1 Die Voraussetzungen
Zunächst sind die Rahmenbedingungen für die Bibelkunde in der Integrationsphase etwas näher zu beleuchten. Dabei soll es zunächst um die formalen Voraussetzungen der Bibelkunde in der Integrationsphase gehen, dann um die faktischen Notwendigkeiten und schließlich um die vorliegenden Lernmaterialien.
1.1 Die formalen Rahmenbedingungen: Was müsste gewusst werden?
Tatsächlich sind innerhalb des modularisierten Studiums durch die Studien-Rahmenordnung1 seminaristische Veranstaltungen vorgesehen, wie auch immer diese im Detail aussehen oder heißen mögen (‚Repetitorien‘, ‚Integrationsseminare‘ o.ä.). Die Bibelkunde hat dabei als eigenständige Veranstaltung in dieser Schlussphase formal keinen Raum. Sowohl die EKD-Rahmenordnung für die theologische Zwischenprüfung2, als auch die örtlichen Studienordnungen verorten die Bibelkunde seit Mitte/Ende der 1990er im Grundstudium. Dort ist sie mit einem durchaus ansehnlichen Kontingent an Leistungspunkten (LP) ausgestattet – meist zwischen 8 und 12 LP.
Punkte für Prüfungen sowie die vorlaufenden Veranstaltungen sind hier jeweils zusammengezählt. 8 LP erhält man in Bochum, Erlangen, Frankfurt, Göttingen, Greifswald, Jena, Mainz und Münster. 10 LP werden in Bonn, Halle, Leipzig und Rostock vergeben, wobei in Bonn 5 LP auf ein ‚angeleitetes Selbststudium‘ entfallen – m.E. ein durchaus vielversprechender Ansatz, den man auch stärker in der Integrationsphase erwägen sollte. Mit 12 LP versehen ist die Bibelkunde schließlich in Hamburg, Heidelberg, Kiel, München, Neuendettelsau, Tübingen und Wuppertal/Bethel. Ausnahmen von diesem Spektrum bilden nur Marburg mit 6 LP am unteren Ende sowie Berlin mit 13 LP am oberen Ende (sofern man die explizite Bibelkunde sowie die Grundkurse zusammenzählt).3
Gleichwohl zeigt sich an dieser Spannbreite, dass der Bibelkunde an den verschiedenen Orten offensichtlich ein je unterschiedlich großer Stellenwert zukommt. Auch darüber, was inhaltlich zu verlangen ist, dürften die Meinungen von Ort zu Ort sehr auseinander gehen. Das schlägt sich bspw. darin nieder, dass der Umfang der Prüfungen erheblich variiert: Es existiert nahezu alles zwischen kurzen mündlichen Prüfungen und essayistischen Klausuren.4
Diese Varianz liegt aber bereits in der relativen Vagheit der Rahmenvorgaben begründet. Der Evangelische Fakultätentag hat in seiner Richtlinie von 2011 prinzipiell nur den „Gesamtüberblick über Inhalt und Aufbau der biblischen Bücher“ als Gegenstand der Prüfung vorgegeben, wenngleich in den örtlichen Prüfungsordnungen „ergänzend grundlegende biblische Themen und Motive“ als zusätzliche Inhalte vorgesehen sein können.5 Dies lässt einen großen Interpretationsspielraum zu, der an den verschiedenen Ausbildungsorten sehr unterschiedlich genutzt wird. Daneben wird durch die Rahmenrichtlinien des Fakultätentags die Setzung von individuellen Schwerpunkten ermöglicht. Explizit ist dies nach meiner Durchsicht zwar nur selten in den Prüfungsordnungen zu finden, faktisch allerdings dürften durch mündliche Absprachen o.ä. nahezu überall gewisse Schwerpunktsetzungen existieren.
Eine Ausnahme im Reigen der Prüfungsordnungen bilden wiederum Bonn sowie Wuppertal, die jeweils sehr detaillierte Schwerpunktsetzungen vornehmen. Dort werden klare Vorgaben für die Kenntnis bestimmter Textbereiche gemacht. Zudem ist ein Kanon auswendig zu beherrschender Bibelstellen fixiert. Ob man dies befürwortet oder nicht, Fakt ist, dass dieser vorgegebene Textbestand einem ‚gefühlten Kanon‘ von erwartbarem Examenswissen ziemlich nahe kommen dürfte, selbst wenn dies in Ermangelung klarer Vorgaben innerhalb der landeskirchlichen und universitären Prüfungsordnungen für das Erste Examen/Diplom nicht wirklich verifizierbar ist. Wer sich aber in den durch Bonn und Wuppertal umrissenen Textbereichen auskennt und die genannten Stellen präsent hat, sollte m.E. gute Voraussetzungen für jegliches Examen mitbringen.
Jedenfalls dürfte es in aller Regel in der Bibelkunde primär um die Gliederungen der wichtigeren biblischen Bücher sowie um eine Reihe inhaltlich zentraler Stellen gehen, was ’mal mehr und ’mal weniger mit Elementen der Theologie des AT/NT und/oder Einleitungswissen garniert ist.
