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E-Book

Von Bismarck zu Hitler

Ein Rückblick

AutorSebastian Haffner
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783426429792
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Der Klassiker jetzt auch als eBook. In seinem letzten großen Werk beschreibt Sebastian Haffner die Geschichte des Deutschen Reichs - die Geschichte eines unaufhaltsamen Niedergangs, von der Gründung des Kaiserreichs bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. »Ein bewegendes, manchmal sehr persönliches Vermächtnis eines Publizisten, der wie kein Zweiter mit seinen Arbeiten das historische Bewusstsein der Öffentlichkeit beeinflusst hat.'« Die Zeit

Sebastian Haffner, 1907 in Berlin geboren, heißt eigentlich Raimund Pretzel (den Namen Haffner - nach der Mozart-Symphonie - nahm er in England an). Er studierte Jura und emigrierte 1938 nach Holland, weil die Nazis ihm die Aufnahme in den Staatsdienst verwehrten, später nach England. 1954 kehrte er als Korrespondent des Observer (und britischer Staatsbürger) nach Deutschland zurück. Später schrieb er für Stern, Welt und Konkret. Vor allem die vielgerühmten Bestseller Anmerkungen zu Hitler und Von Bismarck zu Hitler machten Haffner berühmt.

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Leseprobe

Einleitung


Wenn man die Geschichte des Deutschen Reichs gewissermaßen durch ein Fernrohr betrachtet, dann fallen sofort drei Sonderbarkeiten auf.

Die erste davon ist die kurze Lebensdauer dieses Reichs. Es hat ja als handlungsfähige Einheit nur 74 Jahre bestanden: von 1871 bis 1945. Selbst wenn man großzügig ist und sein Vorstadium, den Norddeutschen Bund, dazurechnet und hinten die kurze Zeit addiert, in der die vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges Deutschland noch als Einheit verwalten wollten, kommt man im ganzen nur auf 80 oder 81 Jahre, 1867 bis 1948 – die Dauer eines Menschenlebens. Für die Dauer eines Staatslebens ist das ungeheuer wenig. Ich wüßte eigentlich kaum einen anderen Staat zu nennen, der so kurze Zeit existiert hat.

Zum zweiten fällt auf, daß während dieser sehr kurzen Lebensdauer das Deutsche Reich mindestens zweimal, 1918 und 1933, aber eigentlich dreimal, nämlich auch schon 1890, seinen inneren Charakter und die Richtung seiner Außenpolitik vollkommen geändert hat. Innerhalb dieser 80 Jahre also vier Perioden, die sich ganz deutlich voneinander unterscheiden und in denen, wenn man so will, Deutschland jedesmal ein anderes Deutschland wurde.

Die dritte Auffälligkeit schließlich besteht darin, daß diese so kurze Geschichte mit drei Kriegen begann und mit zwei ungeheuren Kriegen, Weltkriegen, endete, von denen sich der zweite aus dem ersten mehr oder weniger ergab. So ist die Geschichte des Deutschen Reiches fast eine Kriegsgeschichte, und man könnte versucht sein, das Deutsche Reich ein Kriegsreich zu nennen.

Man fragt sich natürlich, woran das alles liegt. Waren die Deutschen denn kriegerischer als andere Völker? Das würde ich nicht sagen wollen. Wenn man ihre Geschichte als Ganzes nimmt, also doch etwas über tausend Jahre, dann haben sie eigentlich bis zu Bismarcks Zeit sehr wenig Kriege und kaum Angriffskriege geführt. Deutschland lag seit Beginn der Neuzeit in der Mitte Europas als eine Art große, vielgestaltige Pufferzone, in die andere oft hineinwirkten, in der es auch große innere Auseinandersetzungen gab: den Schmalkaldischen Krieg, den Dreißigjährigen Krieg, den Siebenjährigen Krieg … Doch diese internen Streitigkeiten haben nicht aggressiv nach außen gewirkt, wie es das Deutsche Reich jedenfalls in unserem Jahrhundert zweimal getan hat und woran es zugrunde gegangen ist.

