Seit Jahrzehnten pilgern Prediger durch die Lande, die den Tod von Print prophezeien. Natürlich gibt es Entwicklungen, die zunächst einmal alarmierend klingen. Etwa der Abwärtstrend von Tageszeitungen. Seit 1995 geht es mit den IVW-geprüften Auflagen der Tageszeitungen in Deutschland zurück – von damals 30 Millionen auf heute knapp 25 Millionen. Grund zur Panik? Werfen wir doch einfach mal einen Blick zurück auf das Goldene Zeitalter der Printwerbung, in die 60er Jahre: Eine Auflage von rund 15 Millionen Zeitungen wurde 1960 in Deutschland berechnet. Bis 1990 ging es stets aufwärts mit Zeitungen, bis circa 25 Millionen verkauft wurden. Der Maueröffnungseffekt spülte zunächst eine Auflage von fünf Millionen in die Statistik, die nun aber wieder verloren gingen.
Doch auch im Zeitungsgeschäft gibt es positive Entwicklungen: Die Süddeutsche Zeitung kann ihre verkaufte Auflage in einem rückläufigen Markt seit vielen Jahren kontinuierlich steigern – auf ihr bisheriges Rekordniveau von rund 450.000 Exemplaren. Die E-Paper-Ausgaben der Tageszeitungen kommen im Jahr 2007 bereits auf 60.000 verkaufte Zeitungen, die nicht in die IVW-Statistik der Printausgaben einfließen. In den vergangenen zehn Jahren entstehen große Sonntagszeitungen, etwa die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, aber auch Tabloid-Ausgaben, etwa von der Welt (Welt Kompakt), die zu einer Auflagenerweiterung beitragen. Gratiszeitungen, wie es sie längst in vielen anderen europäischen Ländern, etwa im Nachbarland Schweiz, gibt, stehen hierzulande in den Startlöchern – und könnten den kompletten Zeitungsmarkt völlig umkrempeln.
Eine Chance wird im deutschen Zeitungsmarkt noch kaum genutzt: lesefreundlicher zu werden. In vielen anderen Ländern wie Großbritannien ist das Layout längst nicht mehr so spröde, sondern lebendiger, ansprechender gestaltet. Zeitungen sehen dort oft eher wie großformatige Zeitschriften aus.
Eine weitere Fahrlässigkeit der Zeitungsmacher ist, wie sie den Nachwuchs behandeln – oder vielmehr, wie sie sich nicht oder nur halbherzig um ihn kümmern. Die Jugendseiten, wenn überhaupt vorhanden, werden oftmals von Praktikanten lieblos betreut
und meist samstags in irgendeiner Nische versteckt. Solche Aktionen können keine Jungleser aufbauen. Zeitungen könnten in jedem Ressort ganz gezielt »junge Ecken« einrichten, in denen Zusammenhänge der aktuellen Themen erklärt werden. Natürlich können junge Menschen auch über das Internet zur Zeitung gezogen werden. Im Buchbereich gibt es längst Sites, die jungen Schülern Fragen zu gelesenen Büchern stellen – Zeitungen verschlafen hier meist das ganze Potenzial.
Für die werbungtreibende Wirtschaft ist die Zeitung nach wie vor attraktiv. Wer Zeitung liest, ist überdurchschnittlich gebildet und überdurchschnittlich an Informationen interessiert. Die Tageszeitung gilt als das glaubwürdigste Medium überhaupt. Was man in der Zeitung liest, steht dort »schwarz auf weiß«. Und das muss stimmen. Entsprechend wirkt die Werbung sehr glaubhaft. Nicht nur für noble, teure Produkte, sondern auch für den Handel. Schon mal aufgefallen, dass »Aldi informiert«? Diese Headline der Schweinebauchanzeigen des Discounters ist viel wirkungsvoller als Anzeigen mit Schlagworten wie »Preisbrecher« & Co.
Neben der Glaubwürdigkeit bietet die Tageszeitung vor allem eines: Schnelligkeit. Klar sind TV, Radio oder Internet so schnell, dass sie in »Echtzeit« berichten können. Doch Werbungtreibende lieben mehr und mehr das aktuelle und eben glaubwürdige Umfeld der Zeitung. So kann unmittelbar nach einem Fußballspiel, das am Abend noch stattfand, bereits am Morgen danach inhaltlich darauf eingegangen werden. Moderne Drucktechniken machen das möglich, was erstmals im großen Stil hierzulande zur Fußballweltmeisterschaft 2006, die in Deutschland stattfand, genutzt wurde.
