Ziel der deskriptiven Entscheidungstheorie ist die Beschreibung der Realität. Daher bildet sie ausgehend von Analysen empirischer Beobachtungen i.w.S. Hypothesen über das reale Verhalten und deduziert hieraus Tests, die die Hypothesen falsifizieren oder bestätigen, sowie Erklärungen und Prognosen für Beobachtungen und Experimente (Rommelfanger/Eickemeier 2002, 3f). Jedoch auch die normative Theorie sollte sich grundsätzlich an der Empirie messen.
Die Ermittlung individueller Risikopräferenzen und Bestimmungsfaktoren des Entschei-dungsverhaltens fällt dennoch bis dato methodisch schwer. Entwickelte Vorgehensweisen sind daher beispielsweise in der Praxis und theoretischen Forschung der Betriebswirtschaft, trotz ihrer hohen Relevanz etwa im Finanzmarktbereich, kaum verbreitet (Krahnen et al. 1997, 2). Erst die Fortschritte der letzten Jahre erweiterten das Blickfeld.[99]
Im Wesentlichen werden zwei Verfahren der Erhebung individueller Risikoeinstellungen unterschieden: Zur Gruppe der Befragungen, also dem Bemühen, Präferenzen auf der Grundlage hypothetischer Problemstellungen zu ermitteln, zählt die gezielte Aufforderung zur Selbsteinschätzung mittels direkter (Fragebögen) oder indirekter (etwa durch Wahl-dilemmafragen) Fragestellungen. Dieser Weg kann sich durch eine hohe Validität aus-zeichnen, aber auch problematisch sein, wenn die Risikoeinstellung systematisch mit der Selbstwahrnehmung korreliert ist. Die zweite Gruppe bilden Methoden der experimentellen Wirtschaftsforschung, wo ein Proband tatsächlichen Entscheidungen mit realisierbaren Konsequenzen gegenübersteht. Es werden insbesondere Lotterien verglichen. Die Probanden sollen bspw. ihre Indifferenz bei einem variablen Faktor (Sicherheits-, Ergebnis- oder Probabilitätsäquivalent) ausdrücken, was durch die Auswahl einer von mehreren vorgege-benen Größen oder etwa durch Ersteigerung einer vorgegebenen Lotterie in einer Vickrey-Auktion erfolgen kann. Problematisch ist, dass zur Bestimmung einer u(x) viele Paar-vergleiche nötig sind und die Methoden allgemein dahingehend anreizkompatibel gestaltet sein müssen, dass die Probanden ihre wahren Präferenzen offenbaren. – Vergleiche hierzu und für eine detaillierte Methodendiskussion Krahnen et al. (1997).
Nachfolgend wird eine empirische Überprüfung der deduzierten Hypothesen vorgestellt. Der Darstellung der Datengrundlage und des Untersuchungsmodells schließt sich die Präsen-tation von Ergebnissen an, die abschließend der Hypothesenbewertung dienen.
Bevor die genutzte Datengrundlage näher vorgestellt wird, soll kurz auf die generelle Her-ausforderung eines internationalen Vergleiches eingegangen werden. Wenngleich mehre Möglichkeiten hierzu bestehen, so erscheinen sie dennoch allesamt kaum befriedigend.
Ein erster Schritt könnte auf eine international vergleichende Metaanlyse der Literatur und Forschungsergebnisse nationaler Untersuchungen der Bestimmungsfaktoren individuel-ler Risikopräferenzen abstellen. Lägen jeweils repräsentative Daten vor, könnte tendenziell vermutet werden, dass Staatsangehörige des Landes A c.p. risikobereiter seien als jene des Landes B, wenn sich in den nationalen Analysen zeigte, dass die Risikoaversion gegenüber etwa riskanten Finanzanlagen in A geringer ist (dort etwa eine höhere Aktienquote fest-zustellen ist) als im Land B. Da trotz des Umfangs der vorgestellten Arbeiten jedoch insgesamt konstatiert werden muss, dass auch diese zu rar sind, um aus mehreren Ländern vergleichbare Studien zu finden, muss auf diesen Ansatz verzichtet werden.
Ursächlich hierfür ist neben der häufig fehlenden Bevölkerungsrepräsentativität die Uneinheitlichkeit des Maßes der Risikobereitschaft, das erhoben wird. Aber auch weitere Modellvariablen sind oft uneinheitlich definiert. Vergleichsweise universell einsetzbare Lot-terien, wie sie beim Vergleich der Risikobereitschaft von Bauern in Entwicklungsländern ge-nutzt wurden (Binswanger/Sillers 1983), sind eine der wenigen Ausnahmen, besitzen jedoch den Nachteil, primär die finanzielle Risikobereitschaft zu ermitteln. In abgeschwächter Form gilt dies auch für Portfoliovergleiche zum Anteil riskanter Assets. Neben der fragwürdigen Verallgemeinerung der kontextspezifischen Risikobereitschaft bestehen hier, wie zuvor bereits ausgeführt, große Probleme in den unterschiedlichen Definitionen von Vermögens-werten sowie den differenzierten institutionellen Finanzmarktbedingungen. Eine große Unterstützung wird in diesem Kontext die Harmonisierung nationaler Datendefinitionen und Erhebungsmethoden geben, wie sie durch das LWS-Projekt aktuell angestrebt ist.
