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E-Book

Boys don't cry

Identität, Gefühl und Männlichkeit

AutorJack Urwin
VerlagEdition Nautilus
Erscheinungsjahr2017
ReiheNautilus Flugschrift 
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783960540434
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Männer weinen nicht. Sollten sie aber, denn sie haben allen Grund dazu: Starre Männlichkeitsbilder beherrschen noch immer die Identifikationsangebote - sei es in Erziehung, Beruf, Werbung oder Mainstream-Medien. Stark, unbesiegbar, wild und immer auf der Gewinnerspur sollen Männer sein, ob sie wollen oder nicht. Jack Urwin hat genug davon. Es reicht ihm nicht, dass der starke Mann heute auch mal weinen oder Elternzeit nehmen darf, sondern er fragt, warum Männer überhaupt stark sein müssen. Warum messen wir Menschen noch immer an Stereotypen, wo es uns ohne doch viel besser ginge? Dieses Buch ist der Beginn einer längst überfälligen Debatte darüber, wie eine positive, moderne Männlichkeit aussehen kann und wie wir dahin gelangen können, sie zu leben. Unter anderem ausgelöst vom frühen Tod seines Vaters hat Jack Urwin 2014 den weltweit viel beachteten Essay »A Stiff Upper Lip Is Killing British Men« im VICE Magazine veröffentlicht, dessen Themen er hier fortführt. Von der Mob-Mentalität, wie sie bei Fußballspielen und in Fight Club zur Schau gestellt wird, bis zu unseren Großvätern, die aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkehrten, ohne je gelernt zu haben, über ihre Gefühle zu sprechen, untersucht Urwin, wie der Mythos der Maskulinität entstanden ist und warum er toxisch, ja tödlich ist. Warum tun wir uns trotzdem so schwer damit, diese fragwürdigen Ideale hinter uns zu lassen? Teils Essay, teils persönliches Manifest, ist Boys don't cry eine witzige und scharfe Auseinandersetzung mit toxischer Maskulinität und ihren Folgen - und ein Plädoyer für einen anderen Umgang miteinander.

Jack Urwin wurde 1992 in Loughborough (UK) geboren und studierte Journalismus in London. Er arbeitete als Promoter für verschiedene große und Indie-Musik-Labels, weshalb ihn Enrique Iglesias, völlig zu Unrecht, wie Urwin meint, einen »Drill-Sergeant« nannte. Er schreibt für diverse Zeitschriften, u.a. McSweeney's und VICE, über Politik, psychische Gesundheit und Genderthemen. Urwin lebt derzeit in Toronto, Kanada.

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Leseprobe

Wann ist ein Mann ein Mann?


Bevor ich mich auf die Mammutaufgabe stürze zu analysieren, was meiner Meinung nach die wichtigsten Themen um Männlichkeit heute sind, und dann in der Hoffnung, die Menschheit für den Rest unserer Zeit auf Erden zu verbessern, versuche, Lösungen für alle unsere Fehler, Leiden und destruktiven Verhaltensweisen zu finden, sollte ich mir einen Augenblick Zeit nehmen, um festzuhalten, was genau eigentlich ein Mann ist. (Wahrscheinlich muss ich auch noch über ein paar andere Sachen nachdenken, bevor ich mich auf diese Mission begebe, zum Beispiel: »Warum zum Teufel schreibe ich ein Buch, das war eine bescheuerte Idee, ich will hier raus, o Gott, o Gott, das ist eine Katastrophe«, aber ich bin mir sicher, dass sich das durch eine Nacht auf Yahoo Clever klären lässt.)

