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Bildungsautonomie: Zwischen Regulierung und Eigenverantwortung

Jahresgutachten 2010

AutorHans-Dieter Daniel, Hans-Peter Blossfeld, Wilfried Bos
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl171 Seiten
ISBN9783531920252
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis39,99 EUR
Die Forderung nach mehr Eigenständigkeit von Bildungsinstitutionen ist schon seit Jahren in der bildungspolitischen Diskussion - eine zufriedenstellende Umsetzung in allen Bildungseinrichtungen blieb bisher jedoch aus.
Der Aktionsrat Bildung analysiert in seinem vierten Jahresgutachten 'Bildungsautonomie: Zwischen Regulierung und Eigenverantwortung' die einzelnen Bildungsinstitutionen im Hinblick auf ihr Autonomiemaß. Es formuliert den Bedarf an Regulierung und Deregulierung in den einzelnen Bildungsphasen. Auf dieser Grundlage werden konkrete Handlungsempfehlungen an die Politik gestellt. Ziel ist die größtmögliche Selbstständigkeit für jede Bildungseinrichtung, schnell und direkt vor Ort auf Herausforderungen zu reagieren und auf diese Weise ein hohes Bildungsniveau für alle zu gewährleisten.



vbw - Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. - in Zusammenarbeit mit dem Aktionsrat Bildung

Der Aktionsrat Bildung ist ein Expertengremium, das sich wie folgt zusammensetzt:
Prof. Dr. Dieter Lenzen (Vorsitzender), Präsident der Universität Hamburg, Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz
Prof. Dr. Hans-Peter Blossfeld, Universität Bamberg, Leiter des Staatsinstituts für Familienforschung (ifb), geschäftsführender Direktor des Instituts für bildungswissenschaftliche Längsschnittforschung (INBIL)
Prof. Dr. Wilfried Bos, Universität Dortmund, Direktor des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS)
Prof. Dr. Hans-Dieter Daniel, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Leiter der Evaluationsstelle der Universität Zürich
Prof. Dr. Bettina Hannover, Freie Universität Berlin, Universitätsprofessorin für Schul- und Unterrichtsforschung im Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie
Prof. Dr. Manfred Prenzel, Technische Universität München, Gründungsdekan der TUM School of Education Prof. Dr. Ludger Wößmann, Ludwig-Maximilians-Universität München, Bereichsleiter Humankapital und Innovation am ifo Institut für Wirtschaftsforschung

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Leseprobe
5 Fortgeschrittene Deregulierung und ihre Weiterentwicklung im Hochschulbereich (S. 107-108)

5.1 Geschichte und Status quo der Deregulierung

Zu den internationalen Auffälligkeiten des deutschen Hochschulsystems zählen die dominante Rolle des Staates und unterentwickelte institutionelle Steuerungsmöglichkeiten (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, S. 101). Aus der Sicht des Auslandes ist der Autonomiegrad der deutschen Universitäten vergleichsweise niedrig. In der geringen Autonomie und in der Unter? nanzierung werden die Hauptursachen für Leistungs- und Funktionsde? zite und für die schlechte Platzierung deutscher Universitäten in globalen Universitätsrankings gesehen (vgl. Aghion u. a. 2009).

In der Vergangenheit bezog sich die Hochschulautonomie in Deutschland ausschließlich auf akademische Entscheidungen (z. B. Genehmigung von Studien- und Prüfungsordnungen, Kooptation von Fakultätsmitgliedern). Verwaltung und Wirtschaftsführung – und damit wesentliche Teile der operativen Steuerung – wurden demgegenüber als staatliche Aufgaben angesehen. In diesem aus der preußischen Wissenschaftsverwaltung stammenden Steuerungsmodell war die Selbstverwaltung mit Rektor und Senat sowie Dekan und Fakultät auf die akademischen Angelegenheiten beschränkt, der Kanzler als Repräsentant der Landesregierung in der Hochschule war zuständig für die Wirtschaftsverwaltung, das Personal, den Haushalt und die Infrastruktur. Zentrale Aspekte der wissenschaftlichen Leistungserbringung wurden staatlich reguliert, insbesondere die Zulassung zum Hochschulstudium, das Studienangebot und die Berufung von Professoren.

Gegen dieses Modell der bürokratischen Hochschulsteuerung entstand Anfang der 1980er Jahre eine Reformbewegung, die eine Deregulierung des Hochschulwesens propagierte und für eine Stärkung des institutionellen Wettbewerbs eintrat (vgl. Wissenschaftsrat 1985). Wettbewerb wurde dabei als geeignetes Mittel angesehen, die Qualität und Ef? zienz von Forschung und Lehre an den Hochschulen zu steigern. Komplementär wurde gefordert, die Autonomie der Hochschulen zu stärken (vgl. Alewell 1993).

Die Volkswagen- Stiftung und der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft griffen diese Forderung auf und unterstützten die Strukturreform innerhalb der Hochschulen durch ihre Förderprogramme „Leistungsfähigkeit durch Eigenverantwortung“ und „Hochschulen im Wettbewerb“. Die Idee der „entfesselten Hochschule“ diente dem im Jahr 1994 von der Bertelsmann Stiftung und der Stiftung zur Förderung der Hochschulrektorenkonferenz gegründeten Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) als Leitmotiv für die Initiierung von Organisationsentwicklungsprojekten (vgl. Müller-Böling 2000), die die Hochschulen dabei unterstützen, ihre Ressourcen, ihr Personal, ihre Organisation und ihre Leitungsstruktur autonom zu entwickeln.