Bei subjektiveren Maßen der Risikobereitschaft, sowie bei zahlreichen hypothetischen Lotterien, wenn bestimmte Annahmen formuliert werden, kann kaum davon ausgegangen werden, dass diese durch Angehörige verschiedener Kulturkreise identisch interpretiert werden – Weber/Hsee/Sokolowska (1998) verweisen etwa auf den differenzierten Gehalt eines breiten Risikobegriffs, der in den Sprichwörtern verschiedener Länder zum Ausdruck komme. Dies lässt vermuten, dass jede Risikofrage allein mit dem Begriff „Risiko“ inter-
national differenzierte Affekte auslöst. Auch Börsch-Supan/Lusardi (2002, 2) sehen in inter-nationalen Vergleichen eine Herausforderung, die wesentlich in der Entwicklung von For-schungsfragen und deren Ausgestaltung liege, welche den unterschiedlichen sozialen und kulturellen Verhältnissen angepasst werden können. Zudem bedürfe es einer Harmonisierung der Konzepte und Maße, um eine vernünftige internationale Vergleichbarkeit sicherzustellen.
Insofern gilt es einen Weg zu finden, der durch möglichst wenige der benannten Nachteile betroffen ist, solange es keine einheitlich erhobenen, internationalen Daten gibt. Die vorlie-gend Arbeit leistet einen innovativen Zwischenschritt in dieser Richtung, indem sie sich zur Feststellung des Einflusses der Nationalität auf die Risikopräferenz auf Migranten in ein Land stützt. In ihrer neuen Umgebung, unterliegen sie den nationalstaatlichen Sozialge-setzen, tragen aber besonders wenn sie im Ausland geboren wurden sowie durch die zuvor beschriebene Wirkung der Vererbung von Risikopräferenzen ihrer Eltern auf sich selbst ihre kulturell, historisch und wertgemeinschaftlich prägenden Einflüssen in sich. Dass sie jedoch nicht repräsentativ sein müssen für ihr Heimatland ist bei der Analyse zu bedenken. Als weiteres Caveat ist zu berücksichtigen, dass Emigranten als risikofreudiger als die nicht emigrierende Bevölkerung eines Landes betrachtet werden, da sie diverse Risiken auf sich nehmen, wenn sie ihren Lebensmittelpunkt (zeitweilig oder auf Dauer) den vertrauten Ver-hältnissen entziehen, um in ungewohnter, fremder Umgebung das Glück zu suchen. So sich dennoch signifikante Unterschiede zeigen, mag dies ein Ansatz für weitere Forschungen sein.
Abschließend sei auf eine weitere mögliche Methode verwiesen. Solange keine interna-tional vergleichbaren Risikomaße verfügbar sind, könnten mehrere als risikoaffin bewertete Verhaltensweisen international verglichen werden. So könnten die Aktienquote, der Anteil von Rauchern in der Bevölkerung, der Grad der Säkularisation, der Anteil Selbstständiger, das nationale Bildungsniveau, der Drang zum Individualismus erfasst werden, durch je-weilige Vergleichsskalen bezüglich des Gehaltes impliziten Risikos verglichen werden und anschließend zu einem Gesamtindex zusammengefasst werden, dessen erklärende Determi-nanten anschließend betrachtet werden. Zeigt sich eine Kongruenz dieser Einflussgrößen mit validierten Determinanten der Risikobereitschaft in einem Beispielsland, dessen Maß bereits eine hohe Prädiktionsgüte bewies, kann vorsichtig angenommen werden, dass auch in den anderen Nationen deren Risikobereitschaft erhoben wird. – Nachteil wäre hierbei jedoch das Verwenden teils aggregierter Daten, die wie zuvor besprochen bestimmte Einflussparameter unberücksichtigt lassen und zu Fehlinterpretationen auf der Haushalts- und Individuenebene führen. Daher wurde auf diesen Ansatz in dieser Arbeit nicht zugegriffen.
Die Datengrundlage der empirischen Analyse in dieser Arbeit bilden im Wesentlichen drei Wellen mit jeweils rund 22.000 Einzellbefragungen aus etwa 12.000 Haushalten des SOEP der Jahre 2003, 2004 und 2005[100], da sie die für die Hypothesenprüfung wesentlichen Varia-blen enthalten.
Das deutsche Sozio-oekonomische Panel ist eine repräsentative, statistische Erhebung der in Deutschland lebenden Personen und Haushalte. Es folgt der Grundidee des PSID, dass alle Befragten der ersten Erhebungswelle solange wie möglich Teil der Studien in den Folge-jahren bleiben und zudem deren Nachkommen in die Wellen mit aufgenommen werden. Im Gegensatz zum PSID werden jedoch alle Mitglieder eines Haushaltes über 17-Jahren – und nicht nur ein Ansprechpartner – befragt (Wagner/Frick/Schupp 2006, 21).[101] Das SOEP wurde durch den Sonderforschungsbereich sfb3 der Deutschen Forschungsgemeinschaft „Micro-analytical Foundation of Social Policy“ initiiert und die erste Welle wurde im Jahre 1984 erhoben. Seit 1990 wurde das Projekt in Alleinverantwortung des...