Neben Glaubwürdigkeit und Schnelligkeit hat die Tageszeitung noch einen riesigen Vorteil – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Jede Anzeige ist riesig. So groß kann der Zielgruppe mit keinem anderen Medium die Werbebotschaft unmittelbar vor Augen geführt werden – nicht einmal Außenwerbung ist dafür konzipiert. In der großformatigen Zeitung wirken manche Motive nochmal wesentlich besser als etwa in kleinformatigen Zeitschriften.
Wahrlich Kreative entdecken im Medium Tageszeitung für die Werbeindustrie Möglichkeiten, die in den vergangenen Jahrhunderten noch niemand sah: Springer & Jacoby Media zum Beispiel warb 2005 für einen Nachtfahrassistenten von Mercedes-Benz – und zeigte eine ziemlich schwarz bedruckte Seite. Im Gegenlicht (beim Umblättern) sah man plötzlich, was man zuvor nicht sah: zum Beispiel ein Reh am Straßenrand. Der Effekt des Nachtfahrassistenten kam beim Leser natürlich sensationell an.
Zur Fußballweltmeisterschaft 2006 warb ein schwedischer Energieanbieter auf einer Doppelseite mit den schwedischen Landesfarben Gelb und Blau. Unten stand die Gebrauchsanleitung der Anzeige: Der Leser konnte sich mit den farbigen Seiten je eine Gesichtshälfte einreiben, um als gelb-blauer Fußballfan durch die Welt zu ziehen. Hier wurde der lästige Nebeneffekt, dass die Seiten abfärben können, positiv genutzt, was mit einem elektronischen Medium einfach nicht machbar wäre.
Weitere Potenziale sind noch völlig ungenutzt – und sie gelten für die Tageszeitung ebenso wie für Zeitschriften: Seiten könnten zum Beispiel als Aktion in der Vorweihnachtszeit als Geschenkpapier bedruckt werden – gesponsert von Markenartiklern. Rechts unten im Eck könnten Sprüche stehen wie »Hoffentlich ist es von Wempe« oder »Bei Douglas kommt Freude auf« …
Tageszeitungen bieten ihren Lesern in Deutschland insgesamt 1,84 Millionen Seiten (2007), davon sind 523.000 Seiten Anzeigen. Der Werbeanteil liegt also bei 28,4 Prozent. Bei Kaufzeitungen liegt die Anzeigenquote bei 35 Prozent. Von den insgesamt 352 Tageszeitungen, die es hierzulande gibt, bringen 251 Supplements heraus, also eine kostenlose Zeitschrift, die zumeist das wöchentliche TV-Programm enthält. Die Anzahl der Supplements steigt seit 2007 wieder – es erscheinen Themen wie Gesundheit, Familie oder Immobilien in Supplements. Und sogar die Zeit hat im Mai 2007 ihr Supplement wiederbelebt, was laut Branche »als Zeichen für neuen Optimismus im Printmarkt« (Tagesspiegel) gedeutet wurde.
Zeitschriften
Je nach Quelle und je nach Schätzung gibt es in Deutschland zwischen 3.000 Zeitschriftentiteln am Durchschnittskiosk und mehr als 20.000 Zeitschriften insgesamt – inklusive Fachzeitschriften, die nicht einmal ein gut sortierter Bahnhofsbuchhandel hat. Exakt 902 Zeitschriften unterliegen der IVW-Prüfung, was eine Art offizieller TÜV für die Überprüfung der Auflagen ist. Diese 902 Titel, ein Rekord, der 2007 erreicht wurde, verkaufen insgesamt 116,7 Millionen Exemplare. Die meisten IVW-geprüften Hefte aller Zeiten, nämlich 127,6 Millionen, wurden 1996 verkauft. Damals gab es nur 758 IVW-geprüfte Titel. Das beweist, dass es zwar immer mehr Zeitschriftentitel gibt, die aber jeweils immer weniger Auflage haben – im Durchschnitt. Das wiederum heißt, dass sich die Verleger um immer filigranere Zielgruppen kümmern, etwa um Zeitschriften für Hundehalter oder um »Landlustige«. Nun gut, dass ein Titel wie »Landlust«, der vom Landwirtschaftsverlag stammt, wo man eher über die Freuden des Treckerfahrens berichtete, emotional aufgeladen fürs Publikum gestrickt wurde, um binnen kürzester Zeit...