Kapitel 2
Wie ich ein Held wurde
Im Sommer 1958 schleppte ich mich, von Partys schwer mitgenommen, wieder nach Oakland, noch immer ohne anständige militärische oder sonstige Ausbildung. Meine Ziellosigkeit ängstigte meine Eltern, aber ich hatte es nicht eilig damit, die Arbeitswelt kennenzulernen. Ich wollte es ruhig angehen lassen und erst mal die anderthalb verlorenen Jahre nachholen sowie die 18 Kilo zurückgewinnen, die Uncle Sam mir gestohlen hatte.
Wahrscheinlich sehnte ich mich nach der Highschool zurück. Während ich in Drive-in-Restaurants in East Oakland herumhing, traf ich regelmäßig junge Leute aus dem Bezirk Havenscourt, und weil ich die Selbstsicherheit eines ehemaligen Armeehäftlings ausstrahlte, imponierte ich den Mädchen, und die Jungs respektierten mich zumindest.
Die Hamburgerbude Foster’s Freeze hatte sich seit meiner Schulzeit kaum verändert. Noch immer flitzten dort reichlich Mädchen um die Musikbox herum und warteten darauf, von ihrer Langeweile erlöst oder sittlich verdorben zu werden. Sie wollten Action im Stil der 50er-Jahre: in schnellen Autos mit glänzenden Chromfelgen und dröhnenden Auspufftöpfen fahren, mit Butch-Wax-Pomade angeben und spontanen Sex auf dem Autorücksitz haben. Und was gab es Schöneres für einen Kerl, als sich die Sitzpolster von einer Horde Mädchen mit Pferdeschwänzen und straffen Brüsten wärmen zu lassen, die bei jedem seiner Worte loskicherten oder Bebop trällerten, nach Woolworth-Parfüm, Clearasil und Zigarettenrauch rochen und dicht aneinandergedrängt auf der Rückbank saßen wie die Fritten in der Tüte?
In der Imbissbude konnte man Mädchen zu einer Rundfahrt einladen. Ich tankte den Kombi meiner Mutter auf und fegte über das Zickzackmuster aus verbranntem Gummi, das den Parkplatz verzierte. Dann stellte ich den Rhythm and Blues im Radio lauter und schaute mehr in den Rückspiegel als auf die Straße. Der Spiegel war unentbehrlich; er ersparte mir Bußgelder wegen zu hoher Geschwindigkeit und half mir, die süßen Puppen auf meinem Rücksitz im Auge zu behalten. Ein Mädchen schien mich ständig im Spiegel zu beobachten. Sie sah aus wie die jüngere Schwester eines meiner Mädchen, hatte eine flache Brust und wog etwa 45 Kilo.
»Schau mich lieber nicht so an, Kleine«, neckte ich sie. »Du bist zu jung für diesen Schlafzimmerblick.«
Sie errötete und wies meine Unterstellung empört zurück. Zu meiner Überraschung erfuhr ich, dass dieses kleine Ding in weißen Halbstiefeln, Levi’s und dem Hemd ihres Bruders nicht 11 oder 12 war, sondern 15. Noch mehr staunte ich darüber, dass sie einen Freund hatte, der ihr fremdging.
Sie hieß Helen und hielt mich für frech und aggressiv. Dennoch konnte ich sie dazu überreden, mir mit auszugehen, um ihren Freund eifersüchtig zu machen. Bei unserer ersten Verabredung entdeckte ich, dass sie ganz schön kess war, wenn sie sich nicht in einer Gruppe befand. Bald hatte ich sie so weit, dass sie die Schule schwänzte, um im Haus eines Bekannten mit mir Karten zu spielen und zu schmusen. Anfangs dachte sie, ich wolle ihr nur an die Wäsche gehen, aber mit der Zeit verlor sie ihre Furcht vor mir und nahm meine Christophorus-Medaille an.
Eine feste Freundin bedeutete Autokinos und romantische Tête-à-têtes am Skyline Boulevard. Wenn ich zu wenig Geld für Benzin hatte, verzichteten wir auf die prachtvolle Aussicht und begnügten uns mit einem dunklen Holzlager wenige Straßen von Helens Haus entfernt. Oft hatte ich in derselben Nacht noch ein anderes Mädchen auf dem Rücksitz, doch was Helen betraf, duldete ich keine Untreue.
Eines Tages sah ich sie mit ein paar Jungs und Freundinnen in einem Auto. Sie versuchte sich zu ducken, aber es war zu spät. Ich wendete und folgte dem Auto Stoßstange an Stoßstange, obwohl der Fahrer einige Schleudermanöver veranstaltete, um mir zu entkommen. Wie ein Irrer drückte ich auf die Hupe und ließ den Motor aufheulen, bis der Wagen vor mir am Straßenrand hielt. Ein Kerl lief weg, den anderen erwischte ich. Ich warf ihn auf die Kühlerhaube und presste ihm eine Pistole an die Nase. »Was machst du mit meiner Freundin?«, schrie ich. Er stammelte eine Entschuldigung, dann trat ich ihm in den Hintern und wandte mich an Helen: »Steig aus!«
»Ich geh nicht allein mit.« Sie wollte nur aussteigen, wenn ein paar ihrer Freundinnen mitkamen. Vermutlich hatte sie Angst vor mir.
Nicht jeder hielt mich für übermäßig aggressiv. Einigen meiner Freunde gefiel dieser Charakterzug sogar. Zwei von ihnen, Jerry Jordan und Junior, hatten sich den Hells Angels angeschlossen, einem neuen Motorradclub, der in unserer Gegend schon bekannt war. Ich war der Highschool-Szene inzwischen entwachsen, und die Kameradschaft und der wilde Lifestyle des Clubs faszinierten mich. Ich wollte ihm beitreten, hatte aber kein Motorrad – diese waren damals seltene Beförderungsmittel.
