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Carl von Siemens

1829-1906

AutorMartin Lutz
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl414 Seiten
ISBN9783406645440
FormatePUB/PDF
KopierschutzDRM/Wasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Drei Brüder waren es, die zusammen mit ihrem Partner Johann Georg Halske ab Mitte des 19.Jahrhunderts aus der kleinen Berliner «Telegraphen-Bauanstalt von Siemens & Halske» eine Weltfirma machten: Werner, Wilhelm und Carl von Siemens. Martin Lutz legt die erste Biographie des jüngsten der drei Brüder vor und liefert damit gleichzeitig eine anschaulich geschriebene Frühgeschichte der Firma Siemens, deren heutiges Selbstverständnis wesentlich mit auf diesen Pionier der Globalisierung zurück geht. «Ich scheine von der Natur für große Unternehmungen geschaffen zu sein, denn wo ich bis jetzt hingekommen, ist stets großes entstanden», schrieb Carl im Jahr 1888 an Werner. Tatsächlich war er es, der maßgeblich dazu beitrug, das internationale Telegrafengeschäft von Siemens & Halske aufzubauen. In Paris gründete der 23-Jährige 1852 die erste Beteiligungsgesellschaft des Unternehmens außerhalb Deutschlands. Drei Jahre später sollte sich der russische Telegrafenbau unter seiner Führung sehr positiv entwickeln; er war zeitweise der wichtigste Geschäftszweig des Hauses. In den späten 1860er Jahren war Carl im Kaukasus am Bau der spektakulären Indo-Europäischen Telegrafenlinie von London nach Kalkutta beteiligt. Von London aus bereitete er wenige Jahre später die Verlegung des ersten Transatlantik-Kabels des Unternehmens vor; die er 1874/75 an Bord des Dampfers «Faraday» persönlich leitete. Auch über das elektrotechnische Kerngeschäft hinaus entfaltete Carl von Siemens eine große unternehmerische Energie - und ging dabei erhebliche finanzielle und persönliche Risiken ein: Im Kaukasus betrieb er eine der größten Kupferhütten Russlands, auch war er ein Wegbereiter der europäischen Erdölförderung. Als Siemens & Halske 1897 in einer Aktiengesellschaft aufging, wurde Carl Aufsichtsratsvorsitzender eines der weltgrößten Elektrounternehmen.

Martin Lutz, Dr. phil., ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin.

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Leseprobe

Vorwort


Warum lesen wir Biografien? Möchten wir uns an dem Kolorit einer vergangenen Zeit erfreuen? Suchen wir nach allgemeingültigen Zeugnissen des Menschlichen, die noch heute unser Herz berühren? Oder betrachten wir das Leben historischer Persönlichkeiten im Spiegel der Geschichte, weil es uns hilft, nachfolgende Ereignisse in einem klareren Licht erscheinen zu lassen? Vielleicht stellen wir uns diese Fragen, wenn wir vor die Entscheidung gestellt sind, ob wir zu den Lebensbeschreibungen dreier Brüder greifen sollen – Werner, Wilhelm und nun auch Carl Siemens. Durch den Bau von Telegrafenlinien und die «Verkabelung der Welt» haben sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Grundstein für eine Firma gelegt, die bis heute ihren Namen trägt.

Alle drei waren in der Enge eines Mecklenburger Pachtguts groß geworden und machten verschiedene europäische Hauptstädte zu ihrem Wohnsitz: Werner, der Älteste, der nach dem frühen Tod der Eltern viel Verantwortung für seine verwaisten Geschwister übernahm, ging nach Berlin, wo er 1847 mit dem Feinmechaniker Johann Georg Halske die «Telegraphen-Bauanstalt von Siemens & Halske» gründete. Wilhelm setzte nach London über. Carl verschlug es nach St. Petersburg. Unter drei verschiedenen Kronen würden sie durch den Aufbau eigener Landesgesellschaften der «Firma Siemens» zu dem aufsteigen, was man als wohlhabende und angesehene Bürger bezeichnet.

