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E-Book

Camp als Konzept

Ästhetik, Popkultur, Queerness

AutorStefanie Roenneke
VerlagPosth Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl1261 Seiten
ISBN9783944298139
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Camp steht für Stilisierung, Übertreibung und Gender-Performance. Als Konzept ist Camp von zentraler Bedeutung für eine zeitgenössische Ästhetik und Politik zwischen queeren Szenen, moderner Kunst und Pop. Im Zuge einer genauen Analyse der Begriffsgeschichte und Theorie des Camp geht es von Quentin Crisp, Christopher Isherwood, Jack Smith, Susan Sontag, Sylvester, Judith Butler und vielen anderen bis hin zu den literarischen Werken Christian Krachts.

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Leseprobe

2. Ursprünge: Lexikoneinträge


2.1. Erster Eintrag


Für die Etymologie des Wortes ›Camp‹ ist der Eintrag in dem 1909 publizierten Lexikon »Passing English of the Victorian Era. A Dictionary of Heterodox English, Slang, and Phrase« von einiger Bedeutung, denn dort wird Camp erstmals als ein spezifischer Stil oder eine Haltung beschrieben. Die Definition von J. Redding Ware lautet: »Camp (Street). Actions and gestures of exaggerated emphasis. Probably from the French. Used chiefly by persons of exceptional want of character. ›How very camp he is.‹«1 Der Begriff, der aus dem Französischen stamme, beschreibt folglich übertriebene Handlungen und Gesten. ›Camp‹ wird Personen zugeordnet, denen es an Charakter mangelt. Dadurch wird der Begriff negativ konnotiert.

Das bedeutet jedoch nicht, dass der Begriff ›Camp‹ erst seit dem Jahr 1909 in Slang-Wörterbüchern zu finden ist. ›Camp‹ wird bereits davor verzeichnet. Entscheidend ist, dass dem Begriff eine andere Bedeutung zugeordnet wird. In dem Wörterbuch »Slang and its Analogues past and present« von 1890 wird ›Camp‹ als Verb angeführt und zunächst als Phrase für ›ins Bett gehen‹ oder ›eine Pause machen‹ genannt: »Camp, to go to camp, phr. (Australian). – To go to bed; to take rest. […]«. Gleichzeitig sei ›Camp‹ ein Ausdruck für ›jmd. niederstrecken‹ bzw. ›jmd. überbieten‹: »There’s nothing out can CAMP him«. Des Weiteren wird dieser Ausdruck mit ›töten‹ gleichgesetzt: »To take into camp, phr. (Common). – To kill. […]«2

Ein vergleichbarer Eintrag findet sich in »A Dictionary of Slang, Jargon and Cant« von Albert Marie Victor Barrere und Charles Godfrey Leland: »Camp, to (Australian), to floor, to put down. The metaphor here is the same as to ›make,‹ to ›take a back seat‹; to camp, to make to camp, implying that your rival cannot stand up to you. According to Wright camp is a provincialism meaning to contend, from the Anglo-Saxon cempan3

Hier wird ›Camp‹ erneut mit ›zu Boden bringen‹ umschrieben und sowohl mit dem Verb ›machen‹ als auch mit der Phrase ›sich bescheiden im Hintergrund halten‹ in Verbindung gebracht.4 Die zweite Verwendung von ›Camp‹ ist hier »to make to camp«. Die Bedeutung impliziert, dass sich ein Rivale nicht behaupten kann. Folglich hält der Akteur stand, der Rivale wird überboten. ›Camp‹ wird zudem als eine provinzielle Bedeutung für ›kämpfen‹ definiert.