Woran ist es denn eigentlich zugrunde gegangen? Warum wurde es, was von seinem Gründer Bismarck nicht beabsichtigt war, ein ausgreifender, aggressiver Staat? Darüber gibt es verschiedene Theorien. Ich finde sie alle nicht sehr überzeugend.

Eine davon schiebt alles auf Preußen. Das Deutsche Reich wurde ja durch Preußen gegründet. Und gemeint war es, jedenfalls von seinem Gründer, durchaus als eine Art Groß-Preußen, als Vorherrschaft Preußens in Deutschland. Wobei ja gleichzeitig auch schon die erste deutsche Teilung stattfand: Österreich wurde aus Deutschland ausgestoßen. Ist Preußen also an allem schuld? Wäre alles besser gegangen, wenn Deutschland 1848 in der Frankfurter Paulskirche auf demokratischer Basis gegründet worden wäre?

Merkwürdigerweise nicht. Das Paulskirchen-Parlament war keineswegs in seiner äußeren Politik friedlich gesinnt – obwohl viele das glauben. In Wirklichkeit hat die Paulskirche sogar gleich mehrere Kriege ins Auge gefaßt: die Linke einen großen Krieg gegen Rußland zur Befreiung Polens; der zentrale und »rechte« Teil der Paulskirche einen Krieg gegen Dänemark um Schleswig-Holstein, der als Auftragskrieg von Preußen 1848 auch eine Weile geführt und dann abgebrochen worden ist. Darüber hinaus gibt es viele Äußerungen prominenter Paulskirchen-Politiker, liberaler Demokraten, die ganz offen sagen: Das Allerwichtigste, was wir für Deutschland erstreben, ist Macht. »Die deutsche Nation ist der Prinzipien und Doktrinen, der literarischen Größe und der theoretischen Existenz satt. Was sie verlangt, ist Macht, Macht, Macht! Und wer ihr Macht gibt, dem wird sie Ehre geben, mehr Ehre, als er sich ausdenken kann.« Das sind Worte Julius Fröbels, eines heute vergessenen, aber damals prominenten großdeutschen Paulskirchen-Politikers.

Der Wunsch, aus dem passiven Dasein herauszukommen, das die Deutschen viele hundert Jahre lang in der Mitte Europas geführt hatten, war in der gesamten Paulskirche sehr ausgeprägt. Man wollte eben auch einmal, wie die Randmächte Europas schon lange, Machtpolitik und Expansionspolitik betreiben können. Bei Bismarck selbst waren solche Wünsche viel weniger stark; Bismarck sprach nach 1871 vom Deutschen Reich immer als von einem saturierten Staat. Und daran war so viel richtig: Preußen war in diesem Reich saturiert und mehr als saturiert. Es war vielleicht sogar schon ein bißchen über seine natürlichen Einflußgrenzen nach Süddeutschland hinausgewachsen. Erst nach Bismarck erwies sich Deutschland als durchaus nicht saturiert – und zwar gerade in dem Maße, wie es immer weniger ein Groß-Preußen und immer mehr ein Nationalstaat wurde. Mit Preußens Schuld also kann man die Schuld des Deutschen Reiches nicht erklären, wenn man schon von Schuld sprechen will. Im Gegenteil: Preußen fungierte, solange seine Vorherrschaft währte, als Bremse, nicht als Motor im Deutschen Reich.

Nun – es gibt noch mancherlei Erklärungen für Expansionismus und Untergang des Deutschen Reiches. So zum Beispiel die Theorie, daß die Hauptursache in der Industrialisierung zu suchen sei, die das Reich in sehr kurzer Zeit zur führenden Wirtschaftsmacht des Kontinents werden ließ: daß diese rapide Industrialisierung eine gesellschaftliche Dynamik in Gang setzte, die schließlich zur Explosion führte.