1.2 Die sachlichen Notwendigkeiten: Was ist sinnvoll zu wissen?
Die Frage ist jedoch ohnehin, ob der von den Rahmenrichtlinien verlangte ‚Gesamtüberblick‘ für die Integrationsphase so überhaupt erstrebenswert ist. Zumindest wird das Wissen um den bloßen Aufriss biblischer Bücher sowie um bestimmte Bibelstellen alleine m.E. nur bedingt weiterhelfen.1
Wichtiger scheint mir, ‚Wissensnetze‘ inhaltlicher Prägung aufzubauen – bspw. zu bestimmten Motiven oder Topoi die zentralen Stellen und die wesentlichen Inhalte derselben parat zu haben. Das kommt natürlich wiederum einem Kanon von auswendig zu lernenden Passagen recht nahe. Doch geht es dabei weniger um das bloße Wissen der Stellen als vielmehr um eine inhaltliche Durchdringung. Mit anderen Worten: Die Bibelkunde muss für das Examen mit anderen Wissensbereichen (nicht nur) der exegetischen Fächer verknüpft werden – ob diese nun jeweils eher motivgeschichtlicher, gattungskritischer, literarkritischer, religionsgeschichtlicher oder anderer Natur sind. Um die Theologie des AT oder Einleitungswissen wirklich zu beherrschen, werden also gedankliche Querverbindungen zum jeweiligen bibelkundlichen Textmaterial benötigt. Das jedoch zielt weniger auf ein herkömmliches Bibelkundewissen, als vielmehr auf eine Bibelkenntnis.2
Damit soll nicht in Abrede gestellt sein, dass man in der Prüfungssituation bei der Nennung einer Bibelstelle grob wissen sollte, in welchem Kontext diese zu verorten ist. Doch selbst so ein ‚Aufriss-Wissen‘ scheint mir für das Examen eher inhaltlich ausgerichtet sein zu müssen als geleitet von der Frage nach mehr oder weniger abstrakten und auswendig gewussten Gliederungen. Kurzum: Es ist entscheidend, dass das ‚Skelett‘ eher abstrakten bibelkundlichen Wissens für das Examen mit inhaltlichem Leben gefüllt wird. Es geht nach meinem Dafürhalten in der Integrationsphase mithin im Wortsinne um die Integration der verschiedenen Wissensstränge zu einem großen Wissensnetz.
1.3 Das Lehr-/Lernmaterial: Welche Hilfsmittel gibt es?
An diesem Punkt weist ein Trend auf dem Markt der Bibelkunde-Bücher m.E. in die richtige Richtung: Die Lehrwerke stellen den ‚klassischen‘ Übersichten über die einzelnen Bücher zunehmend thematisch ausgerichtete Abschnitte zur Seite. Dies fällt von Werk zu Werk unterschiedlich aus.
Für das AT bspw. stellt die Bibelkunde von Matthias Augustin und Jürgen Kegler eine solche inhaltliche Orientierung in Form tabellarischer Übersichten bereit.1 Hinzu kommen innerhalb der Buchbeschreibungen „Arbeitsvorschläge“, die weitere thematische Querverbindungen eröffnen. Manfred Oeming beschreitet ebenfalls den letzteren Weg, indem er an die Vorstellung der Bücher einen Hauptteil B mit 90 Arbeitsfragen anschließt.2 Didaktisch nachteilig erscheint allerdings in beiden Fällen, dass die Musterantworten sofort im Anschluss an die Fragestellung dargeboten werden, was kaum förderlich für die eigenständige Erarbeitung der jeweiligen Problemstellungen sein dürfte – insofern erscheint die Titulierung der Bereiche als „Fragen“ eher als fragwürdig. Deutlich umfangreicher in der Darstellung schließlich sind die „Thema-Kapitel“ bei Martin Rösel, die entsprechend auch größere inhaltliche Substanz aufweisen und nicht alleine motivliche Aspekte behandeln, sondern ein sehr breites Spektrum exegetisch interessanter Fragestellungen abdecken.3
Im NT zeigt sich ein vergleichbares Bild: Insbesondere die Bibelkunde von David Bienert enthält einen sehr umfänglichen „Querschnitts“-Teil, der u.a. wichtige Personen und theologische Themen des NT vorstellt.4 Hinzu kommen verschiedene Arbeitsfragen (wobei erneut das Problem der sofortigen Beantwortung derselben vorliegt), die z.T. ebenfalls größere Bögen schlagen. Klaus-Michael Bull bietet in seiner Bibelkunde einen seitenmäßig recht breiten, inhaltlich aber etwas schmaleren Abschnitt zu ntl. Themen.5 Ansonsten verfolgt Bull eine etwas andere Strategie, da er weniger auf Arbeitsfragen setzt, sondern lieber in gut leserlichem nacherzählenden Stil die jeweiligen Bücher beschreibt, was v.a. ‚Schmöker-Fans‘ zugutekommen dürfte. Es fragt sich allerdings, inwieweit ein solcher Ansatz wirklich zur studentischen Eigenarbeit und -lektüre beiträgt – zur Notwendigkeit dessen weiter unten noch mehr.
Kurz erwähnt sei noch die Bibelkunde von Lukas Bormann,6 die in ihrer gesamtbiblischen Anlage die Tradition älterer Werke wie z.B. jenes von Claus Westermann fortführt.7 Notgedrungen geht dies jedoch mit einer erheblichen Reduktion auf wesentliche Elemente wie Gliederungen und wenige inhaltliche...