2.1.1. Die Wortherkunft


Der Hinweis auf die französische Herkunft des Begriffs in Wares Definition wirft die Frage auf, welche Bedeutung dem französischen Wort »camper« zugeordnet wird. In einem französisch-deutschen enzyklopädischen Wörterbuch, das zur gleichen Zeit wie Wares Publikation erschien, ist unter »camper« die Übersetzung »lagern, aufstellen«5 und »fest hinstellen, -setzen«6 zu finden. Unter »se camper« heißt es: »sich lagern«7 und »sich ungeniert niederlassen«8. Als weitere Bedeutung wird auf den Begriff innerhalb der Fechtkunst verwiesen: »sich in Positur setzen«9. Neben der Bedeutung einer örtlich-temporalen Beschreibung von »camper« und »se camper« verweist insbesondere die letzte Übersetzung darauf, dass das Wort auch im Zusammenhang mit einer bewusst eingenommenen Körperhaltung verwendet wurde.

In dem Lexikon »Le Grand Robert« wird unter »se camper« folgender Beispielsatz angegeben, der ebenfalls eine bewusst eingenommene Körperhaltung beschreibt: »Se tenir en un lieu dans une attitude fière, hardie, provocante«10 [›Mit einer stolzen, mutigen, provokativen Haltung an einem Ort stehen‹]. Außerdem wird auf die Begriffe »[d]resser (se)«11 [›aufragen, sich aufrichten‹], »planter (se)«12 [mit ›devant‹ ›sich vor jemanden aufbauen‹] und »[p]oser (se)«13 verwiesen. Letzteres kann sowohl mit ›legen, setzen, stellen‹ als auch mit ›posieren‹ übersetzt werden.

Der Ursprung des Wortes im Französischen wird in jüngeren Slang-Wörterbüchern aufgegriffen, in denen ›Camp‹ verzeichnet ist. Dabei bleibt es aber nicht. Eric Partridge verweist 1963 auf die Wörter »kemp; uncouth, rough« als möglichen Ursprung.14 Dem folgt Tony Throne in »Dictionary of Contemporary Slang«.15 Tom Dalzell and Terry Victor weisen darauf hin, dass es sich bei Camp um eine ironische Umkehr des Wortes »unkempt« handle, das mit ›ungekämmt, ungepflegt, zerzaust‹ übersetzt wird: »Possibly French origin; however it may well be an ironic reversal of ›unkempt‹ (ungroomed)«16. Eine Verbindung zu dem Akronym kamp17 schließen sie jedoch aus: »less likely, derived from the acronym kamp: ›known as male prostitute‹«. An diesen Beispielen wird deutlich, dass im Zusammenhang mit dem französischen Begriff »se camper« hauptsächlich eine Körperhaltung und etwas Temporal-örtliches fokussiert wird sowie im Kontext von »kemp« und »unkempt« eine den gesellschaftlichen Normen widersprechende Bedeutung implizit ist.

Fabio Cleto bezeichnet in der Einleitung zum Sammelband »Camp – Queer Aesthetics and the Performing Subject« die Grundlagen des Wortes als unsicher (»precarious«). Dabei bezieht er sich auf die etymologischen Ursprünge des Wortes. Er ergänzt wiederum zu dem französischen »se camper« das italienische »campeggiare«, das mit »kampieren« und »sich hervorheben« übersetzt wird.18 Hier wird der gemeinsame Wortstamm ebenso deutlich wie die Tatsache, dass der Begriff für etwas Temporal-örtliches und eine spezifische Haltung steht. Darüber hinaus betont Cleto, dass es weitere Verweise in den romanischen und germanischen Sprachen gibt. Als Wurzel für diese Verbindungen macht er das indogermanische Wort »kamp« aus: »we can register a constant presence in Romance und Germanic languages, of a lexical nexus that can be traced to the Indo-European root *kamp, and finding its common trait in the ambiguous, bent, twisted, deviated, eccentrical and inverted.«19

Celto übersetzt *kamp in seinem queeren Ansatz mit »what is curved, flexible, articulated«20. Zum Vergleich: In dem indogermanischen Wörterbuch von Gerhard Köbler wird »*kamp« mit »biegen«21 übersetzt.

