2. Haben Sie überhaupt ein Problem?
Bevor wir anfangen, über mögliche Lösungen nachzudenken, sollten wir klären, ob Sie überhaupt ein Problem haben.
Das mag Sie überraschen. Doch die Tatsache, dass Ihr Unternehmen mit einem anderen verschmolzen wird oder durch größere Umstrukturierungen geht, bedeutet nicht zwangsläufig, dass Ihr Job in Gefahr ist. Es gibt vielmehr drei Möglichkeiten:
- Für viele Mitarbeiter und Führungskräfte sind Fusionen und Umstrukturierungen in der Tat bedrohlich, weil ihre Arbeitsplätze möglicherweise wegfallen oder sich grundlegend verändern.
- Für zahlreiche andere wird sich vermutlich überhaupt nichts ändern – außer dem Namen und dem Briefpapier ihres Arbeitgebers.
- Für einige Mitarbeiter verbessert sich die Lage durch die Fusion sogar: Ihr Arbeitsplatz wird sicherer, ihre Entwicklungschancen steigen.
2.1 Wie stark ist Ihr Bereich betroffen?
Wie finden Sie heraus, zu welcher dieser drei Gruppen Sie gehören? – Die Antwort hängt nicht so sehr von Ihrer Leistung oder Ihrem persönlichen Ansehen ab, sondern davon, in welche der drei nachfolgenden Kategorien Ihr heutiger Arbeitsplatz fällt:
Synergiefelder
Die unangenehmste Variante liegt vor, wenn Ihre Funktion in einem der »Synergiefelder« angesiedelt ist.
Fusionen werden ja in der Regel durchgeführt, um Synergieeffekte zu erzielen, also Vorteile aus dem Zusammenschluss. Meistens sind das Kostensynergien, und das übersetzt sich für die Mitarbeiter in Arbeitsplatzabbau.
Klassische Synergiefelder sind zum Beispiel Zentralfunktionen. So braucht man zum Beispiel nach einer Verschmelzung nur noch eine Finanz- und Controlling-Abteilung, nur noch eine Presse- und eine Rechtsabteilung. Die sind dann zwar meistens etwas größer als in den beiden Ursprungsunternehmen, aber deutlich kleiner als deren Summe: Die Differenz ist der errechnete Synergieeffekt. (Ob es hinterher funktioniert, ist eine andere Frage.)
Auch viele andere Funktionen – Forschung und Entwicklung, IT, Einkauf, Marketing, Vertrieb, Service, Logistik – können Synergiefelder sein, müssen es aber nicht. Ob sie es sind, hängt hauptsächlich davon ab, wie stark sich Produktpaletten und Arbeitsgebiete überschneiden.
Beispiel: Wenn zwei Pharmaunternehmen fusionieren, kann man die Forschung und Entwicklung dann (und nur dann!) zusammenlegen, wenn sich die erforschten Indikationsgebiete überlappen. Wenn das eine Unternehmen seinen Schwerpunkt in der Onkologie (Krebsforschung) und das andere seinen in der Kardiologie (Herz/Kreislauf) hat, dann ist mit Forschungs-Synergien nicht viel zu wollen, und es würde wenig bringen, über eine Verschmelzung der Forschungszentren auch nur nachzudenken. Wenn hingegen beide in der Kardiologie forschen, hört sich das deutlich mehr nach Überlappungen und damit nach einer Zusammenführung an.
Überschneidungsfreie Zonen
Am ruhigsten lebt es sich zu Zeiten einer Fusion dort, wo es keinerlei Überschneidungen mit dem Fusionspartner gibt.[2]
Stellt ein Tochterunternehmen eines fusionierenden Konzerns zum Beispiel Stoßdämpfer her und die andere Seite bringt zwar andere Automobilzulieferer mit in die Ehe, aber keinerlei Stoßdämpfer-Fabrikanten, so können dessen Mitarbeiter fürs Erste aufatmen. Ihre Firma wird zwar mit großer Wahrscheinlichkeit der Konzernsparte »Automotive« (so nennt man das heute) zugeordnet und bekommt vielleicht noch einen neuen »Vornamen« (d. h., der Konzernname wird vor den Firmennamen gestellt). Aber ansonsten wird der Mutterkonzern in den ersten Jahren so viel mit sich selbst zu tun haben, dass er kaum die Zeit und Neigung haben wird, sich um seine Stoßdämpfer-Tochter zu kümmern. Zumindest so lange nicht, wie diese zufriedenstellende Ergebnisse abliefert.
Fusionsgewinner
Die »Fusionsgewinner« sind normalerweise die kleinste Gruppe, aber auch sie gibt es. Profitieren werden all diejenigen Funktionen, die durch die Fusion dauerhaft oder für längere Zeit zum Engpassfaktor werden. Das gilt zum Beispiel für Funktionen, bei denen der Fusionserfolg – Synergien – nur durch eine Systemintegration zu erreichen ist: häufig IT, aber nicht selten auch die Integration von Produktions- und Logistik-Systemen, außerdem Projektleiter, interne Berater und Prozess-Manager. Denn mit Sicherheit gibt es in den ersten Jahren nach der Fusion eine Menge an Sonderthemen zu bearbeiten.
Können Sie sich selbst zum Fusionsgewinner machen?
