Ich komme auf unsern »Messias« zurück. – Der Kunstrichter tadelt an dem Dichter unter andern,39 »daß er zuweilen seine Wortfügungen dermaßen verwirre, daß sich die Beziehung der Begriffe auf einander verliere, und sie dunkel werden müßten.« Er führet folgendes Beispiel an:
Feiert! Es flamm Anbetung der große, der Sabbat des Bundes,
Von den Sonnen zum Throne des Richters! Die Stund ist gekommen.
und setzt hinzu: »Wer diese zwei Verse ungezwungen erkläret, erit mihi magnus Apollo, und wann er eine natürliche Konstruktion darin entdecken kann, Phyllida solus habeto.« – Mit dem Tadel selbst kann es hier und da seine Richtigkeit haben; aber das Beispiel ist unglücklich gewählt. Lassen Sie mich versuchen, ob ich die Phyllis verdienen kann. Die Konstruktion ist diese: Feiert! Der große Sabbat, der Sabbat des Bundes flamme Anbetung von den Sonnen zum Throne des Richters! Die Stunde ist gekommen! Und was ist denn hier unnatürliches? Etwa dieses, daß das Subjekt hinter seinem Zeitworte steht, und das Zeitwort durch das vorgesetzte Es zum impersonali geworden zu sein scheinet? Aber was ist in unserer Sprache gewöhnlicher als dieses? Hat der Kunstrichter nie das alte Lied gehört: Es woll uns Gott genädig sein? Und hat Herr Klopstock nicht eben so wohl sagen können: Es flamme Anbetung der große Sabbat des Bundes? Die Konstruktion ist also gerettet, und der Kunstrichter mache sich immer fertig, mich als seinen großen Apollo zu verehren! Denn wem kann der Sinn nun noch zweideutig sein? Eloa kömmt vom Throne Gottes herab, und ruft durch die Himmel daß itzt der Versöhner zum Tode geführet werde. Diese Stunde der Nacht, wie sie in der folgenden Zeile heißt, nennet Eloa den großen Sabbat des Bundes, und von diesem will er, daß er durch alle Welten Anbetung flamme, verbreite. –
Doch ich eile, Ihnen zu entdecken, wodurch zufälliger Weise diese Rezension des Messias bei weitem so unterrichtend nicht geworden ist, als sie wohl hätte werden können. Ihr Verfasser hat die Originalausgabe dieses großen Gedichts nicht gekannt, die nun schon vor vier Jahren, in der Königlichen Druckerei zu Kopenhagen 40 veranstaltet worden. Sie bestehet aus zwei prächtigen Bänden; aber die Pracht ist das geringste ihrer Vorzüge. Der erste Band enthält eine Abhandlung von der geistlichen Epopee und die ersten fünf Gesänge; der zweite enthält die fünf neuen Gesänge, und die schon erwähnte Abhandlung von der Nachahmung der griechischen Sylbenmaße. – War diese Ausgabe vielleicht zu kostbar, daß sich die Liebhaber in Deutschland mit dem Hallischen Nachdrucke begnügen lassen? Oder haben die Herren Buchhändler sie vorsätzlich unterdrückt? Man sagt, daß sie es mit gewissen Büchern tun sollen. – Was läge unterdessen daran, wenn nur das Publikum bei dem Nachdrucke nichts verloren hätte. Aber hören Sie, wie viel es noch bis itzt verlieret. Man hat nur den zweiten Band nachgedruckt, und den ersten gar keiner Achtung gewürdiget. Gleichwohl enthält er, wie gesagt, eine besondere neue Abhandlung, und die Gesänge selbst sind an ungemein vielen Stellen verändert und verbessert worden.
Veränderungen und Verbesserungen aber, die ein Dichter, wie Klopstock, in seinen Werken macht, verdienen nicht allein angemerkt, sondern mit allem Fleiße studieret zu werden. Man studieret in ihnen die feinsten Regeln der Kunst; denn was die Meister der Kunst zu beobachten für gut befinden, das sind Regeln.
Sie sind itzt nicht in den Umständen, daß Sie selbst diese Vergleichung der ersten und neuern Lesarten anstellen könnten, die Sie zu einer andern Zeit sehr angenehm beschäftigen würde. Erlauben Sie mir also, Ihnen noch eines und das andere davon zu sagen. –
Welch einen lobenswürdigen Fleiß hat der Dichter auf die Sprache und den Wohlklang verwendet. Auf allen Seiten findet man Beispiele des bestimmtern Sylbenmaßes, der reinern Wortfügung, und der Wahl des edleren Ausdrucks. In Ansehung der Wortführung hat er unter andern eine Menge Participia, wo sie den Perioden zu schwerfällig, oder zu dunkel machten, aufgelöset. Z.E. wo er den Satan mit grimmigem Blicke den göttlichen Weltbau durchirren läßt,
Daß er noch durch so viele Jahrhunderte, seit der Erschaffung
In der ersten von Gott ihm gegebenen Herrlichkeit glänzte
heißt nunmehr die letzte Zeile
In der Herrlichkeit glänzte, die ihm der Donnerer anschuf.
Oder wo er sonst den Zophiel sagen ließ:
– – – Verkündigt der dampfende Nebel
Seine von allen Göttern so lange gewünschte Zurückkunft
heißt es itzt:
Seine Zurückkunft, auf welche die Götter so lange schon harrten
Und so in hundert andern Stellen, mit welchen die Feinde der Mittelwörter nun weniger unzufrieden sein werden. – Gewisse Wörter hat der Dichter zu gemein befunden, und sie haben ausgesuchtern weichen müssen. Wo es vorher hieß:
Wische dem Knaben die Zähre vom Antlitz
oder:
Wischet mit mir, wenn er stirbt, das Blut von seinem Gesichte
ist beidemal für wischen, trocknen gesetzt. Das Wort Behausung, welches der Dichter sonst sehr oft brauchte, hat überall seinen Abschied bekommen; und ich finde nur eine einzige Stelle, wo es stehen geblieben. Ich weiß zwar in Wahrheit nicht, was Herr Klopstock wider dieses alte ehrliche Wort haben mag; er muß aber doch etwas darwider haben, und vielleicht entdecken Sie es.
Andere Veränderungen betreffen Schönheiten des Detail. Dahin gehören besonders nicht wenige besser ausgemalte Beschreibungen; dergleichen diese, wo von den Geistern der Hölle im zweiten Gesange gesagt wird:
– – – Sie gingen und sangen
Eigene Taten, zur Schmach und unsterblichen Schande verdammet.
Unterm Getöse gespaltner (sie hatte der Donner gespalten!)
Dumpfer, entheiligten Harfen, verstimmt zu Tönen des Todes
Sangen sie etc.
da es vorher bloß geheißen:
Unterm Getöse vom Donner gerührter entheiligter Harfen
Sangen sie.
Von eben der Art sind auch folgende Zeilen.
Satan hört ihn voll grimmiger Ungeduld also reden,
Wollt itzt, von den Höhen des Throns, der türmenden Felsen
Einen gegen ihn schleudern; allein die schreckliche Rechte
Sank ihm zitternd im Zorne dahin –
Die alte Lesart hatte:
Itzt wollt er auf ihn donnern, allein die schreckliche Rechte etc.
Noch hat der Dichter hier und da ganz neue Stellen eingeschaltet. Ich führe Ihnen nur eine an, die Sie gewiß sehr schön finden werden. Wenn Satan in der Hölle den Tod Jesu beschließt, und sagt:
Er soll sterben! Bald will ich von ihm den Staub der Verwesung
Auf dem Wege zur Hölle, vorm Antlitz des Ewigen ausstreun.
Seht den Entwurf von meiner Entschließung. So rächet sich Satan!
heißt es nunmehr weiter:
Satan sprach es. Indem ging von dem Versöhner Entsetzen
Gegen ihn aus. Noch war in den einsamen Gräbern der Gottmensch.
Mit dem Laute, womit der Lästerer endigte, rauschte
Vor den Fuß des Messias ein wehendes Blatt hin. Am Blatte
Hing ein sterbendes Würmchen. Der Gottmensch gab ihm das Leben.
Aber mit eben dem Blicke sandt' er dir, Satan, Entsetzen!
Hinter dem Schritt des gesandten Gerichts versank die Hölle,
Und vor ihm ward Satan zur Nacht! So schreckt ihn der Gottmensch.
Und ihn sahe der Abgrund und blieb vor Bewundrung stille etc.
Aber auch die Kunst auszustreichen verstehet Herr Klopstock, und es sind manche Zeilen weggefallen, die sich seine Bewunderer nimmermehr würden haben nehmen lassen, wenn er sie ihnen nicht selbst genommen hätte. Es sind meistenteils Zeilen, die ein wenig in das Tändelnde fielen. So erhaben, als es z.E. sein sollte,...