Wilhelm starb als Wissenschaftler und Ingenieur, als «Sir William», britischer Staatsbürger, Ehrendoktor der Universität von Oxford und Mitglied der Royal Society; nach seinem Tod wurde er sogar durch ein Fenster in der Abtei von Westminster geehrt. Werner, der geniale Erfinder, hatte wohl immer ein wenig gefürchtet, dass ihm sein jüngerer Bruder die Show stehlen könnte; als 1888 Wilhelms Leben «von einem wohlbekannten englischen Schriftsteller, Mr. William Pole, in großer Ausführlichkeit und mit gewissenhafter Benutzung aller ihm zugänglichen Quellen» beschrieben wurde, setzte er sich deswegen umgehend daran, selber seine «Lebenserinnerungen» zu verfassen. Er spornte Carl an, seinem Beispiel zu folgen. Carl, der von den dreien der Pragmatischste war und sich zudem zeitlebens in den Schatten seines um 13 Jahre älteren Ersatzvaters gestellt hatte, konnte der Idee allerdings wenig abgewinnen.

Um Memoiren «der Welt mundrecht zu machen», schrieb er ihm an einem regnerischen Sommertag 1890 von seinem Landgut Gostilitzy bei St. Petersburg, «muss entweder die Person derselben schon an und für sich sehr interessant sein oder sie muss bedeutende belletristische Talente besitzen, von welchen bei mir leider keine Spur vorhanden ist. Ich werde mich nur blamieren und mir außerdem noch den Schein der Aufdringlichkeit aufladen.»

Dabei hätte er einiges zu erzählen gehabt. Seine Biografie, die nun, mehr als ein Jahrhundert nach der in Gostilitzy verfassten Absage, von dem Historiker Dr. Martin Lutz verfasst worden ist, beginnt in der revolutionär aufgeladenen Atmosphäre des deutschen Vormärz; von dort entführt sie uns in ein längst untergegangenes Land, das Reich der russischen Zaren. Kutschfahrten werden unternommen, Hofschranzen machen ihre Honneurs, eine Telegrafenlinie führt an die Schauplätze des Krimkriegs, Flüsse werden überbrückt und Steppen durchquert. Man leidet unter «Hundeklima», im Kaukasus wird eine Kupfermine errichtet, Banditen schießen, ein Kabelschiff dampft über das Meer, und 1884, pünktlich zum orthodoxen Weihnachtsfest, wird der Newski-Prospekt in St. Petersburg zum ersten Mal elektrisch «illuminiert». Die Gesichter eines Vielvölkerstaats haben sich unter den neuen Lampen gedrängelt, hungrige und satte, und es mag gut sein, dass das eine oder andere Gesicht in der Revolution von 1905 wieder auftauchen wird, als die Unruhen mit einem Generalstreik in den Fabriken und Manufakturen ihren Anfang nehmen.

Heute telefonieren wir oder schicken uns E-Mails, und von unseren Gesprächen bleibt wenig erhalten. Manchmal frage ich mich, auf welche Informationen Historiker in der Zukunft zurückgreifen können, wenn sie sich mit Personen unserer Zeit beschäftigen wollen. Das neunzehnte Jahrhundert kannte als Kommunikationsmittel lange Zeit nur den Brief, und auch die neuen Telegramme würden in ausgedruckter Form ihren Weg auf Sekretär und Schreibtisch finden. Carl und seine Brüder haben eine umfangreiche Korrespondenz hinterlassen, und so erfahren wir auch einiges von den Beziehungen, Situationen und Schicksalsschlägen einer Familie zu dieser Zeit – einer Zeit, in der der Tod gegenwärtiger gewesen ist als heute. Dabei erhält das Bild der scheinbar bedingungslosen Bruderliebe, das der patriarchalische Werner in seinen «Lebenserinnerungen» gezeichnet hat, einige lebensechtere Farbtupfer. Da wird verhandelt und ermahnt, gestritten und gezankt, man wünscht sich Pech und Schwefel an den Hals, um sich am Ende doch noch irgendwie zusammenzuraufen.

