Trennung:
eine der schwierigsten
Prüfungen
Etwa 80 Prozent der Menschen, die meine therapeutische Praxis aufsuchen, stecken in einer Trennungsthematik. Meist ist eine Beziehung im Begriff zu zerbrechen, oder es ist bereits geschehen, manchmal ist auch der Partner oder ein Elternteil verstorben. Wenn eine Paarbeziehung endet, gehen die meisten Menschen durch ein tiefes Tal. Sie müssen loslassen, und das tut weh. »Trennungswehen« werden diese Schmerzen im Volksmund genannt. Und nicht immer leidet nur der »Verlassene«, auch der aktive Part empfindet häufig Schmerz. Vor allem dann, wenn der Trennung viele gemeinsame Kämpfe um die Beziehung vorausgingen, hat man das Gefühl, gescheitert zu sein oder kapituliert zu haben.
Eine der besonders schwer zu bewältigenden Varianten ist, wegen einer anderen Person verlassen, quasi »ersetzt« zu werden. Man beginnt, an sich zu zweifeln, sich nicht mehr liebenswert zu fühlen. Der Vertrauensbruch kann tief verwunden oder alte Wunden aufreißen.
Vielleicht ist es Ihnen ein kleiner Trost: Sie sind nicht die einzige Person, die gerade eine schmerzvolle Trennung durchmacht: In Großstädten wird jede zweite Ehe geschieden – dazu kommen noch die vielen nicht ehelichen Trennungen von Paarbeziehungen. Demnach müsste jeder Erwachsene mindestens eine, meist aber mehrere enorm schmerzhafte Trennungen bereits durchlebt haben, ein Großteil der Menschen müsste heute – wie Sie – genau in dieser Krise stecken. So unterschiedlich die Situation bei jedem Einzelnen auch aussehen mag – wir erleben alle gemeinsam, dass unsere Emotionen Pingpong mit unserer Seele spielen!
Erfahrungsberichte
Max, 36, der Verlassene:
Als sie mir im Urlaub mitgeteilt hat, dass sie nicht mehr mit mir weiterleben könne, bin ich für mehrere Monate in eine tiefe Krise gerutscht. Zwar war ich zuerst erleichtert, dass die nervtötenden Streitereien, mit denen wir uns schon seit geraumer Zeit nur noch im Kreis gedreht hatten, vorbei waren. Aber was dann kam, war erst mal schlimmer, als ich es je für möglich gehalten hätte: Ich hatte manchmal Angst, völlig den Boden zu verlieren. Ich lag nächtelang wach und grübelte – wie es so weit kommen konnte und wie es jetzt weitergeht. Nach kurzem Erschöpfungsschlaf kam mit dem Wachwerden immer die volle Erkenntnis der Situation zurück – das war jedes Mal wie ein Tritt in die Magengrube. Tagsüber war ich völlig gerädert, meldete mich mehrmals krank. Ich habe sogar überlegt, einen Psychiater aufzusuchen. Es gab Zeiten, da kam mir ein Weiterleben ohne die Beziehung sinnlos vor. Manchmal malte ich mir aus, wie ich sie doch noch mal herumkriege und wie dann alles gut wäre … Dann wieder kamen fast Hassgefühle ihr gegenüber hoch. Besonders, wenn ich sah, wie sie auflebte. Sie sollte leiden wie ein Hund, genauso wie ich.
Heute, ein halbes Jahr später, kann ich sagen, dass ich weitgehend durch bin. Ich habe wieder zu leben angefangen, und es fühlt sich weit besser an als in der frustrierenden Endphase unserer Beziehung. Bis ich mich wieder neu auf was Festes einlassen kann, wird es noch dauern. Aber ich bin zuversichtlich…
Rita, 31, die Verlassende:
Am schlimmsten war das Gefühl, mich irgendwie schuldig gemacht zu haben, brutal und gemein zu sein. So sieht man sich ja nicht gern. Dabei habe ich es mir wirklich nicht leicht gemacht. Irgendwann war es aber Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen. Die festgefahrenen, öden Auseinandersetzungen haben uns beiden nur noch Energie geraubt. Im Grunde haben wir zu unterschiedliche Lebensentwürfe. Als meine beste Freundin an Krebs gestorben ist, war das wie aufwachen: Ich beschloss, nicht noch mehr Lebenszeit zu vergeuden und neu anzufangen. Trotzdem hatte ich zu kämpfen. Erstens mit dem Alleinsein, zweitens mit dem Gefühl, versagt zu haben (schließlich habe ich ihn mal geliebt, wir planten sogar gemeinsame Kinder!). Dazu kam, dass ich sah, wie er quasi zusammenfiel. Gerade ich konnte ihm dabei weder tröstende Freundin noch Therapeutin sein.
Die typischen Symptome bei einer Trennung
In einer Trennungssituation geht es Ihnen wahrscheinlich körperlich wie seelisch erst einmal gar nicht gut:
- Sie schlafen schlecht und haben Albträume.
- Sie erleben einen deutlichen Selbstwerteinbruch.
- Sie empfinden immer wieder tiefe Einsamkeit.
- Sie entwickeln körperliche Symptome, vielleicht auch Ängste, Panikattacken, Depressionen.
- Sie müssen ständig über das Geschehene nachgrübeln, und darüber, wie es weitergehen soll.
