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E-Book

Berufliche Integration junger Flüchtlinge

Praxishilfe für die Soziale Arbeit

AutorReinhold Gravelmann
VerlagERNST REINHARDT VERLAG
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl226 Seiten
ISBN9783497610075
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Junge Menschen beruflich zu integrieren, ist für eine gelingende Sozialisation und gesellschaftliche Teilhabe von zentraler Bedeutung. Dies gilt in besonderem Maße für junge Flüchtlinge. Doch wie kann die berufliche Integra-tion erfolgreich gestaltet werden? Benötigt wird Wissen ebenso wie konkretes Handwerkszeug. Beides liefert der Autor in seinem Praxisbuch. Er beschreibt Chancen und Hindernisse für junge Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt und gibt Einblick in das Asyl-, Ausländer- und Arbeitsrecht. Zentrale Akteure wie z.?B. Arbeitsagenturen sowie Handwerks- und Handelskammern werden ebenso unter die Lupe genommen wie Besonderheiten der beruflichen Orientierungs- und Beratungsprozesse. Das Buch enthält viele praktische Beispiele und liefert wertvolle Tipps und Anregungen für Fachkräfte sowie Ehrenamtliche.

Dipl. (Sozial-)Pädagoge Reinhold Gravelmann, Hannover, arbeitet seit über 30 Jahren in der Kinder- und Jugendhilfe, v.?a. im Bereich der Integration migrierter Jugendlicher. Er ist Referent beim AFET-Bundesverband für Erziehungshilfe e.?V.

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Leseprobe

2      Chancen und Begrenzungen des Arbeitsmarktes

Wie sieht der Arbeitsmarkt in Deutschland aus? Einerseits: Der Arbeitsmarkt brummt. Die Lage ist so gut wie seit vielen, vielen Jahren nicht mehr. Es gab noch nie eine so hohe Zahl an Erwerbstätigen und „nur“ noch 2.545.000 Menschen sind im August 2017 Arbeit suchend (= 5,7 %). Das Stellenangebot weist Hunderttausende freie Stellen aus. Das Ausbildungsstellenangebot ist nahezu deckungsgleich mit der Bewerberzahl (Bundesagentur für Arbeit 2017c). Die Arbeitslosigkeit von jungen Menschen unter 25 Jahren liegt sogar unter der durchschnittlichen Arbeitslosenquote. Ohne Arbeit waren in Deutschland im August 2017 insgesamt noch 6,0 % der 15- bis unter 25-jährigen Personen (Statista 2017b). Die Quote hat sich damit seit dem Jahr 2005 mehr als halbiert (Bundesagentur für Arbeit 2016h, 33). Die Betriebe fast aller Branchen suchen händeringend nach Facharbeitern und Facharbeiterinnen.

Wo liegt also das Problem? Müssten (insbesondere junge) Flüchtlinge nicht problemlos einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz finden können? Quasi mit offenen Armen empfangen werden? Dem ist leider nicht so.

Der Arbeits- und Ausbildungsmarkt ist brutal selektiv. Das Wort „Markt“ ist kennzeichnend und bestimmend. Alle Menschen, die den Anforderungen des (Arbeits-)Marktes nicht entsprechen, haben erhebliche Probleme, überhaupt einen Fuß in die Betriebe zu bekommen bzw. dort längerfristig verbleiben zu können. Gleichgültig, ob es um durch eine Behinderung beeinträchtigte Menschen geht, um „ältere“ Arbeitsuchende oder junge Menschen mit schlechten schulischen Voraussetzungen oder ohne schulischen und / oder beruflichen Abschluss. Zu den Marginalisierten des Arbeitsmarktes zählen auch viele Migranten und Flüchtlinge. Sie stehen vor den verschlossenen Toren des Arbeitsmarktes. Nur wenige bekommen die Chance auf Bewährung in regulären Arbeitsverhältnissen. Sie jobben prekär, sind ohne Arbeit, in Qualifizierungsmaßnahmen oder z. B. in Werkstätten für behinderte Menschen untergebracht. Die Entwicklungen sind seit Jahrzehnten fast unverändert. Sicher hat der Arbeitsmarkt angesichts dringender Personalbedarfe mittlerweile auch Menschen eingestellt, die zu anderen Zeiten chancenlos waren, aber die Zahlen sind überschaubar (Bundesagentur für Arbeit 2016h, 28ff.). Bei der Situation jüngerer Menschen hingegen sind durchaus Fortschritte erkennbar (BMBF 2016, 177).