Carl sollte es sein, der von den drei Brüdern die meisten Jahre im Dienst des Familienunternehmens verbrachte. Seine Mobilität erinnert an den Lebenslauf moderner Manager, die durch eine globalisierte Welt gehetzt werden. Das von ihm aufgebaute Russlandgeschäft sicherte der «Telegraphen-Bauanstalt» nach ihrem Zerwürfnis mit dem preußischen Staat für mehr als zehn Jahre das Überleben. Und es war Carl, der, nach dem Tod seines Bruders Werner, mit dessen Söhnen die Firma 1897 in eine Aktiengesellschaft umwandelte und dadurch die Voraussetzungen schuf, um im Wettbewerb mit der rapide über den Kapitalmarkt expandierenden AEG von Emil Rathenau bestehen zu können.

So ist seine Geschichte auch die Geschichte des Ursprungs eines Konzerns, der Technologiesprünge initiierte und durch sie zu den führenden Unternehmen in Bismarcks Reich aufstieg. Die Technologiesprünge waren der Bau von Telegrafenlinien über Land und unter Wasser sowie, später, die Erzeugung von Licht und elektrischem Strom; wie die Technologiesprünge der Internet-Unternehmen von heute würden sie das Gesicht unserer Welt verändern. Es ist die Geschichte von Entwicklern im Hinterhof und ihres Betriebs, der mit Großprojekten zu einer international aktiven Firma wuchs. Eine international aktive Firma, als Infrastrukturdienstleister abhängig von den Aufträgen verschiedener Nationalstaaten, die sich in der Industrialisierung bald gegeneinander aufrüsteten. Eine Firma, die in Russland gedieh, beinahe englisch geworden wäre und deren Schicksal seit der Verankerung des Hauptsitzes in Berlin endgültig an das des deutschen Staates gekettet sein würde.

Wo anfangen, wo aufhören? Nobilitiert vom letzten Zaren Nikolaus II., stirbt Carl von Siemens 1906 in Menton. Ist damit seine Geschichte zu Ende? Oder lebt sie in der Bedeutung weiter, die seine Unternehmungen für Deutschland und, vor allem, für Russland gehabt haben? Bleiben wir noch für einen Augenblick bei Russland und den Siemens-Werken dort, die, zusammen mit der AEG, einst die Elektroindustrie des Zarenreichs dominiert haben – schließlich sind sie doch Carls Werk.

Im Vorfeld des Ersten Weltkriegs wird die russische Niederlassung zwei einheimischen Geschäftsführern unterstellt, Leonid Borissowitsch Krasin und Alfred Schwartz. Krasin ist ein früher Weggefährte Lenins, der im Berliner Exil bei den Siemens-Werken hat Karriere machen dürfen, freilich unter der Auflage, sich sämtlicher politischer Aktivitäten zu enthalten. Alfred Schwartz, ein Deutschstämmiger mit russischem Pass, arbeitet schon lange für die Firma; wahrscheinlich wird ihn Carl noch persönlich gekannt haben. Während des Krieges werden die russischen Siemens-Werke mitsamt ihrer Geschäftsführung unter die Kontrolle der zaristischen Regierung gestellt, verdienen gut am Krieg und können sogar expandieren; nach der Oktoberrevolution jedoch werden sie enteignet. Die englischen Siemens-Werke hat schon vorher dasselbe Schicksal ereilt; in London wird Sir Williams Fenster in Westminster wieder abmontiert und verschwindet im Depot.

Während der ersten Jahre der Weimarer Republik ist Leonid Borissowitsch Krasin das Bindeglied zwischen Siemens und der sich herausbildenden Sowjetunion. Da die Weltrevolution ausbleibt, sehen sich die neuen Machthaber in Moskau gezwungen, in der Isolation einen eigenen sozialistischen Staat aufzubauen. «Kommunismus – das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes», jubelt Lenin und überträgt die Verantwortung dafür ausgerechnet an Krasin und Schwartz. Da die Sowjetregierung für die Umsetzung ihres Wirtschaftsprogramms auf den Import von Maschinen aus kapitalistischen Ländern angewiesen bleibt, kann Siemens, auch aufgrund dieser Kontakte, wieder in Russland aktiv werden.