Dank meiner Eltern, die einen Gewerkschaftsfunktionär beknieten, erhielt ich eine Lehrstelle bei einem Bauunternehmer und konnte 125 Dollar zur Seite legen. Dafür kaufte ich eine gebrauchte Harley-Davidson 45, halb rot, halb grün, mit Weißwandreifen, luxuriösem verchromtem Lenker und einem Auspufftopf aus Bierdosen. Jerry und Junior halfen mir, sie zu frisieren und die lockeren Teile zu befestigen. Dann umrundete ich ein paar Mal den Block, und schließlich fuhren wir gemeinsam zur 23rd Avenue.
Das öde kleine Einkaufsviertel dort hob sich wie eine eigene kleine Stadt deutlich von der City ab. Die Dachlinien der Läden waren niedrig und unregelmäßig, die Telefonmasten hoch und unregelmäßig. Die Rinnsteine waren immer von Bierflaschen, Zigarettenstummeln und Motorrädern bedeckt. Die beliebtesten Lokale waren das Doggie-Diner-Drive-in, das vulgäre Star Cafe und der Poole’s Locker Club, der einem alten Motorradfan gehörte, der die Seeleute im Zaum hielt und dem es nichts ausmachte, wenn junge Biker sich an seine Jukebox lehnten.
Wir parkten am Ende einer langen Reihe von Motorrädern unter den trüben Straßenlampen und gingen dann auf ein paar Typen vor einem Gebäude zu. Sie trugen ärmellose Levi’s-Jacken, Kutten genannt, mit geflügelten Totenköpfen als Abzeichen. Ein dünner, schmutzig blonder, mit Kampfnarben übersäter Junge löste sich von der Gruppe und schlurfte auf uns zu. Seine schmierigen, stahlverstärkten schwarzen Stiefel machten vermutlich ein Zehntel seiner sechzig Kilo aus, aber er gewann an Gewicht, als er mit schräg gestelltem Kopf angeschlendert kam. Seine Augen waren geschwollen, und seine dicke Unterlippe ragte forsch nach vorne.
Sein Name war Ralph Hubert Barger jr., aber seine Freunde nannten ihn Sonny. Er war in Modesto geboren, und mit sechs Monaten hatte ihn seine Mutter dem Vater überlassen. Seine Mutter sah er nie wieder. Wie ich hatte er die Oakland Highschool abgebrochen und war zum Militär gegangen. Den Leuten erzählte er meist, er habe die Schule 1955 als Zehntklässler verlassen und dann ein Jahr in der Armee gedient. Man habe ihn aber entlassen, als er wegen seines zu jungen Alters aufgeflogen war. Nach seiner Anwärterzeit beim Nomaden-Charter der Angels habe er das Oakland-Charter aufgebaut und sei 1957 dessen Präsident geworden.
Sonny lächelte nie, doch er war nicht unfreundlich. Wir schüttelten einander die Hände und plauderten über Motorräder und den Club. Als die anderen Angels sich uns anschlossen, redete ich weniger und beschränkte mich aufs Zuhören und Beobachten. Sonny hingegen, der selbst erst zwanzig war, leitete das Gespräch.
Ohne wie ein Jugendlicher zu wirken, sprach er vom Motorradfahren als Lebensstil, nicht als Hobby. »Aber warum davon reden, wenn man’s tun kann?« Er ging zu seinem Motorrad, machte eine lässige Kopfbewegung und fragte: »Na los, George. Lust auf ’ne Tour?«
»Klar«, sagte ich und brach auf zu meinem ersten »Run« – mit gerade einmal zwanzig Minuten Fahrpraxis auf einem Motorrad. Die Gruppe fuhr den Boulevard entlang, von einer Ampel zur nächsten, und ich fiel weit zurück, vor allem auf den geraden Strecken, weil meine Maschine bei jedem Versuch, sie hochzudrehen, stotterte und abstarb. Wenn ich das Bein hob, sprang der Motor wieder an, nur um eine Minute später erneut auszugehen. Ich versuchte mitzuhalten und wurde dabei schier verrückt. Nachdem ich den Motor sieben- oder achtmal abgewürgt hatte, hielten wir endlich vor Top’s Cafe, in dem die Biker regelmäßig Kaffee tranken. Sonny schaute sich meine Maschine an und kam zu dem Schluss, dass mein Hosenbein dem Vergaser die Luft abschnitt.
Sonny nahm ein paar kleine Reparaturen vor, und nach einigen Ausfahrten steuerte ich meine Harley mit der gleichen wundervollen Eleganz durch den Verkehr wie die anderen. Ich liebte das Dröhnen der großen Kolben und kam sogar mit der nach hinten verlagerten Schaltung klar, die damals große Mode war. Sie verlangte präzise Bewegungen – eine Hand steuerte, während die andere zurückschwang und den Gang einlegte.
Meist fuhren wir, bis der Hintern schmerzte. Dann hielten wir an, tranken Kaffee und fuhren weiter. Wir rasten wie die Irren, donnerten in Kneipen hinein oder die Gehsteige entlang, rissen das Vorderrad in die Höhe, sahen einfach gut aus und fühlten uns gut. Es war fantastisch, zu viert oder zu fünft nebeneinander zu fahren und beide Spuren zu besetzen. Niemand überholte uns. Wir lösten Staus hinter uns aus, wann immer wir Lust hatten. Wir fuhren einfach los, die Motoren surrten, und alle blieben zusammen.
Etwa drei Wochen nach meiner ersten Ausfahrt wartete ich auf der Veranda eines Hauses auf der anderen Seite...