2.1    Erwartungen und Reaktionen der Wirtschaft

Die Wirtschaft sieht angesichts der demografischen Entwicklung langfristig erwartungsvoll auf positive Folgen der Zuwanderung junger Flüchtlinge, aber in den nächsten Jahren vor allem erhebliche Integrationsprobleme und lang andauernde Qualifizierungsbedarfe. Fachkräfte werden benötigt, aber nur ca. 10 % der Geflüchteten verfügen über einen formalen beruflichen oder akademischen Abschluss (Bundesagentur für Arbeit 2017h). Und auch der ist oft nicht deckungsgleich mit Herausforderungen des deutschen Arbeitsmarktes. (Nach-)Qualifizierungen im sprachlichen wie beruflichen Bereich sind daher für Unternehmen unabdingbare Voraussetzungen einer beruflichen Integration. Arbeitsmarktintegration ist „kein Sprint, sondern ein Langstreckenlauf“ (Arbeitsministerin Nahles, DER SPIEGEL 2017).

Auf diesen Langstreckenlauf müssen sich Fachkräfte und Unterstützer einstellen. Und auch auf Rückschläge nach erfolgter beruflicher Vermittlung durch Kündigungen seitens der Arbeitgeber oder Abbrüche durch die jungen Flüchtlinge, etwa aufgrund von Überforderung, Unzufriedenheit oder Missverständnissen mit Vorgesetzten und Kollegen im Betrieb. Auch fehlende Arbeitsmotivation einiger Flüchtlinge wird eine Rolle spielen.

2.2    Zur Situation junger Migranten auf dem Arbeitsmarkt

Der 15. Kinder- und Jugendbericht (Deutscher Bundestag 2017b) formuliert, dass es die Aufgabe des Sozialstaats sein muss, allen Jugendlichen und jungen Erwachsenen – einschließlich der geflüchteten jungen Menschen – einen gleichberechtigten Zugang zu sozialen, bildungsbezogenen und beruflichen Perspektiven zu ermöglichen (Deutscher Bundestag 2017b, u. a. 427). Seit Jahrzehnten hat sich wenig verändert. Viele Menschen mit Migrationshintergrund sind sozial weniger gut gestellt und im Bildungsbereich weniger erfolgreich. Und sie sind zu überproportional großen Anteilen vom Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ausgeschlossen (Beicht 2012; 2015; 2017). 18,7 % der jungen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland sind in der Altersgruppe von 15 bis 29 Jahren im Vergleich zu 7,6 % einheimischer junger Menschen weder in Schule noch in Ausbildung noch in Arbeit (Höller 2016). Das Bildungssystem hat es nicht geleistet, für mehr soziale Teilhabegerechtigkeit durch Bildungsgerechtigkeit zu sorgen. Zwar wird der Hauptschulabschluss im Vergleich zu früheren Jahren öfter erreicht, aber bei zunehmender Entwertung desselben durch eine insgesamt steigende Anzahl von höheren Schulabschlüssen und zudem steigenden Anforderungen des Arbeitsmarktes ist dies nur begrenzt hilfreich. Ihre schulischen Abschlüsse sind zudem deutlich schlechter als bei jungen Menschen ohne Migrationshintergrund, auch scheitern sie öfter im Schulsystem und später – sofern ihnen Optionen eingeräumt werden – im Ausbildungssystem (BMBF 2017b; Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2016). Neben strukturellen Bedingungen verstärken individuelle Aspekte die unzureichende schulische und berufliche Integration.

Ein spezifischer Aspekt wird oft außer Acht gelassen, wenn es um die Arbeitsmarktintegration von Migranten und Migrantinnen geht: Einige Migrantengruppen sind weniger erfolgreich als andere. Oder anders ausgedrückt: Migranten aus bestimmten Kulturkreisen oder Nationen erhalten deutlich weniger Chancen. Dies betrifft in besonderem Maße Menschen aus dem afrikanischen und asiatischen Raum, die statt im 1. Arbeitsmarkt zumeist im beruflichen Übergangssystem einmünden (müssen) (BMBF 2016, 176).