Theoretisch müsste das der unkomplizierteste Teil des ganzen Buches sein. Schließlich wissen wir alle, was ein Mann ist, richtig? Toll, nächstes Kapitel: Ich hab das voll drauf mit dem Schreiben. Vor langer Zeit mag das tatsächlich einmal der Fall gewesen sein, doch im Jahr 2016 geht unser Verständnis von Gender sehr weit über die binärgeschlechtliche Definition hinaus, derer wir uns in der Geschichte bedient haben. Womöglich habt ihr schon einmal einen älteren Verwandten sagen hören: »Früher war alles viel einfacher, da waren Männer Männer und Frauen Frauen«, nachdem sieer in der Zeitung etwas über Transgender gelesen hat. Womöglich habt ihr das sogar selbst schon einmal gedacht. Vieles daran ist für viele von uns neu, und es ist okay zuzugeben, dass ihr ein bisschen ins Schwimmen geratet – solange ihr nicht ausfallend werdet. Wir sind alle hier, um zu lernen (hoffe ich doch), und auch wenn einige von euch womöglich schon mit den hier diskutierten Begriffen vertraut sind, möchte ich euch doch bitten, trotzdem an diesem Kapitel dranzubleiben, denn es könnte euch einen ersten Einblick darin verschaffen, wie ich mich bestimmten Konzepten nähere, und Fragen, die euch möglicherweise im weiteren Verlauf kommen, vorab klären. Und weil ich ein Scheißkerl bin, finde ich es auch geil, die Macht zu haben, euch zu zwingen, jedes einzelne meiner vollkommen überflüssigen Worte zu lesen.

Wenn ich jetzt damit anfange, dass wir uns drei Kategorien genauer ansehen müssen, die alle eng miteinander verflochten sind und zugleich doch vollkommen getrennt, gewinne ich damit bestimmt keinen Preis für Klarheit. Aber habt Nachsicht mit mir, denn ich versuche, Ordnung in Geschlecht, Sexualität und Gender zu bringen – was sie verbindet, was sie trennt und warum das alles überhaupt von Belang ist.

Geschlecht


Das ist wahrscheinlich am leichtesten zu erklären. Geschlecht ist biologisch, es ist das, was wir Kindern bei ihrer Geburt aufgrund ihrer Genitalien zuweisen, und in den meisten Fällen ist es eine von zwei Möglichkeiten. Wenn zwischen den Beinchen ein Penis liegt, dann hast du einen Jungen gekriegt, wenn da unten eine Vagina ist, dann … ich weiß nicht, ich hab schnell das Interesse an diesem kleinen Reim verloren, aber dann wird das Neugeborene auf der Geburtsurkunde als Mädchen bezeichnet. Solange die Eltern nicht megaprogressiv sind, stehen die Chancen gut, dass das auf der Geburtsurkunde festgehaltene Geschlecht sich in der Erziehung widerspiegelt und das Kind allein aufgrund seiner winzigen kindlichen Geschlechtsorgane ermutigt wird, einem ausdrücklich genderspezifischen Weg zu folgen. Ab und zu kommt ein Kind mit Fortpflanzungsorganen zur Welt, die nicht in die traditionelle Definition von männlicher oder weiblicher Sexualanatomie passen und Elemente von beiden aufweisen, das wird dann als intersexuell bezeichnet. Das kann schon bei der Geburt sichtbar sein oder erst im späteren Leben zutage treten, und manchmal unterziehen sich intersexuelle Menschen (auch Kleinkinder und Kinder) chirurgischen Eingriffen oder Hormonersatztherapien, um äußerlich der binärgeschlechtlichen Genderdefinition zu entsprechen.

Sexualität


Die Sexualität eines Menschen bestimmt sich dadurch, zu wem, wenn überhaupt, sieer sich sexuell hingezogen fühlt (speziell in dieser Situation, welchem Gender oder welchen Gendern). In traditioneller Sichtweise fühlen sich heterosexuelle oder straighte Menschen ausschließlich vom anderen Geschlecht angezogen, homosexuelle oder schwule bzw. lesbische Menschen fühlen sich ausschließlich vom eigenen Geschlecht angezogen, und bisexuelle Menschen fühlen sich zu Männern undFrauen hingezogen. Treten wir einen Schritt aus dieser Binärgeschlechtlichkeit heraus, gibt es noch mehr Etiketten, wie etwa pansexuell, was ein Hingezogenfühlen zu allen Gendern bezeichnet – auch zu Menschen, die sich weder als männlich noch als weiblich definieren –, während manche Menschen mehrdeutigere Begriffe wie zum Beispiel queer vorziehen, was schlicht auch als Sammelbegriff für alle benutzt werden kann, die nicht heterosexuell sind.