Sitzen Sie mitten in einem Synergiefeld und müssen annehmen, dass Ihr dortiger Job in Gefahr ist? Dann kann Ihnen ein völlig legaler Trick unter Umständen zu einem sicheren Arbeitsplatz verhelfen: Wenn Sie die dafür erforderlichen Fähigkeiten und Neigungen besitzen, ist es absolut sinnvoll, dass Sie sich aktiv um eine Aufgabe in einem der absehbaren Engpassgebiete bemühen. Gerade wenn Sie aus einem Bereich kommen, wo Arbeitsplätze wegfallen, wird man Ihnen keine Steine in den Weg legen. Denn das ist ein gutes Geschäft für beide Seiten: Sie sichern Ihren Arbeitsplatz, und das Unternehmen kann sich an einem kritischen Engpass verstärken – und spart sich möglicherweise einen Teil der Abfindung, die gegebenenfalls bei Ihrer Entlassung oder der eines Ihrer Kollegen fällig würde.
2.2 Weshalb Sie die Business-Logik der Fusion verstehen müssen
Vermutlich wird es Ihnen schwerfallen, auf Anhieb zu sagen, in welche dieser drei Kategorien Ihr heutiger Arbeitsplatz fällt. Meist fehlen einem dafür die Informationen. Erst nach einer Analyse der geschäftlichen Logik der Fusion lässt sich dies besser abschätzen.
Bitte machen Sie sich klar, dass es hier nicht um die Qualität Ihrer Arbeit geht! Sie mögen der beste Mitarbeiter in einem der Synergiefelder sein, und dennoch steht Ihr Job zur Disposition. (Natürlich wird man versuchen, Sie zu halten, wenn Sie einer der Leistungsträger sind, jedenfalls sofern nicht die Fusionsstrategie – siehe Abschnitt 2.3 – oder die Sozialauswahl dazwischenkommt.) Auf der anderen Seite mögen Sie der schwächste Mitarbeiter in einer »überschneidungsfreien Zone« sein – und dennoch ist Ihr Job nach der Fusion so sicher wie ein halbes Jahr davor, vielleicht sogar noch sicherer.
Drei Schlüsselfragen
Um die Business-Logik der Fusion zu verstehen, müssen Sie die Antworten auf drei Schlüsselfragen herausfinden:
- Welche Geschäftsfelder, Produkte und Marken bringt das andere Unternehmen mit in die Ehe? Wie passen sie mit denen Ihres Arbeitgebers zusammen – oder auf welche Ideen könnte man kommen, wenn man Synergieeffekte erzielen will oder muss?
- Welche konkreten Pläne hat die Unternehmensleitung? An welchen Stellen will sie Synergien realisieren, und wie soll dies konkret geschehen?
Während die erste und die dritte Frage sich im Wesentlichen auf Fakten richten, ist die zweite eine Frage der Beurteilung. Hier kann man sich am leichtesten verschätzen – und zwar paradoxerweise gerade, weil man sich zu gut auskennt. Als Insider Ihres Geschäfts sehen Sie sofort die Unterschiede und Unvereinbarkeiten zwischen Ihren Geschäftsfeldern und denen der anderen – und überschätzen sie mit hoher Wahrscheinlichkeit. Jemand, der nicht ganz so nahe dran ist, sondern beispielsweise mit dem Abstand eines Finanzvorstands auf die Sache schaut, wäre möglicherweise geneigt, auch dort Synergiepotenziale zu entdecken, wo Sie keine sehen.
Machen Sie sich deshalb klar, unter welchem Synergiedruck die Unternehmensleitung steht. Sie hat ein Vermögen für die akquirierte Firma gezahlt, hohe Erwartungen bei den Kapitalgebern geweckt – und haftet nun mit ihrem Kopf dafür, dass die versprochenen Erfolge auch eintreten. In solch einer Situation ist man risikobereit – und neigt stark dazu, auch dort Synergiepotenziale zu sehen, wo die Fachleute bedenklich ihre Häupter wiegen.
Deshalb kann als Faustregel gelten: Die Unternehmensleitung wird auch dort Synergiepotenziale sehen, wo Sie selbst und Ihre Kollegen größte Bedenken haben. Und sie wird von Ihnen beziehungsweise Ihren Vorgesetzten verlangen, diese Synergien zu realisieren – auch wenn Ihnen dies ebenso unsinnig wie unmöglich erscheint. (Wer am Ende recht behält, steht auf einem ganz anderen Blatt.)
Entscheidend ist: Nur wenn Sie verstehen, was die Geschäftsleitung mit der Fusion beabsichtigt und vor allem, wo die angestrebten Synergien herkommen sollen, können Sie Ihre optimale persönliche Strategie entwickeln.
Das Top-Management steht unter Druck
Um ihre Strategie entwickeln zu können, müssen Sie ein Gefühl dafür bekommen, in welcher objektiven Situation und subjektiven Verfassung das Top-Management in einer Fusion ist.
Hierzu zwei Zitate aus einer Broschüre der Boston Consulting Group, die den bezeichnenden Titel trägt: »The Work Begins After the Deal Is Closed« (Neil Monnery, Art Peck; 2000):
»A M&A venture always begins in the red. Despite the fact that companies enter a merger or an acquisition to create value, the immediate effect of most deals is the exact opposite. Companies usually pay a considerable premium for their acquisitions. That premium is the capitalized future of the company's earnings stream, and it must be paid back before the company can go forward. Put bluntly, a company falls into a value hole when it buys another company, and its first job is to climb out.«
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