Wie bereits in der Einleitung erwähnt, ergaben die letzten Jahre einen grossen gesellschaftlichen Wandel. Klingler (2005a, S.5) nannte als Gründe für diesen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel vor allem folgende Schlagwörter: „Globalisierung, Ökonomisierung, Flexibilisierung, Leistungs- und Informationsgesellschaft, Turbokapitalismus, Outsourcing und Individualisierung“.
Es bedarf kaum eines zusätzlichen Erklärungsbedarfs, dass sich alle diese Punkte auf die Arbeitsbedingungen auswirken. Jeder einzelne Arbeitnehmer fühlt sich somit immer mehr dem Druck der Arbeitswelt ausgesetzt und vielfach wird es so umso schwerer eine klare Abgrenzung zwischen Beruf und Privatleben zu machen.
Während die Arbeit vor 50 Jahren vor allem noch körperlich anstrengend respektive zum Teil sogar schädigend war, waren es in den letzen 20 Jahren immer mehr Herzinfarkte die zu Besorgnis in der Arbeitswelt führten. Auch Burnout durchlief eine ähnliche Entwicklung und wurde erst in den letzten 5 bis 10 Jahren populär, obwohl der Begriff bereits 1974 zum ersten Mal durch den Psychiater Freudenberger (1974, S.159-166) in einer Arbeit thematisiert wurde. So gilt Burnout bereits heute als Ablöser der Managerkrankheit Herzinfarkt. Daraus ableitend vergleicht Petermann (2005, S.2) Burnout mit der Kreissäge von 1910 und mit der Asbestfaser aus den Sechziger-Jahren. Für die Gesundheit des Arbeitnehmers weisen alle drei ein mehr oder weniger grosses Potential einer Gefährdung auf. Dieser Vergleich soll aufzeigen, welche Dimension Burnout bereits angenommen hat. So erstaunt es auch nicht, dass das Burnout-Syndrom in vielen Kreisen bereits als die Berufskrankheit des 21.Jahrhunderts bezeichnet wird (Petermann, 2006a, S.20-21).
Burnout ist jedoch keine Managerkrankheit. Es kann jeden treffen. Wurde es ursprünglich als Helferkrankheit bezeichnet, so ist Burnout mittlerweile von allen Forschern als ein Syndrom, welches jede Berufsgruppe treffen kann, anerkannt.
Wie später noch detaillierter erläutert wird, gibt es für Burnout heute noch erhebliche Definitionsprobleme. Diese fehlende Definition und auch die geschichtliche Entwicklung von Burnout sind heute wahrscheinlich immer noch hauptverantwortlich für die Problematik, wie Unternehmen damit umgehen. Um dies genau verstehen zu können und weil es von zentraler Bedeutung ist, damit der heutige Stand der Forschung verständlich ist, wird nachfolgend die geschichtliche Entwicklung von Burnout aufgezeigt.
Der erste, der zu diesem Thema eine Veröffentlichung machte, war der Psychiater Freudenberger (1974, S.159-166). Er umschreibt darin meist ehrenamtliche Sozialarbeiter in alternativen Selbsthilfe-Kliniken wie zum Beispiel therapeutische Wohngemeinschaften oder Frauenhäuser, bei denen er auffällig gleichartige Phänomene feststellte. Am Anfang stand immer das grosse Engagement für die Arbeit, welches jedoch nach etwa einem Jahr übermässigem Einsatz in einem psychischen und physischen Zusammenbruch endete. Diese Erscheinung betitelte er als „burn-out“ und stellte weiter fest, dass es zu vermindertem Arbeitsengagement und Arbeitsleistung und zudem zu zunehmender Distanzierung vom Klienten führt. Die Betroffenen hatten eine Erschöpfung durch zu viel entgegengebrachtes Mitgefühl, ein so genanntes „compassion fatigue“. Schon dazumal erkannte Freudenberger die Problematik als so ernsthaft, dass er davon ausging, dass ohne externe Hilfe für die Sozialarbeiter die ganze Institution „sozialen Schaden“ erleiden würde. Er stellte weiter fest, dass nur Leute ausbrennen können, welche engagiert sind, respektive sehr lange sehr intensiv arbeiten. Heute wird diese Aussage von vielen Fachkräften folgendermassen übersetzt: „Ausbrennen kann nur, wer vorher gebrannt hat“ (u.a. Rösing S.34).
Auch Christine Maslach (1982, S.29-30, 46) beschreibt Burnout vor allem im Zusammenhang mit Sozialberufen als Helfer-Syndrom. Sie beschreibt dies als Syndrom emotionaler Erschöpfung, Depersonalisation und persönlicher Leistungseinbusse. Solche Symptome treten primär bei Personen auf, die in irgendeiner Art mit Menschen zusammenarbeiten. Dies wird in der Rolle als „Helfer“ aufgrund andauernder emotionaler Belastung verstärkt.
Maslach, Freudenberger und auch weitere Autoren widersprachen sich jedoch in vielen Punkten und daher fehlt eine klare Theorie. Die Ursache diesbezüglich sieht Demerouti (1999, S.4) folgendermassen: „Die frühe Burnout-Literatur geht überwiegend auf Praktiker zurück, die direkt mit dem Burnout-Problem konfrontiert waren. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass der Schwerpunkt dieser Publikationen auf der klinischen Beschreibung des Syndroms sowie auf der Interventionsmöglichkeit und nicht auf der Theoriebildung liegt.“ So fehlt eigentlich bis heute eine anwendbare und von allen akzeptierte Definition.