Gegen solche Überlegungen spricht die Tatsache, daß die Industrialisierung ja kein speziell deutscher Vorgang war. Die industrielle Revolution erfaßte im neunzehnten Jahrhundert phasenweise den ganzen europäischen Kontinent. Frankreich schon etwas früher als Deutschland, auch die westeuropäischen kleinen Mächte, Holland, Belgien. Dann kam Deutschland; Österreich etwas später, Rußland noch später. Es war ein gesamteuropäischer Prozeß. Gewiß hat Deutschland sich besonders stark und besonders tüchtig industrialisiert, aber doch im großen und ganzen in einer Art Gleichschritt mit dem übrigen Europa. Wenn also die Industrialisierung daran schuld wäre, daß das Deutsche Reich seine unheimliche Dynamik und Expansivität entwickelte, dann stellt sich natürlich die Frage: warum gerade Deutschland? Ob da nicht ein Zweig der heute modernen Geschichtsschreibung versucht, Wirtschaft und Politik enger zusammenzubringen, als sie zusammengehören?

Einigen Erklärungsmodellen merkt man nämlich an, daß sie von einem bestimmten ideologisch-politischen Standpunkt herrühren und eigentlich ausgedacht sind, um diesen Standpunkt zu beweisen. Wenn man zum Beispiel mit Lenin meint, daß der Imperialismus die höchste Form des Kapitalismus sei, dann muß natürlich der Kapitalismus daran schuld sein, daß das Deutsche Reich imperialistisch wurde und deshalb zuletzt zerbrach.

Das hat mich nie überzeugt; vielleicht weil ich kein Marxist bin. Aber selbst wenn ich mich in den marxistischen Standpunkt hineinzudenken versuche, fällt doch auf, daß es viele kapitalistische Staaten gegeben hat, die nie imperialistisch geworden sind – zum Beispiel die hochkapitalistische Schweiz. Warum nicht? Diese Frage führt zu einem ganz anderen Erklärungsmuster, das mir viel einleuchtender zu sein scheint.

Die Schweiz ist ein Kleinstaat. Kleinstaaten und Großmächte leben nach unterschiedlichen außenpolitischen Lebensgesetzen. Der Kleinstaat sucht Anlehnung oder Neutralität. Er kann nie versuchen, durch eigene Machtpolitik sein Los zu verbessern. Den Großmächten jedoch liegt das sehr nahe. Wo sie freie Räume finden, neigen sie dazu, sich dorthin auszudehnen, um ihre Macht, die ja ihre staatliche Lebensgrundlage ist, zu festigen und zu erweitern. Das Deutsche Reich – im Gegensatz zu den vorherigen deutschen Staatsbildungen – war eine Großmacht. Das war das eigentlich Neue an ihm. Aber es fand sehr wenig Freiräume, in die es vorstoßen konnte, um sich zu erweitern.

Ein jüngerer amerikanischer Historiker, David Calleo, hat gesagt: »Das Deutsche Reich wurde eingekreist geboren.« Daran ist so viel richtig, daß es von Anfang an von anderen Großmächten umgeben war. Es grenzte im Westen an Frankreich und England, im Süden und Südosten an Österreich-Ungarn, das damals noch eine Großmacht darstellte, und im Osten an das gewaltige russische Reich.

Das Deutsche Reich war also in geographischer Hinsicht ziemlich schlecht dran. Es hatte keine Freiräume, in die es vorstoßen konnte – wie England, Frankreich, sogar Belgien, Holland, Spanien, Portugal über das Meer hinweg oder wie Rußland nach Osten ins Asiatische hinein. Andererseits war das Reich nun einmal Großmacht und hatte deshalb auch den Großmachtinstinkt, noch größer zu werden. Der war ihm sozusagen in seine Großmacht-Wiege gelegt worden.

Und dazu kam noch ein zweites: Das Reich besaß eine ungeschickte Größe. Es war, das hatte sich bereits in den Gründungskriegen herausgestellt, wahrscheinlich stärker als jede andere einzelne europäische Großmacht. Es war aber selbstverständlich schwächer als eine Koalition mehrerer oder gar aller jener Großmächte, die es umgaben. Genau aus diesem Grunde hatte es solche Koalitionen immer zu fürchten. Denn gerade weil zum Beispiel Frankreich, zum Beispiel Österreich, zum Beispiel Italien und vielleicht sogar Rußland sich schwächer fühlten als das Deutsche Reich, neigten diese Länder dazu, Bündnisse zu suchen, Koalitionen einzugehen. Und...

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