Die drei Säulen des Selbstwertgefühls
Aus gutem Grund heißt es nicht »Selbstwertwissen«, sondern »Selbstwertgefühl«. Es geht also nicht um vermeintlich objektive Gründe, warum wir okay sind. Vielmehr ist der Selbstwert etwas Gefühltes, eine subjektive Einschätzung unseres Wertes, unserer Bedeutung und unseres Status.
Wenn das Selbstbild (wie wir uns also selbst empfinden) mit dem Fremdbild (wie andere uns sehen) übereinstimmt und beides von Wertschätzung geprägt ist, tut das dem Selbstwertgefühl gut. Wir fühlen uns sicher und akzeptiert.
Dissonanzen zwischen dem Selbstbild und dem Fremdbild rufen dagegen stets Unsicherheit hervor:
- Besitzen wir ein positives Bild von uns selbst, stoßen aber in unserem Umfeld auf Geringschätzung oder Ablehnung, fühlen wir uns missachtet und verkannt.
- Haben wir von uns selbst den Eindruck, unzulänglich zu sein, erhalten aber von anderen viel Anerkennung, können wir diese positive Resonanz nicht richtig annehmen. Schlimmstenfalls fühlen wir uns wie Hochstapler und denken insgeheim: »Wenn die anderen sehen würden, wie ich wirklich bin, dann hätten sie keine so gute Meinung von mir.«
Selbst + Wert + Gefühl
Selbst: Die unverwechselbare Persönlichkeit. So nehmen wir unsere Identität wahr; daran erkennen uns andere.
Wert: Der Maßstab, mit dem wir unsere eigene Bedeutung einstufen.
Gefühl: Die Art und Weise, wie wir unsere Umwelt und uns selbst empfinden. Es bestimmt, wie wir auf Reize und Impulse reagieren.
Wurzeln im Gestern
Wichtig ist also zum einen, um den eigenen Wert zu wissen und ihn sich vor allem zu glauben. Zum anderen aber kommt es darauf an, sich in einem Umfeld zu bewegen, das diesen gefühlten Wert auch zu würdigen weiß.
Im Idealfall entspricht das unseren allerfrühesten Erfahrungen. Es ist ein menschliches Grundbedürfnis, in Resonanz mit anderen zu sein: zu sehen und gesehen zu werden, zu hören und gehört zu werden, auf andere zu reagieren und zu spüren, dass sie wiederum auf uns reagieren. Wir kommen damit schon auf die Welt. Viel oder wenig Selbstwertgefühl dagegen besitzen wir nicht einfach von Geburt an. Das Bewusstsein für sich selbst und die eigene Bedeutung entwickelt sich erst durch viele einfache und komplexe Erfahrungen im sozialen Umfeld. Psychologisch betrachtet, sind bei der Entwicklung des Selbstwertgefühls die ersten Lebensmonate sehr bedeutsam. Die Urquellen dieser frühesten Erfahrungen liegen im Kontakt zwischen Eltern und Kind. Über die liebevolle Zuwendung und den Körperkontakt, über das Lächeln und die Freude in den Augen der Eltern erlebt ein Baby sich selbst. Unsere allererste Selbstwerterfahrung wurzelt also in der Resonanz mit anderen Menschen. Wenngleich sich unser Selbstbild und damit auch unser Selbstwertgefühl das ganze Leben lang verändert, wird der Grundstein dazu doch in der frühen Kindheit gelegt.
Selbstakzeptanz: Ich bin gut so, wie ich bin
Babys orientieren sich emotional stark daran, von der Mutter und von anderen Bezugspersonen liebevoll angenommen und versorgt zu werden. Das Bedürfnis, beachtet und bejaht zu werden, ist auch das Bedürfnis nach Selbstvergewisserung: So, wie ich bin, werde ich wahrgenommen, geliebt und geschätzt. Diese Erfahrung wird in unserem »atmosphärischen Gedächtnis« verankert, das für nonverbale Mitteilungen zuständig ist. Dort bleiben sie gespeichert und werden unbewusst immer wieder abgerufen. So mündet die frühe Erfahrung des Angenommen-Seins in grundsätzlicher Selbstakzeptanz: dem Gefühl, dass wir in Ordnung und willkommen sind – unabhängig davon, welche Vorzüge oder Schwächen wir mitbringen.
Je mehr Beachtung und Bestätigung ein kleines Kind von seinen Eltern und Angehörigen erfährt, desto stabiler wird sich auch sein Selbstwertgefühl entwickeln. Wenn wir schon als Kind den eigenen Wert positiv gespiegelt bekommen, fällt uns später im Leben einiges leichter, und der Selbstzweifel ist weniger häufig zu Gast.
Ablehnung führt zu Selbstabwertung
Ein Kind, das sich dagegen früh von seiner Familie abgelehnt oder nicht für voll genommen fühlt, das vernachlässigt oder häufig bestraft wird, kann dieses positive Gefühl für den eigenen Wert kaum entwickeln. Wer mit Botschaften aufgewachsen ist wie: »Weil es dich gibt, muss ich mich einschränken«, oder: »Du hättest eigentlich ein Junge/ein Mädchen werden sollen«, oder auch: »So, wie du bist, kann ich dich einfach nicht lieben«, dem ist reines Gift für seine Selbstakzeptanz eingeflößt worden. Menschen, die in der Kindheit zu wenig Beachtung und Zuwendung erhalten haben und denen früh signalisiert wurde, dass sie eine Last für die Eltern sind, tun sich nicht nur schwer mit der Selbstakzeptanz, sondern fühlen sich später häufig auch von anderen abgewertet. Das Gegenteil von Beachtung, die Missachtung, hindert uns daran, Wertschätzung für uns selbst zu entwickeln. Für Kinder, die ungewollt und unerwünscht zur Welt kamen, ist es besonders schwer, ihren Platz im Leben zu finden.