Nach Brinckmann (1998) waren die Hochschulen in Deutschland in den 1980er und 1990er Jahren in ein Netz von Regeln, Verfahren und Abhängigkeiten eingebunden, das notwendigen Wandel nur unzureichend ermöglichte und zu einem vielfach beklagten Reformstau führte. Eine lähmende Staatsbürokratie und fehlende Innovationsbereitschaft seitens der Hochschulen ließen Anfang der 1990er Jahre den damaligen Vorsitzenden des Wissenschaftsrats urteilen, dass die Universitäten im Kern verrottet seien (vgl. Simon 1991).

Auch für das CHE waren die Hochschulen in Deutschland seinerzeit in ein Ge?echt von staatlichen Regulierungen, hochschulpolitischen Blockaden und innerer Entscheidungsohnmacht eingebunden, das sie bis zur Bewegungsunfähigkeit einschnürte (vgl. Müller-Böling 2000). Ausbildungsinhalte und Studienabschlüsse waren beispielsweise in Prüfungs- und Studienordnungen geregelt, die den Vorgaben von bundesweit verbindlichen Rahmenprüfungsordnungen entsprechen mussten, die der Einzelhochschule keinen Spielraum für die Pro? lierung ihres Studienangebots ließen.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt5
Vorwort7
Einleitung8
1 Regulierung und Deregulierung von Bildungssystemen12
1.1 Politischer Diskussionsstand12
1.2 Verfassungsrechtliche Aspekte einer Deregulierungs-politik im Bildungssystem15
1.3 Psychologische Voraussetzungen und Implikationen einer Deregulierung im Bildungssystem22
1.3.1 Die Grundprinzipien menschlicher Motivation: Selbstbestimmung, Kontrollüberzeugungen und Selbstwirksamkeit22
1.3.2 Verantwortung oder Rechenschaftspfl icht25
1.3.3 Grenzen der Fähigkeit zur Verantwortungsübernahme26
1.3.4 Vertrauen als Voraussetzung von Kooperation27
1.3.5 Boykottoder Vermeidungsverhalten: psychologische Reaktanz29
1.4 Organisatorische Bedingungen einer Deregulierung im Bildungssystem31
2 Regulierungsbedarf im vorschulischen Bereich: Standardisierung, Qualifi zierung und Finanzierung37
2.1 Geschichte und Status quo des Regulierungsdefi zits37
2.1.1 Zuständigkeiten und Steuerungsebenen37
2.1.2 Finanzierung39
2.1.3 Standardsetzung und Qualitätssicherung43
2.1.4 Akademische Ausbildung des frühpädagogischen Personals45
2.1.5 Berücksichtigung spezieller Zielgruppen46
2.1.6 Familie und Familienbildung47
2.2 Exkurs: Steuerung und Regulierung des vorschulischen Bildungsbereichs in England48
2.3 Trends und zukünftiger Regulierungsbedarf50
2.4 Handlungsempfehlungen51
3 Regulierung und Deregulierung in der Schule54
3.1 Geschichte und Status quo der Regulierung und Deregulierung54
3.2 Regulierung und Deregulierung auf verschiedenen Entscheidungsebenen des Schulsystems55
3.3 Nutzung und Wirkung von Autonomie70
3.4 Trends und zukünftiger Deregulierungsbedarf81
3.5 Handlungsempfehlungen83
4 Nachregulierung in der Berufsausbildung86
4.1 Status quo des dualen Systems unter wachsendem Re-Regulierungsdruck86
4.2 Institutioneller Rahmen und Struktur der Berufsausbildung in Deutschland88
4.2.1 Entwicklung der Bedeutung der einzelnen Sektoren der Berufsausbildung89
4.2.2 Zunehmende Unsicherheiten beim Übergang in die berufl iche Ausbildung91
4.3 Berufl iche Schulen95
4.3.1 Status quo der Steuerung in ausgewählten Regelungsbereichen96
4.3.2 Fortgeschrittene Deregulierung97
4.4 Trends und wachsender Nachregulierungsbedarf99
4.5 Handlungsempfehlungen100
5 Fortgeschrittene Deregulierung und ihre Weiterentwicklung im Hochschulbereich103
5.1 Geschichte und Status quo der Deregulierung103
5.1.1 Deregulierung der Landeshochschulgesetze und Föderalismusreform104
5.1.2 Erhebung zur Universitätsautonomie im Jahr 2009108
5.2 Effekte der Deregulierung und zukünftiger Deregulierungsund Regulierungsbedarf115
5.3 Handlungsempfehlungen117
6 Maßvolle Regulierung in der Erwachsenen-und Weiterbildung: Qualität, Qualifi kation und Beteiligung119
6.1 Geschichte und Status quo fehlender Regulierung119
6.1.1 Zur Ausdifferenzierung von Erwachsenenund Weiterbildung119
6.1.2 Rechtliche Grundlagen121
6.1.3 Finanzierung122
6.1.4 Trägerstrukturen124
6.1.5 Personelle Ressourcen126
6.2 Regulierung im internationalen Kontext127
6.3 Trends und Regulierungsbedarf129
6.3.1 Qualitätssicherung130
6.3.2 Weitere Professionalisierung132
6.4 Handlungsempfehlungen133
7 Handlungsempfehlungen im Überblick135
7.1 Regulierungsbedarf im vorschulischen Bereich135
7.2 Regulierung und Deregulierung in der Schule136
7.3 Nachregulierung in der Berufsausbildung138
7.4 Fortgeschrittene Deregulierung und ihre Weiterentwicklung im Hochschulbereich140
7.5 Maßvolle Regulierung in der Erwachsenenund Weiterbildung141
Literatur143
Abbildungsverzeichnis161
Tabellenverzeichnis163
Verzeichnis der Mitglieder des AKTIONSRATSBILDUNG164
Verzeichnis der externen Experten166

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