende Rahmenmodell der Belastung und Beanspruchung, sollen die Begriffe entsprechend der von Rudow (1995) definierten Terminologie verwendet werden:
„Unter objektiver Belastung sind alle diejenigen Faktoren in der (pädagogischen) Tätigkeit zu verstehen, die unabhängig vom Individuum (Lehrer) existieren und potentielle Beanspruchungen hervorrufen.“ (Rudow 1995: 42)
„Die subjektive oder psychische Belastung entsteht durch Widerspiegelung der objektiven Belastungsfaktoren.“(Rudow 1995: 42).
Bei einer subjektiven Belastung „tritt als Wirkung im Organismus die psychophysische Beanspruchung mit positiven und/ oder negativen Folgen auf“ (Rudow 1995: 13).
Basis aller Belastungs- und Beanspruchungserscheinungen ist die Tätigkeits- und Handlungstheorie, die im Folgenden erläutert wird (vgl. Rudow 1995: 13).
Die Tätigkeits- und Handlungstheorie zeichnet sich durch ihre integrative Funktion und die ganzheitliche Beschreibung und Erklärung menschlicher Tätigkeiten aus und kann als theoretische Basis zur Darstellung beruflicher Belastungen verwendet werden (siehe Abbildung 7). Die Theorie überwindet die Kluft zwischen Denkprozessen und Vollzugshandlungen mit gleichzeitigem Blick auf die darauf einwirkenden psychischen Prozesse wie Emotion oder Motivation. Sie erweitert die bisherigen Ansätze zur Belastungsanalyse, die meist von Reiz-Reaktionsprozessen zwischen Person und Umwelt ausgehen, um die gegenständliche Tätigkeit und zielgerichtete Handlung, die als Verbindungselement zwischen beiden Größen wirkt.
Rudow (1995) wiederum entwickelte aus diesem allgemeinen Tätigkeits- und Handlungskonzept ein berufsspezifisches Modell, das den Zusammenhang zwischen der Lehrertätigkeit, den subjektiven Handlungsvoraussetzungen und den objektiven Anforderungen verdeutlicht.
Jede Lehrerhandlung führt zu einem Abgleich der Anforderungen mit den individuellen Handlungsvoraussetzungen des Subjekts. Die auf diese Weise bewerteten Anforderungen stellen bei einer individuell variablen Intensität eine Belastung dar, die auf den Organismus des Lehrers einwirkt und positive oder negative psychosomatische Beanspruchungsfolgen messbar werden lässt.
Abbildung 7: Handlungs- und Tätigkeitsmodell eines Lehrers
Quelle: Eigene Darstellung nach Rudow (1995:13)
Innerhalb der Veröffentlichungen, die sich mit dem Forschungsbereich der allgemeinen Lehrerbelastung oder der fachspezifischen Lehrerbelastung beschäftigen, verwenden die jeweiligen Autoren unterschiedliche Systematisierungskonzepte der objektiven Anforderungen, um sich der Thematik anzunähern.
Bei der Analyse der fachunspezifischen und sportfachspezifischen Literatur kann man zwei dominierende Systematisierungsansätze zur Kategorisierung der objektiven Anforderungen erkennen.
4.2.2.1 Arbeitswissenschaftlicher Ansatz
Der erste Systematisierungsansatz orientiert sich am arbeitswissenschaftlich geprägten Belastungsmodell von Schönwälder (1988), in dem sowohl die Arbeitsbedingungen als auch der Arbeitsauftrag des Lehrers Merkmale der Lehrertätigkeit sind. Die objektiven Belastungsmomente entstehen durch die Anforderungen, die aus dem Arbeitsauftrag und den Arbeitsbedingungen entstehen (vgl. Schönwälder 1988: 100 ff.).