Selbstakzeptanz entsteht also zunächst über die Bestätigung des Selbst durch andere. Das Kind will gesehen, beachtet und bejaht werden. Immer wieder aufs Neue vergewissert es sich: Seht ihr mich? Freut ihr euch, dass ich da bin? Mögt ihr mich?
Beachtung gibt ein Gefühl für den eigenen Wert; bejahende Zuwendung ein Gefühl dafür, ganz grundsätzlich »in Ordnung« zu sein: So wie ich bin, bin ich liebenswert.
Mangelt es an Beachtung und bejahender Zuwendung, dann kann es sein, dass sich das Kind in sich zurückzieht und sich selbst abwertet: Ich bin es nicht wert, dass sich jemand um mich kümmert. Niemand mag mich. Schlimmstenfalls setzt sich die Überzeugung fest: Besser, es gäbe mich nicht.
Betroffene beschließen manchmal, sich hinter einer Fassade zu verstecken und ihre echten Gefühle nicht mehr zu zeigen. Oder sie rächen sich für die Missachtung mit Trotz und Aggression: Ich schreie so lange, bis du auf mich reagierst!
Daran zeigt sich, was für ein elementares Bedürfnis das Gesehen- und Bestätigtwerden ist. Machen die Eltern ihre Zuwendung von Bedingungen, wie zum Beispiel dem Wohlverhalten abhängig, dann verinnerlicht das Kind auch diese Erfahrung. Es wird lernen, dass es geliebt wird, wenn es tut, was man ihm sagt; dass es die Liebe aber verliert, sobald es einen eigenen Willen zeigt. Es wird den eigenen Wert als etwas empfinden, das vom eigenen Wohlverhalten und dem Wohlwollen anderer abhängt.
»Es erfordert ein starkes Selbstwertgefühl, sich eigene Minderwertigkeitsgefühle eingestehen zu können.«
Virginia Satir
Selbstvertrauen: Ich trau mir was zu
Selbstakzeptanz ist der Boden, auf dem Selbstvertrauen wachsen kann. Denn wer sich selbst akzeptiert, macht den Selbstwert nicht von ein paar sorgfältig ausgewählten Stärken abhängig, sondern schätzt sich als ganze Person mit Fehlern und Schwächen. Mit einer solchen Haltung fällt es uns leicht, Dinge auszuprobieren und Erfahrungen damit zu machen. Denken Sie daran, wie oft Sie hingefallen sind, als Sie Laufen gelernt haben: Vielleicht haben Sie ein paar Tränen vergossen, dann aber sind Sie aufgestanden und haben sich erneut in Bewegung gesetzt.
Lob stärkt das Selbstvertrauen
Etwa ab dem dritten Lebensjahr entdecken Kinder die Worte »ich« und »mein«. Sie erkennen sich als eigenständige Wesen und weiten ihren Aktionsradius laufend aus. Um Erfahrungen mit sich selbst machen und das eigene Potenzial ausschöpfen zu können, müssen Kinder sich ausprobieren. Auch dazu brauchen sie Resonanz, besonders von nahen Bezugspersonen. Wichtig für die Entwicklung von Selbstvertrauen sind ermutigende Kommentare. Übertrieben sollten sie nicht sein: Wird alles und jedes, was das Kind tut, pauschal über den grünen Klee gelobt, verunsichert das eher, als dass es das Selbstvertrauen stärken würde. Genau wie übermäßige Kritik führt auch unberechtigtes und überzogenes Lob dazu, dass das Kind unsicher bleibt. Ist ihm nämlich nicht klar, warum es gelobt wird, kann es seine Stärken und Schwächen nicht realistisch einschätzen. Das Selbstvertrauen leidet.
Lob und auch Kritik wollen gut dosiert sein, damit das Kind sich orientieren kann, was seine Freiräume und wo seine Grenzen sind. Kinder brauchen also realistisches Feedback – zu ihren Gaben, aber auch zu ihren schwachen Seiten.
»Wen jemand lobt, dem stellt er sich gleich.«
Johann Wolfgang von Goethe
Meine Schwächen gehören zu mir
Gerade heute, da Perfektion scheinbar allgegenwärtig ist – in den Medien, in den Ansprüchen in Beruf und Privatleben –, fällt es den meisten Menschen nicht leicht, die eigenen Schwächen zu akzeptieren. Doch wenn wir schon als Kinder erfahren, dass wir selbst und andere – auch die Eltern – nicht vollkommen sind, aber trotzdem akzeptiert und geliebt werden, können wir lernen, die eigenen Schwächen als Teil unserer selbst anzunehmen. Damit ist die Grundlage für ein stabiles Selbstvertrauen geschaffen.
Ein gutes Selbstwertgefühl baut also zum einen auf der Erfahrung auf, okay und erwünscht zu sein, so wie man ist, und zum anderen auf der Überzeugung, sich selbst etwas zutrauen zu können. Verkürzt könnten wir sagen: