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E-Book

Beziehungen und Probleme verstehen

Eine Einführung in die psychotherapeutische Plananalyse

AutorFranz Caspar
VerlagHogrefe AG
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl312 Seiten
ISBN9783456756257
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis30,99 EUR
Wie lassen sich die vielen Details, die der Therapeut über seinen Patienten erfährt, zu einem sinnvollen Gesamtbild zusammenfügen? Dieses Gesamtbild muss Beziehungs- und Problemanalysen enthalten und als fundierte Basis für die Therapieplanung dienen. Die Plananalyse ist ein bewährter, therapieschulunabhängiger Ansatz zum Erarbeiten individueller Fallkonzeptionen in der Psychotherapie. Er besteht aus einer Reihe zentraler Annahmen zum menschlichen Funktionieren und zur Entstehung von Problemen sowie aus einem Bündel heuristischer Regeln und aus technischen Hinweisen. Das Buch führt in die Praxis der Plananalyse ein und vermittelt alle wichtigen praktischen Konzepte und Techniken anhand illustrativer Beispiele. Zahlreiche Abbildungen und Grafiken erleichtern das Verständnis. In der vorliegenden vierten, überarbeiteten Auflage wurden unter anderem neuere Studienergebnisse und zusätzliche Heuristiken für die Praxis eingefügt. Zudem finden sich neu Hinweise zu Supervision und Selbsterfahrung.

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Leseprobe

1 Therapieplanung und individuelle Fallkonzeption


Dieses Kapitel gibt eine Einführung in die Sicht von Psychotherapie, auf der die Plananalyse beruht, wobei vor allem auf die Rolle von Fallkonzeptionen eingegangen wird.

1.1
Therapie: Veränderungen durch geplantes Handeln


Psychotherapie als gezieltes, professionelles Vorgehen: Wie kann psychologisches Wissen in der Therapie sinnvoll eingesetzt werden?

Psychotherapie ist ein gezieltes Vorgehen, das erwünschte Veränderungsprozesse begünstigt. Es geht hier um die Frage, wie psychologisch fundiertes (theoretisches und technologisches) Wissen sowie persönliche Erfahrungsbestände und Annahmen für die Anforderungen in der psychotherapeutischen Praxis möglichst gezielt, sinnvoll und ökonomisch zusammengebracht und eingesetzt werden können. Wie das Vorgehen aussehen sollte, welche Veränderungen erwünscht sind und wie Veränderungsprozesse tatsächlich ablaufen, darüber gibt es recht unterschiedliche Vorstellungen.

Hier wird eine Auffassung vertreten, die Bastine (1982, S. 311) so formuliert: „Der psychotherapeutische Prozess ist ein prinzipiell geplantes und strukturiertes Geschehen, in dem durch zielgerichtete Operationen des Psychotherapeuten und des Patienten konstruktive Änderungen im Erleben, im Verhalten und in den sozialen Beziehungen des Patienten herbeigeführt werden.“

Ziel: sich Klarheit verschaffen. Aber: Der Therapeut ist als Person involviert, und nicht alles ist durchschaubar und planbar.

Dass dabei der Therapeut als Person stärker involviert ist, als aus dieser abstrakten Definition zu erahnen, wird im Folgenden noch deutlich werden. Auch die Grenzen der Planbarkeit gilt es aufzuzeigen. Das ist das generelle Credo unseres Ansatzes: beobachten, analysieren, sich Klarheit verschaffen und planen so weit wie möglich und sinnvoll, aber die Grenzen der Durchschaubarkeit und Planbarkeit ebenfalls akzeptieren und respektieren.7

Gezieltes therapeutisches Handeln beruht auf mehreren Voraussetzungen (Abb. 2).

Abbildung 2: Grundlagen therapeutischen Handelns. Die individuelle Fallkonzeption, also das Bild, das sich der Therapeut aufgrund seiner Analyse von einem bestimmten Patienten macht, hat eine zentrale Bedeutung. Die Therapie kann aber nicht allein damit bestritten werden (vgl. auch Kap. 3.1).

Erstrebenswert: ausgewogenes Verhältnis zwischen individueller Analyse und Nutzen von bestehendem allgemeinem Wissen

Grundlagen therapeutischen Handelns sind allgemeine Theorien8 über das psychische Funktionieren des Menschen, wie zum Beispiel Wahrnehmungs- oder sozialpsychologische Theorien, die – explizit oder implizit, bewusst oder unbewusst – das Denken und Handeln eines Therapeuten steuern. Ferner wird dieser von bestimmten Störungstheorien ausgehen. Diese sind von der oder den therapeutischen Richtungen geprägt, von denen er beeinflusst ist, aber auch von seinen bisherigen therapeutischen und persönlichen Erfahrungen. Er wird auch über mehr oder weniger elaborierte Theorien darüber verfügen, wie Menschen sich zu dem entwickeln, was sie zu einem gegebenen Moment sind, und wie sie sich weiter verändern können. Schließlich wird er Teile dieser Grundlagen mit seinen Beobachtungen bei einem speziellen Patienten zu einer Fallkonzeption vereinen. Im Idealfall ist diese Fallkonzeption eine ausgewogene Kombination von theoretischem und Erfahrungswissen einerseits, individuellen Beobachtungen beim einzelnen Patienten andererseits: Weder sollte man einem Patienten unangemessene Theorien überstülpen noch bei jeder Patientin, jedem Patienten mit großem Aufwand „das Rad neu erfinden“. Dabei können auch „prototypische“ Plananalysen helfen, bei denen aufgrund von Analysen anderer Patienten aus der (diagnostischen oder anders definierten) Gruppe, zu der die Patientin bzw. der Patient gehört, das Typische herausgearbeitet wurde.