Während des ersten Fünfjahresplans wird die Sowjetunion zu einem gewaltigen Importeur von Industriegütern. Sie finanziert ihren Bedarf teilweise über Kredite, teilweise aber auch dadurch, dass sie den verhungernden Bauern das Getreide wegnimmt, damit ihre Arbeiter in den Rohstofffabriken versorgt und den Überschuss gegen Devisen im Ausland verkauft. «Es ist ein Grundsatz der im Siemens-Konzern vereinigten Firmen», schreibt Adolf Franke, Vorstandsvorsitzender von Siemens & Halske, schon 1924 an den...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel2
Zum Buch3
Über den Autor3
Impressum4
Inhalt7
Vorwort11
Prolog17
Einleitung: Pionier der Globalisierung19
Kapitel 1: Aus einfachen Verhältnissen25
Die Vorfahren25
Kindheit in Menzendorf29
Schulbildung32
Lübeck36
Berlin38
Kapitel 2: «Der beste Fabrikant von uns allen»43
Die Telegrafie43
Carls Talente zum Fabrikanten46
Gründung der Telegraphen-Bauanstalt50
Die Revolution von 184853
Kapitel 3: Gut investiertes Lehrgeld59
Einstieg bei Siemens & Halske59
Auf der Weltausstellung in London63
Ankunft in Paris67
Vertragsstreitigkeiten71
Abschied aus Paris74
Kapitel 4: Telegrafenbau in Russland77
Ein neuer Markt77
Die Bewährungsprobe81
Telegrafenbau im Krimkrieg85
Schwierige Bauarbeiten und lukrative Wartungsverträge92
Partnerschaft bei Siemens & Halske96
Kapitel 5: Ubi bene ibi patria?99
Was ist Heimat?99
Anpassungsschwierigkeiten101
Hermann Kap-herr105
Hochzeit106
Eine Frage des Lebensstils109
Heimat St. Petersburg?113
Kapitel 6: Auf der Suche nach neuen Aufgaben117
Neuorientierung nach 1855117
Untertan des Zaren119
Fehlende Aufträge121
Geschäfte mit Glas und Holz124
Ein Schicksalsschlag128
Kapitel 7: Ordnung des «Gesamtgeschäfts»133
Eine Rüge aus Berlin133
Die Bestandteile des Gesamtgeschäfts136
Seekabel und Siemens Brothers141
Differenzen zwischen den Brüdern145
Der Gesellschaftsvertrag von 1867149
Kapitel 8: Im Kaukasus153
Kedabeg153
«Von London nach Kalkutta»157
Umzug nach Tiflis161
Maries Tod166
Bau der Indo-Europäischen Telegrafenlinie169
Kapitel 9: «Die Verkabelung der Welt»173
Berlin oder London?173
Neue Perspektiven174
In London177
Das Transatlantikkabel181
Internationale Anerkennung187
Kapitel 10: Enttäuschte Erwartungen191
Innere Zerrissenheit191
Die Kinder195
Geschäftliche Sorgen198
Ein «alter Knabe»?201
Kapitel 11: Eine leuchtende Rückkehr207
Fremde Heimat207
Die geschäftliche Lage in Russland211
«Ein wahrer Triumphzug»216
Elektrische Beleuchtung219
Die «Lichtgesellschaft»224
Kapitel 12: Konflikte, Krisen, Konkurrenten231
«Quite suddenly William died»231
Streit um das Überseegeschäft235
Ein leidenschaftlicher Bruderzwist240
Der Aufstieg eines Konkurrenten246
Fehlende Reformen249
Kapitel 13: Chef des Hauses255
Die Nachfolger treten an255
Eine letzte gemeinsame Reise nach Kedabeg259
Der neue Geschäftsführer in St. Petersburg263
Ein schwerer Gang an die Börse269
«Mal etwas Freiheit genießen»273
Kapitel 14: Ein «echter Grandseigneur»277
Drei Hochzeiten277
Ein repräsentativer Landsitz281
Gesellschaftspolitisches Engagement284
Dem «treuunterthänigen Siemens»288
Zurück in Berlin290
Kapitel 15: Der «letzte der Mohikaner»295
«Zum Besten meiner und meiner Geschwister Nachkommen»295
Krise und Fusion300
50 Jahre Siemens & Halske in Russland305
Für die Nachwelt309
Epilog313
Anhang317
Forschungsstand319
Anmerkungen327
Quellen- und Literaturverzeichnis392
Abbildungsnachweis406
Danksagung407
Register409
Stammbaum414

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