Abbildung 8: Die zwei Kategorien der objektiven Belastung nach Schönwälder
Quelle: Eigene Darstellung nach Schönwälder (1988:101)
Bei diesem arbeitswissenschaftlichen Ansatz erhalten die aus den zwei Kategorien stammenden Belastungsmomente, wie in Abbildung 9 dargestellt, eine subjektive Wertung durch Interaktion der individuellen Leistungsvoraussetzungen des Lehrers mit den Belastungen, die an ihn gestellt werden (vgl. Schönwälder 1988: 101).
Mit dem Begriff der subjektiven Leistungsvoraussetzungen werden in diesem Ansatz Faktoren wie Persönlichkeitsstruktur, Werteorientierung, Berufserfahrung, berufliche Qualifikation, Alter, Geschlecht, körperliche Leistungsfähigkeit zusammengefasst.
Abbildung 9: Die subjektive Bewertung der objektiven Belastung nach Schönwälder
Quelle: Eigene Darstellung nach Schönwälder (1988:101)
Rudow (1995) entwickelte aus diesem dualen Systematisierungsansatz von Schönwälder (1988) eine differenziertere Klassifikation der Lehrertätigkeit mit vier Bezugsgrößen (siehe Abbildung 10): Arbeitsaufgaben/schulorganisatorische Bedingungen, schulhygienische Bedingungen, soziale Bedingungen und gesellschaftlich–kulturelle Bedingungen (vgl. Rudow 1995: 60).
Abbildung 10: Die vier Kategorien der objektiven Belastung nach Rudow
Quelle: Eigene Darstellung nach Rudow (1995:60)
Auch Rudow (1995) verdeutlicht in seinem Modell noch einmal die Bewertung der objektiven Belastung. Sie wird von ihm mit dem Begriff der Widerspiegelung bezeichnet und kann mit Hilfe der von Rudow benannten Handlungsvoraussetzungen vollzogen werden (siehe Abbildung 11). Dieser Bewertungsprozess kann in Wahrnehmung, Bewertung und kognitive Verarbeitung unterschieden werden (vgl. Rudow 1995: 42). Der Begriff der Handlungsvoraussetzungen umfasst z.B. Faktoren der Einstellung, der sozialen Handlungskompetenz, pädagogischen Qualifikation, Berufserfahrung und Leistungsfähigkeit (vgl. Rudow 1995: 43).
Abbildung 11: Die subjektive Bewertung der objektiven Belastung nach Rudow
Quelle: Eigene Darstellung
Reichen die Handlungskompetenzen nicht aus, den Anforderungen zu entsprechen, kommt es zu einer negativen Belastung, die durch eine Beanspruchungsreaktion des Individuums erkennbar wird (vgl. Rudow 1995: 45).
Auch in den Veröffentlichungen der spezifischen Belastungsforschung im Fach Sport greifen die Autoren auf den arbeitswissenschaftlichen Ansatz zur Systematisierung der fachtypischen Belastungsmomente zurück. Heim/Gerlach (1998) verwenden in ihrer Veröffentlichung „Burnout – Auch ein Thema für den Sportlehrerberuf?“ das Modell von Schönwälder und sammeln Belastungsmomente, die einerseits aus der schulischen Arbeitsumgebung und -organisation entstehen und andererseits der unmittelbaren unterrichtlichen Tätigkeit entstammen (vgl. Heim/Gerlach 1998: 334 ff.).
In einer späteren Veröffentlichung von Heim/Klimek (1999) greifen diese zur thematischen Ordnung ihrer Belastungsfaktoren auf die aus vier Klassifikationen bestehende Systematisierung von Rudow (1995) zurück und erweitern sie um eine fünfte Kategorie, indem sie die nach Rudow zusammengefassten Arbeitsaufgaben und schulorganisatorischen Rahmenbedingungen in zwei Kategorien trennen (vgl. Heim/Klimek 1999: 38).
4.2.2.2 Ansatz des unterrichtlichen Handelns
Die zweite dominierende Kategorisierung im Fach Sport basiert auf dem von Scherler entwickelten Modell des didaktischen Vierecks, das die unterrichtliche Tätigkeit als zentrale Handlung des Lehrers definiert und als Fundament für eine Sammlung...