Die vorhergehenden Ausführungen machen deutlich, dass der genaue Ursprung des Wortes weiter ungeklärt bleibt.22

2.1.2. Ein Wechsel der Semantik


Neben diesen etymologischen Erklärungsversuchen stehen Thesen, die eine spezifische Verwendung des Begriffs akzentuieren, wodurch es zu einer neuen Bedeutungszuschreibung des Wortes gekommen sein könnte.

Mark Booth zitiert aus dem Theaterstück »Les Fourberies de Scapin« (»Scapins Streiche«) von Molière aus dem Jahr 1671. Darin werde »se camper« im Zusammenhang mit einer spezifischen Körperhaltung verwendet: »›Wait, stop a minute‹, says Scapin to Octavio, as the idea dawns on him, and he begins to see the possibilities, ›Stick your hat on at an angle and look disreputable. Camp about on one leg (›campe-toi sur un pied‹). Put your hand on your hip. Strut like a comedy-king!‹«23 Ergänzend dazu wäre darauf hinzuweisen, dass Scapin Octavio zusätzlich zeigt, wie er sein Gesicht und seine Stimme zu verstellen hat.

Bruce Rodgers stellt in seinem Lexikon »Gay Talk« aus dem Jahr 1972 einen Bezug zur Sprache des Theaters her und situiert den Ursprung des Wortes im englischen Theaterjargon. Gemäß Rodgers stammt der Begriff aus dem 16. Jahrhundert und hat dazu gedient, einen jungen Mann in Frauenkleidern zu bezeichnen: »theatrical 16th century England camping = young men wearing the costume of women in a play«24.

Moe Meyer25 widmet sich ebenfalls dem Hinweis auf den Ursprung im Französischen in der ›Camp‹-Definition von Ware. Er konzentriert sich jedoch auf die Geste, die beschrieben wird: »Accordingly, I read Ware’s definition not as suggesting that the word ›Camp‹ is from the French, but that the actual and specific gestures he describes have been imported from France.«26

In seiner Untersuchung akzentuiert Meyer zum einen die Adaption bestimmter Aspekte des französischen Delsarte-Systems27 am Beispiel von Oscar Wildes Wandel von einem Ästheten hin zu einem Dandy. Zum anderen diskutiert er Schreibstrategien, durch die Wilde homoerotisches Begehren in seine Texte einarbeiten wollte und misst den Prozessen um Wilde eine besondere Relevanz zu.28 Denn Meyer erkennt in der ›Camp‹-Definition von Ware bereits einen schwulen Subtext: »If, as King proposes, specific gestures identified simultaneously by exterior excess […] and interior lack […] are constitutive markers of homosexual identity, then the first text reference of Camp in 1909 already encodes a homosexual subject.«29

Auf einer Amerikareise habe Wilde den Delsarte-Schüler Steele Mackaye kennengelernt, der das ursprüngliche Sprechtraining mit physischen Aspekten ergänzt habe. Hierbei spiele insbesondere die Pose eine zentrale Rolle.30 Meyer konstatiert, dass Wilde nach seiner Rückkehr mit bestimmten Gesten experimentiert habe, um homoerotische Zeichenstrategien zu entwickeln: »It is this philosophy, combined with Mackaye’s physical practice,...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung7
2. Ursprünge: Lexikoneinträge12
3. Camp und Literatur – eine wichtige Referenz21
4. Jack Smith und Camp34
5. Susan Sontag und »Notes on ›Camp‹«50
6. Camp und der schlechte Geschmack77
7. Exkurs: The Cockettes – zwischen schlechtem Geschmack und Spiel mit Geschlechteridentitäten89
8. Camp und der männliche Akteur98
9. Judith Butler und Camp129
10. Camp und Akteurinnen139
11. ›Camp‹ und ›Queer‹157
12. Camp-Literatur161
13. Fazit186
Literaturverzeichnis193
Impressum218

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