Sehr viele Problemfelder, die es bei der sozialen und beruflichen Integration von Migranten gibt, die bereits seit vielen Jahren in Deutschland leben, sind übertragbar auf die Situation junger geflüchteter Menschen. Junge Flüchtlinge haben keine oder in seltensten Fällen in Deutschland anerkannte Schul- oder Ausbildungsabschlüsse oder zertifizierte Berufserfahrungen vorzuweisen. Die deutschen Sprachkenntnisse sind z. T. rudimentär bzw. entsprechen nicht den Erwartungen der Arbeitgeber. Berufliche Erfahrungen in der deutschen Arbeitswelt fehlen. Die ausländerrechtlichen Rahmenbedingungen kommen massiv erschwerend hinzu, ebenso bürokratische Hürden oder Ressentiments.

Der Traum vom „schnellen Geld“ oder von einer guten Arbeits- oder Ausbildungsstelle zerplatzt häufig. Großunternehmen bieten kaum noch Arbeitsplätze für Ungelernte an. Dabei suchen mindestens 60 % der arbeitslosen Flüchtlinge eine Tätigkeit auf Helferniveau (Bundesagentur für Arbeit 2017g, 1). Auf Versprechen und Ankündigungen der Global Player ist kein Verlass. So haben die wertvollsten Unternehmen im Deutschen Aktienindex (Dax), die es zusammen auf einen Jahresumsatz von mehr als 1,1 Billionen Euro bringen und rund 3,5 Millionen Menschen beschäftigen, Mitte 2016 gerade einmal 54(!) Flüchtlinge fest angestellt.

Im Ausbildungs- und vor allem im Praktikabereich sehen die Zahlen etwas besser aus, sind insgesamt jedoch erschreckend niedrig (Haufe 2016). Ende 2016 hatten immerhin 10 % der Betriebe Erfahrungen mit Flüchtlingen in ihrem Betrieb (z. B. Bewerbungen oder Vorstellungsgespräche), aber nur 3,5 % haben Flüchtlinge eingestellt (Gürtzgen et al. 2017, 2). Allerdings war der Anteil in 2017 steigend (Bundesagentur für Arbeit 2017a).

Die jungen Flüchtlinge und Unterstützer könnten angesichts der insgesamt eher ungünstigen Aussichten den berühmt-berüchtigten Vogel Strauß nachahmen und vor Verzweiflung den Kopf in den Sand stecken, um diese Fakten nicht zu sehen und zu hören, hilfreich ist das hingegen nicht. Es gilt, sich den durchaus schwierigen Rahmenbedingungen zu stellen und die Wege zu nutzen bzw. zu erschließen, die gangbar sind. Und zumindest erhöht die gute wirtschaftliche Lage die Chancen auf eine berufliche Integration.

Was sind Konsequenzen für Fachkräfte?

Unterstützung muss so beschaffen sein, dass sie Ungeschicklichkeiten, Fehler und Fehlentscheidungen vermeidet und tatsächlich – trotz aller objektiven Hindernisse – Perspektiven erschließen hilft.

  Das Gros der Integration leisten Klein- und vor allem mittelständische Betriebe. Dort sind Initiativen von Flüchtlingen und Unterstützern erfolgreicher.

  Viele junge Flüchtlinge hoffen dennoch, eine Arbeit in größeren Betrieben zu finden. Die (schlechten) Aussichten sollten realistisch vermittelt werden, gleichzeitig gibt es eine minimale Chance, die genutzt sein will. Wer gibt seine Träume und Hoffnungen auf, ohne versucht zu haben, diese zu verwirklichen? Deshalb sollten zumindest einige Initiativbewerbungen unternommen werden. (Harte) Fakten sind dann oft wirkungsvoller als (nicht bewiesene) Worte und die jungen Flüchtlinge zeigen, wenn es zu Ablehnungen kommt, eher die Bereitschaft, sich anderweitig zu orientieren. Und manchmal gibt es tatsächlich auch Glückstreffer.

  Gegebenenfalls kann – sofern es keine ausländerrechtlichen Einschränkungen...

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