So erstaunt es weiter nicht, dass das später noch näher beschriebene Maslach Burnout Inventory (MBI) sich bis heute nahezu konkurrenzlos als Messinstrument für Burnout durchgesetzt hat. Dies obwohl es eigentlich ursprünglich 1981 von Maslach und Jackson nur als Vorschlag zur Messung von Burnout beschrieben wurde. Das Verfahren hatte jedoch klare Mängel und musste noch mehrmals überarbeitet und weiterentwickelt werden. Dennoch wurde es praktisch durchgehend als Messinstrument aufgenommen und die Messkriterien wurden stillschweigend als Deutung der Symptome akzeptiert.
Eine Gruppe um Aronson (1983) erkannte dann aber zumindest, dass das Syndrom Burnout auch ausserhalb der bis zu diesem Zeitpunkt mit Burnout in Verbindung gebrachten Gruppe der Sozialberufe, den so genannten Helfern, auftauchen kann.
Mittlerweilen sind sich sogar nahezu alle Experten einig, dass Burnout auch ausserhalb der Helferberufe vorkommen kann. Dies hat auch Maslach in ihren neueren Büchern entsprechend revidiert. Diesbezüglich hat Burisch (2006, S.21-24) in seinem Buch Arbeiten respektive Untersuchungen bezüglich Burnout in über 60 Berufs- oder Personengruppen ausgewiesen. Dies zeigt die mittlerweile anerkannte Verbreitung von Burnout auf. So kann man sich zum Beispiel beim Gefängnispersonal sehr gut die teilweise auftretende Hilflosigkeit gegenüber den Gefangenen vorstellen, welche eine Haupttreiberin zum Burnout sein kann. Ein Gefängniswärter lebt mit der Hilflosigkeit, den Insassen nicht „heilen“ zu können, respektive auch durch Rückfälle immer wieder die gleichen Verurteilten betreuen zu müssen. Diese Hilflosigkeit kann irgendwann zu Sinnlosigkeit übergehen und führt zu verringerter Leistungszufriedenheit oder Demoralisierung. Bei Arbeitslosen kommen zum Beispiel immer wieder Gefühle der Sinnlosigkeit und Hoffnungslosigkeit auf, wenn sie sich nach unzähligen Bewerbungsschreiben immer wieder mit Absagen abfinden müssen. Der Glaube an sich selbst geht verloren und man erhält eine negative Selbsteinschätzung. Daher können wahrscheinlich nahezu alle Berufs- oder Arbeitsgruppen von der Krankenschwester bis zum Manager vom Burnout befallen werden.
Aufgrund der fehlenden Definition hat Burisch 1993 vorgeschlagen (2006, S.15), den Begriff „randunscharfe Menge („fuzzy set“) aus der Mengenlehre zu verwenden. Damit soll erkennbar werden, dass Burnout nicht klar abtrennbar ist. Er umschreibt diese Thematik mittels eines Beispiels von Forney et al. (1982, S.436):
„Burnout ist wie Pornographie – ich bin nicht sicher, ob ich es definieren kann, aber wenn ich es sehe, weiss ich, was es ist“.
Dass eine klare Abgrenzung nicht möglich ist, wird nachfolgend bei den Symptomen und Abgrenzungen zu Stress und Depression genauer erläutert.
Aufgrund der im letzten Kapitel geschilderten Entwicklung von Burnout ist es wenig erstaunlich, dass es bis heute keine eigentliche „Krankheit“ Burnout gibt.
Für Krankheiten gibt es zwei Klassifizierungssysteme: Das „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ (DSM-IV, in der vierten Auflage) der American Psychiatric Association (APA) und die „International Classification of Disorders“ (ICD-10, in der zehnten Auflage) der World Health Organization (WHO).
Während man im DSM-IV vergebens nach Burnout sucht, wird man im ICD-10 (WHO, 2007) fündig. Im Kapitel 21 werden Faktoren beschrieben, die den Gesundheitszustand beeinflussen und Kontakt zur Gesundheitshilfe beanspruchen. Darin sind unter der Ziffer Z73 Probleme im Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung zu finden. Weiter findet man unter Z73.0 „Burn-out“ mit der Erklärung „State of vital exhaustion“ („Zustand der körperlichen Erschöpfung“) aufgelistet. Somit ist Burnout nicht als eigentliche Diagnose, sondern als Zustandsbild mit einer kaum vorhandenen Definition aufgeführt.
Dieses Nichtvorhandensein einer medizinischen Definition erschwert den heutigen Umgang mit Burnout erheblich. Daher kann eine entsprechende Diagnose für einen potentiellen Burnout-Fall je nach Arzt unterschiedlich ausfallen und dies wiederum kann die Absenzenstatistik eines Unternehmens erheblich beeinflussen. Nur wenn in einem Betrieb als Absenzgrund Burnout überhaupt bekannt ist und dies statistisch erfasst wird, kann ein klares Bild...