1 Markt und Umfeld
Allgemein geht es in diesem ersten Kapitel um die »Einnordung«, das heißt, es werden Fragen wie die folgenden gestellt:
- Wo befindet sich der Hersteller, Kunde, Anbieter mit seinem Angebot?
- Wie sehen der Markt und das Umfeld dazu aus?
Abbildung 7: Markt und Umfeld
1.1 Markt
Achtung, bevor Sie vorschnell diesen Punkt überspringen: Es ist einer der wichtigsten und schwierigsten und am häufigsten falsch verstandenen des gesamten Briefings!
Die sogenannte Marktanalyse gliedert sich in drei Teile:
Marktdefinition
Erster Schritt der Marktanalyse ist es, den Markt zu definieren. Dies klingt wahrlich trivial, ist es aber häufig leider nicht. Immer noch wird in vielen Branchen fälschlicherweise eine produktorientierte Marktdefinition vorgenommen. Ingenieure dürfen vielleicht produktorientiert arbeiten – Marketer, Werber, Designer, Kommunikatoren dürfen es nicht. Es geht nicht um Produkte (oder Dienstleistungen), sondern um Leistungen, um Bedürfnisbefriedigung!
Bedürfnisse können als Beweggründe des Willens beziehungsweise als Antriebsfeder für das Handeln umschrieben werden. Das bedeutet, kein menschliches Handeln ohne Bedürfnis, bewusst oder unbewusst. Die wesentlichen, bestimmenden Faktoren von Bedürfnissen sind Ängste und Wünsche. Diese können begründet oder diffus sein. Im Spannungsverhältnis von Ängsten und Wünschen trifft der Mensch Entscheidungen – auch Kaufentscheidungen.6
Deshalb muss die Marktdefinition bedürfnisorientiert erfolgen. Man verkauft keine Kosmetika, sondern Schönheit, Attraktivität, Erfolg und so weiter. Viele Unternehmen sind schon durch eine falsche Definition ihres Marktes Konkurs gegangen. Wenn man seinen Markt nach Produkten einteilt, und die Konkurrenz andere Produkte hat, welche aber dieselben Bedürfnisse befriedigen – zum Beispiel Bahnfahrt und Flug –, dann hat man diese Konkurrenten nicht im Blickfeld. Das ist riskant. So entstehen zum Beispiel Preismodelle fern von der Wirklichkeit (wie bei der Bahn in 2002).
In den achtziger Jahren galten Schreibmaschine und PC produktbezogen sicher nicht als Konkurrenzprodukte. Bezüglich der Bedürfnisse jedoch konkurrierten sie zweifellos, und so mussten die Kunden sich zwischen ihnen entscheiden. Fast alle haben dies zugunsten des PCs getan, da er klare Wettbewerbsvorteile besitzt, und so verdrängte er die Schreibmaschine fast völlig vom Markt. Ein weiteres Beispiel hierfür sind Super-8-Kameras, verdrängt durch Videokameras, verdrängt durch Camcorder.
Ein Hersteller von Regenmänteln hat nicht nur die anderen Regenmantelhersteller als Konkurrenten, sondern ebenso die Hersteller von Regenschirmen, Regencapes, wetterfesten Jacken et cetera. Denn der Zielgruppe geht es nicht um den Mantel (Produkt), sondern um die Tatsache, dass sie nicht bis auf die Unterwäsche nass werden will (Bedürfnis), und dies lässt sich auch mit anderen Produkten realisieren. Wofür sie sich letztendlich entscheidet, hängt dann von weiteren Faktoren, also zusätzlichen Bedürfnissen ab: zum Beispiel Preis, Bedürfnisbefriedigungsausmaß (Wirksamkeit des Nässeschutzes), Praktikabilität/Funktionalität (zum Beispiel auf dem Fahrrad), Taschentauglichkeit, Imagewirkung und so weiter.
Wichtig ist auch noch, dass zwei Produkte der gleichen Gattung, zum Beispiel zwei Autos, nicht zwangsläufig Konkurrenten sind: So werden Autos von KIA und von Rolls-Royce in den seltensten Fällen konkurrieren, da die Bedürfnisse, die diese beiden Autotypen befriedigen, kaum deckungsgleich sind. Der KIA dient eher dem Bedürfnis, kostengünstig im eigenen Wagen von A nach B zu kommen, der Rolls befriedigt mehr Status- und Luxusbedürfnisse – obwohl er natürlich auch von A nach B fährt. Weitere Beispiele zu diesem Unterschied:7
Unternehmen | Produktorientierte Definition | Bedürfnisorientierte Definition |
Deodoranthersteller | Wir töten Geruchsbakterien ab | Wir machen Sie attraktiv und erfolgreich |
Elektronikhersteller | Wir stellen elektronische Bauteile für Küchengeräte her | Wir sorgen für glückliche Ingenieure beim Kunden |
Lexikon-Verlag | Wir verkaufen Lexika | Wir geben Ihnen Wissen |
Pausensnackhersteller | Wir verarbeiten genmanipuliertes Soja und Zucker | Wir machen Kinder glücklich |
Seifenhersteller | Wir stellen Produkte aus Tierkadavern und Chemie her | Wir verkaufen Hoffnung auf Schönheit |
Uhrenmarke | Wir verkaufen Uhren | Wir verkaufen Status |
Unterhaltungselektronik | Wir stellen mp3-Player her | Wir sorgen für Musik in allen Lebenslagen |
Diese Betrachtungsweise hat zudem den pragmatischen Zusatznutzen, dass man so die richtigen Konkurrenten identifiziert. Befriedigt das Produkt kein Bedürfnis, so braucht es niemand. Befriedigt es aber doch Bedürfnisse und kennen Sie diese, so ist das für Sie als Kreativen fast existenziell. Ob Sie später hierauf die Kommunikation aufbauen, hängt noch von weiteren Faktoren ab (zum Beispiel wie weit die Konkurrenz diese Bedürfnisse ebenfalls beziehungsweise noch besser befriedigt).
Für die Bestimmung der Bedürfnisse kann man versuchen, in sich hineinzuhören (falls man zur Zielgruppe gehört) und andere Mitglieder der Zielgruppe zu analysieren. Kein leichter Job, da häufig die Konsumenten selbst nicht genau wissen, warum sie etwas kaufen. »Ich rauche, weil ich cool sein will« oder »Ich kaufe diese Hose, weil ich denke, dass ich dann bei den Mädels besser ankomme« sind zwar ehrliche, aber wahrscheinlich auch selten geäußerte Antworten. Finde ich diese Mode wirklich schön oder cool, oder hat mein Votum für sie mehr damit zu tun, dass meine Peergroup solche Hosen trägt und ich die Gruppe und daher auch die Hose cool finde? Psychoanalyse ist gefragt, daran führt kein Weg vorbei.
Nun stellt sich die Frage, auf welchem Markt unser Beispiel-Frauenbaumarkt tätig ist. In einem ersten Schritt sollten die Bedürfnisse der Zielgruppe bezüglich des Produkts identifiziert werden. Dies sind zum Beispiel folgende:
Frage 1: Welche Bedürfnisse befriedigt das zu kommunizierende Produkt?
Auf welchen Märkten »kämpft« somit das Produkt?
Folgende Bedürfnisse werden befriedigt:
- Dekoration (punktuelle Veränderung im Wohnumfeld)
- Veränderung im Wohnumfeld
- Emanzipation (»selbst ist die Frau«)
- Hobby/Freizeitbeschäftigung/Unterhaltung
- Differenzierung von der Masse (noch immer nicht alltäglich für eine Frau)
- Hype-Thema/Mitmachfieber (»dabei sein«)
- Verschönerung/ästhetischer Anspruch
- Geschenk finden (zum Beispiel für den Mann)
- Sparen (preisgünstiges Einrichten)
- Selbstverwirklichung
- Etwas leisten wollen
- Maschinen bedienen (»kann ich auch« und Beherrschen der Technik)
- Kreative Betätigung
- Anerkennung/nicht mehr als Laie dastehen
- Ausgleich zum Beruf schaffen (zum Beispiel zur Büroarbeit)
- Berufliche Tätigkeit/Fähigkeiten für sich selbst nutzen (zum Beispiel für eine Handwerkerin)
- Gemeinschaftsgefühl (Gruppe von Heimwerkerinnen)
- Herausforderungen meistern wollen
- Geborgenheit/Nestbau
- Etwas »nur für sich« machen
- Selbst Boss sein/alleine entscheiden, was man wie macht
- Etwas Einzigartiges (ein Unikat) schaffen
- Sich von anderen abgrenzen
- Etwas erschaffen, Schöpferakt
- Ordnung schaffen
- Handarbeit/DIY (do it yourself)
- Verwirklichung von Kindheitsträumen
- Reparatur, Ersatz
- Umzugsbedarf
- Schnelle Problemlösung
- Erklärungen/Hilfestellung/Unterstützung/Beratung
- Ideen und Anregungen, Inspiration
- Selbstdarstellung/Bewunderung erhalten
- Bestimmtes Lebensniveau mit wenig Geld schaffen
- Sehen und gesehen werden
- »In« sein
- Es dem »besserwissenden« Mann zeigen wollen
- Neuer Lebensstil
- Bummeln
- Individualität (zum Beispiel Unikate besitzen)
- Selbstständigkeit/Eigenständigkeit
- Entspannung/Kopf abschalten
- Sozialer Kontakt/mit jemanden reden
- Umsetzung eigener Ideen
- Naturverbundenheit
- Mittel zum Zweck (Werkzeug, Baustoffe, Ersatzteile)...