- Sie sind hin- und hergerissen zwischen Sehnsucht nach dem Partner und Wut- oder Hassgefühlen ihm gegenüber.
- Vielleicht erleben Sie sich allgemein als ohnmächtig, rutschen in eine Opferhaltung.
- Vielleicht haben Sie Schuld- und Versagensgefühle oder reden sich ein, beziehungsunfähig zu sein.
Die meisten der oben genannten Symptome treffen besonders auf diejenigen zu, die verlassen wurden. Diejenigen, die gehen, kämpfen meist mit Schuldgefühlen (schlechtes Gewissen) oder der Angst, beziehungsunfähig zu sein. Wenn nicht schon ein Ersatz bereitsteht, kann natürlich auch hier das Alleinsein schwer zu bewältigen sein.
Bei den Verlassenen kommen jedoch noch der angegriffene Selbstwert dazu (siehe >) und das Gefühl, Opfer zu sein – sie haben nicht selbst entschieden, die Partnerschaft zu beenden, sondern wurden einfach vor vollendete Tatsachen gestellt – die Empfindung von Ohnmacht und Hilflosigkeit, weil sie nichts mehr am Entschluss des anderen ändern können, kann dann leicht zu den oben beschriebenen Wut- und Hassgefühlen sowie zur Verzweiflung führen!
Es ist jedoch für beide Parteien wichtig, sich ihren Gefühlen rund um die Trennung zu stellen. Weil sonst »Verlassende« wie »Verlassene« in alten Mustern hängen bleiben.
Verantwortung übernehmen
Viele Menschen suchen nach einer Trennung fieberhaft nach einem Trost, nach etwas, das ihnen Erleichterung bringt, das sie ablenkt, damit sie sich nicht mit sich selbst auseinandersetzen müssen. Das können Alkohol und andere Suchtmittel sein, Ersatzpartner, übertriebene Fernsehzeiten, übermäßiger Konsum von Schokolade und Fastfood (um sich eine Schutzschicht anzuessen), »tröstende« sexuelle Erfahrungen, racheerfüllter, destruktiver Streit um Geld und Kinder – bis hin zum Überfluten des Ex mit anklagenden Mails oder Telefonaten. Manchmal verhalten wir uns wirklich nicht erwachsen! Oft geht dabei zu viel von unserer persönlichen Würde verloren.
Es ist bis zu einem gewissen Grad völlig normal, Trost in Ersatzbefriedigungen zu suchen. Wichtig ist aber, die VERANTWORTUNG für die eigene Befindlichkeit nicht völlig abzugeben – weder an den Partner noch an ein Suchtmittel noch an irgendetwas sonst außer uns selbst. Wenn die Verzweiflung ins (Selbst-) Zerstörerische abgleitet, ist es wichtig, sich äußere Unterstützung zu sichern.
Um Verantwortungsübernahme kommen Sie aber auch nicht herum, wenn Sie sich in Therapie begeben. Es mag dabei stützende und erleichternde Erlebnisse geben, aber es wird auch hier früher oder später klar: »Durchgehen muss ich selbst – in Auseinandersetzung mit mir und dem Partner, real oder in der Fantasie«. Eine gute Trennung ist auch Trauerarbeit. Diese Arbeit ist wichtig, um wirklich loslassen und reifen zu können. Damit Sie in der nächsten Beziehung nicht irgendwann wieder in genau demselben Albtraum aufwachen, sondern »neue Tanzschritte tanzen«. Dabei ist es egal, ob Sie der »Verlassene« oder der »Verlassende« sind. In beiden Fällen ist es wichtig, die eigenen Muster zu erkennen, die Ihre Beziehungen immer wieder zum Scheitern bringen. In beiden Fällen sollten Sie mit diesen Mustern und den dazu gehörenden Ängsten auch gefühlsmäßig in Kontakt treten – denn nur im Kopf lässt sich kein Beziehungsmuster verändern.
Mit diesem Ratgeber möchte ich Sie unterstützend begleiten, wenn Sie sich den schwierigen und schmerzhaften Emotionen stellen, die zu Ihren Beziehungsmustern gehören. Durchmachen müssen auch Sie das Ganze selbst. Gehen Sie in Ihre Gefühlswelt hinein, öffnen Sie Ihr Herz, auch wenn es Sie manchmal zu überwältigen scheint. Es lohnt sich! Jede Krise birgt tausendmal mehr Wachstumspotenzial in sich als Zeiten, wo alles reibungslos funktioniert. Ich habe bei meinen Patienten oft erlebt, wie sie in der Therapie nach einer Zeit des Weges beginnen aufzublühen, neue Energien und Perspektiven entdecken und auf gute Art erwachsen werden. Und zwar weit über den Status quo hinaus, der vor der Trennung bestand. Voraussetzung ist immer, dass wir uns ehrlich mit uns selbst auseinandersetzen und mutig unser Herz öffnen. Auch wenn dies manchmal schmerzt.
Was uns als schwere Prüfung erscheint, erweist sich oft als Segen.
[ Oscar Wilde | englischer Schriftsteller (1854–1900) ]
Westliche Gesellschaftsdefizite
Immer wieder bin ich erschrocken über die Tatsache, wie hilflos viele Menschen werden, wenn eine Beziehung zerbrochen ist: hilflos im Umgang mit sich, dem eigenen emotionalen Chaos und dem Expartner. Wenn...