Als Experte ist man es einem Patienten schon aus ethischen Gründen schuldig, nicht mit bloßer naiver mitmenschlicher Neugier (oder naivem Helferwillen) an ihn heranzutreten. Vielmehr gilt es, all das zu nutzen, was die Psychologie zur Verfügung stellt, um effizient zu einem Verständnis von einem Menschen zu kommen, das nicht an der Oberfläche oder bei spontan ausgelösten Reaktionen stehenbleibt.

Theorien können nicht direkt „angewendet“ werden: heuristische Verwendung.

Dass die Vorstellung, Theorien direkt für individuelle Analysen und die Therapieplanung nutzen zu können, naiv ist, wurde von mehreren Autoren herausgearbeitet (Westmeyer, 1977, 1987; Bunge, 1967; Foppa, 1984; Scheele, 1982): Es sind mehrere Transformationsschritte notwendig, bis man zu technologischen Regeln kommt, die dann direkt in die Therapieplanung einfließen können. Die Vorstellung, Theorien unterschiedlicher Provenienz heuristisch zu nutzen, dürfte auch für Praktiker/-innen attraktiver sein als die unrealistische und daher zu Recht vielfach abgelehnte Forderung nach „Anwendung“ akademischer Theorien in der Praxis (Caspar, 1994a).

Interventionen müssen individuell auf den einzelnen Patienten zugeschnitten werden.

Einige technologische Regeln sind recht generell, und ihre Anwendung hängt von bestimmten Merkmalen oder Zusammenhängen bei einzelnen Patient/-innen kaum ab. Dazu gehören zum Beispiel die klassischen Regeln der rogerianischen Therapie. Der überwiegende Teil dessen, was Therapeuten – schulübergreifend betrachtet – heute an Interventionsmöglichkeiten zur Verfügung steht, kann aber nur dann sinnvoll eingesetzt werden, wenn sie differenziert für einen Patienten ausgewählt und zugeschnitten, für ihn und seine spezielle Situation nach Maß konstruiert werden. Auch in der Verhaltenstherapie werden zwar „Standardtechniken“ in der Literatur beschrieben. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass gleichzeitig die Forderung nach der Begründung therapeutischen Handelns in individuellen Fallanalysen erhoben wird und dass de facto die Mehrheit der Therapeuten ihre Therapien mit individualisierten Strategien bestreitet. Es ist tatsächlich realistischer, therapeutisches Vorgehen nicht als Anwendung von Techniken, sondern vielmehr als einen Prozess des ständigen Neukonstruierens eines individualisierten Vorgehens zu sehen, bei dem ständig eine Vielzahl von relevanten Faktoren berücksichtigt wird. Solche Faktoren sind, wie oben erwähnt, die individuelle Fallkonzeption, allgemeines Störungs- und Veränderungswissen, Wissen über therapeutische Techniken im Sinne von Prototypen für therapeutisches Vorgehen und weitere professionelle und private Voraussetzungen auf Seiten der Therapeuten (Caspar & Grawe, 1992; Caspar, 2000; Kap. 4.3.1).

„Widerstand“ von Patienten gegen gut gemeinte Interventionen ist allen Therapeutinnen und Therapeuten wohlbekannt. Spätestens die Auseinandersetzung mit diesem Phänomen führt uns vor Augen, dass der Erfolg von Interventionen von einer Vielzahl von Aspekten abhängt und dass es gut ist, dies von vornherein in Rechnung zu stellen.

„Widerstand“ des Patienten zeigt oftmals, dass wichtige Aspekte vernachlässigt wurden.

Nicht alles ist „machbar“. Es liegt aber in der Verantwortung des Therapeuten, sich nicht leicht zufriedenzugeben und Probleme in der Therapie nicht einfach dem Patienten anzulasten.

Die Zeiten haben sich geändert: Man kann nicht mehr mit vergleichsweise undifferenzierten Methoden bei hochselegierten Patient/-innengruppen gute Erfolge erzielen, um dann daraus universelle Wirksamkeitsannahmen abzuleiten. Psychotherapie wird nie das Mittel werden, mit dem man alle zwischenmenschlichen Probleme lösen kann, aber man kann heute nicht mehr einfach sagen: „Die Therapie war gut, aber der Patient war ungeeignet.“ Der Frage, was man denn getan hat, um für einen gegebenen Patienten in einer gegebenen Situation ein passendes Angebot zu machen, lässt sich heute nicht mehr so leicht ausweichen. Je mehr (schwierigen) Patientinnen und Patienten wir uns aber stellen, desto höher werden die Anforderungen, und dies nicht erst an unser therapeutisches Interventionsrepertoire, sondern bereits an die Qualität unserer Fallanalysen als Basis für die Planung und Beurteilung des eigenen Handelns. Wir sollten selbstverständlich die Grenzen der Machbarkeit respektieren (und wenn immer möglich in unseren Analysen konkret herausarbeiten), aber damit nicht ein Ungenügen unserer Konzepte und unserer Praxis bemänteln (Caspar & Grawe, 1989).

Zum Nutzen der Plananalyse: Der Nutzen ist das Verhältnis zwischen Kosten und Vorteilen. Die Kosten hängen vor allem von der ökonomischen (Caspar, 2006b), alle Möglichkeiten...

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