Gender


In den meisten Kapiteln dieses Buches ist Gender die wichtigste Kategorie. Bei Gender geht es um persönliche Identität, Gender wird nicht durch körperliche Merkmale definiert, sondern durch das Denken und Fühlen des Individuums. Gender ist auch ein soziales Konstrukt, ein Thema, auf das ich in diesem Buch noch öfter zurückkomme. Cisgender7 sind Menschen, deren Gender mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt, was bei der Mehrheit der Menschen so ist. Ein Transgender ist jemand, dessen Gender nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Jemand, der sich als Frau identifiziert, aber mit dem geboren wurde, was wir gemeinhin als männliche Geschlechtsorgane betrachten, ist eine Transgender-Frau oder eine Trans-Frau, oder, noch besser, einfach eine Frau. Manche Trans-Menschen unterziehen sich geschlechtsangleichenden Operationen, um ihren Körper so zu verändern, dass er ihrem Gender entspricht, aber das gilt nicht für alle. Doch das ist noch nicht alles, denn manche Menschen betrachten sich weder als männlich noch als weiblich. Die binärgeschlechtliche Norm ablehnende oder genderqueere Menschen identifizieren sich mit einzelnen Aspekten traditioneller Vorstellungen von Männern und Frauen oder auch nicht und ziehen es oft vor, mit gender-neutralen Pronomen bezeichnet zu werden.

Könnt ihr mir noch folgen?


Na? Ich hoffe es, denn in diesem Buch geht es offensichtlich ziemlich viel um Männer. Vor allem aber geht es um Männlichkeit, und zwar um Männlichkeit in ihrer toxischsten Form. Für mich ist jeder ein Mann, der sich selbst als Mann betrachtet, und da Männlichkeit ein soziales Konstrukt ist und in erster Linie in der Identität verwurzelt ist und nicht in der Biologie, legen alle Männer männliches Verhalten an den Tag. Dies vorausgeschickt, werde ich für dieses Buch einzelne Typen von Männern sehr viel genauer unter die Lupe nehmen als andere. Themen, die schwule und Trans-Männer betreffen, werde ich zwar streifen, doch als heterosexueller Cis-Mann kann ich nicht guten Gewissens für diese Gruppen sprechen, denn ich habe die Erfahrungen, die sie machen, nie gemacht. Darüber hinaus sind viele der Verhaltensweisen, die ich genauer unter die Lupe nehme, ziemlich spezifisch für Cis-Typen (oder innerhalb dieser Gruppe doch zumindest recht weit verbreitet) – zum Beispiel werde ich mir ansehen, wie spezielle Arten von großkotziger Hypermaskulinität aus der Angst heraus entstehen, andere könnten uns für homosexuell halten, womit offen schwul lebende Männer natürlich eher keine Probleme haben.

An bestimmten Punkten werde ich mich auf das konzentrieren, was in euren Augen vermutlich cis- oder heteronormativ ist, an anderer Stelle wird der Fokus weiter gefasst sein. Damit der Text nicht zu holprig wird, werde ich nicht immer ausdrücklich sagen, dass ich mich hauptsächlich auf Cis-Männer beziehe, das sollte in der Regel aus dem Kontext hervorgehen. Ein Großteil des Buches wird Gender in einem traditionellen binärgeschlechtlichen Licht beleuchten und Vergleiche zwischen Männern und Frauen anstellen. Das geschieht nicht in der Absicht, nicht-binärgeschlechtliche Genders zu übergehen oder zu ignorieren, aber ich halte es doch für notwendig, um spezielle Themen klarer herauszuarbeiten, denn Männlichkeit an sich ist ein Ergebnis des binärgeschlechtlichen Konzepts von Gender (so sehr, dass sie sich regelmäßig als der polare Gegensatz von Weiblichkeit manifestiert).

Zweifellos werden auch solche Menschen dieses Buch lesen, die das Gefühl haben, diese Klarstellungen wären ein peinliches Zeichen übertriebener politischer Korrektheit, und die finden, man sollte sich gar nicht erst mit solchen Themen befassen. Sie haben jedes Recht auf diese Meinung. Aber ich kann sie nicht hören, denn so funktionieren Bücher nun mal nicht. Ich mache also einfach weiter mit dem, was sie nervt, und das fühlt sich toll an. Im Ernst: Das hier ist mir wichtig, und wenn ihr so offen seid, euch einzugestehen, dass man sich mit Problemen wie dem Selbstmord von Männern befassen muss, dann versteht ihr auch irgendwann, warum ich mir mit diesem Kapitel überhaupt so viel Mühe...

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